Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Asphaltabfräsarbeiten; Abbrucharbeiten. Tarifauslegung
Orientierungssatz
- Asphaltabfräsarbeiten sind keine Straßenbauarbeiten, sondern Abbrucharbeiten, wenn sie Teil der Beseitigung einer Straße bis zum gewachsenen Boden sind.
- Dies gilt auch dann, wenn die Beseitigung der übrigen Straßenschichten durch andere Unternehmen ausgeführt und wenn anschließend auf der noch vorhandenen Trasse eine neue Straße gebaut wird.
Normenkette
Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) § 1 Abs. 2 Abschn. V Nrn. 29, 32; VTV § 1 Abs. 2 Abschn. V Nrn. 29, 32; AVE vom 9. Februar 1996 Erster Teil A II und vom 17. Januar 2000 Erster Teil III Nr. 5
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche der Klägerin nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes für den Zeitraum Juli bis Oktober 1999 sowie April bis August 2000.
Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Der Beklagte, der nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes des Baugewerbes ist, unterhält seit Betriebsgründung im Jahre 1995 einen Betrieb, in dem von den Arbeitnehmern unter Einsatz von Asphalttiefenfräsen mit Fräswalzenbreiten bis zu einem Meter und einer Frästiefe bis zu 32 cm überwiegend Asphaltschichten von Straßen in Gänze oder teilweise abgefräst werden. Die Abtragung der unter der Asphaltfläche liegenden Frostschutzschicht wird nicht vom Betrieb des Beklagten, sondern von anderen Unternehmen mittels Baggern durchgeführt. Am anschließenden Neuaufbau der Straße ist der Beklagte nicht beteiligt.
Die Klägerin hat in zwei vom Berufungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen die Ansicht vertreten, beim Betrieb des Beklagten handle es sich im Klagezeitraum um einen baugewerblichen Betrieb im tariflichen Sinne, weil das Abfräsen von Straßen- und Betonbelägen eine bauliche Leistung sei. Als Abbrucharbeiten könnten derartige Arbeiten nicht eingeordnet werden, weil es sich bei den Fräsarbeiten um Vorbereitungsarbeiten für den Straßenbau handle. Das Abfräsen sei eine Tätigkeit, die zur Reparatur von Straßen erforderlich sei. Die Eigenschaft als Straße bleibe dabei erhalten. Entsprechend schulde der Beklagte zum einen die nach Überweisungen von Erstattungsbeträgen zugunsten des Beklagtenkontos noch ausstehenden vollen Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer für Juli bis September 1999 und April 2000 sowie Restbeiträge für Oktober 1999 und Mai 2000 iHv. 31.465,76 DM, die Angestelltenbeiträge für Juni bis Oktober 1999 sowie April und Mai 2000 iHv. 425,95 DM, ferner die vollen Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer für die Monate Juni und August 2000 und einen Restbetrag für Juli 2000 iHv. 20.329,99 DM, schließlich die Beiträge für Angestellte für die Monate Juni bis August 2000 iHv. 182,55 DM.
Die Klägerin hat beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 31.891,71 DM zu zahlen,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 20.512,54 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, er schulde die verlangten Beiträge deshalb nicht, weil es sich bei den von seinem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend durchgeführten Arbeiten um Abbrucharbeiten handele und sein Betrieb deshalb von der Allgemeinverbindlicherklärung der Bautarifverträge ausgenommen sei. Auf den Gesamtabbau von Straßen entfielen 70 % der Arbeitszeit. Dabei würden von seinem Betrieb nur die Asphaltschichten abgefräst, während die darunter liegende Frostschutzschicht von anderen Unternehmen bis zum gewachsenen Boden abgetragen werde.
Das Arbeitsgericht hat die Klageanträge abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihnen stattgegeben und den Beklagten demgemäß zur Zahlung von 26.793,87 Euro verurteilt. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der Urteile des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Für seinen Betrieb greifen die Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärungen des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV).
