Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei Bildungsurlaub. Zuständigkeit der Einigungsstelle. Arbeitnehmerweiterbildung. Betriebsverfassungsrecht. Prozeßrecht
Leitsatz (amtlich)
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG erstreckt sich auch auf die Gewährung von sog. Bildungsurlaub nach den Weiterbildungsgesetzen der Länder. Es betrifft auch insoweit lediglich die Aufstellung allgemeiner Freistellungsgrundsätze und eines Freistellungsplans und ggf. die Festsetzung der zeitlichen Lage der Arbeitsfreistellung im Einzelfall.
Orientierungssatz
- Die (unselbständige) Anschlußbeschwerde im Beschlußverfahren ist zulässig.
- Der Spruch einer Einigungsstelle ist nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG im Wege der auf die Feststellung seiner Unwirksamkeit gerichteten Feststellungsklage anzufechten.
- Die Einigungsstelle ist auch auf Antrag einer der Betriebsparteien nicht verpflichtet, über ihre Zuständigkeit gesondert und vorab zu entscheiden, wenn sie diese für gegeben hält.
- Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG betrifft nicht nur den Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG, sondern auch die Gewährung von sog. Bildungsurlaub nach landesrechtlichen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzen.
- Die Einigungsstelle überschreitet die Grenzen des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG, wenn sie nicht nur allgemeine Richtlinien über die Gewährung von Bildungsurlaub aufstellt, sondern auch Regelungen über seine Dauer, den Kreis der Anspruchsberechtigten und sonstige Anspruchsvoraussetzungen trifft.
- Eine die Mitbestimmung ausschließende gesetzliche Regelung iSd. § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG liegt auch dann vor, wenn von ihr nur zu Ungunsten der Arbeitnehmer nicht abgewichen werden kann.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 1 Einleitungssatz, § 76 Abs. 3; BGB § 139; AWbG NW vom 6. November 1984 § 5; AWbG NW vom 6. November 1984 § 8; ArbGG § 87 Abs. 2; ZPO § 522a
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 1. Juni 2001 – 4 TaBV 11/01 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle.
Der antragstellende Verein und Arbeitgeber betreibt bundesweit Dialysezentren. Der im Dialysezentrum A gebildete Betriebsrat strebte eine Betriebsvereinbarung über die Grundsätze zur Bewilligung von Arbeitsbefreiung nach dem nordrheinwestfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz an. Der Arbeitgeber hielt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für nicht gegeben. Die Beteiligten verständigten sich auf die Einrichtung einer Einigungsstelle. In den Verhandlungen hielt der Arbeitgeber an seiner Rechtsauffassung fest.
Am 3. Februar 2000 fällte die Einigungsstelle mit den Stimmen der Beisitzer des Betriebsrats und des Vorsitzenden einen Spruch. Dieser hat folgenden Wortlaut:
“Grundsätze für die Bewilligung von Bildungsurlaub beim Dialysezentrum des in A
Präambel
Zweck der Vereinbarung ist die Förderung, Ermöglichung und unkomplizierte Inanspruchnahme von Bildungsurlaub. Das Wissen der Arbeitnehmer ist ein Gut, das sowohl dem einzelnen Arbeitnehmer nutzt als auch dem Arbeitgeber zum Vorteil ist und genutzt werden kann.
Arbeitgeber und Betriebsrat bemühen sich, die Inanspruchnahme von Bildungsurlaub zu fördern und die betrieblichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Bildungsurlaub zu schaffen, z.B. indem dem durch die Inanspruchnahme von Bildungsurlaub bedingtem Arbeitsausfall durch eine angemessene Berücksichtigung bei der Personalplanung Rechnung getragen wird.
Dabei soll auch weiterhin gleichzeitig eine geordnete Versorgung für alle Patienten gewährleistet bleiben.
Anerkennung der Maßnahme:
Erforderlich für einen Anspruch auf Bildungsurlaub ist insbesondere auch eine Anerkennung der Veranstaltung gemäß § 9 Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG NRW) oder gegebenenfalls entsprechender Regelungen anderer Bundesländer.
Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen können Bildungsurlaub auch für Veranstaltungen im Rahmen der Ausbildung zur Fachkraft für Nephrologie in Anspruch nehmen, wenn der zeitliche Zusammenhang gemäß § 5 (3) Satz AWbG NW nicht gegeben ist.
Geltungsbereich:
- Jede/r Arbeitnehmer/in hat Anspruch auf fünf Arbeitstage Bildungsurlaub. Keinen Anspruch haben Auszubildende, Umschüler, Praktikanten und Zivildienstleistende.
- Will die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NRW Bildungsurlaub aus zwei Kalenderjahren zusammenfassen, so soll er dies schriftlich gegenüber der Verwaltung anzeigen.
Anmeldeverfahren:
Bildungsurlaub ist
- frühzeitig, mindestens aber 4 Wochen vorher schriftlich gegenüber der Verwaltung anzuzeigen;
- der Arbeitgeber hat innerhalb von 14 Tagen, spätestens aber drei Wochen vor der Maßnahme zu reagieren;
- Nach Ablauf von zwei Wochen gilt die Maßnahme als genehmigt;
- Zustimmung bzw. Ablehnungen sind schriftlich mitzuteilen, im Falle der Ablehnung auch die Gründe.
