Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Vorläufigkeitsvermerken in einem Änderungsbescheid. Differenzierung zwischen Vorläufigkeiten nach § 165 Abs. 1 S. 1 und S. 2 AO. Verweis auf den Erläuterungsteil des Bescheids, der einerseits den Umfang der Vorläufigkeit angibt und andererseits die Änderung der Steuerfestsetzung erläutert. Widerstreitende Steuerfestsetzung. Fahrtenbuch keine neue Tatsache

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Jedenfalls in den Fällen, in denen der Steuerbescheid bereits im Tenor ausdrücklich danach unterscheidet, sind Vorläufigkeitsvermerke nach § 165 Abs. 1 S. 1 und S. 2 getrennt voneinander zu beurteilen.

2. Nur der Vorläufigkeitsvermerk aufgrund von § 165 Abs. 1 S. 1 AO ist individuell auf den jeweiligen Steuerfall zugeschnitten, während die Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 S. 2 AO maschinell auf Grundlage eines BMF-Schreibens in der jeweils gültigen Fassung dem Grunde nach alle Einkommensteuer- und Feststellungsbescheide betrifft.

3. Die Nebenbestimmung, wonach der geänderte Feststellungsbescheid „nach § 165 Abs. 2 S. 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt `Erläuterungen` genannten Punkte endgültig” ist, kann auch dann nicht als konkludente Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 S. 1 AO in Bezug auf die Ungewissheit der (fast) ausschließlich betrieblichen Nutzung des angeschafften PKW ausgelegt werden, wenn im Bereich „Erläuterungen” ausgeführt wird, dass die ausschließlich betriebliche Nutzung des angeschafften Pkw trotz mehrmaliger Aufforderung nicht nachgewiesen worden sei und auch nicht glaubhaft erscheine, weshalb insoweit kein Investitionsabzugsbetrag (mehr) berücksichtigt werden könne.

4. § 174 Abs. 4 AO lässt es nicht zu, dass die durch Rechtsbehelf erwirkte Änderung eines Bescheids zugunsten des Steuerpflichtigen auf bestandskräftige andere Bescheide entsprechend übertragen wird.

5. Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache (hier die fast ausschließlich betriebliche Nutzung des angeschafften PKW) zu belegen und die als solche keinen Eingang in eine materiell-rechtliche Steuerrechtsnorm gefunden haben, sind auch dann kein rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, wenn sie erst nach Bestandskraft des Bescheids beschafft werden können.

 

Normenkette

AO § 165 Abs. 1, 2 S. 2, § 124 Abs. 1, §§ 121, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 174 Abs. 4, § 181 Abs. 1 S. 1; EStG § 7g Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 4, 6 Nr. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.09.2017; Aktenzeichen IV R 28/14)

BFH (Urteil vom 14.09.2017; Aktenzeichen IV R 28/14)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Änderung des formell bestandskräftigen Bescheides für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vorliegen, insbesondere ob die Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) bzw. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO bzw. des § 174 Abs. 4 AO erfüllt sind.

Die Kläger sind Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Diese ermittelt ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). In der eingereichten Gewinnermittlung für 2008 berücksichtigte die GbR für die künftige Anschaffung eines betrieblich genutzten PKW gewinnmindernd einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 EStG I. H. V. 23.500 EUR.

Mit Bescheid vom 18.02.2010 stellte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen der GbR XXX entsprechend der eingereichten Feststellungserklärung für das Streitjahr 2008 gesondert und einheitlich fest.

Der betreffende PKW wurde am 08.06.2009 angeschafft. Im Rahmen der Veranlagung für das Folgejahr 2009 forderte der Beklagte Nachweise an, die die (fast) ausschließliche betriebliche Nutzung des Pkw belegten, als Voraussetzung für den Investitionsabzugsbetrag 2008 (§ 7g Abs. 1 Nr. 2b EStG) sowie die möglichen Sonderabschreibungen 2009 (§ 7g Abs. 6 Nr. 2 EStG). Nachdem entsprechende Unterlagen nicht eingereicht wurden, erließ der Beklagte am 15.04.2011 geänderte Feststellungsbescheide für die Jahre 2008 und 2009, mit denen die Bildung des Investitionsabzugsbetrages 2008 rückgängig gemacht wurde.

Im geänderten Feststellungsbescheid für das Jahr 2008 berücksichtigte der Beklagte keinen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 n. F. EStG i. H. v. 23.500 EUR mehr. In der Begründung des Bescheides führte der Beklagte aus: „Die Bildung des Investitionsabzugsbetrages i. H. v. 23.500 Euro für den in 2009 angeschafften PKW wurde rückgängig gemacht, da trotz mehrmaliger Aufforderung im Rahmen der Veranlagung 2009 die erforderliche fast ausschließliche betriebliche Nutzung gem. § 7g Abs. 1 Nr. 2b EStG nicht nachgewiesen wurde. Diese fast ausschließliche Nutzung eines BMW mit Anschaffungskosten über 70.000 EUR brutto in einem Dachdeckerbetrieb erscheint auch nicht glaubhaft.”

Der Bescheid enthält folgende Vorläufigkeitsvermerke:

„Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig”

„Er ist nach § 165 Abs. 2...

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