Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsverfassungsrechtlicher Gewerkschaftsbegriff. kein Zutrittsrecht zu Betriebsversammlungen für nicht tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen. grundrechtliches Untermaßverbot. Gleichheitssatz. Beteiligtenfähigkeit im Beschlussverfahren. Antragsbefugnis
Leitsatz (amtlich)
Gewerkschaften im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind nur tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen. Diese nach Wortsinn, Entstehungsgeschichte und Teleologie gebotene Auslegung ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
Orientierungssatz
- Zum Begriff der Gewerkschaft gehört die Tariffähigkeit. Dieser Wortsinn ist auf allen Rechtsgebieten derselbe. Die Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs steht deshalb nicht zur Disposition der Gerichte.
- Das gilt auch für das Betriebsverfassungsrecht. Eine nach den unterschiedlichen Aufgaben differenzierende Auslegung des Gewerkschaftsbegriffs innerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes ist nicht möglich.
- Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den personalvertretungsrechtlichen Befugnissen von Beamtenvereinigungen stellt die Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen nicht in Frage.
- Die mit dem Gewerkschaftsbegriff verbundene Zuweisung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse auf tariffähige Arbeitnehmervereinigungen und der damit verbundene Ausschluss sonstiger Arbeitnehmerkoalitionen ist mit Art. 9 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 GG und mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vereinbar.
- Der Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten VGB ist keine Gewerkschaft im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.
- In einem Beschlussverfahren, in dem über das Zutrittsrecht einer nicht tariffähigen Arbeitnehmerkoalition zu Betriebsversammlungen nach § 46 Abs. 1 BetrVG gestritten wird, ist diese Koalition wegen der Doppelrelevanz des reklamierten Rechts als beteiligte Stelle nach dem Betriebsverfassungsgesetz iSv. § 10 Abs. 1 ArbGG anzusehen. Sie besitzt auch die erforderliche Antragsbefugnis nach § 81 Abs. 1 ArbGG.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 2 Abs. 2, § 46 Abs. 1; ArbGG §§ 10, 81 Abs. 1, § 97 Abs. 5; ZPO §§ 50, 890 Abs. 1; VO (EWG) Nr. 1612/68 Art. 8; ESC Art. 5-6
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 10. August 2005 – 7 TaBV 66/04 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über ein Recht des Antragstellers auf Zugang zu Betriebsversammlungen.
Der Antragsteller ist der im Jahr 1994 gegründete “Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten” (VGB). Er hat die Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins.
In der Präambel zur Satzung des Verbands heißt es, dieser wolle “das bewährte Institut der Tarifautonomie auch im innergewerkschaftlichen Raum zur Geltung … bringen”. Nach § 2 der Satzung in ihrer Fassung vom 15. Mai 2004 vertritt er “die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Beschäftigten der Gewerkschaften, ihrer Dachorganisationen, ihrer gewerkschaftseigenen Einrichtungen und Gesellschaften einschließlich der Einrichtungen des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes gegenüber diesen Organisationen” und ist er “von diesen Organisationen bei seiner Aufgabenerfüllung unabhängig”. Laut § 4 Abs. 3 der Satzung “bejaht (der Verband) die Einheitsgewerkschaft (und) übernimmt daher nur Aufgaben, die aus rechtlichen und gewerkschaftspolitischen Gründen, insbesondere wegen fehlender Gegnerfreiheit, von den Gewerkschaften und ihren Organisationen nicht wahrgenommen werden können”. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben zählt die “Wahrung und Verbesserung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Gewerkschaften und deren Organisationen”, die “Förderung der Gleichstellung der Frauen”, die “Unterstützung der Betriebsräte und Gesamtbetriebsräte im Organisationsbereich des Verbands bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben” und die “Beratung bei Streitigkeiten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis und aus der Wahrnehmung verbandspolitischer Ziele und Aufgaben ergeben”. Gemäß § 6 der Satzung steht der Verband allen Beschäftigten der Gewerkschaften und ihrer Organisationen offen. In einer der Öffentlichkeit zugänglichen Selbstdarstellung heißt es, er wolle für die Gewerkschaftsbeschäftigten “eine echte Tarifvertragspartei werden, die imstande ist, über die Gehalts- und Arbeitsbedingungen mit den gewerkschaftlichen Arbeitgebern gleichgewichtig und mit dem nötigen Nachdruck zu verhandeln – und, wenn nötig, auch dafür zu streiken”.
Nach einer notariell beglaubigten Eidesstattlichen Versicherung seines Vorsitzenden hat der VGB “zahlreiche Mitglieder”, die bei dem zu 3 beteiligten Landesbezirk von ver.di beschäftigt sind. Ihre genaue Anzahl ist nicht festgestellt.
Bei dem beteiligten Landesbezirk ist ein Betriebsrat gewählt, der regelmäßig Betriebsversammlungen abhält. Spätestens seit dem Jahr 2003 bemüht sich der VGB darum, dass einem von ihm Beauftragten die Teilnahme an den Betriebsversammlungen gestattet wird. Landesbezirk und Betriebsrat lehnen dies unter Hinweis darauf ab, dass der VGB keine Gewerkschaft sei.
