Leitsatz (redaktionell)
(Tarifliche Kündigungsfristen als gesetzliche im Sinne von § 22 KO)
1. Der normative Teil des Tarifvertrags enthält Rechtsnormen im Sinne von § 2 des Einführungsgesetzes zur Konkursordnung.
2. Tarifvertragliche Kündigungsfristen sind gesetzliche Kündigungsfristen im Sinne von § 22 Abs 1 Satz 2 KO.
Orientierungssatz
Literatur und Rechtsprechung zur Frage, ob tarifvertragliche Kündigungsfristen gesetzliche Kündigungsfristen im Sinne von § 22 Abs 1 S 2 KO sind.
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 07.10.1982; Aktenzeichen 10 Sa 731/82) |
ArbG Bonn (Entscheidung vom 07.07.1982; Aktenzeichen 4 Ca 1184/82) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die vom Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung bereits zum 30. Juni 1982 oder erst zum 30. September 1982 beendet worden ist.
Der Kläger war seit dem 1. März 1979 zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt 4.700,-- DM brutto im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses als Angestellter bei dem Gemeinschuldner, dem D, Institut für ADV-gestützte Entwicklungsplanung, B, beschäftigt, zu dessen Konkursverwalter der Beklagte bestellt ist. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Zwischen den Parteien fand der 3. Tarifvertrag zur Regelung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse für Angestellte bei D aufgrund von Tarifgebundenheit Anwendung, der u.a. Bezug nimmt auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 in der Fassung des Änderungs- und Ergänzungstarifvertrages Nr. 47 vom 1. Juli 1981. Zugleich wurde auch Bezug genommen auf die Sonderregelung (SR) 2 y BAT, nach der im Falle des Klägers die Kündigungsfrist vier Monate zum Quartalsende beträgt.
Mit Schreiben vom 29. März 1982, dem Kläger zugegangen am 1. April 1982, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Bezugnahme auf § 22 KO mit der Frist des § 622 Abs. 1 BGB zum 30. Juni 1982.
Mit seiner am 20. April 1982 beim Arbeitsgericht Bonn erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der Beklagte habe die für ihn günstigere tarifvertragliche Kündigungsfrist zum 30. September 1982 einhalten müssen. Tarifvertragliche Kündigungsfristen seien nicht den arbeitsvertraglichen, sondern den gesetzlichen Kündigungsfristen gleichzustellen (§ 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Dies ergebe sich auch aus § 2 des "Gesetzes betreffend die Einführung der Konkursordnung" vom 10. Februar 1877 (RGBl. S. 351; EGKO), der folgenden Wortlaut hat: "Gesetz im Sinne der Konkursordnung und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm."
Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 29. März 1982 erst zum 30. September 1982 aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat er vorgetragen, tarifvertragliche Kündigungsfristen könnten nicht als gesetzliche Kündigungsfristen im Sinne des § 22 Abs. 1 KO angesehen werden. Tarifnormen beruhten als kollektive Verträge auf vertraglichen Vereinbarungen, sie seien also keine Gesetze im formellen Sinne, auf die sich § 22 KO beziehe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet, weil sich aus Wortlaut, systematischem Zusammenhang, Entstehungsgeschichte und teleologischer Auslegung von § 2 EGKO, § 22 Abs. 1 Satz 2 KO und § 1 Abs. 1 TVG ergibt, daß tarifvertragliche Kündigungsfristen gesetzliche im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO sind.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, gesetzliche Kündigungsfristen im Sinne des § 22 Abs. 1 KO seien auch die tarifvertraglichen Kündigungsfristen. Dies folge in erster Linie aus dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Gesetze, aber in Übereinstimmung damit auch aus deren Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck der Vorschriften sowie aus dem systematischen Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Regelungen.
