Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersgrenze. Änderung des Geburtsdatums. Befristungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Bestimmt eine Betriebsvereinbarung, daß das Arbeitsverhältnis bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters endet, ist für die Berechnung des gesetzlichen Rentenalters nach § 33a Abs. 1 SGB I das Geburtsdatum maßgebend, das der Arbeitnehmer erstmals gegenüber einem Sozialleistungsträger angegeben hat. Eine spätere Änderung des Geburtsdatums ist regelmäßig unbeachtlich.
Orientierungssatz
- Bei einer Altersgrenzenregelung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters vorsieht, handelt es sich nicht um eine auflösende Bedingung, sondern um eine Befristung, deren Unwirksamkeit mit der Entfristungsklage nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG (in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; jetzt: § 17 Satz 1 TzBfG) geltend zu machen ist.
- Für die Ermittlung des gesetzlichen Rentenalters im Sinne einer solchen Altersgrenzenregelung ist grundsätzlich das Geburtsdatum maßgeblich, das der Arbeitnehmer erstmals gegenüber einem Sozialleistungsträger angegeben hat (§ 33a Abs. 1 SGB I). Wird zu einem späteren Zeitpunkt auf Antrag des Arbeitnehmers durch eine Entscheidung eines türkischen Gerichts festgestellt, daß der Arbeitnehmer früher als ursprünglich angegeben geboren wurde, ist dies für die Ermittlung des gesetzlichen Rentenalters und damit auch für das Erreichen der Altersgrenze unbeachtlich.
Normenkette
BGB §§ 620, 242; SGB I § 33a; SGB VI § 35; GG Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; Beschluß Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 1. Juni 2001 – 12 Sa 64/01 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 31. Mai 2000 beendet wurde.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis am 31. Mai 2000 geendet hat.
Der Kläger ist seit dem 1. Dezember 1968 bei der Beklagten als Produktionsarbeiter beschäftigt. Bei der Beklagten besteht eine sog. Betriebsordnung in Form einer Betriebsvereinbarung. Diese enthält ua. folgende Regelungen:
“…
Ende des Arbeitsverhältnisses
Beendigungsarten
1. Das Arbeitsverhältnis endet außer durch Kündigung
…
mit dem Zeitpunkt, von dem ab der Werkangehörige Altersruhegeld bezieht, spätestens mit dem Ende des Monats, in dem der Werkangehörige das gesetzliche Rentenalter erreicht oder in dem ihm durch Zustellung des Bescheides eines Sozialversicherungsträgers die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente mitgeteilt wird.
…”
Nach dem “Einstellungsvertrag” der Parteien sind die Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen Bestandteil des Vertrags. Außerdem heißt es in dem Einstellungsvertrag, das Arbeitsverhältnis ende spätestens mit dem letzten Tag des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird.
Der Kläger gab bei der Einstellung an, am 8. Mai 1939 geboren zu sein. Am 13. September 1990 stellte das Landgericht Hekimhan in der Türkei auf Antrag des Klägers fest, daß er bereits am 1. Juni 1935 geboren sei. Dies teilte der Kläger der Beklagten und dem zuständigen Rentenversicherungsträger, der LVA Rheinprovinz, mit. Die LVA Rheinprovinz lehnte mit Bescheid vom 6. August 1992 und mit weiterem Bescheid vom 26. September 1996 eine Berichtigung des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer ab. Davon setzte der Kläger die Beklagte unter Vorlage der Bescheide jeweils unverzüglich in Kenntnis.
Die Beklagte beschäftigte den Kläger über den 31. Mai 2000 hinaus weiter. Dies geschah gemäß Schreiben vom 2. Juni 2000 “unter Protest gegen § 625 BGB” und unter Hinweis darauf, “daß eine Beschäftigung vor einer rechtskräftigen Entscheidung in dieser Sache einzig und allein aus Gründen der Schadensminderung” erfolge.
