Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers, Einreisestrafe
Leitsatz (redaktionell)
Eine Flugbegleiterin, die entgegen einschlägiger Dienstvorschriften bei einem Flug keinen Reisepaß mit sich führt und damit eine von der Einreisebehörde gegen das Luftfahrtunternehmen verhängte Einreisestrafe von 3.000 US-Dollar verursacht, haftet ihrem Arbeitgeber wegen schuldhafter Verletzung des Arbeitsvertrages auf Schadensersatz. Die Haftung der Flugbegleiterin ist nach den Grundsätzen der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers bei betrieblicher Tätigkeit zu mildern (vgl Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. September 1994 - GS 1/89 - NZA 1994, 1083, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Darüber hinaus ist bei der Haftungsquote ein Mitverschulden des Arbeitgebers zu berücksichtigen, wenn das Luftfahrtunternehmen keinerlei Kontrolle zur Überprüfung der Einreisedokumente der Flugbegleiterin vorgenommen hat.
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 13.01.1993; Aktenzeichen 8 Sa 720/92) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 26.02.1992; Aktenzeichen 7 Ca 410/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die als Flugbegleiterin bei der Beklagten beschäftigte Klägerin zur Erstattung einer Einreisestrafe verpflichtet ist, die der Beklagten als Luftfahrtunternehmen von der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde auferlegt worden ist.
Die Klägerin ist seit 1980 bei der Beklagten als Flugbegleiterin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 5.000,00 DM beschäftigt. Die Beklagte setzte die Klägerin am 19. Januar 1991 bei dem Flug 446 von Frankfurt/Main nach Atlanta/USA ein. Während des Fluges stellte die Klägerin beim Ausfüllen der Reisepapiere für die Vereinigten Staaten fest, daß sie ihren Reisepaß vergessen hatte. Trotz Verhandlungen mit der US-amerikanischen Einreisebehörde wurde die Beklagte von der Einreisebehörde mit einer Einreisestrafe in Höhe von 3.000,00 US-Dollar belegt. Die Beklagte hat darauf entsprechend ihrer Ankündigung im Schreiben vom 11. April 1991 den Gegenwert in Höhe von 4.530,00 DM in zwölf Monatsraten vom Personalkonto der Klägerin abgebucht.
Die Klägerin ist mit den Gehaltskürzungen nicht einverstanden. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Bei der gegen die Beklagte verhängten Geldstrafe habe es sich um eine Sanktion für eigenes Fehlverhalten gehandelt. Durch die Strafandrohung sollten die Luftfahrtunternehmen dazu veranlaßt werden, Kontrollsysteme zu entwickeln, die die Einreise von Passagieren ohne gültige Dokumente verhinderten. Zumindest trage die Beklagte an dem entstandenen Schaden ein Mitverschulden, da sie beim sog. "Briefing" die Vollständigkeit der Einreisepapiere der Besatzung nicht geprüft habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.530,00 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 14. Oktober 1991 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dazu hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin sei unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung zur Erstattung der Strafe verpflichtet. Nach einer Dienstanweisung sei die Klägerin verpflichtet gewesen, bei jedem Einsatz alle erforderlichen Dokumente mit sich zu führen. Auf die Einhaltung dieser Dienstanweisung habe sie, die Beklagte, laufend hingewiesen. Es könne ihr nicht zugemutet werden, während des Briefings noch einmal eine Kontrolle durchzuführen, ob das Flugpersonal sämtliche Einreisedokumente mitführe. Die Einreisestrafe solle die Einreise von Personen ohne die erforderlichen Dokumente verhindern. Die Strafe werde nur deshalb gegen das Luftfahrtunternehmen und nicht gegen den Passagier verhängt, weil auf dieses leichter zurückgegriffen werden könne und die Strafe somit gesichert sei. Es liege aber im Interesse der Behörde, daß das Luftfahrtunternehmen die Strafe dem Passagier aufbürde. Nur damit werde erreicht, daß jeder Fluggast selbst dafür Sorge trage, daß er nicht gegen Einreisevorschriften verstoße. Eine eigene Verpflichtung der Beklagten zur Überprüfung der Reisedokumente ihres fliegenden Personals beim Briefing vor Antritt des Flugs bestehe nicht. Andernfalls gingen die einschlägigen Dienstvorschriften, nach denen das einzelne Besatzungsmitglied für die Gültigkeit seiner Dokumente selbst verantwortlich sei, ins Leere und die Eigenverantwortlichkeit der Flugbegleiter werde reduziert.