Gesetz im Sinne der Konkursordnung sei nach § 2 EGKO jede Rechtsnorm. Die Tarifverträge enthielten, soweit sie die Beendigung von Arbeitsverhältnissen regelten, Rechtsnormen (§ 1 Abs. 1 TVG). Diese gehörten, ungeachtet ihres vertraglichen Entstehungsgrundes, zu den Rechtsnormen im Sinne des § 2 EGKO, die sich nicht auf Gesetze im formellen Sinne beschränkten. Überlegungen zur Interessenlage rechtfertigten es nicht, diese gesetzliche Regelung außer acht zu lassen. Insbesondere sei keine Gesetzeslücke festzustellen, die aufgrund der im Konkursverfahren bestehenden und mit der gesetzlichen Regelung angesprochenen Interessenlage mit gegenteiligem Ergebnis ausgefüllt werden müßte. Ferner ergebe sich, daß dieses Festhalten an dem Gesetzeswortlaut mit höchstrichterlichen Feststellungen zum Gesetzescharakter von Tarifverträgen übereinstimme und gegenüber abweichenden Auslegungsmöglichkeiten zumindest den Vorteil einer größeren Verfassungskonformität besitze.
B. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
I. 1. Die Frage, ob die tarifvertraglichen Kündigungsfristen gesetzliche Kündigungsfristen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO sind, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten und wird von der wohl herrschenden Meinung verneint (ArbG Wuppertal, Urteil vom 23. Oktober 1975, DB 1976, 732; Henckel, in Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 22 Rz 24; Bleistein, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl., Rz 175 sowie HzA, Gruppe 5, 132; Brill/Matthes/Oehmann, Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht, S. 22; dieselben, AR-Blattei (D), Konkurs I, Übersicht, unter D I 1 a; Uhlenbruck, Insolvenzrecht und Arbeitsrecht, 1979, Rz 179; Hanau, Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen, Gutachten E zum 54. Deutschen Juristentag 1982, S. 63; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. 1, 614 Fn. 6; Granzow, Die Behandlung von Dienst- und Arbeitsverträgen im Konkurs des Dienstberechtigten bzw. Arbeitgebers, Diss. Göttingen 1979, S. 135 ff.; Böhle/Stamschräder/Kilger, KO, 14. Aufl., § 22 Rz 7, S. 119; Hess/Kropshofer, KO, § 22 Rz 3; Kopp, Handbuch des Arbeitsrechts (Herausgeber Maus), Arbeitsverhältnis im Konkurs und Vergleich, VI, I Rz 26; Willemsen, AR-Blattei (D), Konkurs I, Übersicht 1 a; Oehmann/-Bürger/Matthes, Handwörterbuch des Arbeitsrechts, 5. Aufl., Stichwort "Konkurs", 2 a; Henckel, Anm. zu EzA § 22 KO Nr. 3).
2. Einige Autoren vertreten die Auffassung, der Konkursverwalter sei im Rahmen des § 22 KO nur dann an die tarifvertraglichen Kündigungsfristen gebunden, wenn der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt ist (Böhle/Stamschräder/Kilger, KO, 14. Aufl., § 22 Rz 7; Gagel, Konkursausfallgeld, vor § 141 a AFG Rz 20; Heilmann, Die Rechtslage des Arbeitnehmers bei Insolvenz seines Arbeitgebers, 1977, S. 85, 89; derselbe, NJW 1975, 1760; Mohrbutter/Mohrbutter, Handbuch der Konkurs- und Vergleichsverwaltung, 4. Aufl., S. 146). Diese Unterscheidung leuchtet nicht ein: Entweder ergibt sich aus dem Rechtsnormcharakter der Tarifbestimmungen u n d der Interessenlage, daß zu den gesetzlichen Kündigungsfristen im Sinne von § 22 KO auch die tarifvertraglichen gehören, oder das Gegenteil. Der Allgemeinverbindlicherklärung wegen ihrer Doppelnatur als Verwaltungsakt gegenüber den Tarifvertragsparteien und als staatlicher Mitwirkungshandlung an der Rechtsetzung der Verbände gegenüber den Außenseitern eine Sonderstellung einzuräumen, wäre reine Begriffsjurisprudenz. Sie würde zu einer mehr oder weniger willkürlichen Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer im Konkurs des Arbeitgebers führen, die weder mit dem Schutzzweck tariflicher Kündigungsfristen noch mit dem Konkurszweck vereinbar wäre.