Der Kläger hat sich mit der am 14. Juni 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2000 gewandt und geltend gemacht, bei der Berechnung des gesetzlichen Rentenalters sei vom Geburtsdatum 8. Mai 1939 auszugehen. Deshalb erreiche er das gesetzliche Rentenalter erst im Jahr 2004.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ungekündigt und unbefristet über den 31. Mai 2000 hinaus fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Produktionsarbeiter in der W…-Halle/Bandmontage zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, für die Berechnung des gesetzlichen Rentenalters sei das auf Betreiben des Klägers geänderte Geburtsdatum 1. Juni 1935 maßgeblich.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Klageantrag zu 1) zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht am 31. Mai 2000 geendet. Der Kläger hat zu diesem Zeitpunkt weder das gesetzliche Rentenalter im Sinne der bei der Beklagten bestehenden Betriebsordnung erreicht noch das 65. Lebensjahr im Sinne des Einstellungsvertrags vollendet. Die Geltendmachung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Klageantrag zu 2) ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.
Bei dem Klageantrag zu 1) handelt es sich nicht um eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO, sondern um eine Entfristungsklage iSv. § 1 Abs. 5 BeschFG in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (BeschFG 1996), mit der die Feststellung begehrt wird, daß das Arbeitsverhältnis nicht auf Grund Befristung am 31. Mai 2000 geendet hat. Dies war im Urteilstenor durch eine entsprechende Maßgabe klarzustellen.
Der Kläger wendet sich ausschließlich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2000 auf Grund der in seinem Einstellungsvertrag und der Betriebsordnung der Beklagten geregelten Altersgrenze. Bei dieser handelt es sich nicht um eine auflösende Bedingung, für die § 1 Abs. 5 BeschFG 1996 nicht gilt (BAG 23. Februar 2000 – 7 AZR 906/98 – BAGE 94, 7 = AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 25), sondern um eine Befristung, deren Unwirksamkeit mit der Entfristungsklage nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG 1996 geltend zu machen ist. In diesem Sinne ist der Klageantrag zu 1) auszulegen.
Zwar wurden nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einzelvertraglich oder kollektivvertraglich festgelegte Altersgrenzen als auflösende Bedingungen angesehen, weil das Erreichen der Altersgrenze ein zukünftiges Ereignis sei, dessen Eintritt ungewiß sei und lediglich der Zeitpunkt des Eintritts feststehe (vgl. 20. Dezember 1984 – 2 AZR 3/84 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 9 = EzA BGB § 620 Bedingung Nr. 4, zu B I 3b der Gründe; 6. März 1986 – 2 AZR 262/85 – AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 1 = EzA BGB § 620 Bedingung Nr. 6, zu A IV 2a der Gründe; 20. November 1987 – 2 AZR 284/86 – BAGE 57, 30 = AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 2, zu B IV 1 der Gründe; offengelassen 12. Februar 1992 – 7 AZR 100/91 – AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 5 = EzA BGB § 620 Altersgrenze Nr. 2, zu III 2d der Gründe). An dieser Rechtsprechung hält der für das Befristungsrecht nunmehr allein zuständige Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht fest. Aus Sicht der Arbeitsvertragsparteien ist der Eintritt des gesetzlichen Rentenalters ein zukünftiges Ereignis, dessen Eintritt sie als feststehend ansehen. Ob eine Befristung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, hängt immer davon ab, daß das Arbeitsverhältnis nicht bereits vor Fristablauf anderweitig, zB durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag, endet. Nicht anders verhält es sich bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund einer Altersgrenze. Diese wird nicht allein durch die Möglichkeit einer vorherigen anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur auflösenden Bedingung.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht am 31. Mai 2000 geendet. Der Kläger hat zu diesem Zeitpunkt das gesetzliche Rentenalter im Sinne der bei der Beklagten bestehenden Betriebsordnung nicht erreicht. Er hat auch das 65. Lebensjahr im Sinne des Einstellungsvertrags nicht vollendet. Der Kläger verhält sich nicht treuwidrig, indem er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend macht.
