Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligung einer schwerbehinderten Bewerberin. Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung trotz Hinweises der Bewerberin
Leitsatz (amtlich)
Teilt ein Bewerber im Bewerbungsschreiben seine Schwerbehinderung mit, ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Bewerbungsschreiben bei seinem Eingang vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Diese Pflicht beruht für Altfälle auf § 81 SGB IX in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung (aF). Übersehen die für den Arbeitgeber handelnden Personen den Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft und verstößt der Arbeitgeber deshalb gegen seine Pflichten aus § 81 SGB IX aF, wird eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermutet. Die unterlassene Kenntniserlangung der in seinem Einflussbereich eingesetzten Personen wird dem Arbeitgeber als objektive Pflichtverletzung zugerechnet. Auf ein Verschulden der handelnden Personen kommt es nicht an.
Orientierungssatz
1. Auf Benachteiligungen wegen Behinderungen, die vor Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 abgeschlossen waren, ist noch § 81 SGB IX in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung (aF) anzuwenden.
2. Die dreimonatige Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG in der am 18. August 2006 in Kraft getretenen Fassung gilt noch nicht für Entschädigungsklagen, denen Benachteiligungen wegen einer Behinderung zugrunde liegen, die bis 17. August 2006 abgeschlossen waren. Die Klagefrist des § 61b ArbGG in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung beschränkte sich auf Entschädigungsklagen wegen geschlechtsbezogener Benachteiligungen.
3. Teilt ein Bewerber im Bewerbungsschreiben seine Schwerbehinderung mit, muss der Arbeitgeber das Bewerbungsschreiben bei seinem Eingang vollständig zur Kenntnis nehmen. Diese Pflicht beruht für Altfälle auf § 81 SGB IX aF. Übersehen die für den Arbeitgeber handelnden Personen den Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft und verstößt der Arbeitgeber deshalb gegen seine Pflichten aus § 81 SGB IX aF, wird eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermutet. Die unterlassene Kenntniserlangung der in seinem Einflussbereich eingesetzten Personen wird dem Arbeitgeber als objektive Pflichtverletzung zugerechnet. Auf ein Verschulden der handelnden Personen kommt es nicht an.
4. Die Würdigung der Tatsachengerichte, dass die von einem Bewerber vorgetragenen Tatsachen eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, ist revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar.
Normenkette
Richtlinie 2000/78/EG Art. 1, 10; Richtlinie 76/207/EWG i.d.F. der Richtlinie 2002/73/EG Art. 2; Richtlinie 76/207/EWG i.d.F. der Richtlinie 2002/73/EG Art. 3; GG Art. 12, 33; AGG §§ 1-2, 7, 15, 33; ArbGG § 61b; BGB §§ 187, 278, 288, 291, 611a, 611b, 612 in den bis 17. August 2006 geltenden Fassungen; SGB IX §§ 2, 69, 81 in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung, §§ 82, 95; ZPO §§ 253, 286
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 19.09.2007; Aktenzeichen 5 Sa 552/06) |
ArbG Dresden (Urteil vom 20.06.2006; Aktenzeichen 9 Ca 381/06) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 19. September 2007 – 5 Sa 552/06 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Freistaat der Klägerin eine Entschädigung zu zahlen hat, weil er sie bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen ihrer Behinderung benachteiligte.
Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 80. Sie ist ausgebildete Wirtschaftskauffrau.
Das Staatsministerium für Kultus des Freistaats Sachsen als Träger der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung (Akademie) schrieb im Juni 2005 “die Stelle einer/eines Mitarbeiterin/Mitarbeiters in der Verwaltung für Buchhaltung/Kasse” aus. Die Position war befristet bis längstens März 2007 zu besetzen. Das Aufgabengebiet wurde wie folgt beschrieben:
“– Führung der Geldannahmestelle (Kassierung, Einzahlung und Buchung der Bargeldeinnahmen von Lehrgängen, Essensgeld etc.)
– Erstellen von Zahlungsaufforderungen für Verpflegungsleistungen und Übernachtungen von Lehrgangsteilnehmern im Hause
– Monatliche Gesamtabrechnung der Bargeld-Einnahmen je Buchungsstelle bei der Hauptkasse
– Buchung und Titelverwaltung der Buchungsstelle für Honorare
– monatliche Abstimmung der ausgeführten Buchungen mit den Buchungslisten der Hauptkasse”
Die bis 5. Juli 2005 befristete Stellenausschreibung forderte eine “abgeschlossene Ausbildung in einem einschlägigen Beruf bzw. eine abgeschlossene Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte/r”. Die Vergütung sollte sich nach dem BAT-O richten. Das Monatsgehalt hätte in VergGr. VII BAT-O 2.037,92 Euro brutto betragen.
