Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulung für Ersatzmitglieder des Betriebsrats
Leitsatz (redaktionell)
Ersatzmitglieder des Betriebsrats haben, solange sie nicht gemäß § 25 Abs 1 Satz 1 BetrVG für ein ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied in den Betriebsrat nachgerückt sind, keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung für Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs 7 BetrVG.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 12.01.1994; Aktenzeichen 3 TaBV 117/93) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 11.06.1993; Aktenzeichen 3 BV 93/92) |
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob einem häufig herangezogenen, aber noch nicht endgültig nachgerückten Ersatzmitglied des Betriebsrats ein Schulungsanspruch gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG zusteht.
Die beteiligte Arbeitgeberin stellt u.a. in Bochum in drei Werken mit über 15.000 Arbeitnehmern Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile her. Der Beteiligte zu 1) ist der gemeinsam für die Belegschaften dieser drei Werke gebildete und aus 39 Mitgliedern bestehende Betriebsrat. Der Beteiligte zu 2) ist bei der letzten Betriebsratswahl im Frühjahr 1990 auf der Liste 4 zum zweiten Ersatzmitglied des in den Betriebsrat entsandten Listenführers S gewählt worden und danach durch Rücktritt des stellvertretenden Listenführers erstes Ersatzmitglied geworden. Im Jahre 1992 ist er nach dem Vorbringen der Antragsteller - Beteiligte zu 1) und 2) - an 127 bzw. nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin an 80 Tagen für das zeitweilig verhinderte Betriebsratsmitglied S in den Betriebsrat nachgerückt. Im Jahre 1993 geschah dies bis einschließlich August an 22 Tagen.
Am 21. Oktober 1992 teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin mit, daß der Beteiligte zu 2) in der Zeit vom 23. bis zum 25. November 1992 an einem Seminar der Evangelischen Akademie in Bad Boll mit dem Thema "Auf Gedeih und Verderb - Das Auto unser Schicksal?" gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG teilnehmen wolle, das vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen des Landes Baden-Württemberg als geeignet anerkannt war. Die Arbeitgeberin erwiderte, daß eine Freistellung nicht erfolgen könne, da Ersatzmitglieder keinen Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG hätten; im Falle einer Schulungsteilnahme des Beteiligten zu 2) werde sie deshalb seine Vergütung kürzen, aber keine Sanktionen ergreifen. Der Beteiligte zu 2) nahm an dem Seminar teil; die Arbeitgeberin kürzte daraufhin dessen Vergütung mit der Novemberabrechnung 1992 um den unstreitigen Betrag von 627,98 DM brutto. Für den Fall einer positiven Entscheidung des vorliegenden Beschlußverfahrens vereinbarten die Beteiligten, daß dieser Betrag dem Beteiligten zu 2) nachgezahlt wird.
Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 2) haben im ersten Rechtszuge beantragt,
1. festzustellen, daß die Antragsgegnerin ver-
pflichtet war, den Antragsteller zu 2) für die
Teilnahme an der Bildungsveranstaltung U2 30
92 der Evangelischen Akademie Bad Boll "Auf
Gedeih und Verderb - Das Auto unser Schick-
sal?" in der Zeit vom 23. - 25.11.1992 unter
Fortzahlung seiner Bezüge gem. § 37 Abs. 7
BetrVG freizustellen;
2. festzustellen, daß Ersatzmitgliedern des An-
tragstellers zu 1) ein Anspruch auf bezahlte
Freistellung gem. § 37 Abs. 7 BetrVG zusteht,
wenn sie mehr als 1/3 der Soll-Arbeitszeit
gem. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für zeitweilig
verhinderte ordentliche Mitglieder des Antrag-
stellers zu 1) nachgerückt sind.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Mit ihrer Beschwerde haben die Beteiligten zu 1) und 2) ihren Antrag zu 1) weiterverfolgt, während der Antrag zu 2) nur noch vom Beteiligten zu 1) und nur noch mit dem Inhalt gestellt worden ist, daß die Feststellung begehrt wird, daß Ersatzmitgliedern des Betriebsrats ein Anspruch auf bezahlte Freistellung gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG zustehe, wenn sie nach Ablauf von mindestens einem Jahr der Amtsperiode des Betriebsrats mindestens 1/3 ihrer bisherigen Soll-Arbeitszeit gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG für zeitweilig verhinderte ordentliche Mitglieder des Betriebsrats nachgerückt sind.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1) und 2) ihren Antrag zu 1) sowie der Antragsteller zu 1) den Antrag zu 2) in der vor dem Landesarbeitsgericht gestellten Fassung weiter. Die Beteiligte zu 3) beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, denn das Landesarbeitsgericht hat die Anträge zu Recht abgewiesen.
I. Die Anträge sind im wesentlichen zulässig. Unzulässig ist lediglich der Antrag zu 1), soweit er vom Betriebsrat gestellt wurde. Denn ein gegenwärtiges Feststellungsinteresse besteht nur noch hinsichtlich des Zahlungsanspruchs, der indessen, weil es sich um einen Individualanspruch des Beteiligten zu 2) handelt, nur diesem und nicht dem Betriebsrat zustehen kann.