Nach der Betriebsordnung der Beklagten, die als Betriebsvereinbarung und durch Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet, endet das Arbeitsverhältnis mit dem Zeitpunkt, von dem ab der Werkangehörige Altersruhegeld bezieht, spätestens mit dem Ende des Monats, in dem er das gesetzliche Rentenalter erreicht. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger am 31. Mai 2000 nicht vor. Der Kläger erhält kein Altersruhegeld. Er hat am 31. Mai 2000 auch nicht das gesetzliche Rentenalter erreicht. Dies ergibt die Auslegung der Betriebsordnung.
Die Altersgrenzenregelung in der Betriebsordnung stellt bereits nach ihrem Wortlaut nicht auf ein bestimmtes Lebensalter, sondern auf das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters ab. Maßgeblich für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist daher der Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer nach den einschlägigen sozialrechtlichen Bestimmungen das Rentenalter erreicht. Dies ist nach § 35 Abs. 1 SGB VI das 65. Lebensjahr. Ob der Kläger am 31. Mai 2000 das 65. Lebensjahr tatsächlich vollendet hatte oder nicht, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht festgestellt, sondern ausdrücklich offengelassen. Denn der Kläger hatte jedenfalls nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen das 65. Lebensjahr am 31. Mai 2000 nicht erreicht. Dies ergibt sich aus der am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Regelung in § 33a SGB I.
- Nach § 33a Abs. 1 SGB I ist im Sozialrecht für die Berechnung einer Altersgrenze, von deren Erreichen Rechte oder Pflichten abhängig sind, das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger ergibt. Von diesem Geburtsdatum darf nach § 33a Abs. 2 SGB I nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß ein Schreibfehler vorliegt oder sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach § 33a Abs. 1 SGB I ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.
- Vom Erreichen der Altersgrenze ist das Recht des Klägers auf Bezug von Altersruhegeld abhängig. Deshalb ist für die Berechnung der Altersgrenze das Geburtsdatum maßgebend, das der Kläger zuerst gegenüber der LVA Rheinprovinz als Sozialleistungsträger angegeben hat. Dies ist der 8. Mai 1939. Ein Ausnahmetatbestand nach § 33a Abs. 2 SGB I liegt nicht vor. Zwar ergibt sich aus dem Beschluß des Landgerichts Hekimhan in der Türkei vom 13. September 1990, daß das Geburtsdatum des Klägers auf den 1. Juni 1935 berichtigt wurde. Das Original des Beschlusses wurde jedoch nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Angabe des Geburtsdatums gegenüber der LVA Rheinprovinz erstellt und ist damit sozialrechtlich unbeachtlich. Der Kläger erreicht das gesetzliche Rentenalter daher erst am 8. Mai 2004.
Die Anwendung des § 33a SGB I scheitert nicht daran, daß der Kläger bereits seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahr 1968 Rentenanwartschaften erworben hat und die Rechtslage vor Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. Januar 1998 für ihn möglicherweise günstiger war.
Vor Inkrafttreten des § 33a SGB I war nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das Geburtsdatum des Versicherten als anspruchsbegründende Tatsache für die Gewährung von Altersruhegeld unter Ausschöpfung aller erreichbaren und tauglichen Beweismittel von Amts wegen festzustellen (BSG 12. Dezember 1995 – 5 RJ 26/94 – SozR 3-2200 § 1248 RVO Nr. 12). Damit bestand für den Arbeitnehmer nach der damaligen Rechtslage die Möglichkeit, beim Nachweis eines früheren als des zuerst angegebenen Geburtsdatums zu einem früheren Zeitpunkt Altersrente zu beziehen. Diese Möglichkeit besteht nunmehr nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 33a Abs. 2 SGB I. Diese Bestimmung ist auch dann anzuwenden, wenn der Versicherte, wie der Kläger, bereits vor dem 1. Januar 1998 Rentenanwartschaften erworben hat, der Rentenanspruch aber erst in Zukunft entsteht. Dadurch wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt und auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, weder in unzulässiger Weise in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum des Versicherten, zu dem auch Rentenanwartschaften gehören, eingegriffen, noch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt (BSG 31. März 1998 – B 8 KN 5/95R – SozR 3-1200 § 33a SGB I Nr. 2). Die Regelung in § 33a SGB I verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (EuGH 14. März 2000 – C-102/98 – und – C-211/98 – SozR 3-6940 Art. 3 EWG AssRBes 3/80 Nr. 1).