Der VGB hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Recht zur Teilnahme an Betriebsversammlungen bei dem beteiligten Landesbezirk zu. Zwar sei er derzeit mangels ausreichender Mächtigkeit nicht tariffähig und damit keine Gewerkschaft im tarifrechtlichen Sinn. Diese Eigenschaft verlange der Gewerkschaftsbegriff im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes jedoch nicht. Das folge auch aus gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.
Der VGB hat zweitinstanzlich beantragt,
die Beteiligten zu 2 und 3 zu verpflichten, bei ihren Betriebsversammlungen seinen Beauftragten Zutritt zu gewähren.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, dem VGB stehe das in Anspruch genommene Teilnahmerecht nicht zu. Auch für das Betriebsverfassungsgesetz sei vom allgemeinen Gewerkschaftsbegriff auszugehen. Danach komme nur einer tariffähigen Arbeitnehmerkoalition Gewerkschaftseigenschaft zu. Der beteiligte Landesbezirk von ver.di hat keinen Antrag gestellt.
Die Vorinstanzen haben den Antrag abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der VGB sein Begehren in Form eines Feststellungsantrags weiter. Der Betriebsrat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des VGB ist unbegründet. Zwar ist sein Antrag entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig. Gleichwohl erweist sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis als zutreffend. Der Antrag ist unbegründet. Dem VGB als nicht tariffähiger Arbeitnehmerkoalition steht ein Recht auf Teilnahme an Betriebsversammlungen gem. § 46 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht zu.
I. Am Verfahren sind neben dem Antragsteller sowohl der Betriebsrat als auch der Landesbezirk Bayern von ver.di e.V. beteiligt. Mit seinem Antrag will der VGB gegenüber beiden einen Anspruch festgestellt wissen. Die Adressaten eines Antrags im Beschlussverfahren sind stets anhörungsberechtigt iSd. § 83 Abs. 3 ArbGG (BAG 29. August 1985 – 6 ABR 63/82 – BAGE 49, 267, zu B II 4a der Gründe mwN). Auch sind Betriebsrat und Landesbezirk durch das Begehren des VGB in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen. Dies gilt unabhängig von der Frage, wer – Betriebsrat oder Arbeitgeber – mit welchem Umfang materiell-rechtlich Inhaber des Hausrechts bei einer Betriebsversammlung ist. Im Übrigen ist der Arbeitgeber gem. § 83 Abs. 3 ArbGG im Beschlussverfahren stets beteiligt.
II. Der Antrag des VGB ist zulässig. Der VGB ist beteiligtenfähig und antragsbefugt.
1. Der VGB ist fähig, Beteiligter des vorliegenden Beschlussverfahrens zu sein. Dies folgt aus § 10 Satz 1 2. Halbs. ArbGG.
a) § 10 ArbGG ergänzt die Vorschrift des § 50 ZPO über die Parteifähigkeit im Zivilprozess für die beiden arbeitsgerichtlichen Verfahrensarten. Wer nach § 50 ZPO parteifähig ist, ist dies auch im arbeitsgerichtlichen Urteils- und Beschlussverfahren. Da das Beschlussverfahren keine Parteien, sondern nur Beteiligte kennt, verwendet das Gesetz für diese – mit Ausnahme von § 10 Satz 2 ArbGG – nicht den Begriff der Parteifähigkeit, sondern den der Beteiligtenfähigkeit. Wer zwar nicht im Zivilprozess, aber gem. § 10 Satz 1 1. Halbs. ArbGG im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren parteifähig ist, ist auch im Beschlussverfahren beteiligtenfähig (BAG 29. November 1989 – 7 ABR 64/87 – BAGE 63, 303, zu I 2a der Gründe; GK-ArbGG/Dörner Stand Juli 2006 § 10 Rn. 23, 24 mwN). Beteiligtenfähig im Beschlussverfahren sind gem. § 10 Satz 1 2. Halbs. ArbGG außerdem bestimmte Stellen, die im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren nicht parteifähig sind.
b) Die Beteiligtenfähigkeit des VGB für das von ihm eingeleitete Beschlussverfahren folgt nicht unmittelbar aus § 50 ZPO. Gem. § 50 Abs. 1 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Der VGB ist ein nicht eingetragener Verein. Damit ist er gem. §§ 21, 54 BGB nicht rechtsfähig. Der nichtrechtsfähige Verein kann im Zivilprozess zwar gem. § 50 Abs. 2 ZPO verklagt werden, er kann aber nicht aktiv klagen. Er kann damit auch im Beschlussverfahren nicht als Antragsteller auftreten.
