Entscheidungsstichwort (Thema)
Abbau einer Überversorgung durch mehrere Maßnahmen
Leitsatz (amtlich)
Haben die Arbeitsvertragsparteien zur Vermeidung einer zusätzlichen Überversorgung vereinbart, daß eine neu gewährte übertarifliche Zulage abweichend von der Versorgungsordnung nicht zum ruhegeldfähigen Gehalt zählt, so steht dem Arbeitgeber nur noch wegen der verbleibenden Überversorgung ein Anpassungsrecht zu. Wenn er später die Überversorgung durch Absenkung der Gesamtversorgungsobergrenze vollständig abbaut und bei der Festsetzung der neuen Prozentsätze die bereits vereinbarte Eindämmung der Überversorgung unberücksichtigt läßt, muß er auch die übertarifliche Zulage wieder zum pensionsfähigen Gehalt rechnen.
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 28. April 1998 – 9 Sa 233/97 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten noch darüber, ob die Beklagte eine übertarifliche Zulage in Höhe von 300,00 DM in die Berechnung der Betriebsrente einbeziehen muß.
Der im Jahre 1935 geborene Kläger war von 1950 bis 31. Dezember 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Sie hatte im Jahre 1951 eine betriebliche Altersversorgung eingeführt. Zuletzt galten die Richtlinien vom 6. Mai 1968 (RL 68). Sie enthielten Gesamtversorgungsobergrenzen. Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren durften die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung insgesamt nur 65 % des letzten Grundgehalts betragen. Dieser Prozentsatz erhöhte sich für jedes weitere Dienstjahr um 0,75 % bis zu höchstens 80 % bei 45 Dienstjahren. Zum 31. Dezember 1973 schloß die Beklagte dieses Versorgungswerk für neu eintretende Arbeitnehmer. Für sie wurden ungünstigere Versorgungsregelungen geschaffen. Die vorher eingestellten Arbeitnehmer erhielten ihre Altersversorgung weiterhin nach den RL 68. Die Beklagte wies den Betriebsrat darauf hin, daß durch die zwischenzeitliche Entwicklung der Steuern und Sozialversicherungsabgaben eine Überversorgung eingetreten sei, und versuchte mehrfach, im Einvernehmen mit ihm die Gesamtversorgungsobergrenzen entsprechend der Entwicklung der Nettoarbeitseinkommen abzuändern. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung. Daraufhin wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 30. Januar 1990 an die Arbeitnehmer, für die noch die RL 68 galt. Ihnen wurde mitgeteilt, daß die Beklagte nicht bereit sei, die aus den neuen übertariflichen Zulagen entstehenden Versorgungslasten zusätzlich zur vorhandenen Überversorgung zu übernehmen. Die nach der RL 68 versorgungsberechtigten Arbeitnehmer wurden gebeten zuzustimmen, daß die ab 1. Januar 1990 neu gewährten übertariflichen Zulagen nicht zum pensionsfähigen Einkommen gehören. Der Kläger gab am 19. März 1990 seine schriftliche Einverständniserklärung ab.
Auf Antrag der Beklagten setzte das Arbeitsgericht Köln wegen des Abbaus der Überversorgung eine Einigungsstelle ein. Diese beschloß am 4. Dezember 1993 Abschnitt VIII B Nr. 2 Buchst. a RL 68 wie folgt zu ändern:
„Die Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Versorgung werden durch Kürzung der Betriebsrente wie folgt begrenzt:
Bei einer Dienstzeit bis zu 25 Jahren auf 59 des letzten Grundgehalts. Für jedes weitere Dienstjahr erhöht sich dieser Prozentsatz um 0,6 % bis zu höchstens 71 % bei 45 Dienstjahren. Bezüge der Angestellten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf freiwilliger Weiterversicherung beruhen, bleiben unberücksichtigt.”
Die Beklagte berief sich auch gegenüber den bei Erlaß des Einigungsstellenspruchs bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern auf dessen Inhalt. Sie berücksichtigte die dem Kläger seit dem 1. Januar 1990 zustehende übertarifliche Zulage von 300,00 DM bei der Berechnung der Betriebsrente nicht und zahlte ihm ab Eintritt des Versorgungsfalls monatlich 1.255,00 DM. Seine Betriebsrente erhöht sich um monatlich 194,00 DM, wenn die übertarifliche Zulage zum maßgeblichen Gehalt zählt.
Der Kläger hat gemeint, ihm stehe dieser Differenzbetrag zu, obwohl er am 19. März 1990 zugestimmt habe, daß die seit 1. Januar 1990 neu gewährte übertarifliche Zulage nicht zum pensionsfähigen Einkommen rechne. Durch den Einigungsstellenspruch sei die bisher bestehende Überversorgung beseitigt worden. Damit sei die Geschäftsgrundlage für die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung zur Herausnahme der übertariflichen Zulage aus dem pensionsfähigen Einkommen weggefallen.
Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn zu zahlen
- restliches Ruhegehalt in Höhe von 1.164,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1996,
- weitere 2.522,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Mai 1997,
- ab dem Monat Mai 1997 eine Betriebsrente in Höhe von 1.449,00 DM.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Gesamtversorgungsobergrenze komme es auf das zwischen den Parteien vereinbarte pensionsfähige Einkommen an. Mit der Vereinbarung, daß die ab 1. Januar 1990 gewährte übertarifliche Zulage nicht zum pensionsfähigen Einkommen zähle, sei der Inhalt der Versorgungszusage geändert worden. Die Geschäftsgrundlage für diesen Änderungsvertrag sei nicht weggefallen. Es spiele keine Rolle, daß die Gesamtversorgungsobergrenzen wegen der eingetretenen Überversorgung abgesenkt worden seien. Die Anpassung der Gesamtversorgungsobergrenzen an die veränderten Umstände habe zwar dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen müssen. In diesem Zusammenhang sei aber die neu gewährte übertarifliche Zulage nicht zu berücksichtigen, weil sie nach den getroffenen Vereinbarungen nicht zum pensionsfähigen Einkommen zähle.
Der Kläger hatte sich zunächst auch gegen die Absenkung der Gesamtversorgungsobergrenzen gewandt. Das Arbeitsgericht hat seine Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem noch anhängigen Klageantrag stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Der Kläger hat seine gegen die teilweise Klageabweisung eingelegte Revision zurückgenommen. Die Beklagte möchte mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Versorgungsanspruch zu. Die Beklagte ist nicht berechtigt, bei der Berechnung der Betriebsrente die übertarifliche Zulage als nicht pensionsfähiges Einkommen unberücksichtigt zu lassen und auf die so abgesenkte Betriebsrente die im Spruch der Einigungsstelle festgelegten neuen Prozentsätze der Gesamtversorgungsobergrenze anzuwenden. Bemessungsgrundlage der geänderten Gesamtversorgungsobergrenzen sind alle nach der RL 68 maßgeblichen Gehaltsbestandteile.
1. Die Parteien hatten zwar vereinbart, daß die ab 1. Januar 1990 neu gewährte übertarifliche Zulage nicht zum pensionsfähigen Einkommen zähle. Diese Abrede diente aber nicht dazu, das bisherige Versorgungsniveau abzusenken. Sie sollte lediglich ein weiteres Anwachsen der Überversorgung verhindern(vgl. dazu auch BAG 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 276).
a) Mit Schreiben vom 19. März 1990 nahm der Kläger das Änderungsangebot der Beklagten vom 30. Januar 1990 an, die neue übertarifliche Zulage aus dem pensionsfähigen Einkommen herauszunehmen. Damals galten noch die ursprünglichen Gesamtversorgungsobergrenzen der RL 68. Die zwischenzeitliche Entwicklung der Steuern und Sozialversicherungsabgaben hatten jedoch zu einer planwidrigen Überversorgung geführt(vgl. dazu BAG 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 267 ff.). Die Beklagte wies in ihrem Schreiben vom 30. Januar 1990 auf diese Entwicklung hin und erklärte, daß sie die durch eine künftige übertarifliche Zulage entstehende „zusätzliche” Betriebsrentenbelastung nicht übernehmen wolle. Nach Inhalt und Aufbau des Schreibens mußten die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer davon ausgehen, daß zwischen der bestehenden Überversorgung und der Einschränkung des pensionsfähigen Einkommens ein untrennbarer Zusammenhang bestand. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, daß die Briefaktion vom 30. Januar 1990 ausschließlich die Vermeidung zusätzlicher Überversorgungen aus neu zu gewährenden übertariflichen Zulagen zum Ziel und zum Inhalt hatte.
b) Die Überversorgung konnte auf verschiedenen Wegen abgebaut werden. Zum einen konnte der Prozentsatz der Gesamtversorgungsobergrenzen abgesenkt werden. Diesen Weg beschritt später die Einigungsstelle. Zum anderen konnte die Bemessungsgrundlage durch Nichtberücksichtigung von Gehaltsbestandteilen verringert werden. So ging die Beklagte im Jahre 1990 mit Einverständnis des Betriebsrats vor, indem sie mit den versorgungsberechtigten Arbeitnehmern entsprechende Vereinbarungen abschloß. Im Schreiben vom 30. Januar 1990 hob die Beklagte hervor, daß sie angesichts der Überversorgung und „im Hinblick auf die vorhandene gute Versorgung” keine „zusätzliche Belastung” übernehmen wolle. Damit hat die Beklagte deutlich zum Ausdruck gebracht, daß der von der RL 68 ursprünglich angestrebte Versorgungsstandard unangetastet bleiben und nur die Überversorgung eingedämmt werden soll.