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte schulde die der Höhe nach unstreitigen Beiträge gemäß dem VTV in der jeweiligen für die streitbefangenen Zeiträume einschlägigen Fassung. Das im Betrieb des Beklagten arbeitszeitlich überwiegend ausgeführte Abfräsen der Asphaltbeläge von Straßen zähle nicht zu den von der Allgemeinverbindlicherklärung ausgenommenen Abbrucharbeiten gemäß § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV, weil es nicht zum Substanzverlust, dh. zur vollständigen Beseitigung der Straßen oder von Straßenteilflächen führe, sondern lediglich zum Abtragen der Fahrbahndecke, also eines Teils des Oberbaus der Straße. Bei den Abfräsarbeiten handle es sich, wenn nicht um Straßenbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV, jedenfalls um sonstige bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV.
Dem folgt der Senat nicht.
1. Auszugehen ist vom VTV in den einschlägigen Fassungen vom 26. Mai 1999 bzw. vom 20. Dezember 1999. Gemäß § 1 Abs. 2 VTV findet der Tarifvertrag auf Betriebe des Baugewerbes Anwendung. Zu diesen gehören gem. § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV ua. Betriebe, in denen Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten (Nr. 29) oder Straßenbauarbeiten (Nr. 32) ausgeführt werden. Gem. § 1 Abs. 2 Abschn. VI VTV fallen Betriebe, soweit in ihnen solche Leistungen überwiegend erbracht werden, grundsätzlich als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Allerdings sind Betriebe, die Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten ausführen, gemäß dem Ersten Teil A II der Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung vom 9. Februar 1996 von dieser nur erfaßt, wenn ihre Leistungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen in den Betrieben in erheblichem Umfang anfallenden baulichen Leistungen stehen, bzw. sie werden gemäß dem Ersten Teil III Nr. 5 der Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung vom 17. Januar 2000 von dieser ausgenommen, soweit ihre Leistungen nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit anderen in den Betrieben in erheblichem Umfang anfallenden baulichen Leistungen stehen.
2. Nach der Rechtsprechung des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts (28. März 1990 – 4 AZR 615/89 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 130), auf die sich beide Parteien berufen, fällt der Abbruch von Straßen nicht unter den Begriff der Straßenbauarbeiten. Abbrucharbeiten liegen vor, wenn die entsprechenden Arbeiten zum Substanzverlust, dh. zur vollständigen oder wenigstens teilweisen Beseitigung eines Bauwerks bzw. Bauwerksteils führen. Begriffswesentlich für Abbrucharbeiten ist nämlich, daß durch sie Bauwerke oder Teile davon in ihrer Substanz und damit auch in ihrer Funktion beseitigt werden. Soweit befestigte Straßen durch Zertrümmern oder Abfräsen aller Straßendecken bzw. -beläge bis auf die Bodenschicht abgebaut werden, handelt es sich also um Abbrucharbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV. Daß die Straßen möglicherweise auf den noch vorhandenen Trassen später wieder neu gebaut werden können, steht der Annahme eines Abbruchs nicht entgegen. Auch beim Abriß eines Gebäudes kann anschließend – was die Regel sein wird – an gleicher Stelle ein Neubau errichtet werden (BAG aaO). Ebenso handelt es sich bei einem Rückbau von Straßen um Abbrucharbeiten, wenn dabei eine Straße durch Verkleinerung (Verengung) teilweise beseitigt und die entfernten Teile ihrer Funktion als Straße beraubt werden (BAG aaO).
Keinen Abbruch stellt demgegenüber das völlige oder teilweise Abfräsen der Asphaltdecke einer Straße dann dar, wenn die Tragschicht der Straße erhalten bleibt und diese anschließend neu beschichtet wird. In diesen Fällen verliert die Straße weder ihre Substanz noch ihre Funktion vollständig, vielmehr handelt es sich bei den Abfräsarbeiten um bloße Vorarbeiten zur Reparatur der Straße und damit um Straßenbauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 VTV. Dabei ist unerheblich, daß die Straße in dieser Zeit nicht in ihrem vollen bestimmungsgemäßen Gebrauch benutzt werden kann (BAG aaO).