Allerdings haben der Bundesgerichtshof und ihm folgend das Bundesverfassungsgericht, der Bundesfinanzhof und das Bundesarbeitsgericht die nicht rechtsfähige Gesellschaft bürgerlichen Rechts mittlerweile als aktiv und passiv parteifähig anerkannt (BGH 29. Januar 2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 341; 23. Oktober 2003 – IX ZR 324/01 – BB 2003, 2706; BVerfG 2. September 2002 – 1 BvR 1103/02 – NJW 2002, 3533; BFH 18. Mai 2004 – IX R 83/00 – DB 2004, 1705; BAG 1. Dezember 2004 – 5 AZR 597/03 – AP ZPO § 50 Nr. 14 = EzA ZPO 2002 § 50 Nr. 3). Seitdem wird zunehmend auch für den nicht rechtsfähigen Verein die aktive Parteifähigkeit befürwortet (vgl. KG Berlin 14. April 2004 – 26 W 44/03 – MDR 2003, 1197; weitere Nachweise bei Kempfler NZG 2002, 411). Ob aus diesem Grund der VGB bereits im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren als aktiv parteifähig anzusehen ist, muss nicht entschieden werden.
c) Im vorliegenden Beschlussverfahren ist der VGB zumindest nach § 10 Abs. 1 2. Halbs. ArbGG beteiligtenfähig. Nach dieser Vorschrift sind ua. in den Fällen des § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG und damit in Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz Beteiligte eines Beschlussverfahrens “auch die nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligten Personen und Stellen”. Der VGB ist eine solche Stelle.
aa) Um eine nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligte Stelle handelt es sich, wenn einer Person oder einer Personengesamtheit, deren Bestand – wie bei einem Verein oder einem Organ der Betriebsverfassung – vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist, betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse zugeordnet sind (GKArbGG/Dörner § 10 Rn. 31; Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 10 Rn. 19, 21).
bb) Der VGB nimmt für sich in Anspruch, nach § 46 BetrVG mit rechtlichen Befugnissen ausgestattet zu sein. Besitzt er diese, so ist er nach § 10 Satz 1 2. Halbs. ArbGG – ua. – in Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG beteiligtenfähig. Das begründet seine Beteiligtenfähigkeit in einem Verfahren, in dem es gerade um das Bestehen der behaupteten Befugnisse geht. Zwar ist ungewiss, ob ihm das reklamierte Recht zusteht. Ist dies aber zu bejahen, steht damit zugleich seine Beteiligtenfähigkeit fest. In einem solchen Fall der Doppelrelevanz rechtlich bedeutsamer Umstände sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit eines Antrags ist es gerechtfertigt, das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen anzunehmen, um eine der Rechtskraft fähige Sachentscheidung zu ermöglichen (im Ergebnis auch Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 10 Rn. 31). Das folgt auch aus dem Rechtsgedanken des § 10 Satz 2 ArbGG. Für eine Vereinigung, deren Gewerkschaftseigenschaft und folglich Beteiligtenfähigkeit iSv. § 10 Satz 1 ArbGG umstritten ist, sieht § 10 Satz 2 ArbGG für das Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG die Beteiligtenfähigkeit ausdrücklich vor. Zwar ist eine Person, Vereinigung oder Stelle bei einem Streit über ihre Partei- oder Beteiligtenfähigkeit ohnehin zunächst als beteiligtenfähig anzusehen (BAG 19. November 1985 – 1 ABR 37/83 – AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 4, zu B II 4 der Gründe; BGH 11. April 1957 – VII ZR 280/56 – BGHZ 24, 91). Erst die Vorschrift des § 10 Satz 2 ArbGG ermöglicht es jedoch, in dem Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG in jedem Fall eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 10 Rn. 29). Die Ähnlichkeit der Sachlage rechtfertigt es, diesen Gedanken über den Bereich des § 10 Satz 2 ArbGG hinaus auch auf den hier vorliegenden Fall von Doppelrelevanz im Rahmen des § 10 Satz 1 ArbGG anzuwenden.
2. Der Antrag bedarf der Auslegung. Er ist weder auf die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung iSv. § 887 ZPO oder § 888 ZPO noch auf die Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 ZPO gerichtet. Der VGB will stattdessen die Verpflichtung zur Duldung eigener Handlungen iSv. § 890 Abs. 1 ZPO erreichen. Er hat beantragt festzustellen, dass Betriebsrat und Landesbezirk gehalten sind, einem von ihm Beauftragten Zutritt zu Betriebsversammlungen zu gewähren. Zwar soll damit bei einem wörtlichen Verständnis festgestellt werden, dass beide zur Vornahme nicht näher präzisierter Handlungen oder zur Abgabe von Erklärungen verpflichtet sind, die sich als “Zutritt gewähren” verstehen lassen. Ein solches Verständnis würde dem Antragsbegehren jedoch nicht gerecht. Dem VGB geht es in erster Linie nicht um ein aktives Verhalten von Seiten des Betriebsrats und des Landesbezirks, sondern darum, ein eigenes Verhalten ungestört ausüben, nämlich Betriebsversammlungen beim Landesbezirk in Person eines Beauftragten ungehindert aufsuchen zu können. Sein Antrag ist deshalb auf die Feststellung gerichtet, dass Betriebsrat und Landesbezirk verpflichtet sind, den Zutritt einer von ihm beauftragten Person zu Betriebsversammlungen zu dulden.