II. Die Anträge sind jedoch, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, unbegründet. Denn Ersatzmitgliedern des Betriebsrats, die noch nicht gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG endgültig in den Betriebsrat nachgerückt sind, sondern lediglich gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein zeitweilig verhindertes Betriebsratsmitglied vertreten, haben keinen Anspruch auf Freistellung nach § 37 Abs. 7 BetrVG für geeignete Schulungsmaßnahmen. Dies gilt auch dann, wenn sie nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG in großem Umfang zur Stellvertretung ordentlicher Betriebsratsmitglieder herangezogen werden und es deshalb zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats erforderlich ist, daß auch sie über die notwendigen Grundkenntnisse verfügen. In einem solchen Falle können sie vom Betriebsrat gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG zur Teilnahme an erforderlichen Schulungs- und Bildungsveranstaltungen entsandt werden (BAGE 52, 73 = AP Nr. 53 zu § 37 BetrVG 1972; vgl. auch schon BAG Beschluß vom 10. Mai 1974 - 1 ABR 47/73 - AP Nr. 2 zu § 65 BetrVG 1972).
1. Im Schrifttum wird ein Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG für noch nicht endgültig nachgerückte Betriebsratsmitglieder nahezu einhellig verneint (vgl. insbesondere Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 25 Rz 41, § 37 Rz 135, 139; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 37 Rz 122; Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 156; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 153; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 115; Stege/Weinspach, BetrVG, 7. Aufl., § 37 Rz 67; GK-Wiese, BetrVG, 5. Aufl., § 37 Rz 217; auch LAG Düsseldorf, DB 1992, 636; anderer Ansicht Wenning-Morgenthaler, BB 1985, 1336). Eine differenzierende Ansicht vertritt Däubler (Schulung und Fortbildung von Betriebsratsmitgliedern und Jugendvertretern nach § 37 BetrVG, 3. Aufl., 1978, S. 88): Er hält es für unbillig, nicht endgültig nachgerückten Ersatzmitgliedern den vollen drei- bzw. vierwöchigen Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG zu geben, da dies im Widerspruch dazu stehe, daß endgültig nachgerückte Ersatzmitglieder nur den anteiligen Schulungsanspruch haben. Möglich sei daher lediglich die Einräumung eines proportional verkürzten Anspruchs, der in Analogie zum Zwölftelungsprinzip des § 5 Abs. 1 BUrlG nur dann entstehe, wenn die Vertretung mindestens drei Monate gedauert habe.
2. Der Senat schließt sich der ganz herrschenden Meinung an. Denn weder aus dem Wortlaut des § 37 Abs. 7 BetrVG noch aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung läßt sich ein Freistellungsanspruch des noch nicht endgültig nachgerückten Ersatzmitglieds für lediglich als geeignet anerkannte Schulungsveranstaltungen herleiten. Ersatzmitglieder des Betriebsrats, die nur zeitweilig vertretungsweise für ein verhindertes Betriebsratsmitglied tätig werden, sind keine Mitglieder des Betriebsrats und erst recht nicht solche mit einer regelmäßigen Amtszeit; vielmehr kommt ihnen die Rechtsstellung eines Betriebsratsmitglieds gerade nur während der Dauer der Verhinderung des jeweils zu vertretenden ordentlichen Betriebsratsmitglieds zu. Die volle Mitgliedschaft im Betriebsrat, aus der ihnen ein eigener Individualanspruch auf Freistellung für Schulungen nach § 37 Abs. 7 BetrVG erwächst, erwerben sie erst, wenn sie gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG endgültig in den Betriebsrat nachrücken.
3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde fehlt es auch an jedem Anhaltspunkt für das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke, die von der Rechtsprechung ausgefüllt werden könnte. Im Gegenteil bestehen eher Anzeichen dafür, daß dem Gesetzgeber die Frage eines Schulungsanspruchs für noch nicht endgültig nachgerückte Ersatzmitglieder durchaus bewußt war und ein solcher Anspruch gerade nicht gewährt werden sollte. Schon der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (BT-Drucks. V/4011 = RdA 1969, 176) hatte in seinem § 37 a auch für Ersatzmitglieder des Betriebsrats einen Freistellungsanspruch für Schulungen vorgesehen. Dieser Vorschlag ist nicht Gesetz geworden. Bei der Neufassung des Schwerbehindertengesetzes (Bekanntmachung vom 26. August 1986, BGBl. I S. 1421, berichtigt S. 1550) hat sich der Gesetzgeber ebenfalls mit der Frage eines Schulungsanspruchs für häufig herangezogene stellvertretende Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung befaßt. Jedoch hat er in § 26 Abs. 4 Satz 2 und 3 SchwbG wiederum nur einen Anspruch auf Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen gewährt, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sind. Nach alledem ist nur der Schluß gerechtfertigt, daß ein individueller Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG für noch nicht endgültig nachgerückte Ersatzmitglieder des Betriebsrats bisher keine gesetzliche Anerkennung gefunden hat.
Weller Schmidt Steckhan
Koch U. Zachert
Fundstellen
Haufe-Index 440988 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 43 |
DB 1995, 834 (LT1) |
EBE/BAG 1995, 51-52 (LT1) |
AiB 1995, 361-362 (LT1) |
BetrVG EnnR BetrVG § 37 Abs 7, Nr 6 (LT1) |
EzB BetrVG § 37, Nr 165 (LT1) |
ARST 1995, 151-152 (LT1) |
JR 1995, 440 |
JR 1995, 440 (L) |
NZA 1995, 593 |
NZA 1995, 593-594 (LT1) |
VersorgW 1995, 168 (T) |
AP § 37 BetrVG 1972 (LT1), Nr 100 |
EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 122 (LT1) |
ZBVR 1995, Nr 4, 10 (L) |