Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an das BVerfG: Verfassungswidrigkeit der zu § 8 Nr. 5 GewStG ergangenen Anwendungsregelung gemäß § 36 Abs. 4 GewStG
Leitsatz (redaktionell)
1) Die zu § 8 Nr. 5 GewStG in der Fassung des UntStFG vom 20.12.2001 ergangene Anwendungsregelung des § 36 Abs. 4 GewStG ist insoweit verfassungswidrig, als die sich steuererhöhend auswirkende Gesetzesänderung auf den gesamten Erhebungszeitraum 2001 und damit auch auf solche Gewinnanteile (Dividenden) anzuwenden ist, die auf Grund eines Gesellschafterbeschlusses vor dem 24.12.2001 vereinbart und ausgezahlt wurden.
2) Das Vertrauen in eine im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Disposition und deren Umsetzung bestehende Rechtslage, die keine Hinzurechnung zum Gewinn aus Gewerbebetrieb anordnete, ist so lange schützenswert, bis die veränderte Rechtslage im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist.
3) Für die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung ist nicht mehr auf den Veranlagungszeitraum abzustellen.
Normenkette
GewStG § 36 Abs. 4; KStG § 8b Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; GewStG § 8 Nr. 5
Tatbestand
Streitig ist, ob eine am 15. Dezember 2001 beschlossene und am 17. Dezember 2001 durch Überweisung ausgezahlte Ausschüttung, die nach § 8b Abs. 1 S. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes 2001 (StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (Bundesgesetzblatt – BGBl. – I 2000, 1433, Bundessteuerblatt – BStBl. – I 2000, 1428) bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibt, nach § 8 Nr. 5 Gewerbesteuergesetz (GewStG) in der Fassung des Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes – UntStFG – vom 20. Dezember 2001 (verkündet am 24. Dezember 2001 im BGBl. I 2001, 3858) dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, § 7 GewStG, hinzuzurechnen ist.
Die Klägerin (Klin.) – eine GmbH – ist als Vermögensverwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft gewerblich tätig. Etwa seit Mitte der 90er Jahre war sie mit (umgerechnet) 80.000 Euro am Stammkapital einer anderen GmbH – der XXXXXX GmbH, nachfolgend nur noch GmbH beteiligt. Dies entsprach einer Beteiligungsquote von unter 10 v. H. – „Streubesitz” – am Stammkapital der GmbH.
Die Gesellschafterversammlung der GmbH beschloss am 15. Dezember 2001 eine Vorabausschüttung in Höhe von 3,75 Mio. DM; auf die Klin. entfiel ein Betrag in Höhe von 257.953,56 DM brutto (nach Abzug anteiliger Betriebsausgaben: 232.200 DM netto). Der Beschluss über die Vorabausschüttung im Streitjahr entsprach der regelmäßigen Übung der Gesellschafterversammlungen in den Vorjahren. Nach einem internen Protokoll der GmbH vom 19. Oktober 2001 sollte „der Gesellschafterversammlung am 15. Dezember 2001 eine ca. 50 %ige Ausschüttung zwischen 3 und 4 Mio. DM vorgeschlagen werden”.
Da nach § 36 Abs. 4 GewStG in der Fassung des UntStFG vom 20. Dezember 2001, a.a.O., die durch dieses Gesetz eingeführte Vorschrift des § 8 Nr. 5 GewStG schon für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden war, rechnete der Beklagte (das Finanzamt – FA –) im Gewerbesteuermessbescheid 2001 vom 19. August 2002 Gewinnanteile (Dividenden) in Höhe von 232.200 DM dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzu und setzte den Gewerbesteuermessbetrag auf 19. 445 DM fest.
Mit ihrem Einspruch begehrte die Klin., den Messbetrag ohne Hinzurechnung der Dividenden festzusetzen, weil der Gesellschafterbeschluss über die Gewinnverwendung und die nachfolgende Auszahlung des Betrages vor der Gesetzesänderung am 20. Dezember 2001 lagen und die Klin. die Auszahlung der Dividenden nach der im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung der GmbH und nachfolgenden Auszahlung geltenden Rechtslage gewerbesteuerfrei vereinnahmen konnte. Der Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2003).
Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klin. geltend, sie habe im Hinblick auf die nach altem Recht geltende Rechtslage wirtschaftliche Dispositionen getroffen. In Kenntnis einer möglichen Belastung der Ausschüttung mit Gewerbesteuer hätte sie die Beteiligung, wie später auch geschehen, veräußert und insofern einen gewerbesteuerfreien Veräußerungsgewinn erzielt. Die Gesetzesänderung stelle eine echte und damit grundsätzlich verfassungswidrige Rückwirkung dar.
Die Klin. beantragt,
den Gewerbesteuermessbescheid 2001 vom 19. August 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2003 dahin zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag für 2001 auf 7.838 Euro festgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der Senat legt die Vorlagefrage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) zur Entscheidung vor und setzt bis dahin das Verfahren aus.
Nach der Überzeugung des Senats ist die zu § 8 Nr. 5 GewStG in der Fassung des UntStFG vom 20. Dezember 2001, a.a.O., ergangene Anwendungsregelung des § 36 Abs. 4 GewStG insoweit verfassungswidrig, als die sich steuererhöhend auswirkende Gesetzesänderung auf den gesamten Erhebungszeitraum 2001 und ...