3. Der VGB besitzt die nach § 81 Abs. 1 ArbGG erforderliche Antragsbefugnis.
a) Die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren bedarf keiner weitergehenden Prüfung, wenn der Antragsteller mit der Einleitung eines Beschlussverfahrens eigene Rechte geltend macht und die betreffende Rechtsposition immerhin möglich erscheint. Das Erfordernis der Antragsbefugnis will lediglich sog. Popularklagen ausschließen (BAG 13. Dezember 2005 – 1 ABR 31/03 –, zu B IV 1 der Gründe; 27. August 1968 – 1 ABR 4/67 – AP BetrVG § 81 Nr. 11; Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 81 Rn. 56 mwN). Die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren entspricht damit weitgehend der Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren. Die Gerichte sollen zur Feststellung oder Durchsetzung eines bestimmten Rechts nicht ohne eigene Rechtsbetroffenheit des Antragstellers in Anspruch genommen werden können. Die erforderliche Betroffenheit ist gegeben, wenn sich der Antragsteller eigener Rechte berühmt und deren Bestehen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint (BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 17/02 – BAGE 105, 19, zu B III 2a der Gründe).
b) Der VGB nimmt ein eigenes Recht gegenüber dem Betriebsrat und dem Landesbezirk in Anspruch. Die Existenz des umstrittenen Zutrittsrechts erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen. Zwar berühmt sich der Antragsteller eines Rechts, das nach dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 Satz 1 BetrVG allein Gewerkschaften vorbehalten ist, und besitzt er unstreitig keine Tariffähigkeit. Seine Rechtsansicht, auch nicht tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen stehe ein Zugangsrecht zu Betriebsversammlungen zu, ist aber nicht offenkundig unzutreffend. Für die Befugnis zur Inanspruchnahme der Gerichte zum Zwecke einer Sachbescheidung reicht dies aus. Ob der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrags.
III. Das Verfahren war nicht etwa – wie das Landesarbeitsgericht erwogen hat – nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen. Der Durchführung des besonderen Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 Abs. 1 ArbGG bedarf es nur, wenn die Tariffähigkeit einer Vereinigung, dh. deren Gewerkschaftseigenschaft iSd. § 2 TVG als vorgreifliche Frage geklärt werden muss. Ist das Fehlen der Tariffähigkeit unstreitig und geht es allein darum, ob ein “Gewerkschaften” vorbehaltener Rechtsanspruch auch einer Vereinigung ohne Tariffähigkeit zusteht, kommt eine Aussetzung nach § 97 Abs. 5 ArbGG nicht in betracht (BAG 6. Juli 1956 – 1 AZB 18/55 – BAGE 4, 351). So liegt es hier. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass der VGB nicht tariffähig und deshalb keine Gewerkschaft iSd. § 2 TVG ist. Er berühmt sich eines Zutrittsrechts zu Betriebsversammlungen im Betrieb des Landesbezirks gerade trotz des Fehlens von Tariffähigkeit.
IV. Der Antrag ist unbegründet. Dem VGB steht kein Recht auf Teilnahme an Betriebsversammlungen zu. Er ist mangels Tariffähigkeit keine Gewerkschaft im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Es ist mit höherrangigem Recht vereinbar, dass betriebsverfassungsrechtliche Befugnisse nur tariffähigen Arbeitnehmervereinigungen eingeräumt werden.
1. Der Anspruch auf Teilnahme an Betriebsversammlungen nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BetrVG steht nur Gewerkschaften zu. Der VGB ist keine Gewerkschaft. Mit dem Gewerkschaftsbegriff ist auch im Betriebsverfassungsgesetz durchweg das Vorliegen von Tariffähigkeit verbunden. Das ergibt die Auslegung.
a) Auszugehen ist vom Gesetzeswortlaut. Der Begriff “Gewerkschaft” ist gesetzlich nicht definiert. Seine Bedeutung ist deshalb nach Maßgabe des allgemeinen fachsprachlichen Verständnisses festzustellen. Eine Gewerkschaft ist danach eine auf freiwilliger Basis errichtete privatrechtliche Vereinigung von Arbeitnehmern, die als satzungsgemäße Aufgabe den Zweck der Wahrnehmung und Förderung jedenfalls auch der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder verfolgt, die gegnerfrei, in ihrer Willensbildung strukturell unabhängig von Einflüssen Dritter und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert ist und Tariffähigkeit, dh. die rechtliche Fähigkeit besitzt, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder tarifvertraglich mit normativer Wirkung zu regeln (vgl. BVerfG 19. Oktober 1966 – 1 BvL 24/65 – BVerfGE 20, 312; BAG 28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – NZA 2006, 1112, zu B III 1 der Gründe mwN, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen; 14. Dezember 2004 – 1 ABR 51/03 – AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 1 = EzA TVG § 2 Nr. 27, zu B III 1, 2d aa der Gründe mwN; Fitting 23. Aufl. § 2 Rn. 36; Kraft/Franzen GK-BetrVG 8. Aufl. § 2 Rn. 26, 27; Richardi BetrVG 10. Aufl. § 2 Rn. 41 ff.).
Diese allgemeinen fachsprachlichen Begriffsmerkmale haben Eingang in den Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 und das Gemeinsame Protokoll über Leitsätze, A III Nr. 2 (BGBl. II S. 537, 545) in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestags vom 25. Juni 1990 (BGBl. II S. 518) gefunden. Sie sind damit zumindest für dessen Geltungsdauer in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen worden (BAG 6. Juni 2000 – 1 ABR 21/99 – BAGE 95, 47, zu B II 4c der Gründe).