3. Die Gleichsetzung von tarifvertraglichen mit gesetzlichen Kündigungsfristen befürworten Herschel (Arbeitsrecht 1926, Sp. 753 ff., 762; derselbe, BB 1984, 987), Grunsky (Das Arbeitsverhältnis im Konkurs- und Vergleichsverfahren, S. 16 ff.), Kraushaar (AuR 1978, 33, 38), Lent (in Jäger/Lent, KO, 8. Aufl., § 22 Rz 17), Weigand (KR-Weigand, 2. Aufl., § 22 KO Rz 18), Bauer (DB 1979, 500, 502 Fn. 34), Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer (Die Kündigung und andere Möglichkeiten zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 1984, S. 51), Popp (Handbuch des Arbeitsrechts, Teil VI B Rz 585) und das angefochtene Urteil des LAG Köln vom 7. Oktober 1982 (EzA § 22 KO Nr. 3).
II. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zutreffend mit den unter B I 3 genannten Autoren angenommen, tarifvertragliche Kündigungsfristen seien gesetzliche Kündigungsfristen im Sinne von § 22 KO.
1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von § 2 EGKO ausgegangen, wonach Gesetz im Sinne der Konkursordnung jede Rechtsnorm ist. Mit dieser Formulierung, die der von Art. 2 EGBGB, § 12 EGZPO und § 7 EGStPO entspricht, wird den Gesetzen im staatsrechtlichen Sinne (formelle Gesetze) jede andere Rechtsnorm ohne Rücksicht auf ihre Entstehungs- oder Erkenntnisquelle gleichgestellt. Gesetz im materiellen Sinne (§ 1 Abs. 1 TVG) ist auch der normative Teil (§ 4 Abs. 1 TVG) von Tarifverträgen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: BAG 1, 258, 262 = AP Nr. 4 und BAG 11, 135 = AP Nr. 68, beide zu Art. 3 GG). Dementsprechend gehen die Kommentatoren zu § 12 EGZPO und zu Art. 2 EGBGB nahezu einhellig davon aus, daß der normative Teil von Tarifverträgen Gesetz im materiellen Sinne ist und unter die genannten Vorschriften der Einführungsgesetze fällt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 43. Aufl., Art. 2 EGBGB, Anm. 1 c; Soergel/Siebert/Hartmann, BGB, 11. Aufl., Art. 2 EGBGB, Rz 2 und 9; Staudinger/Leiß/Bolck, BGB, 10./11. Aufl., Art. 2 EGBGB, Rz 3 ff., 11; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 19. Aufl., Bd. III, § 12 EGZPO sowie Stein/Jonas/Grunsky, aaO, Bd. 1, § 549 Anm. II; Zöllner, Arbeitsrecht, 3. Aufl., § 36 I; derselbe, Die Rechtsnatur von Tarifnormen nach deutschem Recht, 1966, S. 7 und 9 ff.). Mit dem Hinweis auf Art. 2 EGBGB hat das Bundesarbeitsgericht auch in ständiger Rechtsprechung die tarifvertragliche Schriftform als gesetzliche Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB behandelt (BAG Urteile vom 9. Februar 1972 - 4 AZR 149/71 -, vom 6. September 1972 - 4 AZR 422/71 - und vom 18. Mai 1977 - 4 AZR 47/76 -, AP Nr. 1, 2 und 4 zu § 4 BAT).
a) Auf diese Problematik gehen indessen nur zwei der Autoren ein, die die Gleichstellung von tarifvertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen ablehnen. Ein erheblicher Teil des Schrifttums begründet seine Auffassung überhaupt nicht (so: Brill/Matthes/Oehmann, aaO, S. 22; Uhlenbruck, aaO, Rz 179 und Fn. 188; Rewolle, DB 1967, 1134; Hess/Kropshofer, aaO, § 22 Rz 3; Kopp, aaO, Rz 26; Oehmann/Bürger/Matthes, aaO, Stichwort "Konkurs", Ziff. 2 a; Willemsen, AR-Blattei (D), Konkurs I, Übersicht 1 a). Von den Autoren, die für ihre Meinung eine Begründung geben, setzen sich nur Granzow (aaO, 130 ff.) und Henckel (Anm. zum angefochtenen Urteil in EzA § 22 KO Nr. 3) ausdrücklich mit § 2 EGKO auseinander. Demgegenüber läßt die Stellungnahme von Bleistein (HzA, Gruppe 5, 131 f.) sogar den Schluß zu, daß er bei Berücksichtigung des § 2 EGKO seine Ansicht nicht aufrechterhalten hätte, denn er führt aus: "Wenn in einem Gesetz auf andere gesetzliche Normen Bezug genommen wird, so sind damit nur die formellen Gesetze angesprochen, nicht auch das autonome Recht. Das ist anders zu beurteilen, wenn schlechthin Rechtsnormen angesprochen werden, wie dies z. B. in § 73 ArbGG geschehen ist. Darunter fallen auch Tarifnormen, denn dabei handelt es sich zweifellos um Rechtsnormen."