Die Klägerin bewarb sich unter dem 24. Juni 2005 aus der unbefristeten und ungekündigten Position einer Sachbearbeiterin in einem städtischen Hauptamt um die ausgeschriebene Stelle. Ihr Bewerbungsschreiben lautet auszugsweise:
“Vom 11.03.2002 bis 10.03.2004 umfasste mein Aufgabengebiet die Bezügeberechnung für Beamte, Wahlbeamte, Angestellte und Arbeiter unter Festsetzen von ständigen und unständigen Lohnbestandteilen, Berechnung von Kindergeld, Reisekosten sowie Errechnung von Einmalzahlungen, die Zahlung von Vorschüssen, Pfändungszahlungen unter den derzeit gültigen Verwaltungsrichtlinien BAT-O und BMT-G-O sowie die monatliche Summenzusammenstellung über die gezahlten Bezüge gegenüber der Kämmerei und die Endabrechnungen der AB-Maßnahmen gegenüber dem Arbeitsamt. …
Mein Aufgabengebiet umfasst derzeit die Bearbeitung der Eingangspost, zentrale Erfassung von Rechnungen, Literatur- und Bürobestellungen für die Ämter, Betreuung der Zentralregistratur. Weiterhin bin ich für die Handkasse des Hauptamtes verantwortlich und deren Abrechnung gegenüber der Stadtkasse.
…
Seit Mai vorigen Jahres besuche ich in meiner Freizeit (freitags 13:00 – 20:00 Uhr und sonnabends 08:00 – 15:30 Uhr) bei der Sächsischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Dresden den Vorbereitungslehrgang für die Abschlussprüfung zum Verwaltungsangestellten, welcher voraussichtlich im Frühjahr 2006 beendet sein wird.
…
Nicht verschweigen möchte ich, dass ich durch meine Diabetes als schwerbehindert gelte, was sich keinesfalls auf meine Arbeitsleistung und -bereitschaft auswirkt.”
Um die ausgeschriebene Stelle bewarben sich 126 Personen. Die Akademie erfasste alle Bewerber in einer Übersicht. Die Aufstellung enthielt eine Spalte, in der eine mögliche (Schwer-)Behinderung oder Gleichstellung einzutragen war. Die Klägerin wurde in der Übersicht nicht als schwerbehindert erfasst, weil der frühere Verwaltungsleiter der Akademie und eine Personalsachbearbeiterin den Hinweis auf ihre Schwerbehinderung übersehen hatten. Die Klägerin wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Die Akademie teilte der Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 28. August 2005, handschriftlich berichtigt auf den 28. Juli 2005, mit, die Vermittlungsanzeige für schwerbehinderte Menschen bei der Agentur für Arbeit sei ergebnislos geblieben. Unter den 126 Bewerbern seien drei Personen mit einer geringfügigen Behinderung und drei Personen, die schwerbehinderten Menschen gleichgestellt seien, jedoch keine Schwerbehinderten. Es sei beabsichtigt, eine der Bewerberinnen bereits am 1. August 2005 einzustellen, weil die Stelle dringend besetzt werden müsse. Das war mit der Schwerbehindertenvertretung schon zwei Tage zuvor telefonisch besprochen worden.
Der damalige Verwaltungsleiter der Akademie lehnte die Bewerbung der Klägerin mit Schreiben vom 28. Juli 2005, ihr zugegangen am 30. Juli 2005, ab und schickte ihr die Bewerbungsunterlagen zurück.
Die Stelle wurde am 1. August 2005 mit einer Mitbewerberin der Klägerin besetzt. Diese verfügt über den Abschluss einer staatlich geprüften kaufmännischen Assistentin und ist zudem Fachangestellte für Bürokommunikation.
Die Klägerin unternahm mehrere Versuche, den Grund der Ablehnung ihrer Bewerbung zu erfahren. Ihr Prozessbevollmächtigter machte mit Schreiben vom 23. September 2005, dem Beklagten zugegangen am 25. September 2005, einen Schadensersatzanspruch wegen Benachteiligung aufgrund einer Behinderung nach § 81 Abs. 2 SGB IX in der bis 17. August 2006 geltenden Fassung vom 23. April 2004 (aF) gegenüber der Akademie geltend.
Die Direktorin der Akademie führte in ihrem Antwortschreiben vom 11. Oktober 2005 aus, den Bewerbungsunterlagen sei der erforderliche Nachweis der Schwerbehinderung nicht zu entnehmen gewesen. Die Schwerbehindertenvertretung sei daher “nicht explizit” auf die Schwerbehinderung der Klägerin hingewiesen worden. Die Behörden des Freistaats Sachsen arbeiteten mit dem Buchungssystem SaxMBS. Eine Mitbewerberin habe im Unterschied zur Klägerin entsprechende Kenntnisse gehabt. Dieser Umstand habe nach § 82 “Ziffer 3” SGB IX ein Vorstellungsgespräch mit der Klägerin entbehrlich gemacht. Hinzu komme, dass die Rahmenbedingungen der gleitenden Arbeitszeit die weitere Teilnahme der Klägerin an dem Lehrgang der Sächsischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie ausgeschlossen hätten.