Das für die Unterscheidung einer Gewerkschaft von sonstigen Arbeitnehmervereinigungen konstitutive Begriffsmerkmal ist die Tariffähigkeit. Diese dient der Gewährleistung eines funktionierenden Tarifvertragssystems. Sie gehörte bereits während der Weimarer Republik zum Inhalt des Gewerkschaftsbegriffs und des statt seiner – zB in § 8 BRG vom 4. Februar 1920 und in §§ 10, 11 ArbGG vom 23. Dezember 1926 – zunächst verwendeten Begriffs der “wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitern und Angestellten” (vgl. Reichsarbeitsgericht 29. September 1928 – RAG 24/28 – RAGE 2, 289; 10. Oktober 1928 – RAG 144/28 – RAGE 2, 299; 31. Mai 1930 – RAG 508/29 – RAGE 6, 63; Flatow/Kahn-Freund Betriebsrätegesetz 13. Aufl. 1931 § 8 Anm. 3; Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts Bd. II 1930 S. 149 ff.; Sinzheimer Grundzüge des Arbeitsrechts 2. Aufl. 1927 S. 69 ff.; vgl. ferner Dütz ArbuR 1976, 65, 70; Friese Kollektive Koalitionsfreiheit und Betriebsverfassung S. 110 f.).
b) Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass der Inhalt des Gewerkschaftsbegriffs auf sämtlichen Rechtsgebieten der Gleiche ist. Seit jeher ist die Tariffähigkeit nicht nur auf dem Gebiet des Tarifrechts, sondern auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen notwendige Voraussetzung für das Vorliegen der Begriffsmerkmale (so bereits die zum Begriff der wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitern und Angestellten in § 10 und § 11 ArbGG 1926 ergangenen Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und das oben zitierte Schrifttum). Es gibt in den entsprechenden Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Gewerkschaftsbegriff in den unterschiedlichen rechtlichen Zusammenhängen jemals ein unterschiedliches Verständnis verbunden und andere als tariffähige Arbeitnehmervereinigungen gemeint hätte (vgl. BAG 23. April 1971 – 1 ABR 26/70 – BAGE 23, 320, zu 1 der Gründe; vgl. ferner Buchner FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht S. 55, 56 mwN; Konzen SAE 1984, 136, 137). Lediglich die tatsächlichen Anforderungen an die Tariffähigkeit mögen dabei nicht abschließend festgestanden haben (vgl. dazu Herschel ZfA 1973, 183, 186).
Für die Verwendung des Gewerkschaftsbegriffs im Betriebsverfassungsgesetz gilt nichts anderes. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber mit ihm ein anderes als das allgemeine Begriffsverständnis verbunden hätte. So heißt es insbesondere im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu § 46 BetrVG 1972 (BTDrucks. VI/1786 S. 42), die Vorschrift übernehme die Vorgängerregelung aus § 45 BetrVG 1952. Diese ihrerseits übernahm § 47 BRG 1920. Sie ersetzte dabei den Ausdruck “wirtschaftliche Vereinigung” durch “Gewerkschaft”, ohne damit – so die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. I/1546) – inhaltlich von der Vorgängerregelung abweichen zu wollen.
Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht wiederholt festgestellt, dass der Gewerkschaftsbegriff in der Rechtsordnung stets dieselbe Bedeutung hat, gleich ob er im Tarifvertragsgesetz, Arbeitsgerichtsgesetz oder Betriebsverfassungsgesetz gebraucht wird (6. Juli 1956 – 1 AZB 18/55 – BAGE 4, 351; 23. April 1971 – 1 ABR 26/70 – BAGE 23, 320, zu 1 der Gründe; 15. März 1977 – 1 ABR 16/75 – BAGE 29, 72, zu III 1 der Gründe). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch angesichts der gegen ein einheitliches Begriffsverständnis vorgebrachten Kritik fest (zu dieser vgl. Friese S. 94 mit umfassenden Nachweisen aus dem weiteren Schrifttum). Die Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs steht nicht zur Disposition der Gerichte. Sie ist keine richterrechtliche Figur. Sie ist Folge der feststehenden Bedeutung des Begriffs im gesetzlichen Sprachgebrauch. Eine unterschiedliche, auf das Merkmal der Tariffähigkeit ggf. verzichtende Auslegung des Gewerkschaftsbegriffs je nach den vermeintlich unterschiedlich hohen Anforderungen des Rechtsgebiets an die Mächtigkeit und Kompetenz einer Arbeitnehmervereinigung ist angesichts dessen nicht möglich.
c) Damit scheidet zugleich eine einzelnormbezogene Auslegung des Gewerkschaftsbegriffs innerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes aus. Der Gesetzgeber verbindet mit demselben Begriff im Rahmen eines einzelnen Gesetzeswerks regelmäßig dieselbe Bedeutung. Für das Betriebsverfassungsgesetz kommt dies in § 2 Abs. 2 seiner Vorschriften besonders zum Ausdruck. Dort ist pauschal von den “in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnissen der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften” die Rede. Auf diese Weise wird derselbe Gewerkschaftsbegriff zu sämtlichen gewerkschaftlichen Rechtspositionen nach dem Betriebsverfassungsgesetz in Bezug gesetzt. Für eine aufgabenbezogene Differenzierung bei den an die Gewerkschaftseigenschaft zu stellenden Anforderungen ist danach kein Raum.
