Rz. 208
Die Regelung in § 15 Abs. 1a EStG enthält eine Folgeänderung zu § 4 Abs. 1 S. 5 EStG. In § 4 Abs. 1 S. 5 EStG werden Anteile an einer Europäischen Gesellschaft bzw. einer Europäischen Genossenschaft, die im Betriebsvermögen gehalten werden, bei einer Sitzverlegung ins EU-Ausland von der Sofort-Versteuerung des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG befreit , allerdings mit der Folge der Erstreckung der Steuerpflicht nach § 15 Abs. 1a EStG zur Wahrung des deutschen Besteuerungsanspruchs unter Verschiebung auf den späteren Zeitpunkt einer Wert-Realisierung (Rz. 12; § 4 EStG Rz. 409). Die während der Dauer des Bestehens der inländischen Steuerpflicht eingetretene Wertsteigerung der Anteile wird erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung der Gesellschaftsanteile oder einer gleichgestellten Wertrealisierung erfasst (Rz. 187a).
Rz. 209
Die Sonderregelung war zur Erreichung der EU-Rechtskonformität notwendig, weil nach Art. 10d Abs. 1 FusionsRL eine Besteuerung der Gesellschafter aufgrund der Sitzverlegung einer Europäischen Gesellschaft oder Europäischen Genossenschaft nicht zulässig ist, wohl aber entsprechend Art. 10d Abs. 2 FusionsRL eine Regelung zur Besteuerung des Gewinns aus einer späteren Veräußerung dieser Anteile.
Rz. 210
Allerdings wird ein gegen Art. 10d Abs. 1 FusionsRL verstoßender Konflikt, also eine drohende Besteuerung des Anteilsinhabers nach § 15 Abs. 1a S. 3 EStG aufgrund einer Sitzverlegung der SE/SEC nur in seltenen Fällen eintreten können. Die Sitzverlegung einer bisher in Deutschland ansässigen SE oder SEC in das (EU-)Ausland hat i. d. R. keinen Einfluss auf das deutsche Besteuerungsrecht an den in einem inländischen Betriebsvermögen befindlichen – und dort verbleibenden – Anteilen an der SE oder SEC. Denn die Anteile gehören weiterhin zu einem inländischen Betriebsvermögen des Betriebsinhabers. Sie sind deshalb weiterhin steuerlich verhaftet, auch wenn die Beteiligungsgesellschaft – SE oder SEC – ihren Sitz ins Ausland verlegt.
Rz. 211
Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Betriebsinhaber beschränkt steuerpflichtig sein sollte. Zwar ist in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG für beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorgesehen, dass die beschränkte Steuerpflicht nur Anteilseinkünfte aus Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften erfasst. Diese Vorschrift betrifft aber nur Einkünfte, die nach § 17 EStG erzielt werden, also nicht die von § 15 Abs. 1a EStG erfassten Fälle, in denen sich die Anteile in einem Betriebsvermögen befinden und so nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG der beschränkten Steuerpflicht ohne Rücksicht auf den Sitz (und Geschäftsleitung) der Beteiligungsgesellschaft unterliegen. Es verbleiben im Anwendungsbereich der Vorschrift des § 15 Abs. 1a EStG nur DBA-Fälle, in denen entgegen Art. 13 Abs. 2 OECD-MA das deutsche Besteuerungsrecht auf im Betriebsstätten-Betriebsvermögen befindliche Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften beschränkt ist.
Rz. 212
Der Veräußerung stehen nach Abs. 1a S. 2 vergleichbare Vorgänge einer Wertrealisierung der Anteile gleich, die verdeckte Einlage der Anteile in eine Kapitalgesellschaft, die Kapitalrückzahlung im Falle einer Auflösung der Gesellschaft, eine Kapitalherabsetzung und Kapitalrückzahlung oder eine Ausschüttung aus ihrem Einlagekonto gem. § 27 KStG. Die Besteuerung wird somit in allen genannten Fällen bis zu einer tatsächlichen oder gleichgestellten Realisierung des Werts der Anteile hinausgeschoben. Die Einkünfte sind – auf den Zeitraum bis zur Sitzverlegung beschränkt – so zu besteuern, wie wenn die Sitzverlegung nicht stattgefunden hätte.