Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampfrisiko bei "Wellenstreik"
Leitsatz (amtlich)
1. Richtet sich ein "Wellenstreik" gegen die Produktion einer Tageszeitung und müssen während einer unbefristeten Arbeitsniederlegung die Vorbereitungen für den Druck getroffen werden, so ist die Entscheidung des Arbeitgebers, nur eine Notausgabe vorzubereiten, als Abwehrmaßnahme zu werten. In diesem Fall tragen die Arbeitnehmer, die wegen des geringeren Arbeitsanfalls nicht beschäftigt werden können, das Beschäftigungs- und Lohnrisiko auch dann, wenn der Streik vor Beginn des Drucks endet.
2. Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, wenigstens einen Teil der Arbeitnehmer zum Druck der Notausgabe heranzuziehen, so hat er insoweit regelmäßig in Ausübung seines Direktionsrechts eine Auswahl zu treffen. Unterläßt er dies, so gerät er gegenüber allen Arbeitnehmern, die ihre Arbeit ordnungsgemäß anbieten, in Annahmeverzug.
Normenkette
GG Art. 9; BGB § 615
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 28. Mai 1997 - 15 Sa 95/96 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Lohnansprüche der Kläger für Nachtschichten, in denen ihre Arbeitsleistung wegen der Folgen eines Tarifkonflikts von der Beklagten nicht in Anspruch genommen wurde.
Die Kläger sind im Druckhaus S der Beklagten beschäftigt. Hier werden Tageszeitungen in Schichtarbeit produziert. Das geschieht in einer Frühschicht, einer bis 21.45 Uhr dauernden Mittelschicht und einer um 21.30 Uhr beginnenden Nachtschicht. Die Zeitungen werden in der Nachtschicht auf fünf Maschinen gedruckt, die jeweils mit fünf Fachkräften und sieben Hilfskräften, insgesamt also mit 60 Arbeitnehmern besetzt sind. Die Druckmaschinen werden in der Mittelschicht eingerichtet.
Im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen in der Druckindustrie im Jahr 1994 war das Druckhaus S an 15 Tagen von Arbeitskampfmaßnahmen betroffen. Die Streiks erstreckten sich jeweils auf einzelne Schichten oder Teile davon. So wurden am 5., am 14. und 15. Mai sowie am 1. und am 2. Juli 1994 die Früh- und die Mittelschicht bestreikt. Wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt haben, waren die Streikaufrufe zeitlich unbeschränkt; die Arbeitsniederlegungen wurden jeweils zum Ende der Mittelschicht beendet. Dennoch wurden auch die für die Nachtschicht eingeteilten Arbeitnehmer, zu denen die Kläger gehörten, nicht beschäftigt. Die den Klägern hierdurch entstandenen Lohnausfälle sind der Höhe nach unstreitig.
Am 28. April 1994 hatte die Beklagte die Streikleitung aufgefordert, an Streiktagen jeweils bis 16.00 Uhr mitzuteilen, ob in der Nachtschicht gearbeitet oder weiter gestreikt werden solle. Für den Fall, daß keine rechtzeitige Mitteilung erfolgen würde, kündigte sie den Druck von Notausgaben an; die Arbeitnehmer der Nachtschicht könnten dann nicht beschäftigt werden. Dennoch unterrichtete die Streikleitung die Beklagte verspätet darüber, daß der Streik zu Beginn der Nachtschicht enden werde, und zwar am 5. Mai 1994 erst zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr und am 14. Mai, am 15. Mai, am 1. sowie am 2. Juli 1994 erst zwischen 17.40 Uhr und 18.00 Uhr. An diesen Tagen druckte die Beklagte in der Nachtschicht lediglich Notausgaben der Zeitungen, die einen deutlich geringeren Umfang und auch weniger Farbdruck als Normalausgaben aufwiesen. Zum Druck wurden jeweils nur vier Maschinen benötigt. Diese wurden während der Mittelschicht von Notmannschaften eingerichtet. Jede der vier Maschinen war mit lediglich zwei Druckern und zwei Hilfskräften besetzt. Hierbei handelte es sich um Schichtleiter sowie Hilfskräfte aus der Verwaltung.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, sie hätten für die streitbefangenen Nachtschichten noch Lohn zu beanspruchen. Die Beklagte sei insoweit mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten. Ihr sei die Beschäftigung möglich und zumutbar gewesen. Die in der Mittelschicht eingesetzten Notmannschaften hätten die Druckmaschinen noch rechtzeitig für den normalen Druck einrichten können.