d) Dem einheitlichen Begriffsverständnis steht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gewerkschaftsbegriff im Personalvertretungsrecht nicht entgegen. Danach ist dieser wegen des notwendigen Einbezugs von Beamten nicht auf den arbeitsrechtlich feststehenden Begriffsinhalt verengt. Da Personalräte auch für Beamte zuständig sind, müssen den Vereinigungen von Beamten bei entsprechender Mächtigkeit aus Gründen der Gleichbehandlung dieselben Rechte zustehen wie tariffähigen Vereinigungen von Arbeitnehmern. Auf die Tariffähigkeit von Beamtenvereinigungen kann es dabei nicht ankommen, weil die Arbeitsbedingungen von Beamten durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nicht durch Tarifvertrag geregelt werden (so zuletzt 25. Juli 2006 – 6 P 17/05 – ZTR 2006, 607, zu 3a, b der Gründe mwN).
Diese Rechtsprechung stellt die Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen nicht in Frage. Für den Gewerkschaftsstatus einer reinen Arbeitnehmervereinigung geht auch das Bundesverwaltungsgericht ohne Einschränkung vom Erfordernis der Tariffähigkeit aus (25. Juli 2006 – 6 P 17/05 – aaO). Ob Beamtenverbänden im Hinblick auf die Privatisierung der Nachfolgeunternehmen von Bundesbahn und Bundespost auch im Rahmen der Betriebsverfassung im Einzelfall die Befugnisse einer Gewerkschaft zustehen können, muss im vorliegenden Zusammenhang nicht entschieden werden (vgl. dazu Fitting § 2 Rn. 34; Kraft/Franzen GK-BetrVG § 2 Rn. 35); in jedem Fall wäre dafür eine der Tariffähigkeit vergleichbare Mächtigkeit Voraussetzung.
e) Danach ist der VGB keine Gewerkschaft im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Zwar ist er eine Arbeitnehmerkoalition iSv. Art. 9 Abs. 3 GG (so das den Antragsteller betreffende Senatsurteil vom 17. Februar 1998 – 1 AZR 364/97 – BAGE 88, 38, zu II 1b der Gründe). Die Beteiligten haben aber übereinstimmend vorgetragen, dass ihm jedenfalls derzeit die Tariffähigkeit fehlt. Für das Jahr 1998 hatte auch der Senat dies angenommen (vgl. 17. Februar 1998 – 1 AZR 364/97 – aaO, zu II 3b der Gründe). Trotz Geltung des eingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatzes besteht unter diesen Umständen kein Anlass, die Richtigkeit der übereinstimmenden Beurteilung der Rechtslage durch die Beteiligten zu überprüfen.
2. Die mit dem Gewerkschaftsbegriff verbundene Beschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse von Koalitionen auf tariffähige Arbeitnehmervereinigungen ist mit Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der Gesetzgeber hat dadurch weder das im Hinblick auf die kollektive Koalitionsfreiheit nicht tariffähiger Koalitionen zu beachtende sog. Untermaßverbot verletzt noch gegen den Gleichheitssatz verstoßen.
a) Art. 9 Abs. 3 GG schützt eine Arbeitnehmerkoalition in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN; BAG 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – AP Art. 9 GG Nr. 127 = EzA GG Art. 9 Nr. 87, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen, zu B II 1c dd (1) der Gründe). Die Wahl der Mittel, die Koalitionen zur Erreichung dieses Zweckes für erforderlich halten, überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich ihnen selbst. Allerdings bedarf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es die Beziehungen zwischen Trägern unterschiedlicher Interessen zum Gegenstand hat (vgl. BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365 = AP AFG § 116 Nr. 4 = EzA AFG § 116 Nr. 5, zu C I 1b der Gründe). Sieht der Gesetzgeber hiervon ab, obliegt es den Gerichten, den mit Art. 9 Abs. 3 GG verbundenen staatlichen Schutzauftrag bei der Auslegung und ggf. im Wege der Rechtsfortbildung wahrzunehmen (BAG 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – aaO, zu B II 1c dd der Gründe). Ein Teilhaberecht an der Betriebsverfassung für nichttariffähige Arbeitnehmerkoalitionen ist danach nicht geboten.
aa) Bei der Grundrechtsausgestaltung verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Handlungsspielraum (BVerfG 1. März 1979 – 1 BvR 532/77 ua. – BVerfGE 50, 290 = AP MitbestG § 1 Nr. 1 = EzA MitbestG § 7 Nr. 1, zu C III 2a der Gründe). Er ist nicht verpflichtet, Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf der inneren Schwäche einer Arbeitnehmerkoalition beruhen. Der Organisationsgrad einer Koalition, ihre Fähigkeit zur Anwerbung und Mobilisierung ihrer Mitglieder liegen deshalb außerhalb seiner Verantwortung. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet seine Grenze erst am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – aaO, zu C I 1c der Gründe).
