Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltung der Steuerfreistellung des § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG in der für das Jahr 2002 geltenden Fassung für einen nachträglich vereinnahmen, zusätzlichen Veräußerungserlös. Irrige Beurteilung eines Sachverhalts im Sinne von § 174 Abs. 4 Satz 1 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG umfasst auch eine nachträgliche, im zeitlichen Anwendungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens eingetretene Wertänderung der Gegenleistung für den Verkauf von Anteilen, welcher dinglich noch im Geltungszeitraum des Anrechnungsverfahrens verwirklicht wurde (entgegen BMF-Schreiben v. 28.4.2003, BStBl I 2003, 292, Randnr. 64, und vom 13.3.2008, BStBl I 2008, 506).
2. Eine „irrige” Beurteilung im Sinne von § 174 Abs. 4 Satz 1 AO liegt vor, wenn sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als unrichtig erweist. Der Irrtum der Finanzbehörde kann sich sowohl auf das Steuerobjekt als auch auf das Steuersubjekt beziehen. Unerheblich ist, ob der Fehler in der Beurteilung des Sachverhalts im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt. Nimmt das Finanzamt von seiner bisherigen Auffassung Abstand, ist diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen.
Normenkette
KStG 2002 § 8b Abs. 2 S. 1, § 34 Abs. 7 Nr. 2; AO § 174 Abs. 4 S. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung der Bescheide vom 30. November 2012 zur Körperschaftsteuer 2007, zum Gewerbesteuermessbetrag 2007 und zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2007 sowie der Einspruchsentscheidung vom 16. April 2014 wird das Finanzamt verpflichtet, einen zusätzlichen inländischen Gewinn in Höhe von 2.161.084 EUR gemäß § 8b Abs. 2 KStG aus der Veräußerung einer Beteiligung anzuerkennen. Die Berechnung der steuerlichen Auswirkungen im Einzelnen wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Finanzamt übertragen.
2. Das Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob ein im Jahr 2007 vereinnahmter zusätzlicher Veräußerungserlös unter die Steuerfreistellung des § 8b Abs. 2 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz in der für das Jahr 2002 geltenden Fassung (KStG) fällt oder als laufender, nicht von § 8b Abs. 2 KStG erfasster Gewinn zu berücksichtigen ist.
Die Klägerin ist eine GmbH, Gegenstand ihres Unternehmens ist der Erwerb von Beteiligungen und Anlagen aller Art, sowie Immobilien. Ihr Wirtschaftsjahr entspricht dem Kalenderjahr.
Im Jahr 1997 befanden sich im Aktienbestand der Klägerin auch Aktien an der S-AG. Am 29. Juli/ August 1997 schloss die S-AG mit ihrer Muttergesellschaft, der P-AG, als herrschende Gesellschaft einen Ergebnis- und Gewinnabführungsvertrag. Die Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft stimmte dem Vertrag mit Beschluss vom 17. Oktober 1997 zu. Der Ergebnis- und Gewinnabführungsvertrag sieht u. a. eine Barabfindung für den Erwerb von Aktien von außenstehenden (Minderheits-) Aktionären vor.
Die Klägerin (Minderheitsaktionärin) veräußerte im Jahr 1997 ihre Aktien an die S-AG und versteuerte den hieraus resultierenden Gewinn im Jahr 1997 im Rahmen des damals geltenden Anrechnungsverfahrens. Die (auch) von der Klägerin betriebene gerichtliche Nachprüfung der Angemessenheit der Abfindung im Spruchverfahren war erfolgreich. Das Oberlandesgericht setzte eine höhere Abfindung – als im Ergebnis- und Gewinnabführungsvertrag vorgesehen – als angemessen fest. Den hieraus resultierenden (zusätzlichen) Gewinn aus der Veräußerung der Aktien in Höhe von 2.161.084,64 EUR erfasste die Klägerin als Ertrag aus Finanzanlagenverkäufen im Jahr 2007 und führte zugleich eine außerbilanzielle Ergebniskorrektur durch, die sie auf § 8 b Abs. 2 Körperschaftsteuergesetz (KStG) stützte. Das Finanzamt nahm zunächst eine erklärungsgemäße Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) vor.
In Folge einer Betriebsprüfung bei der Klägerin, die die Jahre 2005 bis 2008 umfasste vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass der zusätzliche Veräußerungsgewinn nicht im Jahr 2007, sondern im Jahr 1997 zu erfassen sei. Die nachträgliche Erhöhung der Barabfindung (Kaufpreis) wirke auf den Veräußerungszeitpunkt zurück. Das Finanzamt änderte den Körperschaftsteuerbescheid 1997, die in diesem Bescheid enthaltene Feststellung des Einkommens zum 31.12.1997 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1997 jeweils nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO jeweils mit Änderungsbescheiden vom 10. November 2011. Dabei wurde der Jahresüberschuss um …,33 EUR (…,24 DM) erhöht. Das Finanzamt ermittelte diesen Betr...