2. Die Vereinbarung, die neu gewährte übertarifliche Zulage nicht mehr zum pensionsfähigen Einkommen zu zählen, reichte für einen vollständigen Abbau der Überversorgung nicht aus. Durch die im Jahre 1990 geschlossenen Vereinbarungen hatte die Beklagte zwar nicht ihr Recht verloren, die Versorgungsordnung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage den veränderten Verhältnissen anzupassen(BAG 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 275 f.). Bei der Ausübung ihres Anpassungsrechts mußte sie sich aber auf den Abbau der noch bestehenden Überversorgung beschränken. Zu anderweitigen Korrekturen der Versorgungsleistungen war sie nicht berechtigt. Der Eingriff durfte nicht über das sachlich Gebotene hinausgehen(vgl. BAG 9. April 1991 – 3 AZR 598/89 – BAGE 67, 385, 394; 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 272 f.).
a) Der Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen einer planwidrigen Überversorgung löst ein Anpassungsrecht des Arbeitgebers aus. Es besteht auch gegenüber den mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmern(BAG 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 272). Die Beklagte war nicht gehindert, ihnen gegenüber die Anpassungsregelungen des Spruchs der Einigungsstelle vom 4. Dezember 1993 zu übernehmen(BAG 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 271 f.).
b) Die Einigungsstelle hat lediglich die für die Gesamtversorgungsobergrenze maßgeblichen Prozentsätze abgesenkt. Das pensionsfähige Gehalt sollte sich unverändert nach der RL 68 richten. Nach Abschnitt VIII B Nr. 1 Buchst. a kommt es auf das letzte Grundgehalt an, wobei zum Grundgehalt alle „regelmäßigen monatlichen Bezüge” zählen, „jedoch nicht fallweise bezahlte Überstunden, Sondervergütungen, Abschlußvergütungen, Weihnachtsvergütungen und ähnlich nicht regelmäßige Bezüge”. Die dem Kläger zugesagte übertarifliche Zulage von monatlich 300,00 DM gehört nach diesen Kriterien zu dem nach der RL 68 maßgeblichen Grundgehalt.
c) Das Anpassungsrecht der Beklagten rechtfertigte es nicht, zum Abbau der Überversorgung die Bemessungsgrundlage einzuschränken und auf die bereits abgesenkte Betriebsrente die von der Einigungsstelle festgelegten neuen Gesamtversorgungsobergrenzen anzuwenden. Dies ginge über den Abbau der planwidrigen Überversorgung hinaus.
aa) Ob und inwieweit eine planwidrige Überversorgung vorliegt, hängt von dem in der RL 68 angestrebten Versorgungsniveau ab(BAG 28. Juli 1998 – 3 AZR 100/98 – BAGE 89, 262, 267 ff.). Die im Jahre 1990 geschlossene Vereinbarung sollte dieses Versorgungsniveau nicht absenken, sondern die eingetretene Überversorgung eindämmen. Die Beklagte durfte anschließend zwar die noch verbliebene Überversorgung abbauen. Weitergehende Eingriffe verstießen aber gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und waren unwirksam.
bb) Die Beklagte hätte die bereits vollzogene Eindämmung der Überversorgung durch eine geringere Absenkung der Gesamtversorgungsobergrenzen berücksichtigen können. Statt dessen hat sie die Gesamtversorgungsobergrenzen um den Prozentsatz abgesenkt, der sich ohne die frühere Teillösung ergab. Dem Übermaßverbot ist dadurch Rechnung zu tragen, daß bei der Berechnung der Gesamtversorgungsobergrenzen wieder die ursprüngliche Definition des ruhegehaltsfähigen Gehalts der RL 68 angewandt wird. Diese Lösung entspricht dem zum Ausdruck gebrachten Willen der Beklagten. Sie hat für alle Versorgungsberechtigten einheitliche Gesamtversorgungsobergrenzen geschaffen und sich dadurch die Abwicklung der betrieblichen Altersversorgung erleichtert. Die neuen Gesamtversorgungsobergrenzen dienten der Wiederherstellung des ursprünglichen Versorgungsgrades. Der frühere teilweise Abbau der Überversorgung wird durch den nachfolgenden vollständigen aufgesogen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 5 ArbGG, § 97 Abs. 1, § 566 in Verbindung mit § 515 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Kremhelmer zugleich für den wegen Urlaubs an der Unterschrift verhinderten Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Reinecke, Bepler, Born, Reissner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.11.1999 durch Kaufhold, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 537451 |
DB 2001, 440 |
NWB 2000, 3637 |
FA 2000, 326 |
NZA 2001, 98 |
SAE 2001, 31 |
AP, 0 |
VersR 2001, 399 |