Dokumentation zum Bildungsurlaub:
Geschäftsleitung und Betriebsrat werden regelmäßig aber mindestens einmal pro Jahr anhand der von der Geschäftsleitung zu führenden Liste, die in Zusammenhang mit dem Bildungsurlaub stehenden Fragen erörtern.
Die Liste muß mindestens enthalten:
- Name des Antragstellers
- Datum der Antragstellung
- Datum des Bescheides
- Maßnahme
- Beginn und Ende der Maßnahme
- Prozentuale Inanspruchnahme des Bildungsurlaubs pro Kalenderjahr
Der Betriebsrat hat jederzeit Einblick in diese Liste. Sie ist ihm im Monatsgespräch in aktualisierter Fassung in Kopie auszuhändigen.
Regelung bei Streitigkeiten:
Streitigkeiten sind vorrangig zwischen der/dem Beschäftigten und den Vorgesetzten (z.B. leitende Pflegekraft/Verwaltungsleitung) beizulegen. Bei konkurrierenden Anträgen ist als Abwägungskriterium insbesondere zu berücksichtigen:
- ein zuvor abgelehnter Antrag auf Bildungsurlaub und
- ein drohender Verfall des Bildungsurlaubes.
Letzteres gilt nicht, soweit die/der Beschäftigte den womöglich verfallenden Anspruch mit dem Anspruch auf Bildungsurlaub des nächsten Jahres zusammenfassen kann (§ 3 Absatz 1, Satz 2 AWbG NRW).
Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zustande, ist der Betriebsrat zu beteiligen, § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG.
Ist auch unter Beteiligung des Betriebsrats kein Einvernehmen zu erreichen, so entscheidet eine Einigungsstelle.
Widerruf von bewilligtem Bildungsurlaub:
Für den Fall, das aus dringenden betrieblichen Gründen die Teilnahme an bewilligten Bildungsurlaubsmaßnahmen abgesagt werden muß, so sind die dafür maßgeblichen Gründe schriftlich sowohl gegenüber dem Arbeitnehmer als auch dem Betriebsrat vorzutragen. Der Widerruf bedarf der Zustimmung des Betriebsrates.
Kommt eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zustande, ist der Betriebsrat zu beteiligen, § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG.
Ist auch unter Beteiligung des Betriebsrats kein Einvernehmen zu erreichen, so entscheidet eine Einigungsstelle.
Kündigung:
Diese Betriebsvereinbarung gilt ab dem 1.1.2000 und ist mit gesetzlicher Frist kündbar.”
Der Beschluß der Einigungsstelle wurde dem Arbeitgeber am 10. Februar 2000 zugestellt. Mit einem am 23. Februar 2000 bei Gericht eingegangenen Antrag hat er die Unwirksamkeit des Spruchs geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei nicht zuständig gewesen. Das in § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG normierte Mitbestimmungsrecht beziehe sich nicht auf die Arbeitsbefreiung zur Teilnahme an Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung. Zudem sei der Spruch fehlerhaft zustande gekommen. Die Einigungsstelle habe nicht gesondert und vorweg über ihre Zuständigkeit abgestimmt. Im übrigen habe die Einigungsstelle die Grenzen billigen Ermessens nicht gewahrt.
Der Arbeitgeber hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle “Grundsätze für die Bewilligung von Bildungsurlaub beim Dialysezentrum des in A” vom 3. Februar 2000 rechtsunwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, der Spruch der Einigungsstelle sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam.
Das Arbeitsgericht hat die Regelung in Nr. 1 Abs. 2 des Spruchs für unwirksam erklärt und hat im übrigen den Antrag des Arbeitgebers abgewiesen. Auf dessen Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht dem Antrag in vollem Umfang stattgegeben; die Anschlußbeschwerde des Betriebsrats hat es nicht förmlich beschieden. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter, den Antrag des Arbeitgebers insgesamt abzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Zwar trägt die Begründung des Landesarbeitsgerichts seinen Beschluß nicht. Dem Betriebsrat steht auch hinsichtlich der Gewährung von sog. Bildungsurlaub ein Mitbestimmungsrecht zu. Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als zutreffend (§ 563 ZPO aF; § 561 ZPO nF). Der Spruch der Einigungsstelle überschreitet teilweise die Grenzen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG, teilweise verstößt er gegen § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG.
Unterschriften
Wißmann, Schmidt, Kreft, Kehrmann, Brocker
Fundstellen
Haufe-Index 869432 |
BAGE 2003, 203 |
BB 2003, 160 |
NWB 2002, 1863 |
BuW 2003, 174 |
FA 2002, 250 |
FA 2003, 120 |
JR 2004, 44 |
NZA 2003, 171 |
SAE 2003, 124 |
ZAP 2002, 1105 |
AP, 0 |
AuA 2002, 324 |
EzA-SD 2002, 14 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA |
Weiterbildung 2005, 52 |