Die Klägerin hat in ihrer dem Beklagten am 3. Februar 2006 zugestellten Klage behauptet, in der Bewerbungsmappe habe sich eine Kopie ihres Schwerbehindertenausweises befunden. Sie habe sich in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis in einer Konfliktsituation befunden. Die Klägerin meint, die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch verstoße gegen § 82 SGB IX. Die Schwerbehindertenvertretung sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie Schadensersatz nach billigem Ermessen des Gerichts, mindestens jedoch iHv. 6.554,67 Euro zuzüglich Verzugszinsen hieraus seit dem 25. September 2005 von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Der beklagte Freistaat hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Ansicht, dass die Klägerin für die Stelle offensichtlich nicht geeignet und die Bewerbung wegen ihres unbefristeten Arbeitsverhältnisses nicht ernsthaft gewesen sei. Eine Benachteiligung der Klägerin “wegen ihrer Behinderung” nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF scheide jedenfalls deshalb aus, weil die für den Beklagten handelnden Personen die Schwerbehinderung der Klägerin versehentlich überlesen hätten. Der Entschädigungsanspruch setze Kenntnis von der Schwerbehinderung des Bewerbers voraus. Die Schwerbehinderung müsse zumindest einer der Beweggründe für die ablehnende Entscheidung des Arbeitgebers sein. Fehle diese Kausalität, sei der Tatbestand des § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF nicht erfüllt, ohne dass es auf die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung durch einen sachlichen Grund ankomme.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat der Klägerin anstelle der eingeklagten drei Gehälter von jeweils 2.184,89 Euro eine Entschädigung von 3.056,88 Euro – anderthalb Gehältern auf der Grundlage eines Monatsentgelts von 2.037,92 Euro brutto – nebst Verzugszinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25. September 2005 zugesprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Verurteilung des Beklagten zur Entschädigungszahlung nur in Höhe eines Monatsgehalts von 2.037,92 Euro nebst Prozesszinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 3. Februar 2006 aufrechterhalten. Das Berufungsgericht hat die auf Zahlung weiterer 3.056,88 Euro gerichtete Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der gesamten Klage mit Ausnahme des Zinsantrags für den 3. Februar 2006 weiter. Der Beklagte hat in der Revisionsverhandlung auf den Angriff gegen die Verurteilung zur Verzinsung dieses Tags verzichtet. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Ein solcher Klageantrag ist hier zulässig, weil der Betrag gemäß § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 1. Halbs. SGB IX aF nach billigem Ermessen des Gerichts zu bestimmen ist. Die Klägerin hat die Tatsachen, die das Gericht bei seiner Ermessensausübung heranziehen soll, benannt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben (vgl. ausführlich Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 12, BAGE 119, 262; 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361, zu A der Gründe).
II. Der mit der Revision zur Entscheidung des Senats angefallene Teil der Klage von 2.037,92 Euro nebst Prozesszinsen seit 4. Februar 2006 ist begründet.
1. Der Entschädigungsanspruch der Klägerin beruht auf § 81 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 2 und 3 SGB IX aF iVm. § 82 Satz 2 SGB IX und § 81 Abs. 1 Satz 4 und 6 SGB IX aF, § 95 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. SGB IX.
a) Auf den Streitfall sind noch nicht die am 18. August 2006 in Kraft getretenen §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 7 und 15 AGG anzuwenden.
aa) Die Übergangsvorschrift des § 33 Abs. 1 AGG bezieht sich nach ihrem Wortlaut nur auf Benachteiligungen nach §§ 611a, 611b, 612 Abs. 3 BGB und sexuelle Belästigungen nach dem Beschäftigtenschutzgesetz. § 33 Abs. 1 AGG soll jedoch nicht rückwirkend Sachverhalte regeln, die bei Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 bereits abgeschlossen waren. Neues Recht ist nur anzuwenden, wenn nach dem 17. August 2006 Tatsachen entstehen, die für die Benachteiligungsverbote des AGG erheblich sind. Die Übergangsregelung des § 33 Abs. 1 AGG meint daher alle unerlaubten Benachteiligungen, die zeitlich vor Inkrafttreten des AGG liegen, auch Benachteiligungen wegen Behinderungen. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs findet auf solche – schon vor dem 18. August 2006 abgeschlossenen – Benachteiligungen die alte Rechtslage einschließlich des § 81 Abs. 2 SGB IX aF Anwendung (vgl. BTDrucks. 16/1780 S. 53). Es kommt auf den Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung an. IdR ist die zugrunde liegende Entscheidung des Arbeitgebers maßgeblich, etwa die Entscheidung, einen Bewerber nicht einzustellen (vgl. zu dem aufgehobenen § 611a BGB Senat 14. August 2007 – 9 AZR 943/06 – Rn. 28, AP AGG § 33 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 5; allgemeiner zu der Geltung alten Rechts im Zusammenhang mit § 17 BErzGG/BEEG 20. Mai 2008 – 9 AZR 219/07 – Rn. 10, NZA 2008, 1237).
