Entscheidungsstichwort (Thema)
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines selbstständigen Zahnarztes. Entscheidung des Verwalters über die Widmung der massezugehörigen Gegenstände der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners als auf der Aktivseite freigegeben. Inkrafttreten der gerichtlichen Unwirksamkeitsanordnung nach § 35 Abs. 2 Satz 3 Insolvenzordnung (InsO) und Beseitigung der Wirkungen der Verwaltererklärung für die Zukunft als deren Konsequenz. Zurückfallen in die Verwaltungsbefugnis und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters als Konsequenz der Unwirksamkeitsanordnung auf künftigen Neuerwerb sowie auf Gegenstände des vormals insolvenzbefangenen Altvermögens. Stilllegung einer Arztpraxis durch den Insolvenzverwalter bei Erwirtschaftung von Verlusten bei deren Fortführung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beschluss der Gläubigerversammlung, mit der sie die gerichtliche Unwirksamkeitsanordnung nach § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO beantragt, kann unter den Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 InsO angefochten und aufgehoben werden.
2. Die Freigabe- und Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO erfasst auf der Aktivseite den künftigen Neuerwerb des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit sowie die Vermögensgegenstände, die der Verwalter im sachlichen Zusammenhang mit dieser Tätigkeit freigibt. Welche massezugehörigen Gegenstände der selbständigen Tätigkeit des Schuldners gewidmet sind, entscheidet der Verwalter.
3. Die gerichtliche Unwirksamkeitsanordnung nach § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO tritt, sofern sie nicht eine Zeitbestimmung enthält, mit ihrer öffentlichen Bekanntmachung in Kraft. Sie beseitigt die Wirkungen der Verwaltererklärung nur für die Zukunft.
4. Mit der Unwirksamkeitsanordnung fallen neben dem künftigen Neuerwerb auch sämtliche Gegenstände des vormals insolvenzbefangenen Altvermögens, auf die sich die Freigabe- und Enthaftungserklärung bezogen hatte, in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters zurück.
5. Eine Arztpraxis des Schuldners unterliegt als wirtschaftlich-organisatorische Einheit dem Insolvenzbeschlag. Sie kann vom Verwalter stillgelegt werden, wenn ihre Fortführung auf Rechnung der Insolvenzmasse Verluste erwirtschaftet.
Normenkette
InsO § 35 Abs. 2, § 36 Abs. 1 S. 1, § 78 Abs. 1, § 109 Abs. 1, § 113; ZPO § 811 Abs. 1 Nrn. 5, 7; InsO § 1 S. 1, § 97 Abs. 2, § 290 Abs. 1 Nr. 5, § 295 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Der Beschluss der Gläubigerversammlung vom 11.03.2010, mit dem sie gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO beim Insolvenzgericht beantragt, die Unwirksamkeit der Erklärung des Insolvenzverwalters vom 17.12.2009 über die Geschäftsfreigabe der Zahnarztpraxis des Schuldners anzuordnen, wird aufgehoben.
Tatbestand
I.
Über das Vermögen des Schuldners, eines selbständigen Zahnarztes, wurde am 26.2. 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Schuldner führte seine Arztpraxis zunächst unter der Aufsicht des Insolvenzverwalters fort. Er erzielte jedoch entgegen der ursprünglichen Annahme (vgl. Verwalterbericht zur ersten Gläubigerversammlung vom 24.4. 2009, Bl. 246, 250 ff. der Akte) keine kostendeckenden Einnahmen. Im Jahr 2009 standen im Monatsdurchschnitt den Umsätzen in Höhe von 14.534,00 EUR laufende Kosten in Höhe von 15.736,00 EUR gegenüber (vgl. Verwalterbericht zur Gläubigerversammlung vom 3.2. 2010, Bl. 480 ff. der Akte). Mit Schreiben vom 17.12. 2009 (Bl. 606 f. der Akte) erklärte der Verwalter gegenüber dem Schuldner, „dass Vermögen aus der von Ihnen ausgeübten selbständigen Tätigkeit ab 1.1.2010 nicht zur Insolvenzmasse gehört. Ansprüche gegen Sie aus Ihrer selbständigen Tätigkeit können nicht gegenüber der Insolvenzmasse geltend gemacht werden, sondern sind vielmehr von Ihnen persönlich zu erfüllen.” Die Erklärung wurde vom Gericht am 4.1.2010 im Internet bekanntgemacht (Bl. 432 f. der Akte).
Ebenfalls mit Schreiben vom 17.12. 2009 teilte der Verwalter der A-Bank, der die Betriebs- und Geschäftsausstattung der Arztpraxis zur Sicherung übereignet ist und mit der er eine en...