b) Angesichts der Gesetzesdefinition von § 2 EGKO ist zumindest die der Stellungnahme von Bleistein (ähnlich: ArbG Wuppertal, BB 1976, 646; Hueck/Nipperdey, aaO, § 61 I, S. 614 Fn. 6) zugrunde liegende Auffassung, Gesetze im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO seien nur Gesetze im formellen Sinne, nicht haltbar. Das räumt auch Granzow ein (aaO, 134), der in diesem Zusammenhang im Ergebnis zu Recht feststellt, die gegenteilige These von Erdel (Arbeitsrecht 1926, Sp. 766; derselbe, GewKfmG 1926, Sp. 276 f.), der Begriff Rechtsnorm in § 2 EGKO sei auf Rechtsnormen in formellem Sinne begrenzt, lasse sich weder der Konkursordnung selbst noch der Entstehungsgeschichte des § 22 Abs. 1 KO mit hinreichender Sicherheit entnehmen.
c) In der Tat widerlegen gerade die Gesetzesmaterialien zum EGKO (vgl. Carl Hahn, Die gesamten Materialien zur Konkursordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, Berlin 1881) diese Auffassung. So war, wie sich dem Protokoll der ersten Lesung des Einführungsgesetzes in der Kommission des Reichstags entnehmen läßt (Hahn, aaO, S. 623 ff.) die Aufnahme des Begriffs "Rechtsnorm" in § 2 EGKO nicht unumstritten. Im besagten Protokoll heißt es dazu:
"Zu § 2 beanstandet Abgeordneter Zimmermann
den Ausdruck Rechtsnorm. Abgeordneter von
Vahl und Geheimer Regierungsrat Hagens ma-
chen darauf aufmerksam, daß dieser Ausdruck
in den Einführungsgesetzen zu den übrigen
Justizgesetzen wiederkehre.
Abgeordneter Dr. Goldschmidt bemerkt, daß
unter Rechtsnormen das aus objektiver
Rechtsquelle fließende Recht, also sowohl
Gesetzes- wie Gewohnheitsrecht, zu verste-
hen sei.
§ 2 wird angenommen."
Steht damit insbesondere auch aufgrund der Entstehungsgeschichte des § 2 EGKO fest, daß Rechtsnormen im Sinne von § 2 EGKO nicht nur solche sind, die im formellen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind, so spricht viel dafür, daß ebenso wie für das BGB und die ZPO allgemein anerkannt auch innerhalb der KO Tarifnormen als Gesetze zu behandeln sind. Der Einwand (vgl. etwa Jaeger/Henckel, aaO, § 22 Rz 24; Henckel, EzA § 22 KO Nr. 3), der Gesetzgeber von Konkursordnung und EGKO habe nicht den Tarifvertrag in seine Regelung einbezogen, überzeugt nicht. Auch der Gesetzgeber der ZPO und des BGB hatten noch keine Gelegenheit, sich mit dem Rechtsnormcharakter des zwingenden Teils des Tarifvertrages auseinanderzusetzen. Und dennoch gehören nach nach zutreffender allgemeiner Meinung auch die Rechtsnormen des Tarifvertrages zu den Gesetzen im Sinne von § 12 EGZPO und Art. 2 EGBGB. Der Gesetzgeber von KO und EGKO hat ebenso wie beim BGB und EGBGB sowie ZPO und EGZPO die Grundentscheidung getroffen, daß als Gesetz jede Rechtsnorm gelten solle. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber getroffen, ohne wissen zu können, welche Rechtsnormen zukünftig entstehen würden, etwa welche Verordnungen, Satzungen und welches Gewohnheitsrecht im Jahre 1984 Geltung beanspruchen würden. Wie den Gesetzesmaterialien zum EGKO zu entnehmen ist, hat er dies bewußt getan. Gerade weil er auf diese Weise mit der KO wie dem BGB und der ZPO weitgehend zeitlose Normenkomplexe geschaffen hat, diese Gesetze nicht bestehende Zustände festgeschrieben haben, sondern - wie in der Klausel des § 2 EGKO - der historischen und gesellschaftlichen Dynamik Rechnung getragen haben, haben die Kodifikationen trotz der erheblichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen nach wie vor ohne allzu große substantielle Veränderung Gültigkeit und Aktualität behalten. Auch von daher erscheint es nur folgerichtig, § 2 EGKO in Verbindung mit der Klarstellung in § 1 Abs. 1 TVG, daß die Tarifvertragsbestimmungen über den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen Rechtsnormen sind, zu entnehmen, daß Tarifnormen Gesetze im Sinne der KO und damit tarifvertragliche Kündigungsfristen gesetzliche im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO sind.
