Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Urlaubsabgeltungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Die Erfüllung eines mit Ausscheiden des Arbeitnehmers entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruches nach § 9 Nr 3 Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30.04.1980 ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer vor dem 31. März des Folgejahres nicht wieder arbeitsfähig wird (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).
Normenkette
TVG § 1; BUrlG §§ 3-4, 7-9, 1, 13
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 31.01.1983; Aktenzeichen 2 Sa 1103/82) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 26.08.1982; Aktenzeichen 11 Ca 5341/82) |
Tatbestand
Der am 2. April 1926 geborene, schwerbehinderte Kläger war vom 14. April 1969 bis zum 24. Mai 1982 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er war vom 9. Mai 1980 bis zum 15. September 1981 arbeitsunfähig krank und unterzog sich sodann einer Rehabilitationsmaßnahme. Seit dem 14. Januar 1982 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Für die tarifgebundenen Parteien gilt der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV).
§ 10 Nr. 8 MTV lautet:
"Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach
Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß
er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß
Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen
Krankheit nicht genommen werden konnte."
Der Kläger hat am 29. Juni 1982 Klage auf Urlaubsabgeltung in rechnerisch unstreitiger Höhe von 5.328,48 DM erhoben.
Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 5.328,48 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsziel weiter; der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu folgen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gegen die Beklagte. Der mit Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers sowie dessen anschließender Erwerbsunfähigkeit nicht mehr erfüllbar und jedenfalls seit dem 31. März 1983 erloschen.
1. a) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von § 10 Nr. 8 MTV ausgegangen. Danach geht der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres unter, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist, es sei denn, der Urlaubsanspruch ist bis dahin erfolglos geltend gemacht worden, konnte aus betrieblichen Gründen oder - wie hier - wegen Krankheit nicht genommen werden. In diesen Ausnahmefällen besteht der Urlaubsanspruch fort, ohne daß die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG vorliegen müssen. Eine zeitliche Grenze für die Inanspruchnahme auch des fortbestehenden Urlaubs setzt § 10 Nr. 8 MTV dadurch, daß der noch nicht gewährte Urlaub aus dem Vorjahr zu dem Urlaubsanspruch des laufenden Kalenderjahres hinzutritt und ebenso wie dieser vor Ablauf der ersten drei Monate des Folgejahres genommen werden muß. Dauert das Leistungshindernis bis zum Ablauf dieser Zeitspanne an oder tritt ein neues an dessen Stelle (betriebliche Gründe, krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder Nichtgewährung des Urlaubs trotz rechtzeitiger Geltendmachung), bleibt der Urlaubsanspruch weiterhin erhalten. Der Urlaubsanspruch erlischt auch dann nach § 10 Nr. 8 MTV mit Ablauf des 31. März des Folgejahres.
b) Dem Landesarbeitsgericht ist weiterhin auch darin zu folgen, wenn es § 10 Nr. 8 MTV als von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, zulässige Tarifregelung ansieht. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BUrlG räumt den Tarifvertragsparteien mit wenigen Ausnahmen das Recht ein, von den gesetzlichen Urlaubsbestimmungen abzuweichen. Das zeitlich spätere Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach § 10 Nr. 8 MTV erweist sich im Vergleich zur gesetzlichen Regelung als günstiger für den Arbeitnehmer. Gegen die tarifliche Gestaltung bestehen daher keine rechtlichen Bedenken.
c) Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht abgelehnt, dem sogenannten "Grundsatz der strengen Bindung des Urlaubsanspruchs an das Kalenderjahr" Bedeutung für den hier zu entscheidenden Fall beizumessen. Einen solchen für die Auslegung von Urlaubsansprüchen maßgeblichen Auslegungsgrundsatz gibt es nicht. Jeder Urlaubsanspruch besteht entsprechend den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen. Damit hängt seine Existenz zunächst von den für ihn maßgeblichen gesetzlichen, tarif- oder einzelvertraglichen Entstehungstatbeständen ab, aus denen regelmäßig auch die Dauer des Anspruchs zu entnehmen ist. Eine "strenge" Bindung des Urlaubs an das Kalenderjahr kann dem Bundesurlaubsgesetz nicht entnommen werden: Nach § 7 Abs. 3 BUrlG besteht der Urlaubsanspruch des abgelaufenen Kalenderjahres auch noch im darauffolgenden Kalendervierteljahr, wenn er vorher aus den in § 7 Abs. 3 BUrlG genannten Gründen nicht hatte gewährt werden können. Die Behauptung des Grundsatzes einer "strengen Bindung" ist auch mit der in § 13 BUrlG geregelten Möglichkeit nicht zu vereinbaren, durch Tarifverträge die in § 7 Abs. 3 BUrlG enthaltene Befristung zu erweitern, wie dies z. B. in § 10 Nr. 8 MTV geschehen ist. Schließlich wird diese Auffassung den Leistungsstörungsregelungen nicht gerecht. Hat ein Arbeitgeber den Urlaubsanspruch nicht gewährt, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, bleibt er u. U. weit über die gesetzliche oder tarifliche Befristung des Anspruchs hinaus zur Leistung verpflichtet (vgl. z. B. Urteil des erkennenden Senats vom 5. September 1985 - 6 AZR 86/82 - zur Veröffentlichung bestimmt sowie vom 7. November 1985 - 6 AZR 169/84 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Die Revision der Beklagten beruft sich für ihre gegenteilige Rechtsansicht zu Unrecht auf die Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Juni 1969 (- 5 AZR 393/68 - AP Nr. 1 zu § 7 BUrlG Urlaubsjahr) und vom 13. November 1969 (- 5 AZR 82/69 - AP Nr. 2 zu § 7 BUrlG Übertragung). Sie sieht die nach ihrer Auffassung von den Tarifvertragsparteien beabsichtigte enge zeitliche Verknüpfung der Erholung von geleisteter Arbeit durch Urlaubsgewährung in § 9 Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 MTV enthalten. Daher sei § 10 Nr. 8 MTV als tarifliche Ausnahmeregelung zur Ausnahmebestimmung des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG in der Weise restriktiv auszulegen, daß eine Übertragung des Urlaubs allenfalls auf das nächste, nicht jedoch auf das übernächste Jahr erfolgen dürfe.
aa) Die Revision übersieht damit, daß der früher für Urlaubsrecht zuständige Fünfte Senat sich in den angegebenen Entscheidungen nur mit der gesetzlichen Regelung im Bundesurlaubsgesetz auseinandergesetzt, die Frage der "strengen Bindung des Urlaubs an das Kalenderjahr" bei abweichenden tariflichen Regelungen aber ausdrücklich offengelassen (BAG vom 17. Januar 1974 - 5 AZR 380/73 - AP Nr. 3 zu § 1 BUrlG, zu 1 der Gründe; ebenso BAG vom 3. Februar 1971, BAG 23, 184, 191 ff. = AP Nr. 9 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu B a der Gründe) und im übrigen hervorgehoben hat, daß die für den Urlaub bestehenden gesetzlichen Übertragungsbedingungen durch tarifvertragliche Regelungen grundsätzlich abdingbar sind. Dies gelte auch für den Fall, daß lang andauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers die zeitgerechte Durchführung des Urlaubs verhindere (BAG vom 21. Juli 1973 - 5 AZR 105/73 - AP Nr. 3 zu § 7 BUrlG Übertragung). Die grundsätzliche Bindung des gesetzlichen Urlaubs an das Kalenderjahr (erkennender Senat vom 13. Mai 1982, BAG 39, 53 = AP Nr. 4 zu § 7 BUrlG Übertragung) ändert nichts an der Tarifdispositivität der dafür maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung in § 7 Abs. 3 BUrlG.
bb) Der Revision kann auch darin nicht zugestimmt werden, daß der Urlaubsanspruch nach § 10 Nr. 8 MTV nicht in das übernächste Jahr übertragen werden dürfe, sondern mit Ablauf des Folgejahres, also am 31. Dezember, erlischt.
