Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Unmöglichkeit einer Freistellung nach dem ArbWeitBiG NW
Leitsatz (redaktionell)
Gewährt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Freistellung zur Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz in Nordrhein-Westfalen und wird durch eine Betriebsvereinbarung später für den Arbeitnehmer in dieser Zeit eine Freischicht festgelegt, so ist die Freistellung nach dem AWbG nachträglich unmöglich geworden. Der Arbeitgeber wird von der Verpflichtung zur bezahlten Freistellung frei.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 16.11.1989; Aktenzeichen 4 Sa 226/89) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 15.11.1988; Aktenzeichen 4 Ca 3010/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger teilte der Beklagten am 18. Juli 1986 schriftlich mit, in der Zeit vom 20. Oktober 1986 bis 24. Oktober 1986 an einer Bildungsveranstaltung mit dem Thema "Politik und Gewerkschaften in der Türkei und der BRD" teilnehmen zu wollen. Die Beklagte antwortete dem Kläger am 20. August 1986, sein Antrag auf Freistellung sei genehmigt.
Die Beklagte und der in ihrem Betrieb gebildete Betriebsrat schlossen am 8. September 1986 zur Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie eine Betriebsvereinbarung. Darin wurde u. a. für Freitag, den 24. Oktober 1986 eine kollektive Freischicht festgelegt. Mit Schreiben vom 2. Oktober 1986 wies der Kläger darauf hin, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung für das Seminar die Freischichtenregelung für das zweite Halbjahr 1986 noch nicht festgelegt gewesen sei. Da die Freischicht in die Zeit des Seminars falle, müsse die Freischicht oder ein Tag der Weiterbildungsmaßnahme nachgewährt werden. Nachdem der Kläger an der Bildungsveranstaltung teilgenommen hatte, vergütete die Beklagte lediglich die Zeit vom 20. bis 23. Oktober 1986. Eine Nachgewährung der Freischicht bzw. eines Freistellungstages lehnte sie ab. Mit Schreiben vom 23. Januar 1987 machte der Kläger vergeblich die Zahlung der Vergütung für den 24. Oktober 1986, hilfsweise die Nachgewährung eines Tages Bildungsurlaub geltend.
Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe den Bildungsurlaub bewilligt. Damit sei sie verpflichtet, für die gesamte Dauer der Freistellung die Vergütung zu bezahlen. Die nachträgliche Festlegung der Freischicht habe die durch die Bewilligung des Bildungsurlaubs beseitigte Arbeitspflicht nicht erneut beseitigen können. In jedem Fall sei die Beklagte zur Nachgewährung eines weiteren Bildungsurlaubstags aus 1986 verpflichtet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 140,08 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden
Nettobetrag seit dem 17. Februar 1987 zu zahlen,
hilfsweise,
dem Kläger einen Tag Arbeitnehmerweiterbildungs-
urlaub aus dem Jahr 1986 nachzugewähren. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine ursprünglichen Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Vergütung für den 24. Oktober 1986 noch einen Anspruch auf Nachgewährung von einem Tag Freistellung zur Arbeitnehmerweiterbildung aus dem Jahre 1986.
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf 140,08 DM brutto Arbeitsentgelt für den 24. Oktober 1986.
1. Der Anspruch folgt nicht aus § 7 AWbG. Danach hat der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung fortzuzahlen. Die Arbeitnehmerweiterbildung erfolgt über die Freistellung von der Arbeit, § 1 Abs. 1 AWbG. Der Kläger war jedoch am 24. Oktober 1986 nicht für Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung freigestellt.
a) Der Kläger hatte im Kalenderjahr 1986 einen Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung von fünf Arbeitstagen erworben, § 2, § 3 Abs. 1 und Abs. 3 AWbG. Er hat ferner seine Obliegenheiten nach § 5 Abs. 1 und 4 AWbG erfüllt und die Inanspruchnahme und den Zeitraum der Arbeitnehmerweiterbildung (20. bis 24. Oktober 1986) rechtzeitig angezeigt sowie die Teilnahme nachgewiesen.
b) Die Beklagte ist ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 1 Abs. 1 AWbG, den Kläger für die Zeit der Bildungsveranstaltung freizustellen, am 20. August 1986 nachgekommen. Sie hat damit das zur Leistung ihrerseits Erforderliche getan, § 243 Abs. 2 BGB. Durch diese Konkretisierung beschränkte sich die Schuld der Beklagten, dem Kläger 1986 für Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung freizustellen, auf die Tage vom 20. bis 24. Oktober 1986.
c) Die Beklagte ist jedoch von der Verpflichtung zur Freistellung des Klägers für Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung am 24. Oktober 1986 freigeworden, weil die Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz nachträglich unmöglich geworden ist und die Beklagte die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, § 275 Abs. 1 BGB.