2. Hinzu kommt, daß die Formulierung in § 1 Abs. 1 TVG, der Tarifvertrag enthalte Rechtsnormen, gerade im Hinblick auf die Fernwirkung des Tarifvertrags, insbesondere auf § 2 EGKO, gewählt worden ist. Nach Herschel (BB 1984, 987), der an der Vorbereitung des Tarifvertragsgesetzes wesentlich beteiligt war, ist bei der Diskussion des Entwurfs des Tarifvertragsgesetzes mit den Sozialpartnern von ihm und Nipperdey die ausdrückliche Qualifizierung der Tarifvertragsbestimmungen als Rechtsnormen gerade und nur mit der Begründung befürwortet worden, dies erscheine im Hinblick auf § 2 EGKO und entsprechende Vorschriften in anderen Einführungsgesetzen nützlich. Das gleiche habe er als Sprecher der Verwaltung im damaligen Ausschuß für Arbeit dem Abgeordneten Dr. Wellhausen auf die Frage geantwortet, ob es sinnvoll sei, in einem privatrechtlichen Gesetz von der Schaffung von Rechtsnormen zu reden. Das ist eine aufschlußreiche Schilderung der Entstehungsgeschichte und der Bedeutung des § 1 TVG, an der auch die Auslegung des § 22 KO auszurichten ist.
3. Der Senat teilt auch nicht die Bedenken, die Einordnung der Tarifnormen unter die Rechtsnormen des § 2 EGKO sei nicht vereinbar mit Sinn und Zweck von § 22 KO (vgl. Henckel, Anm. zu EzA § 22 KO Nr. 3; Jaeger/Henckel, aaO, § 22 Rz 24; Böhle/Stamschräder/Kilger, aaO, § 22 Anm. 7). Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 TVG bedarf im Hinblick auf die Einordnung der Tarifbestimmungen unter § 2 EGKO zwar der Auslegung. Da dieser auf dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte und dem systematischen Zusammenhang von § 1 Abs. 1 TVG mit § 2 EGKO und § 22 Abs. 1 Satz 2 KO aber eindeutig ist, käme methodisch nur eine teleologische Reduktion in Betracht. Sie würde aber nur dann Platz greifen, wenn der gewählte Ausdruck das überstiege, was wirklich gemeint gewesen ist. Der Wortlaut entspricht jedoch gerade dem, was der Gesetzgeber gewollt hat (vgl. Herschel, aaO).
4. Abgesehen davon widerspricht die Gleichstellung von tarifvertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen auch nicht Sinn und Zweck von § 22 KO.
§ 22 Abs. 1 Satz 2 KO soll im Interesse der Konkursmasse eine allzu lange Bindung an inzwischen nicht mehr sinnvolle Arbeitsverhältnisse verhindern (Grunsky, aaO, S. 15). Wenn der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien die Regelung der Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Kündigungsfristen überläßt, so deshalb, weil er darauf vertraut, daß auf diesem Weg ein auch für die Allgemeinheit interessengerechtes Ergebnis zustande kommt (Grunsky, aaO).
