Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Altersversorgung. Auslegung einer Versorgungsordnung: Begriff des “rentenfähigen Arbeitsverdienstes”
Orientierungssatz
- Verweist eine Versorgungsordnung auf die “tarifliche Arbeitszeit” für die Bestimmung des Berechnungsentgelts, so ist darunter die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit zu verstehen. Tariflich zwar zugelassene, aber individuell zu vereinbarende längere Arbeitszeiten fallen nicht hierunter.
- Die Einführung einer Obergrenze für das rentenfähige Einkommen ist ein tragfähiger sachlicher Grund dafür, einzelne Einkommensbestandteile nicht in die Rentenberechnung einzubeziehen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der Betriebsrente.
Der am 19. Juli 1939 geborene Kläger trat 1954 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metallindustrie, ein. 1964 richtete diese ein Versorgungswerk ein, für das ab 31. Dezember 1974 eine neue, verbesserte Versorgungsregelung in Kraft trat (VR 1974). Als “rentenfähigen Arbeitsverdienst” legte (Teil I) Ziff. 4.1. der Versorgungsregelung für Lohnempfänger fest:
“1/12 des auf der Basis der tariflichen Arbeitszeit (z. Zt. 173 Std./mtl.) vereinbarten und erzielten Lohnes einschließlich des gezahlten Weihnachts- und Urlaubsgeldes des letzten Kalenderjahres vor dem Feststellungszeitpunkt … .”
Mit Wirkung zum 1. Januar 1980 wurden die Regelungen für das Versorgungswerk teilweise geändert (VO 1980). Der rentenfähige Arbeitsverdienst wurde für Lohnempfänger unter (Teil II) X. 2. neu definiert:
“2. Bei einem Lohnempfänger ist rentenfähig 1/12 des auf der Basis der tariflichen Arbeitszeit (z. Zt. 173 Std./mtl.) vereinbarten und gezahlten Lohnes einschließlich aller gewährten Zulagen und Zuschläge. Soweit im Berechnungszeitraum Akkordarbeit geleistet wurde, wird der rentenfähige Arbeitsverdienst auf der Zeitlohnbasis unter Beibehaltung aller nicht akkordtypischen Zulagen und Zuschläge ermittelt. …”
Entsprechende Bestimmungen für Angestellte enthielten Ziff. 4.1 VR 1974 und Ziff. X. 1. VO 1980.
Durch Gesamtbetriebsvereinbarung vom 20. Dezember 1984 wurden diese Regeln, die zunächst nur für neu Eingetretene Anwendung gefunden hatten, für alle Mitarbeiter, also auch den Kläger, verbindlich.
Ab dem 1. April 1985 wurde im Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen (MTV Metall NW) die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich stufenweise von 40 Stunden herabgesetzt, zunächst auf 38,5 Stunden und schließlich auf 35 Stunden. Mit Wirkung zum 1. April 1990 wurde in den MTV Metall NW eine Tarifbestimmung zur individuellen Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eingefügt, in der es nunmehr wie folgt heißt:
Ҥ 3
Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit/Ausbildungszeit
…
3. Soll für einzelne Arbeitnehmer die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden verlängert werden, bedarf dies der Zustimmung des Arbeitnehmers.
Lehnen Arbeitnehmer die Verlängerung ihrer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ab, so darf ihnen daraus kein Nachteil entstehen.
Bei der Vereinbarung einer solchen Arbeitszeit bis zu 40 Stunden hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine dieser Arbeitszeit entsprechende Bezahlung.
Die vereinbarte verlängerte Arbeitszeit kann auf Wunsch des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten geändert werden, es sei denn, sie wird einvernehmlich früher geändert.
Das Arbeitsentgelt wird entsprechend angepasst.
Der Arbeitgeber teilt dem Betriebsrat jeweils vierteljährlich die Arbeitnehmer mit verlängerter individueller regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit mit, deren Anzahl 18 % aller Beschäftigten des Betriebes einschließlich auch der Beschäftigten gemäß § 1 Nr. 3 b) nicht übersteigen darf.”
Auf Grund von Vereinbarungen der Parteien betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 40 Stunden.
Nach Vollendung des 63. Lebensjahres, der im Versorgungswerk vorgesehenen Altersgrenze, schied der Kläger zum 31. Juli 2002 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Ab dem 1. August 2002 erhält er von der Beklagten eine monatliche Betriebsrente iHv. 755,53 Euro, für deren Berechnung die Beklagte die tarifliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden zugrunde gelegt hat. Auf der Basis der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 40 Stunden/Woche betrüge die monatliche Betriebsrente 863,16 Euro.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Versorgungswerk mache die regelmäßige Arbeitszeit des jeweiligen Versorgungsberechtigten zur Grundlage für die Betriebsrentenberechnung. Erhielten Beschäftigte mit der tariflichen Arbeitszeit oder Teilzeitbeschäftigte eine Betriebsrente auf der Grundlage ihrer jeweiligen vollen Arbeitszeit, so müsse für Arbeitnehmer mit längerer Arbeitszeit das Gleiche gelten.
