Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Führt ein Unternehmer an eine nahestehende Person oder an sein Personal einen entgeltlichen Umsatz aus, muss die sog. Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG geprüft werden. Danach muss mindestens das der Umsatzbesteuerung unterworfen werden, was als Bemessungsgrundlage bei einem unentgeltlichen Umsatz angesetzt werden müsste. Allerdings hatte der BFH klargestellt, dass die Mindestbemessungsgrundlage bei Leistungen an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer dann keine Anwendung findet, wenn der vom Leistungsempfänger in Anspruch genommene Vorsteuerabzug keiner Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG unterliegen kann. Die Finanzverwaltung hatte diese Grundsätze schon früher allgemein in Abschn. 10.7 Abs. 6 Satz 3 UStAE aufgenommen.
Nach den unionsrechtlichen Grundsätzen dient die Mindestbemessungsgrundlage der Verhütung von Steuerhinterziehung und Steuermissbrauch.
Die Finanzverwaltung stellt in ihrem Schreiben erst einmal grundsätzlich fest, dass bei der Lieferung von Strom und Wärme an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 5 UStG die Mindestbemessungsgrundlage grundsätzlich anwendbar wäre, da es sich um eine Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStG handelt, die ihrer Art nach dem Berichtigungstatbestand des § 15a Abs. 2 UStG unterliegt.
In Ergänzung der bisherigen Aussagen im UStAE stellt die Finanzverwaltung jetzt klar, dass bei der Lieferung von Strom und Wärme an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer die Mindestbemessungsgrundlage keine Anwendung findet, wenn die Leistung im Zeitpunkt der Lieferung verbraucht wird.
Die Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für Umsätze, die vor dem 7.7.2020 ausgeführt werden, beanstandet es die Finanzverwaltung auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs aber nicht, wenn der Unternehmer diese Leistungen der Mindestbemessungsgrundlage unterwirft. In diesen Fällen gilt die gesondert ausgewiesene Steuer auf die Mindestbemessungsgrundlage als Steuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG.
Konsequenzen für die Praxis
Die Finanzverwaltung stellt klar, dass auf die entgeltliche Lieferung von Strom und Wärme durch einen Unternehmer an eine nahestehende Person, die voll zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, die Mindestbemessungsgrundlage aufgrund der Rechtsprechung des BFH nicht zur Anwendung kommt. Dies ist insoweit zutreffend.
Teilweise ist aber wichtiger, was die Finanzverwaltung mittelbar durch ein BMF-Schreiben zum Ausdruck bringt. Es ist schon fraglich, ob es für diese Aussage tatsächlich ein BMF-Schreiben bedurft hätte. Die Aussage des BFH, dass die Mindestbemessungsgrundlage aufgrund ihres missbrauchsverhindernden Charakters nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn auch eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegen könnte, wäre auch ohne Umsetzung der Finanzverwaltung auf diese Fälle anzuwenden gewesen. Offensichtlich hängt die Finanzverwaltung aber einer sehr einschränkenden Umsetzung der Grundsätze der Rechtsprechung des BFH nach. Wenn bei der Lieferung von Strom und Wärme – die regelmäßig aufgrund der Sache als solcher in dem Moment der Lieferung einem Verbrauch unterliegen – davon ausgegangen wird, dass dies dem Grunde nach einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG unterliegen könnte, muss gefragt werden, auf welche Leistungen dann die Rechtsprechung des BFH angewendet werden sollte.
Grundsätzlich müsste m.E. bei jeder Leistung, die bei dem (voll zum Vorsteuerabzug berechtigten) Leistungsempfänger sofort verbraucht ist, die Rechtsprechung des BFH zur Anwendung kommen. Dies scheint zumindest für die Finanzverwaltung nicht so klar und eindeutig zu sein, ansonsten hätte es nicht dieses Schreibens bedurft.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 7.7.2020, III C 2 - S 7208/19/10001 :001, BStBl 2020 I S. 642.