Formeller Bilanzenzusammenhang bei unentgeltlicher Betriebsübertragung
Beispiel: Unterlassene Rückstellung
V hat seinen Gewerbebetrieb am 1.1.2020 unentgeltlich auf seinen Sohn S überragen, der die in der Bilanz seines Vaters zum 31.12.2019 ausgewiesenen Aktiva und Passiva unverändert fortgeführt hat. V hat es fälschlicherweise unterlassen, für einen von einem Kunden bereits im Klagewege geltend gemachten Schaden eine Rückstellung in den Bilanzen während der Zeit seiner Betriebsinhaberschaft zu bilden. Eine nachträgliche Bildung ist nicht mehr möglich, weil die Veranlagungen des A bis zum 31.1.2.2019 bestandskräftig und nach den Vorschriften der AO nicht mehr änderbar sind. Im Jahr 2022 zahlt V an den Kunden 10.000 EUR Schadenersatz. Diese Aufwendungen will er als nachträgliche Betriebsausgaben i.S.d. § 24 Nr. 2 EStG geltend machen.
Buchwertfortführungszwang und formeller Bilanzenzusammenhang
Wird ein Betrieb unentgeltlich z.B. vom Vater auf den Sohn übertragen, ist der Rechtsnachfolger an die Buchwerte des Rechtsvorgängers gebunden (§ 6 Abs. 3 Satz 1 und 3 EStG). Hat der Betriebsübergeber die gewinnmindernde Bildung einer Rückstellung während der Zeit seiner Betriebsinhaberschaft fälschlicherweise unterlassen, ist seine Bilanz falsch. Kann die falsche Bilanz des Rechtsvorgängers wegen bestandskräftiger und nicht mehr änderbarer Veranlagungen nicht mehr nachträglich berichtigt werden, stellt sich die Frage, ob wegen des sog. formellen Bilanzenzusammenhangs die Berichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG in der ersten offenen Bilanz des Rechtsnachfolgers zu erfolgen hat.
Formeller Bilanzenzusammenhang
Unter dem formellen Bilanzenzusammenhang wird verstanden, dass die Ansätze in der Schlussbilanz eines Wirtschaftsjahrs mit den Ansätzen in der Anfangsbilanz des folgenden Wirtschaftsjahrs identisch sein müssen (BFH, Urteil v. 28.4.1998, VIII R 46/96, BStBl 1998 II S. 443). Diese Übereineinstimmung der beiden Bilanzen wird selbst dann verlangt, wenn sich bei richtiger Anwendung der steuerlichen Bilanzierungsvorschriften in der Schlussbilanz des Vorjahrs ein anderes Betriebsvermögen ergeben hätte (BFH, Beschluss v. 29.11.1965, GrS 1/65 S, BStBl 1966 III S. 142).
Urteil des FG Thüringen
Hat die Bilanz des Rechtsvorgängers Fehler enthalten, die sich gewinnerhöhend ausgewirkt haben, sind also z.B. Rückstellungen, die gerechtfertigt gewesen wären, unterblieben und ist eine Änderung der entsprechenden Veranlagungen des Rechtsvorgängers nicht mehr möglich, hat aufgrund des Grundsatzes des formellen Bilanzenzusammenhangs die Berichtigung in der Schlussbilanz eines späteren, noch nicht verjährten Steuerabschnitts des Rechtsnachfolgers mit Auswirkungen auf dessen Gewinn zu erfolgen (FG Thüringen, Urteil v. 23.11.2021, 3 K 308/18, EFG 2022 S. 329, Rn. 33 unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung). Für diese Behandlung spielt es keine Rolle, dass der falsche Bilanzansatz auf Jahre zurückgeht, in denen der Betriebsübergeber noch Inhaber des Gewerbebetriebs gewesen ist
Tipp: Keine nachträgliche Betriebsausgabe
Eine Berücksichtigung der Zahlung als nachträgliche Betriebsausgabe nach § 24 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG des V ist danach ausgeschlossen. Diese Beurteilung hat den Vorteil, dass die gewinnmindernde Einbuchung der Rückstellung in die Bilanz des Rechtsnachfolgers sich auch auf den Gewerbeertrag des Rechtsnachfolgers S auswirkt, was bei einer Behandlung als nachträgliche Betriebsausgabe des V nicht der Fall wäre. Anzumerken ist, dass das FG die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat (Az. beim BFH III R 7/22).
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seit vielen Jahren bin ich begeisterter Leser und bewundere Ihren Fleiß. Den vorliegenden Fall möchte ich gleichwohl kommentieren.
Wie soll sich denn die Ausgabe des V beim S auswirken? Dieser trägt den Schadenersatz laut Sachverhalt letztlich nicht. Das Betriebsvermögen des S wird insoweit nicht belastet.
Das Thema nachlaufende Betriebsausgaben/Werbungskosten begleitet mich seit Jahrzehnten. Die vorliegend sehr formalistische Lösung scheint dem Sachverhalt (= Rückstellung hätte gebildet werden müssen). geschuldet. In der Praxis könnte der Fall nicht sonnenklar gewesen sein. Insofern wäre bei einer "überraschenden" Schadenersatzzahlung, die man für nahezu ausgeschlossen hielt, die Lösung vielleicht anders.
Ich bin gespannt, wie es der BFH sehen wird.
Ihr Uwe Nowotnick
besten Dank für Ihr Interesse an dem Beitrag und Ihre Anfrage. Unser Autor antwortet darauf wie folgt:
"Für Ihre anerkennenden Worte und Ihr Interesse an meinem Beitrag danke ich sehr. Aus meiner Sicht ist die vom Sohn S (als Rechtsnachfolger i.S.d. § 6 Abs. 3 EStG) in der ersten offenen Bilanz gewinnmindernd gebildete Rückstellung erfolgsneutral auszubuchen (Buchungssatz: Rückstellung an Einlage), nachdem der Schadensersatz vom Rechtsvorgänger V bezahlt worden ist. Auf diese Weise hat sich der Schadensersatz einmal gewinnmindernd ausgewirkt, und zwar beim S im Rahmen der Bildung der Rückstellung. Das ist genau die Gewinnauswirkung, die sich bei von Anfang zutreffender Behandlung ergeben hätte, nur mit dem Unterschied, dass die Gewinnminderung bei S eingetreten ist. Dies beruht auf dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs. Im anhängigen Revisionsverfahren III R 7/22 wird es zu einer höchstrichterlichen Klärung der spannenden Rechtsfrage kommen."
MfG, Frank Holst, Haufe-Online-Redaktion