Sie, die Kläger, hätten zu Beginn der Nachtschichten ihre Arbeitskraft ordnungsgemäß angeboten, soweit das überhaupt erforderlich gewesen sei. Allerdings seien sie am 5., am 14. und am 15. Mai 1994 von Vertretern der Beklagten am Zugang zu ihren Arbeitsplätzen gehindert worden. Auch am 1. und 2. Juli 1994 hätten sie sich im Betrieb eingefunden, diesen aber kurz vor Schichtbeginn wieder verlassen, nachdem sie von der Streikleitung darüber unterrichtet worden seien, daß die Beklagte wieder das Notprogramm eingeleitet hatte. Soweit die Beklagte zu Beginn der Nachtschicht ihrerseits mitgeteilt habe, eine begrenzte Zahl von Arbeitnehmern könne beschäftigt werden, schließe das den Annahmeverzug nicht aus. Die Beklagte habe es nämlich der Belegschaft der Nachtschicht überlassen wollen, einzelne Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung auszuwählen. Das sei unzulässig.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von
- 583,72 DM brutto an den Kläger zu 1.,
- 687,19 DM brutto an den Kläger zu 2.,
- 725,05 DM brutto an den Kläger zu 3.,
- 319,38 DM brutto an den Kläger zu 4.,
- 967,58 DM brutto an den Kläger zu 5.,
- 377,14 DM brutto an den Kläger zu 6.,
- 703,39 DM brutto an den Kläger zu 7.,
- 417,24 DM brutto an den Kläger zu 8.,
- 739,09 DM brutto an den Kläger zu 9.,
- 189,09 DM brutto an den Kläger zu 10.,
- 753,34 DM brutto an den Kläger zu 11.,
- 1.192,24 DM brutto an den Kläger zu 12.,
- 413,24 DM brutto an den Kläger zu 13.,
- 718,47 DM brutto an den Kläger zu 14.,
- 474,03 DM brutto an den Kläger zu 15.,
- 426,92 DM brutto an den Kläger zu 16.,
- 718,47 DM brutto an den Kläger zu 17.,
- 162,49 DM brutto an den Kläger zu 20.,
- 162,49 DM brutto an den Kläger zu 21.,
- 1.088,06 DM brutto an den Kläger zu 22.,
- 944,71 DM brutto an den Kläger zu 23.,
- 1.203,77 DM brutto an den Kläger zu 24.,
- 186,55 DM brutto an den Kläger zu 26.,
- 192,62 DM brutto an den Kläger zu 27.,
- 194,14 DM brutto an den Kläger zu 28.,
- 565,71 DM brutto an den Kläger zu 29.,
- 650,72 DM brutto an den Kläger zu 30.,
- 128,20 DM brutto an den Kläger zu 31.,
- 188,57 DM brutto an den Kläger zu 32.,
- 188,57 DM brutto an den Kläger zu 33.,
- 352,38 DM brutto an den Kläger zu 34.,
- 499,48 DM brutto an den Kläger zu 35.,
- 188,57 DM brutto an den Kläger zu 36.,
- 130,83 DM brutto an den Kläger zu 38.,
- 442,29 DM brutto an den Kläger zu 39.,
- 870,90 DM brutto an den Kläger zu 40.,
- 409,24 DM brutto an den Kläger zu 41.,
- 911,33 DM brutto an den Kläger zu 42.
jeweils nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag ab dem 15. August 1994 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, sie habe sich nicht im Annahmeverzug befunden. Sie habe nämlich für die streitigen Nachtschichten von ihrem Recht Gebrauch gemacht, auf die Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft mit einer Teilstillegung des Betriebs zu reagieren. Daß die Gewerkschaft für die Nachtschichten gar nicht zum Streik aufgerufen hatte, sei dabei unerheblich; Arbeitsangebote zur Unzeit, wie sie hier vorgelegen hätten, seien nämlich Teil der gewerkschaftlichen Kampftaktik und damit Arbeitskampfmaßnahmen. Jedenfalls seien Ansprüche aus Annahmeverzug deshalb ausgeschlossen, weil ihr die Beschäftigung der Kläger unzumutbar gewesen sei. Da jeweils um 16.00 Uhr noch ungewiß gewesen sei, ob auch die Nachtschicht bestreikt werde, habe sie sich für die Herstellung einer Notausgabe entscheiden müssen, um einen vollständigen Produktionsausfall zu vermeiden.