bb) Die Handlungen des Beklagten waren hier vor Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 abgeschlossen. Der Beklagte lehnte die Bewerbung mit Schreiben vom 28. Juli 2005, der Klägerin zugegangen am 30. Juli 2005, ab. Er besetzte die Stelle am 1. August 2005 mit einer Mitbewerberin.
b) Als Anspruchsgrundlagen kommen nur § 81 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 2 und 3 SGB IX aF iVm. § 82 Satz 2 SGB IX und § 81 Abs. 1 Satz 4 und 6 SGB IX aF, § 95 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. SGB IX in Betracht. Die Entschädigung ist für Altfälle in § 81 Abs. 2 SGB IX aF abschließend geregelt (Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 14 f., BAGE 119, 262; 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361, zu B I der Gründe).
c) Die dreimonatige Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG in seiner am 18. August 2006 in Kraft getretenen Fassung vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897, 1908), die nicht eingehalten wäre, gilt für den Streitfall noch nicht. Erst die Neufassung des § 61b ArbGG bezieht auch Entschädigungsklagen aufgrund von Benachteiligungen wegen einer Behinderung (§§ 1, 15 AGG) in den Geltungsbereich der Dreimonatsfrist ein. § 61b Abs. 1 ArbGG idF vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1406, 1412) war nur auf Entschädigungsklagen wegen geschlechtsbezogener Benachteiligungen nach § 611a Abs. 2 BGB anzuwenden (vgl. zB Schwab/Weth/Walker ArbGG 2. Aufl. § 61b Rn. 2).
2. Die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen lassen eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Behinderung vermuten. Die rechtliche Würdigung dieser Tatsachen durch das Berufungsgericht ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin wurde zu Unrecht nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Schwerbehindertenvertretung wurde in dem Bewerbungsverfahren nicht ordnungsgemäß beteiligt. Die daraus folgende Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt.
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts übersahen die für den Beklagten handelnden Personen den Hinweis der Klägerin auf ihre Schwerbehinderung im letzten Absatz des Bewerbungsschreibens. Entgegen der Auffassung der Revision ist dennoch eine Benachteiligung der Klägerin “wegen ihrer Behinderung” iSv. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF anzunehmen.
aa) Im Rahmen der von § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF vorausgesetzten Benachteiligung “wegen … Behinderung” kann offenbleiben, ob der Arbeitgeber Umstände nachschieben kann, über die er den Bewerber entgegen § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX aF nicht unverzüglich unterrichtete (dagegen Hessisches LAG 22. März 2006 – 2 Sa 1686/05 – juris Rn. 26, AR-Blattei ES 1440 Nr. 146). Erlangt der Arbeitgeber durch Handlungen oder Unterlassungen der für ihn handelnden Personen trotz eines Hinweises im Bewerbungsschreiben keine positive Kenntnis von der Schwerbehinderung des Bewerbers, wird eine Benachteiligung “wegen der Behinderung” nach § 81 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF gleichwohl vermutet. Die Handlungen oder Unterlassungen der für ihn handelnden Personen sind dem Arbeitgeber objektiv zuzurechnen.
bb) Die Tatsachen der unterbliebenen Einladung der Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch und der nicht erfolgten Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über die Schwerbehinderung der Klägerin begründen die Vermutung einer Benachteiligung iSv. § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF.
(1) Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. September 2006 (– 9 AZR 807/05 – Rn. 44, BAGE 119, 262) zu den “nicht auf die Behinderung bezogenen, sachlichen Gründen” des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF ausgeführt, es komme nicht darauf an, ob der Arbeitgeber nicht beabsichtige, behinderte Bewerber zu benachteiligen. Es genüge, dass die unterlassenen Maßnahmen objektiv geeignet seien, schwerbehinderten Bewerbern keine oder schlechtere Chancen einzuräumen. Die Revision meint demgegenüber, die Grundlage der Vermutung des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF bestehe nicht, wenn die für den Arbeitgeber handelnden Personen die Schwerbehinderteneigenschaft nicht zur Kenntnis genommen hätten. Bleibe dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung unbekannt, könne er den Bewerber nicht “wegen seiner Behinderung” benachteiligen iSv. § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (ebenso LAG Nürnberg 1. April 2004 – 7 SHa 4/04 – juris Rn. 11, AP SGB IX § 81 Nr. 6; ArbG Kiel 9. Februar 2006 – ö.D. 5 Ca 1995 d/05 – juris Rn. 46 f., SchlHa 2007, 443, zu a bb der Gründe).