Es ist zwar richtig (vgl. Böhle/Stamschräder/Kilger, aaO, § 22 Anm. 7; Henckel, EzA, aaO), daß in Tarifverträgen nicht der Insolvenzfall und die Interessen der anderen Gläubiger berücksichtigt werden; gleiches gilt indessen auch für die in formellen Gesetzen enthaltenen Kündigungsfristen. Auch diese sind nicht am Insolvenzfall und an den Interessen der Gläubiger, sondern an denen der Arbeitsvertragsparteien orientiert. Es sei nur an die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB bzw. § 2 AngKSchG erinnert. Die Kündigungsfristen in den Tarifverträgen sind in der Regel auch den Kündigungsfristen in den formellen Gesetzen angeglichen. Nur selten sind längere Fristen vereinbart, zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch kürzere. Deshalb hat der Gesetzgeber des Tarifvertragsgesetzes, dem Art. 2 EGKO und § 22 Abs. 1 Satz 2 KO bekannt war, die Interessen der Konkursgläubiger dadurch für hinreichend berücksichtigt halten können, daß längere einzelvertragliche Kündigungsfristen den Konkursverwalter nicht binden. Nur in den Fällen einer einzelvertraglichen Dispositionsmöglichkeit über die Kündigungsfristen besteht die Gefahr der mißbräuchlichen Belastung der Konkursmasse mit bevorrechtigten Konkursforderungen. Wegen der relativ langen Laufzeit der Manteltarifverträge ist es praktisch ausgeschlossen, daß lange tarifvertragliche Kündigungsfristen im Hinblick auf bevorstehende Konkurse vereinbart werden.
5. a) Der Hinweis von Henckel (EzA, aaO), im Tarifvertrag könne nichts vereinbart werden, was der Disposition der tarifgebundenen Arbeitgeber entzogen sei, ist zwar zutreffend, spricht aber nicht gegen die Gleichstellung von tarifvertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen im Rahmen von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO. Henckels Schlußfolgerung, wenn im Tarifvertrag nichts vereinbart werden könne, was der Disposition der tarifgebundenen Arbeitgeber entzogen sei, dann dürfe im Tarifvertrag auch nicht die Kündigungsfrist für den Konkursfall geregelt werden, ist keineswegs zwingend. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Der Disposition des tarifgebundenen Arbeitgebers unterliegen tarifliche Kündigungsnormen deshalb nur während der Tarifverhandlungen, nicht aber nach Inkrafttreten des Tarifvertrages. Die für die Dauer der Tarifverhandlungen bestehende Dispositionsmöglichkeit der Tarifvertragsparteien wiederum führt dazu, daß gegebenenfalls für diese Zeit nur die in formellen Gesetzen enthaltenen Kündigungsfristen als "gesetzliche" Fristen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO gelten. Es ist nicht so, daß die Tarifvertragsparteien gezielt über die Kündigungsfrist im Konkursfalle disponieren; sie stellen vielmehr allgemeingültige, ihr Verhältnis regelnde Normen auf, an die allerdings dann auch der Konkursverwalter als Arbeitgeber gebunden ist.
b) Ein längere Kündigungsfristen normierender Tarifvertrag trifft auch nicht verbindliche Regeln zu Lasten nichttarifgebundener Dritter, nämlich der Konkursgläubiger. Da Tarifverträge nicht für den Fall des Konkurses aufgestellt werden, stellt der Tarifvertrag auch keine unmittelbar für die Konkursgläubiger geltenden Regeln auf. Hingegen scheint es nicht unbillig, wenn sich die Gläubiger des insolventen Arbeitgebers von Gesetz wegen darauf einzustellen haben, daß im Konkurs nicht nur ihre, sondern auch die Interessen der im insolventen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Insoweit ist die Interessenlage keine andere, wenn im Tarifvertrag Löhne und Gehälter vereinbart werden, die letztlich gleichfalls zu Lasten der Konkursgläubiger gezahlt werden. Diese haben, worauf Grunsky (aaO, S. 17 ff.) zutreffend hinweist, das Arbeitsverhältnis nun einmal so hinzunehmen, wie es durch tarifvertragliche Vereinbarung ausgestaltet ist. Der erforderliche I n t e r e s s e n a u s g l e i c h gestaltet sich nach Maßgabe von § 22 Abs. 1 Satz 2 KO.