bb) Die Übertragung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben und Befugnisse auf die Gewerkschaften als tariffähige Arbeitnehmervereinigungen trägt der engen Verflechtung zwischen Betriebsverfassung und der Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge Rechnung. Die Betriebsverfassung ist vielerorts auf das Tarifvertragssystem bezogen. Besonders deutlich wird dies in § 77 Abs. 3 BetrVG, § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG und möglichen Öffnungsklauseln für Betriebsvereinbarungen in Tarifverträgen. An der Beachtung der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen und der Vermeidung ihnen widersprechender und dann unwirksamer innerbetrieblicher Rechtsakte haben Gewerkschaften ein eigenes Interesse. Das dient der Sicherung der Tarifautonomie. Der Gesetzgeber konnte deshalb nicht tariffähigen Koalitionen betriebsverfassungsrechtliche Teilhaberechte vorenthalten, ohne damit gegen Art. 9 Abs. 3 GG zu verstoßen.
cc) Allerdings verlangt das grundrechtliche Untermaßverbot des Art. 9 Abs. 3 GG für jede Arbeitnehmervereinigung nach der Möglichkeit einer Selbstpräsentation im Betrieb. Ohne eine solche Möglichkeit der Eigendarstellung gerade im Betrieb ist sie nicht in der Lage, sich bei potentiellen Mitgliedern in der für ihre Anliegen adäquaten Umgebung zu Gehör zu bringen. Dies zwingt indessen nicht dazu, jeder Arbeitnehmerkoalition betriebsverfassungsrechtliche Teilhaberechte nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes einzuräumen. Sie bedarf ihrer nicht, um im Betrieb aufzutreten. Mit der Versagung betriebsverfassungsrechtlicher Teilhabebefugnisse ist für eine Arbeitnehmerkoalition nicht der generelle Ausschluss eines Zutritts zum Betrieb verbunden. Auch nicht tariffähige Arbeitnehmervereinigungen haben das Recht, den Betrieb zu Zwecken der Mitgliederwerbung zu betreten. Sie nehmen in gleicher Weise wie die tariffähigen Arbeitnehmervereinigungen am Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG teil. Zu den geschützten Tätigkeiten, die dem Erhalt und der Sicherung einer Koalition dienen, zählt die Mitgliederwerbung (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352 = AP GG Art. 9 Nr. 80 = EzA GG Art. 9 Nr. 60, zu B I 2 der Gründe; BAG 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – AP GG Art. 9 Nr. 127 = EzA GG Art. 9 Nr. 87, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen, zu B II 1c dd (2) der Gründe mwN). Den nicht tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen ist es deswegen nicht verwehrt, ebenso wie tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen im Betrieb für ihre Anliegen zu werben. Hierfür bedürfen sie keiner betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse.
b) Die Übertragung betriebsverfassungsrechtlicher Teilhaberechte nur auf Gewerkschaften verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Allerdings bedarf diese Differenzierung der Rechtfertigung. Da mit den entsprechenden Regelungen Vorteile verbunden sind und diese nicht sämtlichen Grundrechtsträgern, sondern nur einem Teil von ihnen eingeräumt werden, müssen dafür sachliche Gründe bestehen. Solche liegen vor.
aa) Den Gewerkschaften wird mit der Übertragung betriebsverfassungsrechtlicher Ordnungs- und Unterstützungsaufgaben etwa in § 14 Abs. 3, § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 3, § 18 Abs. 1, Abs. 2, § 19 Abs. 2, § 23 Abs. 1, Abs. 3, § 43 Abs. 4, § 46 Abs. 1 und § 53 Abs. 3 iVm. § 46 Abs. 1 BetrVG die Möglichkeit geboten, sich im Betrieb in vielfachen Zusammenhängen darzustellen, dabei insbesondere die eigenen Mitglieder zu unterstützen und zumindest mittelbar Eigenwerbung zu betreiben (so auch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht 1997 S. 242; Friese S. 387 f.). Die damit verbundenen Vorteile bleiben einer nicht tariffähigen Arbeitnehmervereinigung durch den Ausschluss von solchen Befugnissen verwehrt.
bb) Die vom Gesetzgeber vorgenommene Privilegierung von Gewerkschaften ist sachlich gerechtfertigt. Die Unterscheidung beruht nicht auf personenbezogenen, sondern auf sachbezogenen Merkmalen. Für sie genügen deshalb plausible Gründe im Rahmen der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers (BVerfG 26. Januar 1993 – 1 BvL 38/92 ua. – BVerfGE 88, 87, zu B I 1 der Gründe).
cc) Von der Übertragung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben an Gewerkschaften als tariffähige Arbeitnehmervereinigungen erwartet der Gesetzgeber die bestmögliche, umfassende und verantwortungsvolle Unterstützung von Betriebsrat und Belegschaft. Zugleich sollen sie die Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung gewährleisten. Das dient der Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung und ist gemessen daran nicht unsachlich.