Im übrigen hätten die Kläger zu Beginn der Nachtschichten ihre Arbeitskraft nicht ordnungsgemäß angeboten. Am 5., am 14. und am 15. Mai sowie am 1. Juli 1994 seien sie erst mit einer halben Stunde Verspätung um 22.00 Uhr zur Arbeit gekommen. Am 2. Juli 1994 seien sie gar nicht im Betrieb erschienen. Schließlich seien die Kläger nicht auf das Angebot zum Druck der Notausgabe eingegangen, das sie, die Beklagte, ihnen für die ersten vier streitbefangenen Nachtschichten unterbreitet habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das angefochtene Urteil hat keinen Bestand. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung können die Lohnansprüche, welche die Kläger geltend machen, nicht verneint werden. Eine abschließende Entscheidung ist freilich anhand des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatbestands noch nicht möglich. Insoweit bedarf der Sachverhalt weiterer Aufklärung.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht allerdings erkannt, daß der Einwand der Beklagten nicht durchgreift, die Arbeitspflicht der Kläger sei arbeitskampfbedingt suspendiert gewesen.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats (grundlegend BAGE 76, 196 = AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zuletzt Urteil vom 12. November 1996 - 1 AZR 364/96 - AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen bestreikten Betrieb oder Betriebsteil soweit wie möglich aufrechtzuerhalten. Er kann ihn vielmehr stillegen mit der Folge, daß die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert werden und auch die hiervon betroffenen arbeitswilligen Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlieren. Ob dem Arbeitgeber die Heranziehung der Arbeitswilligen zur Arbeit möglich und zumutbar gewesen wäre, ist insoweit unerheblich.
Diese Reaktionsmöglichkeit hat der Arbeitgeber indessen nur innerhalb des zeitlichen und gegenständlichen Rahmens, der sich aus dem Streikaufruf der Gewerkschaft ergibt (Senatsurteil vom 12. November 1996 - 1 AZR 364/96 - AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I der Gründe). Werden nur die Angehörigen einer bestimmten Abteilung für eine begrenzte Zeit zum Streik aufgerufen, so ist auch die damit begründete Stillegung nur bezogen auf diese Abteilung und nur für die betreffende Zeit möglich. Das folgt daraus, daß die Maßnahme als bloßes Erdulden der gegnerischen Kampfmaßnahme gerechtfertigt ist.
2. An diesen Voraussetzungen fehlt es hier in zweifacher Hinsicht.
Zum einen hat die Beklagte die Druckerei für die streitbefangenen Nachtschichten nicht stillgelegt. Sie hat den Betrieb vielmehr - wenn auch eingeschränkt - dadurch aufrechterhalten, daß sie mit einer aus Arbeitswilligen bestehenden Notmannschaft Zeitungen hergestellt hat. Damit hat sie sich gerade nicht i.S. der dargestellten Rechtsprechung dem Streik gebeugt, sondern im Gegenteil versucht, ihm durch Einsatz ihrer Betriebsmittel die wirtschaftliche Stoßkraft zu nehmen (vgl. BAGE 76, 196, 202 = AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 b der Gründe).
Zum anderen hatte die Gewerkschaft für die Nachtschichten auch nicht zum Streik aufgerufen. Das hiergegen von der Beklagten vorgetragene Argument, nach der in dieser Tarifauseinandersetzung verfolgten Streiktaktik seien auch die Arbeitsangebote nach den Kurzstreiks wegen der Gefahr erneuter Arbeitsniederlegungen als Arbeitskampfmaßnahmen zu werten, verfängt nicht. Das Angebot zur Leistung der vertraglich geschuldeten Arbeit kann auch bei einem Wellenstreik nicht als Akt des Arbeitskampfs gewertet werden.