Er hat zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.291,56 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 107,63 Euro, beginnend mit dem 1. August 2002 bis zum 1. Juli 2003 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab August 2003 eine monatliche Betriebsrente iHv. insgesamt 863,16 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Versorgungszusage habe schon ihrem Wortlaut nach immer auf die tarifliche Arbeitszeit als Berechnungsgrundlage verwiesen. Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten müssten nicht stets alle Gehaltsbestandteile berücksichtigt werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich. Mit der Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, weil dem Kläger stets nur eine Versorgung auf der Grundlage der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit zugesagt worden ist. Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten kann er nicht die Berücksichtigung seiner individuellen Arbeitszeit verlangen.
I. Nach dem Wortlaut der Ziff. X. 1. und 2. VO 1980 ist bei Gehalts- und Lohnempfängern für die Ermittlung des rentenfähigen Arbeitsverdienstes auf die tarifliche Arbeitszeit abzustellen.
1. Aus dem normativen Charakter der Betriebsvereinbarung folgt, dass ihre Auslegung ähnlich wie beim Tarifvertrag den Regeln über die Auslegung von Gesetzen folgt. Dabei ist vom Wortlaut der Regelungen auszugehen, wobei es nicht auf den buchstäblichen Wortsinn ankommt. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelungen zu berücksichtigen, sofern dieser erkennbar zum Ausdruck gekommen ist. Zu beachten ist dabei der Gesamtzusammenhang der Regelung, weil er auf den wirklichen Willen und damit auf den Zweck der Regelung schließen lassen kann (BAG 17. November 1998 – 1 AZR 221/98 – AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 101, zu 1 der Gründe; 5. Februar 1997 – 10 AZR 553/96 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 112 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 92, zu II 1 der Gründe; 8. November 1988 – 1 AZR 721/87 – BAGE 60, 94, 98; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG § 77 Rn. 15 mwN). Die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 20. Dezember 1984, die die Versorgungsordnung 1980 auch für den Kläger verbindlich werden ließ, nimmt, von Übergangsregelungen abgesehen, den Wortlaut der VO 1980 vollständig in Bezug. Die Auslegung der Bestimmungen der VO 1980 ist voll revisibel, da es sich um Normen einer Betriebsvereinbarung handelt.
2. Der Wortlaut der Ziff. X. VO 1980 stellt unzweideutig auf die “tarifliche Arbeitszeit” ab. In der VO 1980 wird dies – ebenso wie in der VR 1974 – durch den Klammerzusatz (z.Zt. 173 Std./mtl.) unterstrichen. 1980 betrug die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit 40 Wochenstunden, was einer monatlichen tariflichen Arbeitszeit von etwa 173 Stunden entspricht. Durch den Hinweis “zur Zeit” wird darüber hinaus noch betont, dass die Bestimmungen des Tarifwerkes zur Arbeitszeit und seine jeweiligen Änderungen für die Betriebsrentenberechnung maßgeblich sein sollen, nicht jedoch darüber hinaus erbrachte individuelle Arbeitsleistungen.
3. Die mit dem Kläger vereinbarte individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden ist zwar nach § 3 Ziff. 3 MTV Metall NW idF vom 1. April 1990 zulässig, sie ist jedoch nicht die “tarifliche Arbeitszeit” iSd. Ziff. X. der VO 1980. § 3 Ziff. 1 MTV Metall NW legt die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ab 1. Oktober 1995 unmissverständlich auf 35 Stunden fest. § 3 Ziff. 3 MTV Metall NW eröffnet für einen zahlenmäßig begrenzten Arbeitnehmerkreis (18 % der Belegschaft) eine andere, “individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit” von bis zu 40 Stunden. Dabei handelt es sich gerade nicht um die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit.
II. Aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, den auch die Betriebsparteien zu wahren haben, kann der Kläger seinen Anspruch ebenfalls nicht herleiten. Es ist bereits fraglich, ob er überhaupt ungleich behandelt wird. Jedenfalls wäre eine solche Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt.
1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist die privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG. Er ist nur dann verletzt, wenn sich für die Ungleichbehandlung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstiger sachlich einleuchtender Grund nicht finden lässt. Billigenswerte Differenzierungsgründe sind solche, die auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und nicht gegen übergeordnete Wertentscheidungen verstoßen. Wird eine Gruppe von Arbeitnehmern im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern anders behandelt, dann müssen zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Die Versorgungsordnung darf nicht im Widerspruch zu dem geltend gemachten Differenzierungsgrund stehen (BAG 10. Dezember 2002 – 3 AZR 3/02 – BAGE 104, 205; 19. März 2002 – 3 AZR 229/01 –; 25. Februar 1999 – 3 AZR 113/97 – BAGE 91, 73; 17. Februar 1998 – 3 AZR 578/96 – BAGE 88, 32).