(2) § 81 Abs. 2 SGB IX aF war dem inzwischen aufgehobenen § 611a BGB nachgebildet, der vor Inkrafttreten des AGG das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts regelte. § 81 Abs. 2 SGB IX aF diente zudem der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16; vgl. Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 22, BAGE 119, 262; 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361, zu B I der Gründe).
(3) Der Entschädigungsanspruch wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung aus § 611a Abs. 2 BGB setzte in der bis 2. Juli 1998 geltenden Fassung vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1406, 1411) voraus, dass der Arbeitgeber den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 611a Abs. 1 BGB bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zu vertreten hatte. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erklärte das Verschuldenserfordernis jedoch in seiner Draehmpaehl-Entscheidung für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG (22. April 1997 – C-180/95 – Rn. 16 ff., insbesondere Rn. 21 f., EuGHE I 1997, 2195). Der deutsche Gesetzgeber hob daraufhin mit Wirkung vom 3. Juli 1998 durch Gesetz vom 29. Juni 1998 (BGBl. I S. 1694) das Verschuldenserfordernis in § 611a Abs. 2 BGB auf.
(4) Die in der Entscheidung des Achten Senats vom 5. Februar 2004 für Diskriminierungen wegen des Geschlechts aufgestellten Grundsätze (– 8 AZR 112/03 – BAGE 109, 265, zu II 2b bb (2) der Gründe mit Bezug auf EuGH 22. April 1997 – C-180/95 – [Draehmpaehl] EuGHE I 1997, 2195) können auf die Benachteiligung wegen einer Behinderung übertragen werden. Dafür sprechen vor allem die “Vorbildfunktion” des aufgehobenen § 611a Abs. 2 BGB für § 81 Abs. 2 SGB IX aF, der Wortlaut der beiden Normen und der ihnen zugrunde liegenden Richtlinien sowie die Gesetzesgeschichte des § 611a Abs. 2 BGB. Der Achte Senat hat aaO für die Verletzung einer Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung durch einen eingeschalteten Dritten darauf abgestellt, dass es nicht um eine Verschuldenszurechnung (iSv. § 278 Satz 1 2. Alt. BGB) gehe, sondern um eine Zurechnung der objektiven Handlungsbeiträge der für den Arbeitgeber handelnden Personen im vorvertraglichen Vertrauensverhältnis. Sanktioniert sei der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen das Diskriminierungsverbot. Auch nach der Senatsrechtsprechung kommt es für den anspruchsbegründenden Tatbestand des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB IX aF auf ein Verschulden nicht an. Lediglich bei der Bestimmung der angemessenen Höhe der Entschädigung ist die Schwere des Verstoßes und damit der Verschuldensgrad zu berücksichtigen (12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 22, BAGE 119, 262).
(5) Diese Grundsätze sind auch im Streitfall anzuwenden, in dem es die vom Beklagten eingesetzten Personen unterließen, von der Schwerbehinderung Kenntnis zu nehmen, obwohl die Klägerin im Bewerbungsschreiben hinreichend deutlich auf ihre Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen hatte. Die unterlassene Kenntniserlangung ist dem Beklagten als objektive Pflichtverletzung zuzurechnen.
(a) Jeder Arbeitgeber hat die Erledigung seiner Personalangelegenheiten so zu organisieren, dass er die gesetzlichen Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Bewerber erfüllen kann. Die für den Arbeitgeber handelnden Personen sind verpflichtet, das Bewerbungsschreiben vollständig zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Es kann dahinstehen, ob diese Pflicht aus dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis folgt. Sie beruht jedenfalls auf der gesetzlichen Konzeption der Förderungspflichten gegenüber schwerbehinderten Bewerbern, die § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF und – für öffentliche Arbeitgeber – § 82 SGB IX begründen. Ein ordnungsgemäßer Hinweis auf eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, die es ihm ermöglicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen. Da die Schwerbehindertenvertretung nach Eingang der Bewerbung eines Schwerbehinderten unverzüglich zu unterrichten ist (§ 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF, § 95 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. SGB IX), kann der Arbeitgeber nicht abwarten, bis der Bewerber seinen Schwerbehindertenausweis oder den Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorlegt.
(b) Für eine Übertragung der Erwägungen des Achten Senats zu geschlechtsbezogenen Benachteiligungen (5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – BAGE 109, 265, zu II 2b bb (2) der Gründe) auf eine unterbliebene Kenntniserlangung von der Schwerbehinderteneigenschaft trotz ordnungsgemäßen Hinweises des Bewerbers sprechen ua. die ähnlichen Formulierungen im aufgehobenen § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB (“nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen”) und in § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (“nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen”). Die zugrunde liegenden Richtlinien ähneln sich im Wortlaut ebenfalls. Art. 2 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. EG Nr. L 39 vom 14. Februar 1976 S. 40) in der für den Rechtsstreit noch maßgeblichen Fassung der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. EG Nr. L 269 vom 5. Oktober 2002 S. 15) verbietet eine “Diskriminierung aufgrund des Geschlechts”. Art. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG will Diskriminierungen “wegen einer Behinderung” bekämpfen.