Nachdem die Beklagte mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat am 8. September 1986 eine Betriebsvereinbarung zur Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung geschlossen hatte und darin der 24. Oktober 1986 als Freischicht vereinbart war, bestand für den Kläger aufgrund dieser normativen, gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend geltenden Bestimmungen an diesem Tage keine Arbeitspflicht. Die Erfüllung des Freistellungsanspruchs nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz ist dadurch unmöglich geworden. Insofern gilt im Grundsatz nichts anderes als beim Zusammentreffen von bewilligtem Erholungsurlaub und Erkrankung. In diesem Fall kann der mit der Festsetzung des Urlaubs bezweckte Leistungserfolg, die Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht für die Dauer des Urlaubs, nicht eintreten, weil die Arbeitspflicht bereits aufgrund Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit entfallen ist (BAG Urteil vom 9. Juni 1988 - 8 AZR 755/85 - = AP Nr. 10 zu § 9 Bundesurlaubsgesetz). Ebenso kann der mit der Freistellungserklärung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz bezweckte Leistungserfolg nicht mehr eintreten, weil die Arbeitspflicht aufgrund betriebsverfassungsrechtlicher Norm aufgehoben war.
d) Die Beklagte hat i. S. des § 275 Abs. 1 und des § 276 Abs. 1 BGB die Unmöglichkeit nicht zu vertreten. Sie war verpflichtet, zur Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung mit dem mitbestimmungsberechtigten Betriebsrat eine Regelung zu finden. Die Einigung der Betriebspartner ist somit kein rechtswidrig schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers. Das gilt auch für die Wahl eines Freischichtmodells oder die Festlegung der Freischicht auf einen Tag, an dem der Kläger oder andere Mitarbeiter eine Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung besuchen wollen.
e) Konnte der Kläger am 24. Oktober 1986 nicht für eine Arbeitnehmerweiterbildung im Sinne des § 1 AWbG freigestellt werden, so entfiel auch die Vergütungspflicht aus § 7 AWbG.
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat der Kläger keinen Anspruch aus einem Vertrag der Parteien über eine Freistellungs- und Zahlungspflicht der Beklagten außerhalb des AWbG. Der Kläger konnte die Erklärung vom 20. August 1986, mit dem sein Feststellungsbegehren nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz beantwortet wurde, nicht als Angebot verstehen, die Beklagte wolle ihm einen außergerichtlichen Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung gewähren. Vielmehr war die Erklärung nach §§ 133, 157 BGB nur als Erfüllungshandlung zur gesetzlichen Freistellungsverpflichtung zu verstehen.
3. Der Kläger hat keinen arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Anspruch auf weitere Vergütung der Freischicht vom 24. Oktober 1986.
II. Der Kläger kann auch nicht verlangen, daß ihm ein Tag Freistellung für Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung aus dem Jahr 1986 nachgewährt wird. Denn der durch die Leistungshandlung der Beklagten konkretisierte Anspruch des Klägers ist gemäß § 243 Abs. 2, § 275 Abs. 1, § 300 Abs. 2 BGB ersatzlos untergegangen. Anders als für das Zusammentreffen von Freistellung nach dem AWbG und Krankheit (§ 3 Abs. 5 AWbG) sieht das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz für die anderen Fälle der Unmöglichkeit des Leistungserfolges keinen Erhalt des Anspruchs vor.
Der Kläger hat auch keinen Schadenersatzanspruch auf Nachgewährung. Als sein Anspruch unterging, befand sich die Beklagte nicht in Verzug. Nach dem Eintritt der Unmöglichkeit kann eine Geltendmachung des Freistellungsanspruchs den Verzug des Arbeitgebers nicht mehr begründen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Düwell Dörner
Volpp Dr. Kappes
Fundstellen
Haufe-Index 441823 |
BAGE 73, 221-225 (LT1) |
BAGE, 221 |
BB 1993, 2158 |
BB 1993, 2158-2159 (LT1) |
DB 1993, 2237-2238 (LT1) |
EBE/BAG 1993, 163-164 (LT1) |
AiB 1994, 124 (L1) |
EzB AWbG Nordrhein-Westfalen § 7, Nr 47 (LT1) |
NZA 1994, 689 |
NZA 1994, 689-690 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 197/94 (S) |
AP § 1 BildungsurlaubsG NRW (LT1), Nr 3 |
AP, 0 |
EzA § 7 AWbG Nordrhein-Westfalen, Nr 11 (LT1) |
MDR 1994, 177-178 (LT1) |