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend bei der VO 1980 tatsächlich eine Gruppenbildung zu Lasten des Klägers vorgenommen wurde, wie das Berufungsgericht angenommen hat. Diese hat es darin gesehen, dass bei Arbeitnehmern mit einer regelmäßigen Arbeitszeit bis zum Umfang der tariflichen Arbeitszeit – einschließlich der Teilzeitbeschäftigten – die Arbeitszeiten, wie sie tatsächlich erbracht wurden, zugrunde gelegt werden. Dagegen werde bei Arbeitnehmern, die eine individuelle regelmäßige Arbeitszeit oberhalb der tariflichen Arbeitszeit gehabt hätten, wie der Kläger, eine Begrenzung des rentenfähigen Arbeitsverdienstes auf das der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit entsprechende Entgelt vorgenommen. Damit seien diese Arbeitnehmer anders behandelt als jene, die sich mit ihrer regelmäßigen Arbeitszeit innerhalb der tariflichen Arbeitszeit bewegt hätten. Ein solcher Schluss auf eine Gruppenbildung liegt nur bei einer isolierten Betrachtung unter dem Gesichtspunkt “Berücksichtigung von Arbeitszeit” nahe. Das Berechnungselement Arbeitszeit kann aber nicht aus dem Gesamtkontext der Berechnung “rentenfähiger Arbeitsverdienst” herausgelöst und isoliert betrachtet werden. Die VO 1980 beschäftigt sich nicht abstrakt mit der Berücksichtigung von Arbeitszeiten und bestimmt dabei, dass bei einer Arbeitnehmergruppe die gesamte Arbeitszeit, bei einer anderen nur Teile der Arbeitszeit berücksichtigt werden. Vielmehr gibt sie einen Weg zur Ermittlung des rentenfähigen Arbeitseinkommens vor, der für alle Arbeitnehmer gilt: über die Tarifarbeitszeit hinaus erarbeitete Entgelte bleiben dabei unberücksichtigt, auch wenn sie regelmäßig anfallen. Der Arbeitnehmer, der im Jahresdurchschnitt wöchentlich fünf Stunden Mehrarbeit geleistet hat, ist ebenso auf seinen in der Tarifarbeitszeit erzielten Verdienst verwiesen wie der Kläger. Auch ein Angestellter mit einer vereinbarten Mehrarbeitspauschale könnte nach der VO 1980 nicht die Berücksichtigung dieser “Zulage” verlangen, obwohl diese regelmäßig gezahlt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Absenkung der tariflichen Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich erfolgte. Insofern könnte die von der Revision vertretene Rechtsauffassung im Ergebnis zu einer Besserstellung des Klägers gegenüber dem Inhalt der Zusage der VO 1980 führen. Auch vor Absenkung der tariflichen Wochenarbeitszeit hätten Verdienstbestandteile eines Arbeitnehmers, die dieser für Arbeitszeiten über 40 Wochenstunden erhalten hätte, keine Grundlage für die Berechnung des rentenfähigen Arbeitsentgeltes dargestellt.
3. Jedenfalls ist die Einführung einer Berechnungsobergrenze für das rentenfähige Einkommen ein tragfähiger sachlicher Grund für eine Differenzierung, die nicht alle Einkommensbestandteile, wie sie tatsächlich verdient wurden, in die Rentenberechnung einbezieht. Die Obergrenze des in der tariflichen Arbeitszeit zu erzielenden Einkommens für die Berechnung des rentenfähigen Arbeitsentgelts ist der VO 1980 mit hinreichender Klarheit zu entnehmen. Der von der Beklagten geltend gemachte Differenzierungsgrund ergibt sich folglich aus dem betrieblichen Versorgungswerk selbst (BAG 19. März 2002 – 3 AZR 229/01 –),. Die Betriebsparteien konnten festlegen, in welchem Umfang Einkommensbestandteile von Arbeitnehmern als rentenfähiger Arbeitsverdienst zu berücksichtigen sind, da sich andernfalls der Dotierungsrahmen bei einkommensbezogener Betriebsrente nur sehr viel schwerer bestimmen lässt. Zutreffend weist die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach § 3 Ziff. 3 Satz 4 MTV Metall NW die über 35 Stunden hinaus vereinbarte Arbeitszeit auf Wunsch einer Arbeitsvertragspartei mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten geändert werden kann. Insofern ist eine über 35 Wochenstunden hinaus vereinbarte Arbeitszeit einseitig disponibel, was schon aus Gründen der Planungssicherheit dafür spricht, diesen Anteil bei der Bemessung des rentenfähigen Arbeitsverdienstes nicht zu berücksichtigen. Die in der VO 1980 vorgesehene Obergrenze führt auch nicht dazu, dass bestimmte Arbeitnehmergruppen ohne sachliche Rechtfertigung keine Altersversorgung erhalten. Vielmehr erhält der Kläger die nach der VO 1980 mögliche maximale Altersversorgung. Eine weitergehende Zusage ist ihm nicht erteilt worden. Der “rentenfähige Arbeitsverdienst” war stets auf der Basis der tariflichen Arbeitszeit zu ermitteln.
Unterschriften
Reinecke, Bepler, Breinlinger, A. Knüttel, H. Rau
Fundstellen
Haufe-Index 1348836 |
DB 2005, 1228 |
NZA 2005, 1208 |
AP, 0 |
EzA-SD 2005, 12 |
EzA |
NJOZ 2005, 4274 |