(c) Die objektive Zurechnung des Unterlassens der vom Beklagten eingesetzten Personen ist auch mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG geboten. Danach “ergreifen die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat”.
(aa) Es liefe der von der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG vorgegebenen Beweislastverteilung zuwider, wenn in die Vermutungsgrundlage des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF die positive Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung als Voraussetzung einbezogen würde, obwohl der Bewerber die Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben ordnungsgemäß mitgeteilt hat. Besteht der glaubhafte Anschein einer Diskriminierung, verlangt die Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, dass die Beweislast für die unterbliebene Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim Arbeitgeber liegt (vgl. EuGH 17. Juli 2008 – C-303/06 – [Coleman] Rn. 54, NZA 2008, 932).
(bb) Mit der Darlegung der bloßen tatsächlichen Unkenntnis der für ihn handelnden Personen von der Schwerbehinderung konnte der Beklagte den Eintritt der Vermutungswirkung nicht abwenden. Mit der Angabe der Klägerin im Bewerbungsschreiben bestand die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme. Auf die vorsorglich erhobene Aufklärungsrüge des Beklagten zu der Frage der unterbliebenen Kenntniserlangung kommt es deshalb nicht an. Schon der glaubhafte Anschein einer Benachteiligung aufgrund objektiver Tatsachen genügt, um die Vermutungswirkung auszulösen. Er ist zu bejahen, wenn die Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben ordnungsgemäß mitgeteilt wird und dem Arbeitgeber die Kenntniserlangung möglich ist, also in seinem Einflussbereich liegt. In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Behandlung des Bewerbers durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die mit einer Diskriminierung wegen einer Behinderung nichts zu tun haben (vgl. EuGH 17. Juli 2008 – C-303/06 – [Coleman] Rn. 55, NZA 2008, 932).
b) Auch die übrigen Anforderungen der Vermutungsgrundlage des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF sind gewahrt. Das Landesarbeitsgericht hat sich innerhalb seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums gehalten, indem es die Würdigung vorgenommen hat, dass eine Kausalität zwischen Behinderteneigenschaft und Nachteil hier überwiegend wahrscheinlich ist (zu der nötigen Wahrscheinlichkeit Senat 3. April 2007 – 9 AZR 823/06 – Rn. 36, AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361, zu B IV 1b bb (1) und (2) der Gründe).
aa) Die Würdigung der Tatsachengerichte, dass die von einem Bewerber vorgetragenen oder unstreitigen Tatsachen eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen einer Behinderung und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (vgl. zu geschlechtsbezogenen Benachteiligungen zB BAG 24. April 2008 – 8 AZR 257/07 – Rn. 27 f., EzA-SD 2008 Nr. 22 S. 4).
bb) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung stand. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts alle wesentlichen Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt. Die beiden von ihm als Hilfstatsachen herangezogenen Verstöße gegen § 82 Satz 2 SGB IX und § 81 Abs. 1 Satz 4 und 6 SGB IX aF, § 95 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. SGB IX tragen die von ihm angenommene Vermutungswirkung nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF (zu der gebotenen indiziellen Würdigung Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 19, BAGE 119, 262; vgl. im Rahmen der Prüfung einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung auch BAG 24. April 2008 – 8 AZR 257/07 – Rn. 25 und 35, EzA-SD 2008 Nr. 22 S. 4).
(1) Das trifft zunächst auf die erste Hilfstatsache zu. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es lasse eine Benachteiligung der Klägerin vermuten, dass der beklagte Freistaat die schwerbehinderte Klägerin entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe.
(a) Der öffentliche Arbeitgeber hat den sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen nach § 82 Satz 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht besteht gemäß § 82 Satz 3 SGB IX nur dann nicht, wenn dem schwerbehinderten Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber nach dem Gesetzesziel einladen. Der schwerbehinderte Bewerber soll den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält. Der Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ist eine Benachteiligung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht (vgl. Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 24, BAGE 119, 262).
(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, wonach der Klägerin für die ausgeschriebene Stelle nicht offensichtlich die fachliche Eignung iSv. § 82 Satz 3 SGB IX fehlte, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob ein Bewerber offensichtlich nicht die notwendige fachliche Eignung hat, ist ua. anhand der Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen für die zu besetzende Stelle zu beurteilen (Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 25, BAGE 119, 262).