Die Frage, ob der Arbeitgeber ausnahmsweise auch über den vom Streikaufruf gezogenen zeitlichen Rahmen hinaus eine Stillegung mit suspendierender Wirkung aufrechterhalten kann, weil ihm dieser Rahmen nicht hinreichend mitgeteilt worden ist (Rieble, SAE 1997, 285, 290), stellt sich hier nicht. Der Beklagten wurde jeweils mehrere Stunden im voraus angekündigt, daß der Streik mit Ablauf der Mittelschicht enden sollte.
II. Ob die Ansprüche der Kläger auf Verzugslohn, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat, nach den Grundsätzen über die Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf ausgeschlossen sind, läßt sich noch nicht beurteilen. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts damit begründet, daß die Beschäftigung der Kläger der Beklagten nicht zumutbar gewesen sei. Das habe sich aus den Fernwirkungen des Streiks in der Mittelschicht auf die Arbeit in der Nachtschicht ergeben. Die Beklagte habe ein Notprogramm einleiten dürfen, das nur noch die Beschäftigung von 16 Arbeitnehmern in der Nachtschicht erfordert habe. Die Entscheidung darüber, ob in der Nachtschicht Normalausgaben oder lediglich Notausgaben der Zeitungen gedruckt werden sollten, habe nämlich bereits während der Mittelschicht zu einem Zeitpunkt getroffen werden müssen, in dem die Beklagte über das vorgesehene Streikende noch nicht informiert war. Es könne dahinstehen, ob die Kläger ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten hätten und ob deren Beschäftigung der Beklagten wenigstens zum Teil möglich gewesen wäre. Selbst wenn man das unterstelle, sei es ihr angesichts der Streiksituation jedenfalls nicht zumutbar gewesen, die noch benötigten Arbeitnehmer aus der Belegschaft der Nachtschicht auszuwählen. Diese Begründung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
2. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 12. November 1996 - 1 AZR 364/96 - AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 2 und 3 der Gründe) gilt die Regel, wonach der Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko trägt, bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen nur eingeschränkt.
a) So führen Störungen, die auf Streiks oder Aussperrungen in anderen Betrieben beruhen und die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder für den Arbeitgeber wirtschaftlich unzumutbar machen, dazu, daß jede Seite das auf sie entfallende Kampfrisiko zu tragen hat, wenn diese Fernwirkungen des Arbeitskampfs das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien beeinflussen können. Das bedeutet für die betroffenen Arbeitnehmer, daß sie unter diesen Voraussetzungen für die Dauer der Betriebsstörungen ihre Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche verlieren.
Entsprechendes gilt, wenn in einem Betriebsteil die Arbeit infolge eines in einem anderen Betriebsteil stattfindenden Streiks unmöglich oder dem Arbeitgeber unzumutbar wird, oder wenn eine Kampfmaßnahme Störungen verursacht hat, welche die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit nach Abschluß der Arbeitskampfhandlung unmöglich oder unzumutbar machen. Unerheblich ist dabei, ob hiervon die an der Kampfmaßnahme beteiligten oder andere Arbeitnehmer des Betriebs betroffen sind. In allen diesen Fällen tragen die Arbeitnehmer, deren Arbeit ausfällt, das Entgeltrisiko.
b) Dabei gehören zu den Streikfolgen, die den Arbeitnehmern zuzurechnen sind, auch solche Arbeitsausfälle, die durch Gegenmaßnahmen verursacht werden, mit denen der Arbeitgeber die streikbedingten Betriebsstörungen möglichst gering halten will. Allerdings sind die Arbeitnehmer mit den Folgen eines solchen Streikgegenprogramms nur dann zu belasten, wenn es sich nicht um vorbeugende Maßnahmen des Arbeitgebers handelt, die über die reine Gegenwehr hinausgehen, also den Rahmen des Arbeitskampfs erweitern. Der Arbeitgeber kann sich der Lohnzahlungspflicht nicht dadurch entziehen, daß er unter Berufung auf die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos eine Ersatzmannschaft beschäftigt, um möglichen Arbeitsniederlegungen seiner "streikanfälligen" Stammbelegschaft vorzubeugen. Durch ein solches Vorgehen würde der Arbeitgeber selbst im Arbeitskampf aktiv und den Arbeitswilligen eine Beschäftigung verweigern, die weder als unmöglich noch als unzumutbar anzusehen wäre (Senatsurteil vom 12. November 1996 - 1 AZR 364/96 - AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 b bb der Gründe).