Dieser schon aus dem Wortlaut der Nr. 29 und der Nr. 32 des Abschnitts V des § 1 Abs. 2 VTV folgenden Differenzierung schließt sich der erkennende Senat an.
3. Mit Recht macht der Beklagte geltend, daß es bei der genannten Differenzierung nicht darauf ankommt, ob die Arbeiten von ein und demselben Betrieb oder arbeitsteilig von mehreren Betrieben erbracht werden. Auch wenn zwei Betriebe derart arbeitsteilig zusammenarbeiten, daß der eine nur die Teerdecke der Straße abfräst und der andere mittels Baggern die Frostschutzschicht und die weiteren Straßenschichten bis zum gewachsenen Boden abträgt, handelt es sich insgesamt um Abbrucharbeiten, selbst wenn danach auf der vorhandenen Trasse eine neue Straße gebaut wird.
4. Vorliegend entfielen in den streitbefangenen Zeiträumen von den im Betrieb des Beklagten geleisteten Arbeiten unbestritten 80 % auf das Abfräsen von Straßen- und Bodenbelägen und 20 % auf im eigenen Betrieb ausgeführte Reparatur- und Wartungsarbeiten an den Maschinen. Von den genannten 80 % der geleisteten Arbeiten entfielen wiederum 90 % auf das Abfräsen öffentlicher Asphaltflächen. Ferner hatder Beklagte bereits erstinstanzlich und nochmals präzisierend zweitinstanzlich vorgetragen, daß die bearbeiteten öffentlichen und privaten Flächen zu 70 % völlig, dh. bis zum Erdboden, abgebaut wurden.
Dieser Behauptung ist die grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nicht mit substantiiertem Vortrag entgegengetreten. Sie hat ihrerseits nicht behauptet, erst recht nicht näher dargelegt, daß die vom Betrieb des Beklagten geleisteten Fräsarbeiten überwiegend nicht als Teilleistungen im Rahmen eines vollständigen Abtragens der vorhandenen Straßen- und Bodenbeläge bis zum gewachsenen Erdboden, sondern nur im Rahmen von Reparaturarbeiten auf belassenen Tragschichten erfolgten. Auch mit dem Urteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Juli 2001 (– 21 Ca 10056/00 –), auf das sich die Klägerin bezogen hat, wurde solches nicht festgestellt. Vielmehr wurde darin bei umgekehrter Parteistellung der Vortrag des jetzigen Beklagten und damaligen Klägers für unsubstantiiert erachtet. Auch betrifft dieses Urteil mit dem Jahr 1995 einen anderen Beitragszeitraum. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist es weder präjudiziell, noch ändert es etwas an der Darlegungs- und Beweislast der jetzigen Klägerin.
Ausgehend von den oben zu 2. und 3. genannten Grundsätzen hat der Beklagte mit seinem Betrieb, selbst wenn man Zusammenhangstätigkeiten außer acht läßt, nach seinem Vorbringen zu mindestens 56 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit und damit überwiegend iSv. Abschn. VI des § 1 Abs. 2 VTV Abbrucharbeiten geleistet, auch wenn er den Abbruch nicht vollständig selbst, sondern jeweils im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Betrieben durchgeführt hat.
5. Da der Beklagte nicht Mitglied einer der tarifschließenden Verbände war, war er nicht schon gem. § 3 Abs. 1 TVG iVm. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 29 VTV an den VTV gebunden. Von der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV wäre er mit seinem Betrieb nur dann erfaßt worden, wenn er in erheblichem Umfang an dem sich an den Abbruch anschließenden Neubau bzw. an der Reparatur der Straßen mitgewirkt hätte. Das war unstreitig nicht der Fall.
- Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, N. Schuster, Thiel
Fundstellen
Haufe-Index 915751 |
NZA 2003, 879 |
NJOZ 2003, 1865 |