(1) Die effektive Unterstützung von Betriebsrat und Belegschaft in den Betrieben und Unternehmen sowie die Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnungsfunktion vermag nicht jede Arbeitnehmervereinigung in gleicher Weise zu leisten. Das gilt auch dann, wenn sie den Anforderungen des Koalitionsbegriffs des Art. 9 Abs. 3 GG genügt. Vielmehr verlangt der Zweck einer Einbeziehung in das System der Betriebsverfassung, dass die betreffende Arbeitnehmerkoalition die zur Wahrnehmung der damit verbundenen Aufgaben und Befugnisse erforderliche Sachkunde aufweist. Das erfordert eine entsprechende “Ausstattung”. Dazu ist es notwendig, dass die Koalition über eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern, hinreichende Finanzkraft sowie entsprechende Organisationsstrukturen verfügt und auf kompetentes Personal mit dem für eine fundierte Beratung und Unterstützung erforderlichen Fachwissen zurückgreifen kann (vgl. Friese S. 106, 108 f.; Kraft/Franzen GK-BetrVG § 2 Rn. 33). Darüber verfügen tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen notwendigerweise.
(2) Dagegen weisen nicht tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen eine solche Ausstattung regelmäßig nicht auf. Der Gesetzgeber konnte deshalb auf Grund einer zulässigen typisierenden Betrachtungsweise davon ausgehen, dass nicht tariffähige Arbeitnehmervereinigungen nicht ausreichend in der Lage sind, betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben zu erfüllen und Befugnisse wahrzunehmen. Zwar mag die angemessene Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der Betriebsverfassung nicht stets davon abhängen, dass eine Arbeitnehmernehmervereinigung in gleicher Weise wie eine tariffähige Koalition sozialen Druck auf den Arbeitgeber ausüben kann. Im Einzelfall mögen deshalb auch geringere Anforderungen an die Mächtigkeit der Arbeitnehmervereinigung zur ordnungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung genügen (für einen generellen Verzicht auf die Tariffähigkeit als Voraussetzung betriebsverfassungsrechtlicher Teilhaberechte vgl. Friese S. 105 f., 367; Kraft/Franzen GK-BetrVG § 2 Rn. 33 mwN; Kraft ZfA 1973, 243, 252 f.; ders. FS Wiese S. 219, 233; MünchArbR/Löwisch/Rieble 2. Aufl. § 246 Rn. 249; Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 10 Rn. 10a; F. Müller Der Gewerkschaftsbegriff im Betriebsverfassungsgesetz S. 143 ff.; Reuter Anm. BAG 15. März 1977 – 1 ABR 16/75 – JuS 1977, 482). In jedem Fall wären aber die tatsächlichen Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition und an die Fähigkeit zur kompetenten Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Betriebsverfassung nur graduell verschieden. Im Hinblick darauf ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, im Interesse der Rechtssicherheit, der Rechtsklarheit und der daran anknüpfenden Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung nur den Gewerkschaften Teilhaberechte einzuräumen und den Betriebsparteien und anderen Stellen die Prüfung zu ersparen, ob auch eine nicht tariffähige Arbeitnehmerkoalition auf Grund ihrer personellen, finanziellen und organisatorischen Ausstattung im Stande ist, die jeweilige Aufgabe sachgerecht zu erfüllen.
(3) Eine andere Sichtweise ist auch nicht wegen der besonderen Situation des Antragstellers geboten. Zwar mag es diesem in seiner Eigenart als Vereinigung von Beschäftigten der Gewerkschaften auf Grund objektiver Umstände besonders schwer fallen, eine den Anforderungen an die Tariffähigkeit genügende Durchsetzungskraft zu erreichen. Dies macht jedoch ein Festhalten am Erfordernis der Tariffähigkeit im Interesse der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung nicht verzichtbar.
3. Das Erfordernis der Tariffähigkeit für die Wahrnehmung der den Koalitionen im Betriebsverfassungsgesetz eingeräumten Teilhaberechte verstößt nicht gegen die vom Antragsteller vorgebrachten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Gründe für die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof bestehen nicht.
a) Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 15. Oktober 1968 gewährt jedem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats Anspruch auf gleiche Behandlung hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und der Ausübung gewerkschaftlicher Rechte. Anders als der Antragsteller meint, wird dieser Anspruch nicht verletzt, falls eine ausländische Gewerkschaft, deren Mitglied der betreffende Arbeitnehmer ist, einen Beauftragten in die Betriebsversammlung eines dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz unterfallenden Betriebs nur entsenden kann, wenn sie im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes als tariffähig anzusehen ist.
b) Auch eine ausländische Gewerkschaft selbst wird nicht dadurch in unzulässiger Weise diskriminiert, dass sie Unterstützungstätigkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz nur unter den gleichen Voraussetzungen ausüben kann, wie sie im Interesse der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung für inländische Arbeitnehmerkoalitionen gelten.
c) Art. 5, 6 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 und Art. 12, 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 betreffen das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Herbeiführung von Tarifverträgen. Diese Rechte sind nach Maßgabe von Art. 31 Sozialcharta bzw. Art. 52 Grundrechtscharta durch den Ausschluss nicht tariffähiger Arbeitnehmerkoalitionen von betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben und Befugnissen offenkundig ebensowenig verletzt wie das entsprechende Recht auf kollektive Betätigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG.
Unterschriften
Schmidt, Linsenmaier, Kreft, Giese, Wohlgemuth
Fundstellen
Haufe-Index 1700072 |
BAGE 2008, 279 |
DB 2007, 1256 |