(aa) Nach der Stellenausschreibung verlangte der Beklagte eine “abgeschlossene Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte” oder eine “abgeschlossene Ausbildung in einem einschlägigen Beruf”. Die Alternative einer einschlägigen Berufsausbildung erfüllt die Klägerin. Sie ist Wirtschaftskauffrau und verfügt damit über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte keine Anhaltspunkte genannt, die darauf schließen lassen, dass es sich bei dem Abschluss einer Wirtschaftskauffrau nicht um eine “einschlägige” Berufsausbildung handelt.
(bb) Das Landesarbeitsgericht hat sich auch in seinem Beurteilungsspielraum gehalten, soweit es die Argumente des Beklagten für eine offensichtlich fehlende Eignung der Klägerin hinsichtlich einzelner in der Stellenausschreibung genannter Aufgabengebiete und der Anwendung des Buchungssystems SaxMBS für nicht tragfähig gehalten hat.
(aaa) Ob ein Bewerber offensichtlich nicht geeignet ist, beurteilt sich nach den geforderten Qualifikationsvoraussetzungen und den einzelnen Aufgabengebieten der ausgeschriebenen Stelle. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils für einen Dienstposten legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest. Seine Auswahlentscheidung ist nach Art. 33 Abs. 2 GG gerichtlich zu überprüfen. Ihm kommt ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfung unterliegt (vgl. Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 32 f., BAGE 119, 262).
(bbb) Mit dem Hinweis auf eine bestimmte berufliche Qualifikation verbindet sich idR die Erwartung, dass die in der Stellenbeschreibung genannten Aufgabenstellungen auf der Grundlage der beruflichen Qualifikation bewältigt werden können. Das gilt grundsätzlich auch für Aufgabengebiete, in denen der Bewerber noch keine Erfahrung gesammelt hat. Folgerichtig hat der Beklagte selbst nicht vorgebracht, dass die am 1. August 2005 eingestellte Mitbewerberin der Klägerin bereits vor ihrer Einstellung alle in der Stellenausschreibung genannten Tätigkeiten ausgeübt hatte.
(ccc) Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Frage der offensichtlich fehlenden Eignung zu Recht gewürdigt, dass der Beklagte den Vortrag der Klägerin, sie verfüge über Kenntnisse und Fähigkeiten im Hinblick auf das Buchungssystem SaxMBS, im Prozessverlauf nicht länger bestritten hat. Hinzu kommt, dass die Stellenausschreibung Kenntnisse dieses Buchungssystems nicht verlangte.
(2) Das Berufungsgericht hat sich in der für die Vermutung des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF nötigen Gesamtschau ferner in nicht zu beanstandender Weise darauf gestützt, dass die Schwerbehindertenvertretung bei der Bewerbung der Klägerin entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 und 6 SGB IX aF, § 95 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. SGB IX nicht beteiligt wurde.
(a) Der Beklagte unterrichtete die Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 28. Juli 2005 unzutreffend darüber, dass keine Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen eingegangen sei (zum Gesetzeszweck der Unterrichtungspflicht näher Senat 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361, zu B IV 1b bb (2) der Gründe).
(b) Der Beklagte informierte die Schwerbehindertenvertretung auch hinsichtlich der drei Bewerber, die schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt waren, nicht unverzüglich über den Eingang ihrer Bewerbungen (§ 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF). Die Schwerbehindertenvertretung wurde erst mit Schreiben vom 28. Juli 2005 oder telefonisch am 26. Juli 2005 über die Bewerbungen der gleichgestellten Personen informiert. Zu beiden Zeitpunkten war das Auswahlverfahren schon abgeschlossen. Der Beklagte hatte sich für eine Bewerberin entschieden.
c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe keine ausreichenden Anhaltspunkte für nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe, die eine unterschiedliche Behandlung der Klägerin gerechtfertigt hätten (§ 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF), vorgetragen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich in dem Beurteilungsspielraum, der dem Berufungsgericht eingeräumt ist.
aa) Entgegen der Ansicht der Revision war das Landesarbeitsgericht nicht gehalten anzunehmen, das im Zeitpunkt der Bewerbung der Klägerin bestehende ungekündigte und unbefristete Arbeitsverhältnis sei ein Indiz für eine nicht ernsthafte Bewerbung.
(1) Die Klägerin hat mit ihrer Bewerbung von ihrem Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG), Gebrauch gemacht.
(2) Das bloße Bestehen eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigt noch nicht die Annahme, der Bewerber sei nicht ernsthaft interessiert. Von einem solchen Ausnahmefall ist nur auszugehen, wenn von vornherein der Wille fehlt, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich einzunehmen, also in Wirklichkeit nur eine Entschädigung angestrebt wird (vgl. BAG 12. November 1998 – 8 AZR 365/97 – BAGE 90, 170, zu B III 1 und 2 der Gründe). Ob der Arbeitgeber das der Bewerbung zugrunde liegende Motiv nachvollziehen kann, ist demgegenüber unerheblich.