Die Vorinstanzen haben der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat der Beklagten den durch die Einreisestrafe entstandenen Schaden zu einem Drittel zu ersetzen. Die Beklagte hat deshalb in Höhe von 1.510,00 DM wirksam gegen die Gehaltsforderung der Klägerin aufgerechnet. Diese kann von der Beklagten noch 3.020,00 DM nebst den verlangten Zinsen fordern.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei der Einreisestrafe handele es sich nicht um einen rechtlich ersatzfähigen Schaden, der unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung auf die Klägerin abgewälzt werden könne. Sinn der gegen das Luftfahrtunternehmen verhängten Einreisestrafe sei, daß dieses ein Kontrollsystem entwickele, das es ausschließe, daß Passagiere eines Luftfahrzeuges ohne gültige Dokumente überhaupt an Bord genommen werden. Erfülle die Beklagte bei der Überprüfung der Reisedokumente vor Reiseantritt somit eine eigene Verpflichtung, sei es ihr verwehrt, die Einreisestrafe, die als Sanktion wegen der Verletzung ihrer Pflichten verhängt werde, auf das Personal abzuwälzen.
B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
I. Die Klägerin haftet der Beklagten aus dem Gesichtspunkt der positiven Verletzung des Arbeitsvertrages auf Schadensersatz.
1. Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch schuldhaft verletzt, daß sie am 19. Januar 1991 als Flugbegleiterin bei dem Flug 446 von Frankfurt/Main nach Atlanta/USA ihren Reisepaß nicht mit sich führte. Der Klägerin waren die für Flugbegleiter bei der Beklagten bestehenden Dienstvorschriften bekannt, wonach Flugbegleiter bei jedem Einsatz alle erforderlichen Dokumente mit bei sich zu führen haben. So heißt es in den Dienstvorschriften für Flugbegleiter vom 1. Oktober 1990 (DV FLU) unter Kapitel 1.6.2.:
"Ausweisvorschriften
Besatzungsmitglieder sind für die Gültigkeit
ihrer Dokumente selbst verantwortlich und haben
rechtzeitig für die Ausstellung, Verlängerung
bzw. Erneuerung zu sorgen.
Im Einsatz mitzuführende Dokumente:
- Reisepaß
- Visa
- Impfbescheinigung (WHO-Certificate)
- Crewnember-Certificate
- LH-Ausweis"
2. Die in den Dienstvorschriften festgelegte Verpflichtung des Flugbegleiters, bei jedem Auslandseinsatz alle erforderlichen Dokumente bei sich zu führen, soll nicht nur die Einreise des Flugbegleiters ermöglichen, sondern auch das Luftfahrtunternehmen davor bewahren, daß es durch Einreisestrafen einen Schaden erleidet. Die Klägerin wußte auch, daß die Beklagte nach dem amerikanischen Einreiserecht (Immigration and Nationality Act) mit einer Einreisestrafe rechnen mußte, wenn ein Flugbegleiter ohne Reisepaß in die USA einreiste. Hierauf war die Klägerin von der Beklagten in den Informationen für das Kabinenpersonal "cabin memo" hingewiesen worden.
3. Zu Unrecht meint das Landesarbeitsgericht, die Einreisestrafe sei kein ersatzfähiger Schaden. Zwar richtet sich die Einreisestrafe gegen das Luftfahrtunternehmen und nicht gegen den ohne ausreichende Dokumente einreisenden Flugbegleiter. Veranlaßt wird die Einreisestrafe jedoch durch ein Fehlverhalten des Flugbegleiters. Aus diesem Grund geht es hier nicht, wie das Landesarbeitsgericht meint, um eine rechtlich zu mißbilligende Abwälzung einer allein den Arbeitgeber betreffenden Sanktion, sondern um die Haftung des Arbeitnehmers für einen Schaden, den er schuldhaft durch Verletzung seiner Arbeitspflichten verursacht hat. Soweit mit der Einreisestrafe bezweckt werden soll, daß die Luftfahrtunternehmen Kontrollsysteme entwickeln, damit die Anbordnahme von Passagieren ohne gültige Dokumente vermieden wird, liegt zwar auch ein Verschulden der Fluggesellschaft vor. Dieses ist jedoch lediglich unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens des Arbeitgebers (§ 254 BGB) zu berücksichtigen.
II. Die Klägerin haftet entgegen der Auffassung der Beklagten nicht für den vollen Schaden. Es gelten die Grundsätze der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers bei betrieblicher Tätigkeit. Bei der Haftungsquote ist außerdem ein Mitverschulden der Beklagten zu beachten.
1. Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. September 1994 (- GS 1/89 - NZA 1994, 1083, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) finden die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf alle Arbeiten Anwendung, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Die Anwendung der Grundsätze ist nicht davon abhängig, daß die den Schaden verursachenden Arbeiten gefahrgeneigt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens betrifft die durch Dienstanweisungen bestimmten Dienstpflichten der Klägerin.
2. Im Beschluß des Großen Senats vom 27. September 1994 sind die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung wie folgt zusammengefaßt worden:
Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlaß und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Zu den Umständen, denen je nach Lage des Einzelfalles ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist und die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen auch nicht abschließend bezeichnet werden können, gehören der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist. Auch können unter Umständen die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten, zu berücksichtigen sein.
