Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen für Bestandspflege eines Versicherungsvertreters
Leitsatz (redaktionell)
- Allein der Umstand, dass der Versicherungsvertreter nach den vertraglichen Vereinbarungen zur Bestandspflege verpflichtet ist, reicht nicht aus, um einen Erfüllungsrückstand anzunehmen, der eine Rückstellung rechtfertigt.
- Maßgeblich ist ob die erlangte Abschlussprovision auch (teilweise) die Bestandspflegeverpflichtung abgilt und deshalb insoweit von einem Erfüllungsrückstand auszugehen ist.
- Vertragsregelungen, wonach sich der Versicherungsvertreter verpflichtet „den Bestand zu erhalten und zu betreuen und die vermittelten Verträge nachzubearbeiten” sind zu unspezifisch, um eine von der Anbahnung von Neuabschlüssen abgrenzbare Bestandspflegetätigkeit verpflichtend vorzuschreiben. Sie reichen nicht aus, um die Rückstellungsvoraussetzungen zu begründen.
- Leistungen, die der Versicherungsvertreter gegenüber seinen Kunden im Ergebnis ohne eine im Verhältnis zum Versicherungsunternehmen bestehende Rechtspflicht und ohne eine entsprechende Entgeltlichkeit- bzw. Abgeltungsvereinbarung erbringt, sind für die Bildung von Rückstellungen grundsätzlich irrelevant.
- Zur Ermittlung der Rückstellungshöhe ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und pro Jahr von entscheidender Bedeutung, den der Steuerpflichtige durch konkrete und spezifizierte Aufzeichnungen im Einzelnen darzulegen hat.
- Die Aufzeichnungen sind vertragsbezogen zu führen, d.h. der Steuerpflichtige hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die gesamte Laufzeit des einzelnen Vertrages typischerweise anfallen werden.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1; HGB § 249
Streitjahr(e)
2004, 2005, 2006
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die zeitliche Vorwegnahme von Aufwand für die Betreuung von Bestandskunden und für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen durch Bildung entsprechender Rückstellungen sowie um die Anerkennung von Rücklagen für beabsichtigte Anschaffungen nach § 7g Abs. 3 EStG. Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 24.04.2003 gegründete und seit 05.06.2003 unter HRB X1X mit dem Unternehmensgegenstand „Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten oder deren Nachweis (Anlagevermittlung), die Abschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten in fremdem Namen für fremde Rechnung (Abschlussvermittlung)” im Handelsregister des Amtsgerichts A eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Auf den Gesellschaftsvertrag und die Satzung wird Bezug genommen. Gesellschafter waren in den Streitjahren je zur Hälfte des Stammkapitals Herr A. X (der zugleich alleiniger Geschäftsführer war) und Herr B.X. Mit Wirkung vom 01.10.2003 schloss die Klägerin (als „Vertreter”) einen „Agenturvertrag Geschäftstelle” mit verschiedenen Gesellschaften (d.h. den im Vertrag als solche bezeichneten „Unternehmen”) der Versicherungsgruppe V1 / V2, auf dessen Grundlage sie in den Streitjahren als Agentur für diese Versicherungsgruppe tätig war. Bereits die alten Einzelunternehmen „Finanzdienste X” und „Y” waren für diese Versicherungsgruppe tätig. Die entsprechenden Bestände der Einzelunternehmen waren auf die Klägerin und auf die im Handelsregister des Amtsgerichts A unter HRB X2X eingetragene X & Y Finanz GmbH übertragen worden (Schreiben des Verbundes V1 / V2 vom 22.06.2009). Nach den Erläuterungen des Geschäftsführers in einer Besprechung vom 14.05.2008 waren für die Klägerin in den Streitjahren vier angestellte Mitarbeiter tätig. Hierbei handelte es sich um Frau MA1 (zuständig für Schäden, Schriftverkehr, Auszahlungen, Baufinanzierungen, Baustandsabfragen), Herrn MA2 (zuständig für das „Einreichungsgeschäft”), Frau MA3 (zuständig für das „Bestandsgeschäft” und Vertragsverlängerungen) und Frau MA4 (zuständig für die Buchhaltung). Ferner seien für sie zwei freie Mitarbeiter tätig gewesen. Wegen der Einzelheiten der mit der Versicherungsgruppe getroffenen Vereinbarungen wird auf die zu den Akten genommenen Kopien des Agenturvertrages nebst Anlagen und Zusatzvereinbarungen Bezug genommen. Die in das Vertragswerk aufgenommenen „Allgemeinen Vertragsregelungen für Vertreter (AVV)” enthielten unter anderem wörtlich die folgenden Regelungen und Klauseln:
Nr. 1 AVV („Rechtsstellung und Aufgaben des Vertreters”)
„(1) Der Vertreter ist ständig damit betraut, für die Unternehmen Versicherungs- und Bausparverträge sowie Kapitalanlagen zu vermitteln. Er wird Geschäfte der Unternehmen nach besten Kräften fördern und deren Interessen in jeder Hinsicht wahrnehmen, insbesondere den Bestand erhalten und betreuen und die vermittelten Verträge nachbearbeiten”.
„(2) Der Vertreter ist selbständiger Gewerbetreibender und Kaufmann. Er kann im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit frei bestimmen”.
„(3) (…)” [Regelungen zur Sozialversicheru...