Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechenbarkeit einer tariflichen Einmalzahlung auf übertarifliche Zulagen. Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über Besitzstandzahlungen. Betriebsverfassungsrecht. Tarifauslegung
Leitsatz (amtlich)
Die Einmalzahlung nach § 2 Nr. 4 LTV bayerische Bekleidungsindustrie vom 26. Mai 1999 ist eine pauschalierte Lohnerhöhung. Sie kann nach Maßgabe einer entsprechenden Abrede als “Tariferhöhung” auf übertarifliche Zulagen angerechnet werden.
Orientierungssatz
- Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Ausgestaltung von Regelungen zur Besitzstandswahrung beim Wechsel von Leistungslohn zu Zeitlohn im Rahmen eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Dotierungsrahmens.
- “Tariferhöhung” im Sinne einer Anrechnungsabrede ist nach allgemeinem Sprachverständnis die Erhöhung des dem Arbeitnehmer als Arbeitsvergütung für eine bestimmte Zeitspanne tariflich geschuldeten Entgeltbetrags.
- Die Einmalzahlung nach § 2 Nr. 4 LTV bayerische Bekleidungsindustrie vom 26. Mai 1999 stellt als pauschalierte Lohnerhöhung eine Tariferhöhung dar, die bei entsprechender Abrede auf übertarifliche Zulagen angerechnet werden kann.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nrn. 10-11; TVG § 4 Abs. 3-4; Lohntarifvertrag für die arbeiterrentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie Bayerns vom 26. Mai 1999 §§ 2, 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerinnen und Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 4. Mai 2001 – 1 Sa 867/00 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen und Kläger haben die Kosten der Revision zu je 1/6 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte eine tarifvertragliche Einmalzahlung wirksam auf übertarifliche Zulagen der Klägerinnen und Kläger hat anrechnen können.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bekleidungsindustrie. Die Klägerinnen und Kläger sind bei ihr als gewerbliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien finden kraft beidseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge der bayerischen Bekleidungsindustrie Anwendung.
Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gewählt. Am 30. April 1998 schloß die Beklagte mit diesem eine” Betriebsvereinbarung über die Umgruppierung von Akkordlohn in Zeitlohn und die Eingruppierung der gewerblichen Arbeitnehmer gemäß Lohnrahmentarifvertrag”. Die Betriebsvereinbarung hat folgenden Wortlaut:
- “
- Die Akkordvereinbarung und die Betriebsvereinbarung vom 21.12.1979 treten am 30.04.1998 außer Kraft. Ab 01.05.1998 werden alle gewerblichen Arbeitnehmer in Zeitlohngruppen eingestuft. Die Einstufung erfolgt gemäß Lohnrahmentarifvertrag.
Zum 30.04.1998 wird für jeden gewerblichen Arbeitnehmer der Stundenlohn ermittelt, indem der Durchschnitt der letzten 3 Monate errechnet wird.
Die Differenz zwischen Zeitlohn und Durchschnitt wird als freiwillige übertarifliche Zulage gewährt.
- Bei der Tariferhöhung im Juli 1998 werden die Zulagen voll verrechnet. Ab 1999 werden die Zulagen nur zur Hälfte angerechnet, d. h. es wird die halbe Tariferhöhung gezahlt. Dies erfolgt so lange, bis diese Zulagen völlig aufgebraucht sind.”
Am 30. April 1999 endete die Laufzeit des bis dahin geltenden Lohntarifvertrags. Am 26. Mai 1999 schlossen die Tarifvertragsparteien mit Wirkung vom 1. Mai 1999 einen neuen Lohntarifvertrag. Darin heißt es:
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Lohnerhöhungen und Tarifbestandteile
- Die Tariflohnsätze der Anlage A (Lohngruppenverzeichnis) – gültig ab 1. Juli 1998 – bleiben bis zum 31. Juli 1999 unverändert und werden ab 1. August 1999 um 3,1 % erhöht. …
- …
Alle Vollzeitbeschäftigten erhalten eine Einmalzahlung von DM 200,00, die im Juli 1999 ausgezahlt wird. Für die Auszubildenden beträgt die Einmalzahlung DM 100,00. Es gelten folgende Bestimmungen:
Die Einmalzahlung erhalten die Arbeitnehmer in voller Höhe, wenn sie Vollzeitbeschäftigte sind und einen vollen Anspruch auf Entgelt, Fortzahlung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes, Urlaubsentgelt oder auf Kurzarbeitergeld haben.
Teilzeitbeschäftigte erhalten eine anteilige Einmalzahlung.
Soweit für voll– und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer im Mai, Juni bzw. Juli 1999 kein voller Anspruch auf Zahlung des Entgelts, auf Entgeltfortzahlung oder auf Kurzarbeitergeld für den Zeitraum besteht, ist die Pauschalzahlung zeitanteilig zu kürzen.
Arbeitnehmer, die nach dem 1. Mai bis zum 31. Juli 1999 eingetreten bzw. ausgeschieden sind, erhalten die Pauschalzahlung anteilig entsprechend der Dauer ihres Arbeitsverhältnisses.
Eine weitere Einmalzahlung in Höhe von DM 90,00 wird im Juli 2000 bezahlt. Die Auszubildenden erhalten DM 45,00. Die obigen Bestimmungen geltend entsprechend, bezogen auf den August 2000.
Diese Einmalzahlungen sind nicht in die Durchschnittsberechnungen einzubeziehen.
- Die Anlagen A…, B…, C… sind Bestandteile dieses Tarifvertrages.
§ 6
Öffnungsklausel
Bis zum 31. Juli 1999 setzte sich der Effektivlohn der Klägerinnen und Kläger zusammen aus dem tariflichen Stundenlohn der jeweiligen Lohngruppe und einer übertariflichen Zulage. Diese belief sich auf einen Betrag zwischen 0,78 DM und 2,73 DM pro Stunde. Mit der Lohnabrechnung für Juli 1999 verrechnete die Beklagte die Hälfte der tariflichen Einmalzahlung von 200,00 DM mit der jeweiligen übertariflichen Zulage und zahlte nur die andere Hälfte aus. Gleichwohl verblieb im Juli 1999 ein höherer Effektivlohn als der Tariflohn nach dem Lohntarifvertrag einschließlich der vollen Einmalzahlung.
Die Klägerinnen und Kläger haben die Anrechnung für unwirksam gehalten. Sie haben die Auffassung vertreten, bei der tariflichen Einmalzahlung habe es sich nicht um eine pauschalierte Lohnerhöhung für die Monate Mai bis Juli 1999, sondern um eine besondere Leistung gehandelt, die zusätzlich zum Lohn habe gewährt werden sollen.
Sie haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie jeweils 51,13 Euro (100,00 DM) brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. November 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, bei der Einmalzahlung habe es sich um eine pauschalierte Lohnerhöhung gehandelt, die sie ebenso wie eine lineare Lohnerhöhung auf die übertariflichen Zahlungen habe anrechnen dürfen.
Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision erstreben die Klägerinnen und Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidungen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Tarifliche Ansprüche hat die Beklagte erfüllt. Die Anrechnung der halben tariflichen Einmalzahlung 1999 auf die übertariflichen Zulagen ist wirksam.
Unterschriften
Wissmann, Schmidt, Kreft, Wisskirchen, Büßenschütt
Fundstellen
Haufe-Index 856924 |
BB 2003, 108 |
DB 2003, 1584 |
NZA 2003, 224 |
SAE 2003, 84 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 22 |
EzA |
AUR 2003, 39 |
SPA 2002, 3 |