3. Die Klägerin handelte mit normaler Fahrlässigkeit. Der Senat konnte den Grad des Verschuldens der Klägerin selbst bestimmen, da nach den übereinstimmenden Erklärungen beider Parteien die maßgebenden Tatsachen vollständig festgestellt sind.
Wenn die Klägerin am 19. Januar 1991 vor Dienstantritt nicht ihre Dokumententasche auf Vollständigkeit überprüfte und erst während des Fluges in die USA bemerkte, daß sie den Reisepaß nicht mit sich führte, handelte sie nicht grob fahrlässig. Angesichts eines durch ständige Wiederholung zur Routine werdenden Verhaltens kann das einmalige Vergessen der Kontrolle nach Vollständigkeit der Papiere nicht als eine ungewöhnlich hohe Sorgfaltspflichtverletzung angesehen werden. Andererseits ist das Verhalten der Klägerin nicht nur als leichteste Fahrlässigkeit zu werten. Bereits der Umstand, daß das Vergessen des Reisepasses für den Flugbegleiter nach dem Abflug irreparabel ist und zu einem folgenreichen Verstoß gegen Einreisevorschriften des Landestaates führt, schließt es regelmäßig aus, die unterbliebene Kontrolle als geringes Verschulden anzusehen. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin die Kontrolle unterließ, weil sie überlastet war oder sich in einer Konfliktsituation befand, sind nicht ersichtlich.
4. Bei der Haftungsquote ist darüber hinaus auch ein Organisationsverschulden der Beklagten als Mitverschulden nach § 254 BGB zu berücksichtigen.
Die nach amerikanischem Einreiserecht gegen die Luftfahrtunternehmen verhängten Einreisestrafen sollen die Fluggesellschaften dazu anhalten, ein Kontrollsystem zur Überprüfung der Einreisedokumente der von ihnen beschäftigten Flugbegleiter zu entwickeln. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ein solches Kontrollsystem sei ihr nicht zumutbar. Wie die Beklagte in ihrer hauseigenen Broschüre "Teamwork" selbst ausführt, prüft der "Purser" oder die "Purserette" (Chef der Kabinenbesatzung) beim "Briefing" vor Einsatzbeginn für eine Crew, "ob die persönlichen Dokumente und Arbeitsunterlagen vollständig vorhanden und die Uniformen in einwandfreiem Zustand sind" ( Teamwork 2/91). Die Beklagte handelt widersprüchlich, wenn sie nun erklärt, sie könne eine solche Kontrolle beim Briefing nicht vornehmen. Art und Weise sowie Umfang der Überprüfung kann das Luftfahrtunternehmen allerdings selbst bestimmen. Auch die Aufforderung des Pursers an die Flugbegleiter, in seiner Gegenwart beim Briefing die Einreisedokumente selbst auf Vollständigkeit zu überprüfen, könnte genügen, um ein Fehlen des Reisepasses, wie im vorliegenden Fall, zu bemerken. Wird, wie im Streitfall, aber keinerlei Kontrolle vorgenommen, liegt ein Mitverschulden des Luftfahrtunternehmens vor.
III. Die Beklagte hat gegen die Gehaltsansprüche der Klägerin in Höhe von 1.510,00 DM wirksam aufgerechnet. Diesen Betrag kann die Beklagte von der Klägerin als Schadensersatz verlangen.
Die Klägerin haftet gegenüber der Beklagten aus positiver Vertragsverletzung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers bei betrieblicher Tätigkeit und eines Mitverschuldens des Arbeitgebers zu einem Drittel des eingetretenen Schadens. Die Parteien haben in einem Vergleich vor dem Senat erklärt, sie seien darüber einig, daß im Falle der Haftung der Klägerin eine Haftungsquote von einem Drittel anzunehmen sei. Damit konnte der Senat, nachdem eine Haftung der Klägerin zu bejahen war (siehe oben unter I. und II.), ohne weitere Prüfung von der vergleichsweise vereinbarten Haftungsquote ausgehen.
Bei einem unstreitigen Schaden der Beklagten in Höhe von 4.530,00 DM ergibt dies einen Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin von 1.510,00 DM. Nach Aufrechnung mit diesem Betrag verbleibt der Klägerin ein von der Beklagten zu Unrecht einbehaltenes Gehalt von 3.020,00 DM. In dieser Höhe hat die Klage Erfolg. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich nach §§ 288, 291 ZPO.
Ascheid Dr. Wittek Müller-Glöge
Schömburg R. Iskra
Fundstellen
Haufe-Index 441645 |
BB 1995, 1193 |
BB 1995, 1193-1194 (LT1) |
DB 1995, 1179-1180 (LT1) |
NJW 1995, 3204-3205 (LT) |
AiB 1995, 606 (LT1) |
AiB 1995, 804-805 (LT1) |
EWiR 1995, 653 (L) |
NZA 1995, 565 |
NZA 1995, 656-566 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 530/95 (L) |
AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (LT1), Nr 106 |
AR-Blattei, ES 870 Nr 131 (LT1) |
EzA § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung, Nr 60 (LT1) |