c) Schließlich wird bei der einseitig an den Interessen der Konkursgläubiger orientierten Auslegung auch der Grundsatz außer acht gelassen, daß eine Ausnahmeregelung, wie sie § 22 Abs. 1 Satz 2 KO für den Konkursfall aufstellt, restriktiv auszulegen ist (vgl. Grunsky, aaO, S. 18).
d) Der Wunsch nach einer einheitlichen Beendigung der Arbeitsverhältnisse im insolventen Betrieb bleibt auch bei Anwendung nur der in formellen Gesetzen enthaltenen Kündigungsregelungen mit ihren je nach Tätigkeit und Betriebszugehörigkeit gestaffelten Fristen eine Illusion. Er scheint deswegen auch als Argument gegen die Berücksichtigung tarifvertraglicher Kündigungsfristen ungeeignet.
6. Gehören demgemäß die tarifvertraglichen zu den gesetzlichen Kündigungsfristen im Sinne von § 22 KO, so folgt daraus allerdings auch, daß der Konkursverwalter ebenso an eine tarifvertragliche Unkündbarkeitsklausel gebunden ist. Unlösbare rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten für die Abwicklung des Konkurses oder unzumutbar hohe Masseschulden ergeben sich daraus jedoch nicht. Sinn und Zweck des tarifvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung ist es, Arbeitnehmern mit einer längeren Betriebszugehörigkeit einen größeren Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes zu geben (KR-Wolf, 2. Aufl., Grunds. Rz 435; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 205 - 206). Dabei wird vorausgesetzt, daß die beiderseitigen Hauptpflichten (Arbeitsleistung, Arbeitsentgelt) erfüllt werden können. Die Unkündbarkeitsklausel hat dagegen nicht den Sinn, die Parteien auch dann noch am Arbeitsvertrag festzuhalten, wenn infolge einer Betriebsstillegung - gleichgültig ob innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens - die Beschäftigung des "unkündbaren" Arbeitnehmers objektiv unmöglich geworden ist. Dann steht dem Arbeitgeber bzw. dem Konkursverwalter das Recht zu, auch die Arbeitsverhältnisse der unkündbaren Arbeitnehmer zu kündigen. Darüber besteht im Grundsatz in Rechtsprechung und Schrifttum Einigkeit, während unterschiedlich beurteilt wird, ob in diesen Fällen eine außerordentliche Kündigung mit oder ohne Auslauffrist oder nur eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (insbes. BAG 2, 214 = AP Nr. 4 und BAG Urteil vom 8. Oktober 1957 - 3 AZR 124/55 - AP Nr. 15 zu § 626 BGB; BAG 5, 20 = AP Nr. 16 zu § 626 BGB; BAG Urteil vom 12. September 1974 - 2 AZR 535/73 - AP Nr. 1 zu § 44 TVAL II; BAG Urteil vom 25. März 1976 - 2 AZR 127/75 - AP Nr. 10 zu § 626 BGB Ausschlußfrist) können auch betriebliche Gründe, wie die völlige oder teilweise Stillegung eines Betriebes beim Ausschluß der ordentlichen dann eine außerordentliche (fristlose) Kündigung rechtfertigen, wenn für den unkündbaren Arbeitnehmer überhaupt keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht. Das ist damit begründet worden, bei einem unkündbaren Arbeitnehmer sei zwar an sich ein besonders strenger Maßstab für den wichtigen Grund anzulegen. Andererseits müsse jedoch berücksichtigt werden, daß dem Arbeitgeber das Durchhalten eines kurzfristigen Vertrages eher zuzumuten sei als eine langfristige Bindung (vgl. auch Herschel, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 44 TVAL II).