Bei Teil- und Wellenstreiks kann die Unterscheidung von bloßer Abwehr einer Betriebsstörung einerseits und eigenen Kampfmaßnahmen andererseits schwierig sein. Organisatorische Erfordernisse können es dem Arbeitgeber unmöglich oder unzumutbar machen, sich eng an schnell wechselnde Rahmen des Streikgeschehens zu halten und auf vorausschauende Planung zu verzichten. Insoweit kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Art des Streiks und der betrieblichen Tätigkeit.
c) Bei der Bewertung, ob die Beschäftigung der Kläger nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen der Beklagten zumutbar war, geht es um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die den Tatsacheninstanzen einen Beurteilungsspielraum lassen (BAGE 73, 291, 305 = AP Nr. 22 zu § 23 BetrVG 1972, zu B III 3 a der Gründe). Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht die Kriterien verkannt, bei ihrer Anwendung Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat.
3. Dieser eingeschränkten Überprüfung hält das Urteil nicht stand.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht allerdings erkannt, daß sich die Beklagte während der Mittelschicht für den Druck von Notausgaben entscheiden und die Druckmaschinen entsprechend einrichten lassen durfte. Es handelte sich hierbei um Maßnahmen zur Abwehr einer streikbedingten Störung. Zwar wäre in der Nachtschicht der Druck von Normalausgaben technisch noch möglich gewesen. Es war der Beklagten aber nicht zuzumuten, sich bei der Einrichtung der Druckmaschinen, die noch während des unbefristeten Streiks in der Mittelschicht erfolgen mußte, hierauf festzulegen.
Dies folgt aus den Besonderheiten sowohl der betrieblichen Abläufe als auch des Streikgeschehens im vorliegenden Fall. Betroffen war die Herstellung von Tageszeitungen in einem Produktionsprozeß, der jeweils an einem Tag über mehrere Schichten verläuft. Die Bestandteile dieses Prozesses sind eng ineinander verzahnt und lassen für abweichende Dispositionen wenig zeitliche Spielräume. Schon vergleichsweise geringe Verzögerungen stellen das Produkt insgesamt in Frage. Die Zeitung für einen bestimmten Tag kann nur zum vorgesehenen Termin erscheinen. Organisatorisch stellen jedenfalls diejenigen betrieblichen Abläufe, die den aktuellen Teil einer Ausgabe der Tageszeitung zum Gegenstand haben, eine Einheit dar.
Angesichts dessen richtet sich eine Arbeitsniederlegung im Laufe des Tages nicht nur gegen die Teile des Herstellungsprozesses, die sie zeitlich unmittelbar betrifft. Die Kampfmaßnahme zielt vielmehr zwangsläufig auch auf nachfolgende Schritte, soweit sie der Arbeitgeber noch während des Streiks einleiten muß, will er an der Produktion der betreffenden Ausgabe der Tageszeitung festhalten. Das war vorliegend der Andruck der Zeitungen, für den die Maschinen schon in der Mittelschicht eingerichtet werden mußten. Die Beklagte konnte ihre diesbezüglichen Dispositionen nicht allein auf die Hoffnung gründen, der unbefristet ausgerufene Streik werde so zeitig enden, daß ihr dann die für den Druck von Normalausgaben benötigten Arbeitnehmer wieder zur Verfügung stünden. Bei dieser Sachlage wäre ihre Entscheidung für eine Beschränkung auf Notausgaben nur dann nicht als Maßnahme zur Abwehr von Streikfolgen zu bewerten, wenn die Arbeitsniederlegung von vornherein zeitlich begrenzt wäre oder wenn die Streikleitung vor dem Zeitpunkt, in dem über die Einrichtung der Druckmaschinen zu entscheiden war, mitgeteilt hätte, daß der Streik mit der Mittelschicht enden sollte. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag hier keine dieser Voraussetzungen vor.