(3) Gegen die Annahme einer nicht ernsthaften Bewerbung spricht hier im Übrigen, dass sich die Klägerin auf eine Konfliktsituation in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis und auf anhängige Rechtsstreitigkeiten berufen hat.
bb) Der von der Klägerin besuchte Lehrgang der Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Dresden rechtfertigt ihre Benachteiligung vor allem angesichts der unterbliebenen Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht. Inwieweit sich der Lehrgang mit der angestrebten Tätigkeit hätte vereinbaren lassen, wäre in dem durchzuführenden Vorstellungsgespräch zu klären gewesen.
3. Der entstandene Entschädigungsanspruch der Klägerin ist nicht untergegangen. Der Anspruch wurde innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX aF schriftlich gegenüber dem Beklagten geltend gemacht. Das Ablehnungsschreiben des damaligen Verwaltungsleiters der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung vom 28. Juli 2005 ging der Klägerin am 30. Juli 2005 zu. Das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 23. September 2005 ging dem Beklagten nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, auf die das Landesarbeitsgericht verwiesen hat, am 25. September 2005 zu.
a) Die Klägerin konnte den Entschädigungsanspruch auch fristwahrend gegenüber der Akademie erheben. Deren früherer Verwaltungsleiter hatte die Bewerbung der Klägerin abgelehnt. Die Geltendmachung gegenüber der ablehnenden Behörde genügt. Der beklagte Freistaat muss sich das Handeln seiner zuständigen Behörde zurechnen lassen (vgl. Senat 3. April 2007 – 9 AZR 823/06 – Rn. 31, AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15).
b) Unschädlich ist ferner, dass der Entschädigungsanspruch im Schreiben vom 23. September 2005 nicht beziffert wurde. Nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX aF ist “ein Anspruch auf Entschädigung” geltend zu machen. Der unbestimmte Artikel zeigt, dass der Anspruchsteller gegenüber dem Anspruchsgegner lediglich verdeutlichen muss, für die erlittene Benachteiligung eine Entschädigung zu verlangen (Senat 3. April 2007 – 9 AZR 823/06 – Rn. 31, AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 16, BAGE 119, 262; 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – BAGE 113, 361, zu B III der Gründe).
4. Das Landesarbeitsgericht hat mit einem Bruttomonatsgehalt von 2.037,92 Euro eine angemessene Entschädigung iSv. § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 1. Halbs. SGB IX aF unterhalb der hier zu beachtenden Höchstgrenze des Dreimonatsverdienstes nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX aF festgesetzt. Zwischen den Parteien ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unstreitig, dass die Klägerin auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Das Berufungsgericht hat alle maßgeblichen Gesichtspunkte beachtet. Es hat zugunsten des Beklagten gewürdigt, dass die für den Beklagten handelnden Personen die Schwerbehinderung nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig nicht zur Kenntnis nahmen. Außerdem hat das Landesarbeitsgericht die existenzsichernde Funktion des bestehenden Arbeitsverhältnisses und die Befristung der ausgeschriebenen Stelle berücksichtigt. Damit hat es Art und Schwere der Verstöße des Beklagten sowie die Bedeutung der Sache für die schwerbehinderte Klägerin zutreffend gewürdigt (zu den Kriterien der Entschädigungshöhe Senat 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 – Rn. 47, BAGE 119, 262).
5. Die Klägerin hat seit 4. Februar 2006 Anspruch auf Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB). Der Beklagte hat in der Revisionsverhandlung auf den Angriff gegen die Verurteilung zur Verzinsung für den 3. Februar 2006 verzichtet. Wegen des Teilverzichts war das Berufungsurteil auch insoweit nicht aufzuheben (zur Verzinsungspflicht erst ab dem Folgetag der Rechtshängigkeit BAG 25. April 2007 – 10 AZR 586/06 – Rn. 14; 30. Oktober 2001 – 1 AZR 65/01 – BAGE 99, 266, zu II der Gründe; 15. November 2000 – 5 AZR 365/99 – BAGE 96, 228, zu III der Gründe).
B. Der Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Krasshöfer, Gallner, Kranzusch, D. Wege
Fundstellen
Haufe-Index 2094145 |
BAGE 2010, 367 |
BB 2009, 381 |
DB 2009, 177 |
EBE/BAG 2009, 20 |
FA 2009, 24 |
FA 2009, 80 |
NZA 2009, 68 |
NZA 2009, 79 |
NZG 2009, 336 |
ZAP 2009, 1263 |
ZAP 2009, 164 |
ZTR 2009, 217 |
AP, 0 |
AuA 2009, 373 |
EzA-SD 2009, 12 |
EzA |
MDR 2009, 272 |
PersV 2009, 146 |
br 2009, 86 |
AUR 2009, 58 |
ArbRB 2009, 31 |
GV/RP 2009, 612 |
NJW-Spezial 2009, 50 |
RdW 2009, 255 |
FuBW 2009, 576 |
FuHe 2009, 709 |