- § 33a SGB I ist entgegen der Auffassung der Beklagen bei der Ermittlung des gesetzlichen Rentenalters im Sinne der Betriebsordnung der Beklagten zu berücksichtigen. Zwar gilt diese Vorschrift als sozialrechtliche Bestimmung grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen dem Sozialleistungsträger und dem Sozialleistungsberechtigten und entfaltet in anderen Bereichen keine Wirkung (vgl. Hauck/Haines SGB I Stand: Mai 2002 K § 33a Rn. 4). Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Regelung bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger die in der Betriebsordnung geregelte Altersgrenze erreicht hat, außer Betracht zu bleiben hat. Die Betriebsordnung der Beklagten stellt auf das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters ab. Dieses kann nur unter Berücksichtigung der einschlägigen sozialrechtlichen Bestimmungen ermittelt werden. Dazu gehört auch § 33a SGB I.
- Diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck der in der Betriebsordnung vorgesehenen Altersgrenzenregelung. Durch sie soll nicht nur den Belangen des Arbeitgebers Rechnung getragen werden, im Interesse der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur und zur Sicherung einer sachgerechten und berechenbaren Personalplanung Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern beenden zu können, sondern auch dem Interesse des Arbeitnehmers an wirtschaftlicher Absicherung. Dies ergibt sich daraus, daß die Betriebspartner in der Betriebsordnung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – außer bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters – vorgesehen haben beim Bezug von Altersruhegeld und der Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente. In beiden Fällen ist der Arbeitnehmer durch den Bezug von Sozialleistungen wirtschaftlich abgesichert. Zwar ist der in der Betriebsordnung außerdem vorgesehene, hier maßgebliche Beendigungstatbestand des Erreichens des gesetzlichen Rentenalters nicht automatisch mit einer wirtschaftlichen Absicherung verbunden. Denn nach § 35 Abs. 1 SGB VI ist Voraussetzung für den Bezug von Altersrente nicht nur das Erreichen des 65. Lebensjahres, sondern auch die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI). Diese Wartezeit hat ein Arbeitnehmer jedoch bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters üblicherweise zurückgelegt. Die Betriebspartner gingen daher erkennbar davon aus, daß die von ihnen festgelegte Altersgrenze nur Arbeitnehmer betrifft, die durch den Bezug von Versorgungsleistungen wirtschaftlich abgesichert sind. Dieser Zwecksetzung liefe es zuwider, wenn für die Beklagte ein anderes “gesetzliches Rentenalter” gelten würde als für den Sozialversicherungsträger mit der Folge, daß Arbeitnehmer bereits zu einem Zeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden müßten, zu dem sie noch keine gesetzliche Altersrente erhalten.
- Nur mit diesem Inhalt genügt die Betriebsordnung der Beklagten den Anforderungen, die nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an die Wirksamkeit von Altersgrenzenregelungen zu stellen sind. Danach sind einzelvertragliche oder kollektivrechtliche, ausschließlich auf das 65. Lebensjahr bezogene Altersgrenzen nur dann wirksam, wenn der Arbeitnehmer durch den Bezug einer gesetzlichen Altersrente wirtschaftlich abgesichert ist (vgl. 20. November 1987 – 2 AZR 284/86 – aaO; 11. Juni 1997 – 7 AZR 186/96 – BAGE 86, 105 = AP SGB VI § 41 Nr. 7, zu II 3c der Gründe). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund des Erreichens einer Altersgrenze bedarf als Befristung eines sie rechtfertigenden sachlichen Grundes. Dazu ist allein das Erreichen eines bestimmten Lebensalters nicht ausreichend. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß das Arbeitsverhältnis die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers bildet und ihm berufliche Selbstverwirklichung ermöglicht. Dem steht das Bedürfnis des Arbeitgebers an der Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur und einer sachgerechten und berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung gegenüber. Bei der im Rahmen der Befristungskontrolle vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen berechtigten Interessen ist dem Interesse des Arbeitgebers an einer kalkulierbaren Personalplanung nur dann Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresses des Arbeitnehmers einzuräumen, wenn dieser durch den Bezug einer gesetzlichen Altersrente wirtschaftlich abgesichert ist (BAG 20. November 1987 – 2 AZR 284/86 – aaO, zu B IV 3 der Gründe; 11. Juni 1997 – 7 AZR 187/96 – aaO, zu II 3c der Gründe).
