Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines Einigungsstellenspruchs
Leitsatz (redaktionell)
Ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle besteht nicht mehr, wenn der Spruch ausschließlich einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang regelt und keinerlei Rechtswirkungen für die Zukunft hat.
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Beschluss vom 18.10.2007; Aktenzeichen 5 TaBV 54/07) |
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 29.01.2007; Aktenzeichen 1 BV 569/06) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. Oktober 2007 – 5 TaBV 54/07 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
Rz. 2
Die Arbeitgeberin ist ein Luftfahrtunternehmen. Für die in ihrem Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer ist auf der Grundlage des “Tarifvertrags Personalvertretung C…” (TV PV) eine Personalvertretung errichtet. § 56 TV PV regelt die “Gestaltung der Umlaufpläne”. Nachdem sich Arbeitgeberin und Personalvertretung über die Flugumlaufpläne für Juli und August 2006 nicht hatten einigen können, entschied am 26. Juli 2006 eine zu diesem Zweck errichtete Einigungsstelle durch Spruch über die “Umlaufabstimmung Juli/August 2006”. In der Folgezeit einigten sich Arbeitgeberin und Personalvertretung über die Flugumlaufpläne im September und Oktober 2006. Am 16. Oktober 2006 entschied eine Einigungsstelle über die “Umlaufabstimmung November 2006”. Am 12. Dezember 2006 schlossen die Betriebsparteien die “Vereinbarung von Entlastungsmaßnahmen in der Umlauf- und Einsatzplanung”, die später durch eine Betriebsvereinbarung vom 24. April 2007 modifiziert wurde.
Rz. 3
Am 10. August 2006 hat die Arbeitgeberin den ihr am 1. August 2006 zugestellten Einigungsstellenspruch vom 26. Juli 2006 beim Arbeitsgericht angefochten. Sie hat die Auffassung vertreten, der Spruch sei rechtsfehlerhaft und überschreite die Grenze billigen Ermessens. Zwar habe sich die Einigungsstelle auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Februar 2002 (– 1 ABR 20/01 – BAGE 100, 281) gestützt. Diese Entscheidung habe aber auf einer unzutreffenden Tatsachenauswertung beruht. Die Mitbestimmung der Personalvertretung nach § 56 TV PV reiche nicht so weit wie diejenige des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. Die aufgrund des Spruchs der Einigungsstelle vorzunehmenden Maßnahmen seien entgegen § 56 Abs. 2 Satz 3 TV PV weder im Wesentlichen kostenneutral noch personell realisierbar gewesen.
Rz. 4
Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle “Umlaufabstimmung Juli/August 2006” vom 26. Juli 2006 unwirksam ist.
Rz. 5
Die Personalvertretung hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Dieser sei mangels Feststellungsinteresses bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
Rz. 6
Das Arbeitsgericht hat den Antrag als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen und deren Antrag bereits als unzulässig erachtet. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Arbeitgeberin fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten gerichtlichen Feststellung.
Rz. 8
I. Der Antrag ist nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 26. Juli 2006 gerichtet. So hat ihn zu Recht und unangegriffen das Landesarbeitsgericht verstanden. Ein solcher Antrag ist grundsätzlich sachgerecht, wenn eine Betriebspartei die Unwirksamkeit eines – noch Rechtswirkungen entfaltenden – Einigungsstellenspruchs gerichtlich geltend machen will (BAG 26. August 2008 – 1 ABR 16/07 – Rn. 11, AP BetrVG 1972 § 75 Nr. 54 = EzA BetrVG 2001 § 87 Überwachung Nr. 2). Der Antrag kann nicht etwa dahin ausgelegt werden, dass mit ihm im Wege eines allgemeinen Feststellungsantrags Inhalt und Umfang des Mitbestimmungsrechts nach § 56 TV PV festgestellt werden sollen.
Rz. 9
II. Der Antrag ist mangels des nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen rechtlichen Interesses der Arbeitgeberin an der begehrten alsbaldigen Feststellung unzulässig.