b) War es der Beklagten danach nicht zuzumuten, während der unbefristeten Arbeitsniederlegung in der Mittelschicht Dispositionen für den Druck von Normalausgaben in der Nachtschicht zu treffen, so folgt hieraus auch, daß die Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs in der Nachtschicht auf insgesamt 16 Drucker und Hilfskräfte der Risikosphäre der Arbeitnehmer zuzurechnen ist. Es ergibt sich aber noch nicht, daß der Beklagten die Beschäftigung der Kläger unzumutbar gewesen wäre. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
aa) Vorliegend bedarf es keiner Erörterung, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte sich bereits während der Mittelschicht dafür hätte entscheiden dürfen, die Notausgaben von Ersatzmannschaften drucken zu lassen mit der Folge, daß eine Beschäftigung von Angehörigen der regulären Nachtschicht nicht mehr möglich gewesen wäre. Die Beklagte hat sich nicht darauf berufen, eine derartige Festlegung getroffen zu haben. Sie hat vielmehr an den ersten vier Streiktagen vor den Angehörigen der Nachtschicht erklären lassen, daß sie bei der Produktion der Notausgaben 16 von ihnen beschäftigen könne. Die organisatorische Bereitstellung einer Ersatzmannschaft aus Schichtleitern und Mitarbeitern der Verwaltung machte nach der eigenen Einschätzung der Beklagten den Rückgriff auf einen Teil der Nachtschicht weder unmöglich noch unzumutbar.
bb) Zu Unrecht hat das Landesarbeitgericht angenommen, der Beklagten sei eine Auswahl unter den Arbeitnehmern der Nachtschicht nicht zumutbar gewesen, so daß offenbleiben könne, ob die Kläger überhaupt arbeitswillig waren. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht den Begriff der Zumutbarkeit verkannt. In diesem Zusammenhang hat das Argument, die Mittel- und die Nachtschicht bildeten eine organisatorische Einheit, keine Überzeugungskraft. Hier geht es nicht um die Produktion, sondern um das Verhalten unterschiedlicher Teile der Belegschaft.
Auch in einer Situation, die durch die Spannungen eines andauernden Tarifkonflikts gekennzeichnet ist, kann sich der Arbeitgeber bei einer streikbedingten Verringerung seines Personalbedarfs nicht darauf beschränken, dessen Umfang bekannt zu geben und den Arbeitnehmern die Auswahl derjenigen zu überlassen, die zur Arbeit herangezogen werden sollen. Es ist vielmehr auch in dieser Lage regelmäßig seine Sache, die Arbeit in Ausübung seines Direktionsrechts auf diejenigen Arbeitnehmer zu verteilen, deren er bedarf (Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1262; Löwisch/Bittner in Löwisch, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, III B Rz 72; MünchArbR/Otto, § 283 Rz 73; ebenso zur Verteilung der verbliebenen Arbeit in mittelbar kampfbetroffenen Betrieben BAGE 34, 331, 348 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu C I 3 der Gründe). Das hat die Beklagte aber nicht getan. Besondere Umstände, aus denen sich ergeben könnte, daß ihr hier ausnahmsweise eine Auswahl nicht zumutbar gewesen wäre, sind nicht festgestellt.
c) Das Landesarbeitsgericht hat ferner, aus seiner Sicht folgerichtig, keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Kläger überhaupt arbeitswillig waren und ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten haben. Beides ist streitig und bedarf daher der Aufklärung.
Sollte sich ergeben, daß die Kläger ihrerseits alles erforderliche getan hatten, um die Arbeit aufnehmen zu können, und nur noch die Auswahl der benötigten Arbeitnehmer von Seiten der Beklagten zu treffen war, so wäre die Klage nach § 615 BGB begründet. Die Beklagte wäre dann ungeachtet ihres verminderten Arbeitskräftebedarfs gegenüber sämtlichen Klägern in Annahmeverzug geraten, weil sie eine zumutbare Mitwirkungshandlung zur Konkretisierung dieses Personalbedarfs nicht erbracht hätte.
Unterschriften
Dieterich Rost Wißmann Schneider Federlin
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.02.1998 durch Klapp, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436326 |
BB 1998, 1488 |
BB 1998, 537 |
DB 1998, 1566 |
DB 1998, 475 |
DStR 1998, 352 |
NJW 1998, 3732 |
FA 1998, 127 |
FA 1998, 191 |
NZA 1998, 896 |
RdA 1998, 316 |
SAE 1999, 51 |
ZTR 1998, 409 |
AP, 0 |
ArbuR 1998, 334 |