- Aus der im “Einstellungsvertrag” vereinbarten Altersgrenze ergibt sich nichts anderes. Dort heißt es zwar – anders als in der Betriebsordnung –, das Arbeitsverhältnis ende bei Vollendung des 65. Lebensjahres. Gemeint ist damit jedoch ebenfalls das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters. Denn die Parteien haben mit der Vollendung des 65. Lebensjahres den Zeitpunkt bezeichnet, an dem der Kläger aus damaliger Sicht das gesetzliche Rentenalter erreichen würde. Außerdem ist in dem Einstellungsvertrag die Geltung der bei der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarungen und damit auch der Betriebsordnung bestimmt, die als Altersgrenze das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters vorsieht. Demnach können die im Einstellungsvertrag getroffenen Vereinbarungen nur so verstanden werden, daß das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt enden soll, an dem für den Kläger die Möglichkeit besteht, gesetzliche Altersrente zu beziehen. Mit einem anderen Inhalt wäre die vertragliche Altersgrenzenregelung mangels eines sie rechtfertigenden sachlichen Grundes nicht wirksam.
Der Kläger verhält sich nicht treuwidrig, indem er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31. Mai 2000 hinaus geltend macht.
Es kann dahinstehen, ob ein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers überhaupt geeignet ist, die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses herbeizuführen, wenn – wie im Streitfall – die Voraussetzungen des Beendigungstatbestandes nicht gegeben sind. Die Beklagte konnte jedenfalls auf Grund des Verhaltens des Klägers nicht darauf vertrauen, daß er am 31. Mai 2000 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden würde. Zwar hat der Kläger der Beklagten im Jahr 1990 unter Vorlage des Beschlusses des Landgerichts Hekimhan in der Türkei mitgeteilt, er sei entgegen seinen ursprünglichen Angaben bereits am 1. Juni 1935 geboren. Selbst wenn die Beklagte auf Grund dieser Angaben zum damaligen Zeitpunkt darauf vertraut haben sollte, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers am 31. Mai 2000 enden würde, wurde dieses Vertrauen spätestens 1992 wieder zerstört, als der Kläger die Beklagte von der Weigerung der LVA Rheinprovinz, sein Geburtsdatum entsprechend dem Gerichtsbeschluß zu berichtigen, in Kenntnis setzte. Von diesem Zeitpunkt an mußte die Beklagte damit rechnen, daß für die Ermittlung des gesetzlichen Rentenalters nicht das geänderte, sondern das ursprünglich angegebene Geburtsdatum maßgeblich ist und das Arbeitsverhältnis deshalb erst im Jahr 2004 endet.
- Der Antrag zu 2) ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er ist als Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits auszulegen. Der Rechtsstreit ist jedoch mit der Entscheidung des Senats über den Antrag zu 1) rechtskräftig beendet.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Linsenmaier, Willms, Bea
Fundstellen
Haufe-Index 884275 |
BAGE 2004, 174 |
BB 2003, 478 |
DB 2003, 394 |
ARST 2003, 204 |
FA 2003, 86 |
NZA 2003, 1397 |
RdA 2003, 285 |
SAE 2003, 259 |
AP, 0 |
EzA |
MDR 2003, 337 |
RdW 2003, 566 |