Rz. 10
1. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO ist ein Feststellungsantrag nur zulässig, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses alsbald durch gerichtliche Entscheidung festgestellt wird (BAG 3. Mai 2006 – 1 ABR 63/04 – Rn. 19 mwN, AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 61). Erforderlich ist grundsätzlich, dass es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis handelt. Ein auf die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses gerichteter Antrag ist nur zulässig, wenn sich aus der Entscheidung noch Rechtsfolgen für die Zukunft ergeben (BAG 3. Mai 2006 – 1 ABR 15/05 – Rn. 19 mwN, BAGE 118, 131). Ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle besteht nicht mehr, wenn der Spruch ausschließlich einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang regelt und keinerlei Rechtswirkungen für die Zukunft hat (vgl. BAG 19. Februar 2002 – 1 ABR 20/01 – zu B I 2 der Gründe, BAGE 100, 281). Dies gilt auch, wenn bei der rechtlichen Beurteilung der Wirksamkeit des Spruchs Fragen über den Inhalt und Umfang eines Mitbestimmungsrechts hätten beantwortet werden müssen, die zwischen den Betriebsparteien weiterhin streitig sind. Das rechtliche Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO muss an der Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses selbst bestehen; ein Interesse an der Klärung streitiger Vorfragen genügt nicht.
Rz. 11
2. Hiernach fehlt für den ausschließlich auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 26. Juli 2006 gerichteten Antrag der Arbeitgeberin das rechtliche Interesse. Der Spruch der Einigungsstelle zeitigt keinerlei Rechtswirkungen mehr. Die Einigungsstelle hat in ihm ausschließlich die Umlaufpläne für Juli und August 2006 geregelt. Diese liegen vollständig in der Vergangenheit. Die Einigungsstelle hat keinerlei Regelungen für die Zeit nach August 2006 getroffen. Sie wäre dadurch auch über ihren Regelungsauftrag hinausgegangen. Der Spruch entfaltete für die Zeit ab dem 1. September 2006 keine Nachwirkung. Für die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 6 BetrVG sowie nach § 45 Abs. 6 TV PV ist kein Raum, wenn die Betriebsvereinbarung sich auf die Regelung eines zeitlich begrenzten, abgeschlossenen Gegenstands beschränkt (vgl. BAG 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – zu II B 2a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 54). Im Übrigen sind in der Zeit nach August 2006 – durch Vereinbarung oder erneuten Einigungsstellenspruch – Regelungen über die Umlaufpläne in den Folgemonaten getroffen worden. Eine Sachentscheidung über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 26. Juli 2006 liefe deshalb auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinaus. Dazu sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht berufen.
Rz. 12
3. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin entsteht dadurch, dass die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 26. Juli 2006 als solche nicht mehr selbständig zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden kann, keine ihr unzumutbare Rechtsschutzlücke. Es ist der Arbeitgeberin unbenommen, einen fortbestehenden, noch aktuellen Streit über Inhalt und Umfang des der Personalvertretung bei Umlaufplänen nach § 56 Abs. 1 TV PV zustehenden Mitbestimmungsrechts im Wege eines Feststellungsantrags einer – nochmaligen – gerichtlichen Beurteilung zuzuführen. Der Beschluss des Senats vom 19. Februar 2002 (– 1 ABR 20/01 – BAGE 100, 281), durch den sämtliche damals gestellten Anträge als unzulässig abgewiesen wurden, entfaltet insoweit keine entgegenstehende materielle Rechtskraft. Der Beschluss beruhte allerdings entgegen der Behauptung der Arbeitgeberin nicht auf einer unzutreffenden Tatsachenauswertung, sondern gab – insbesondere unter B III 2c der Gründe – die maßgeblichen Erwägungen zu einer an Wortlaut, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck orientierten Auslegung der tariflichen Bestimmung wieder.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Brunner, Münzer
Fundstellen
Haufe-Index 2172809 |
AP 2010 |