Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 279
§ 4 Abs. 1 EStG bestimmt, dass zum Zweck der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich das Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahrs, für das der Gewinn ermittelt worden ist, mit dem Betriebsvermögen am Schluss des vorhergehenden Wirtschaftsjahrs zu vergleichen ist. Das Anfangsvermögen am Beginn des Wirtschaftsjahrs, dessen Gewinn ermittelt werden soll, hat keine eigenständige Bedeutung. Daraus ergibt sich, dass dieses Anfangsvermögen mit dem Betriebsvermögen am Schluss des vorhergehenden Wirtschaftsjahrs grundsätzlich identisch ist. Dieser Zusammenhang wird ausgedrückt durch den Grundsatz des Bilanzzusammenhangs. Im Betriebsvermögensvergleich führt daher der Vergleich des Endvermögens mit dem Anfangsvermögen oder mit dem Endvermögen des vorhergehenden Wirtschaftsjahrs grundsätzlich zu identischen Ergebnissen; Anfangsvermögen und Endvermögen des vorhergehenden Wirtschaftsjahrs werden daher regelmäßig als identische Ausdrücke gebraucht.
Rz. 280
Der Grundsatz des (formellen) Bilanzzusammenhangs besagt, dass die Schlussbilanz des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs in unveränderter Form, mit unverändertem Inhalt und mit unveränderter Zusammensetzung die Anfangsbilanz des laufenden Wirtschaftsjahrs darstellt. Schlussbilanz ist dabei die tatsächlich der Steuerfestsetzung zugrunde gelegte Bilanz auf den Schluss des Wirtschaftsjahrs, auch wenn diese unrichtig war. Der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs bezieht sich auf den Ansatz des einzelnen Wirtschaftsguts in der Bilanz, nicht nur auf die Summe der Aktiva und Passiva, und nicht nur auf die Höhe des Kapitals, das kein Wirtschaftsgut ist. Der BFH hat den Grundsatz des Bilanzzusammenhangs auf das negative Kapitalkonto des Kommanditisten ausgedehnt und ihm den Charakter eines negativen Wirtschaftsguts zuerkannt.
Der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs verbietet damit auch Verschiebungen zwischen einzelnen Bilanzpositionen in dem (fiktiven) Zeitraum zwischen Schlussbilanz und Anfangsbilanz, selbst wenn sich hieraus keine Gewinnauswirkungen ergeben würden.
Rz. 281
Der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs, und damit das grundsätzliche Verbot der Berichtigung der Anfangsbilanz, gilt bei Umwandlung, Verschmelzung, Spaltung und Einbringung insoweit, als Buchwertverknüpfung eintritt. Damit verbietet der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs zwischen Übertragungsbilanz und Übernahmebilanz die erfolgsneutrale Berichtigung der Übernahmebilanz.
Rz. 282
Bei Personengesellschaften gilt der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs auch für das Kapitalkonto bzw. die Kapitalkonten des einzelnen Gesellschafters. Waren die Gewinnverteilung unrichtig vorgenommen worden und die Kapitalkonten daher unrichtig geworden, können sie nur erfolgswirksam in der ersten noch offenen Bilanz richtig gestellt werden. Dadurch wird sichergestellt, dass nicht nur der Gesamtgewinn der Personengesellschaft insgesamt richtig ist, sondern dass auch jedem Gesellschafter, insgesamt gesehen, der richtige Gewinn zur Versteuerung zugewiesen wird.
Der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs bezieht sich bei Personengesellschaften nicht nur auf die Gesamthandsbilanz, sondern auch auf Sonder- und Ergänzungsbilanzen.
Rz. 283
Da der Grundsatz des Bilanzzusammenhangs bei Personengesellschaften auch für die Sonderbilanzen gilt, kann die Gewinnauswirkung einer für Gesellschafter der Personengesellschaft in den Vorjahren gebildeten Pensionsrückstellung noch dadurch korrigiert werden, dass in späteren Jahren ein entsprechender Anspruch der Gesellschafter in deren Sonderbetriebsvermögen eingestellt wird.
Rz. 284
In einem Sonderfall, in dem der Stpfl. für die Vorjahre überhaupt keine Bilanz aufgestellt hatte, hat der BFH entschieden, dass dann auf den Beginn des ersten noch "offenen" Jahres eine Anfangsbilanz mit den Werten aufzustellen ist, die sich bei ordnungsmäßiger Fortführung der Bilanzwerte ergeben hätten.
Rz. 285
Infolge des Bilanzzusammenhangs hat die Änderung des Vermögens (Kapitals) des Vorjahres zwingend entsprechende Folgerungen für die Gewinnermittlung des Folgejahres ("Zweischneidigkeit der Bilanz"). Die Finanzbehörde hat die Besteuerungsgrundlagen für jeden Vz neu zu prüfen und festzustellen und ist an Entscheidungen für vorhergehende Vz nicht gebunden. Sie hat daher auf jeden Bilanzstichtag jeden Bilanzansatz neu zu überprüfen, ohne Rücksicht darauf, wann der Bilanzposten gebildet worden ist. Wird etwa das Endvermögen des vorangegangenen Jahres und damit der Gewinn des Vorjahres erhöht, ist das Anfangsvermögen des laufenden Jahres höher und damit, bei unverändertem Endvermögen, der Gewinn des laufenden Jahres um so viel geringer, wie er im Vorjahr erhöht worden ist. Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall der Verminderung des Endvermögens des Vorjahres. Hieraus folgt der "automatische Fehlerausgleich" im Lauf der Wirtschaftsjahre. Wird bei der Durchführung des Vermögensvergleichs eines Vorjahres ein Fehler gemacht (ein Wirtschaftsgut falsch bilanziert), dann führt die Richtigstell...