Der erkennende Senat hat erhebliche Bedenken, diese Rechtsprechung fortzusetzen. Sie läßt nämlich eine vermeidbare Ausnahme von dem Grundsatz zu, daß der Arbeitgeber generell keine Gründe, die in den Bereich seines Unternehmerrisikos fallen, zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung nehmen darf (vgl. MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 98; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 51; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 64, 120, m.w.N.). Wie sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ergibt, ist der Arbeitgeber beim Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse regelmäßig nur berechtigt, eine ordentliche Kündigung auszusprechen. Das gilt auch für die Stillegung des Betriebes, die geradezu ein klassischer Fall eines berechtigten dringenden betrieblichen Erfordernisses ist. Die Ansicht, das Gewicht des wichtigen Grundes stehe im umgekehrten Verhältnis zur Dauer der Bindung (ablehnend KR-Hillebrecht, aaO, Rz 203- 204), führt zudem bei den altersgesicherten Arbeitnehmern bei einer Kündigung aus betriebsbedingten Gründen dazu, daß sich der ihnen zugedachte Schutz als Nachteil erweist, indem sie ihren Arbeitsplatz früher verlieren würden als die kündbaren Arbeitnehmer, bei denen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist. Zur Lösung des Wertungswiderspruchs zwischen dem Zweck der Unkündbarkeit einerseits und der Auswirkung der längeren Bindung andererseits wird im Schrifttum vorgeschlagen, dem unkündbaren Arbeitnehmer auch bei der außerordentlichen Kündigung einen Anspruch auf Einhaltung der tariflichen oder gesetzlichen Frist zu geben (Güntner, RdA 1974, 160; Staudinger/Neumann, aaO, Rz 111; Weng, DB 1977, 676, 677 - 678; KR-Hillebrecht, aaO, Rz 205 - 206; vgl. auch Herschel, aaO) oder den Arbeitgeber bei einem "in seiner Person liegenden" Grund trotz Ausschlusses der Kündbarkeit auf eine ordentliche Kündigung zu verweisen (Schwerdtner, aaO, Rz 17).
Diese Lösungen mögen zwar zu sachgerechteren Ergebnissen führen als die Erleichterung der außerordentlichen Kündigung zum Nachteil der unkündbaren Arbeitnehmer. Sie erscheinen aber dogmatisch nicht hinreichend abgesichert. Der Senat hält es deswegen für naheliegender, eine Rechtsanalogie zu § 15 Abs. 4 KSchG anzunehmen.
Nach § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG ist die ordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats und anderer betriebsverfassungsrechtlicher Organe ausgeschlossen. Wird aber ein Betrieb stillgelegt, ist nach § 15 Abs. 4 KSchG die Kündigung zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig. Wenn auch das Motiv für den Ausschluß der ordentlichen Kündigung in § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG und in den Tarifverträgen unterschiedlich ist, so ist doch die Interessenlage beider Arbeitnehmergruppen im Falle der Betriebsstillegung vergleichbar. Aus diesem Grunde erscheint es gerechtfertigt, die Regelung des § 15 Abs. 4 KSchG auf die Arbeitnehmer zu übertragen, denen der Arbeitgeber aufgrund Tarifvertrags nicht ordentlich kündigen darf.
C. War nach allem die Revision zurückzuweisen, folgt die Kostenentscheidung aus § 97 ZPO.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Walter Sickert Ramdohr
Fundstellen
Haufe-Index 438112 |
BAGE 46, 206-218 (LT1-2) |
BAGE, 206 |
BB 1985, 591-592 (LT1-2) |
DB 1985, 235-237 (LT1-2) |
NJW 1985, 1238 |
NJW 1985, 1238-1240 (LT1-2) |
BlStSozArbR 1985, 132-132 (T) |
JR 1986, 44 |
KTS 1985, 103-109 (LT2, OT1) |
NZA 1984, 188 |
NZA 1985, 121-124 (LT1-2) |
SAE 1985, 308-312 (LT1-2) |
ZIP 1984, 1517 |
ZIP 1984, 1517-1521 (LT1-2) |
AP § 22 KO (LT1-2), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 1010.9 Nr 64 (T) |
AR-Blattei, Kündigung IX Entsch 64 (T) |
EzA § 22 KO, Nr 4 (LT1-2) |
MDR 1985, 258-258 (LT1-2) |
ZfA 1985, 542-543 (T) |