Für diese Auffassung gibt es keinen Anhaltspunkt im MTV. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß mit der Übertragung i. S. des MTV der übertragene Urlaub unter den gleichen Voraussetzungen zu gewähren ist wie der Tarifurlaub im laufenden Jahr. Damit unterliegt auch der übertragene Urlaubsanspruch der sich nach § 10 Nr. 8 MTV ergebenden Befristung. Nur wenn erneut die Erfüllung des Urlaubs aus den in § 10 Nr. 8 MTV genannten Gründen scheitert, kann es zu einer weiteren Übertragung des Urlaubs kommen, anderenfalls erlischt er nach § 10 Nr. 8 MTV drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres. Ist der übertragene Urlaub damit ebenso zu behandeln wie der im Kalenderjahr entstandene Urlaubsanspruch, ist nicht zu erkennen, aus welchem Grund er bereits am 31. Dezember des Folgejahres erlöschen sollte.
2. Der Kläger konnte wegen anhaltender, Arbeitsunfähigkeit bedingender Krankheit und anschließender Rehabilitationsmaßnahmen bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses im Jahre 1982 den Urlaubsanspruch aus dem Jahre 1980 nicht nehmen. Damit bestand dieser kraft tariflicher Regelung (§ 10 Nr. 8 MTV) über 1981 hinaus fort und war auch im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis am 24. Mai 1982 nicht erloschen. Die Rehabilitationsmaßnahmen haben die Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht behoben, so daß er seit 14. Januar 1982 wegen Erwerbsunfähigkeit eine Rente bezieht. Mit dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis am 24. Mai 1982 ist gemäß § 9 Nr. 3 Abs. 1 MTV ein Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung getreten.
3. Dennoch hat die Revision der Beklagten Erfolg. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Erfüllbarkeit dieses Abgeltungsanspruchs trotz der weiterbestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bejaht.
Zwar entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, er ist jedoch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nicht mehr erfüllbar (Urteile des erkennenden Senats vom 28. Juni 1984, BAG 46, 224 und vom 7. März 1985 - 6 AZR 334/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die tarifliche Abgeltungspflicht des Arbeitgebers nach § 9 Nr. 3 Abs. 1 MTV knüpft wie § 7 Abs. 4 BUrlG an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Von nun an können Arbeitspflichten ungeachtet der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch Urlaubsgewährung nicht mehr suspendiert werden. Dennoch soll nach § 9 Nr. 3 MTV und § 7 Abs. 4 BUrlG der Arbeitnehmer so gestellt werden, als würde die Arbeitspflicht durch Urlaubserteilung suspendiert werden können. Zu diesem Zweck erhält der Arbeitnehmer trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Abgeltung das Arbeitsentgelt (hier Urlaubsvergütung nach § 12 MTV) weiter für eine fiktive Arbeitszeit, die der ihm als Urlaub zu gewährenden Freizeit entspricht. Der Abgeltungsanspruch besteht deshalb unter denselben Voraussetzungen wie der Urlaubsanspruch und endet, wenn er nicht erfüllt werden kann, spätestens drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist (§ 10 Nr. 8 MTV).
Setzt sich - wie hier - die Arbeitsunfähigkeit nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis fort, so kann der Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers ebenso wie der Urlaubsanspruch bei bestehendem Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt werden. Da der Kläger im Anschluß an die Arbeitsunfähigkeit dauernd erwerbsunfähig geworden ist, bleibt damit die Erfüllbarkeit der Abgeltung fortwährend unmöglich und ausgeschlossen. Der Abgeltungsanspruch ist somit jedenfalls am 31. März 1983 nach § 10 Nr. 8 MTV erloschen (vgl. ebenso Urteile des erkennenden Senats vom 23. Juni 1983, BAG 44, 75 sowie vom 28. Juni 1984, BAG 46, 224 und vom 7. März 1985 aaO).
Dr. Auffarth Dr. Jobs Dr. Leinemann
Dr. Martin Carl
Fundstellen
Haufe-Index 440660 |
BAGE 50, 107-112 (LT) |
BAGE, 107 |
DB 1986, 973-975 (LT1) |
NZA 1986, 391-392 (LT1) |
RdA 1986, 135 |
AP § 7 BUrlG Abgeltung (LT1), Nr 24 |
EzA § 7 BUrlG, Nr 39 (LT1) |