Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstzeit – Musiker in Kulturorchestern
Leitsatz (amtlich)
Nach § 20 Abs. 1 erster Halbsatz TVK und § 20 Abs. 3 TVK sind als Dienstzeit eines Musikers in Kulturorchestern nur Zeiten anzurechnen, die im Rahmen von Arbeitsverhältnissen zurückgelegt wurden. Zeiten freier Mitarbeit auf der Grundlage von Honorarverträgen gehören dazu nicht.
Normenkette
Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) § 20
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 16. September 1998 – 2 Sa 678/98 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechnung der Dienstzeit der Klägerin nach § 20 des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK).
Die Klägerin ist seit dem 1. März 1997 als Tutti-Geigerin bei dem Orchester der B., dessen Trägerin die Beklagte ist, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit und arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TVK Anwendung. Dieser lautet, soweit hier von Interesse, wie folgt:
„§ 20
Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfaßt die bei Kulturorchestern (§ 1 Abs. 2) als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 bis 5 anzurechnenden Zeiten.
…
(3) Zeiten einer Tätigkeit als Musiker in anderen als Kulturorchestern sowie Zeiten einer sonstigen musikalisch-künstlerischen oder einer musik-pädagogischen Tätigkeit können auf die Dienstzeit angerechnet werden.
(4) Die in den Absätzen 1 und 3 aufgeführten Zeiten werden nicht angerechnet, wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat, oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grunde beendet worden ist. Dies gilt nicht, wenn sich an das Arbeitsverhältnis unmittelbar ein anderes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber oder ein Arbeitsverhältnis mit dem rechtlichen Träger eines anderen Kulturorchesters anschließt oder wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaues oder wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körperbeschädigung oder einer in Ausübung oder infolge seiner Arbeit erlittenen Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder wenn die Nichtanrechnung eine unbillige Härte wäre. Die Sätze 1 und 2 gelten sinngemäß für ehemalige Beamte.
(5) Der Musiker hat die anrechnungsfähigen Zeiten innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Zeiten, für die der Nachweis nicht fristgemäß erbracht wird, werden nicht angerechnet. Kann der Nachweis aus einem vom Musiker nicht zu vertretenden Grunde innerhalb der Ausschlußfrist nicht erbracht werden, ist die Frist auf einen vor Ablauf der Ausschlußfrist zu stellenden Antrag angemessen zu verlängern.”
Die Klägerin war vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien an insgesamt 153 Tagen auf Grund einer Vielzahl von Honorarverträgen im Rahmen freier Mitarbeit aushilfsweise bei den Kulturorchestern der Städte A. (Städtisches Orchester), K. und M. (N. Sinfoniker) sowie B. (Orchester der B.) als Orchestermusikerin tätig. Mit Schreiben vom 7. Mai 1997 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten vergeblich die Anrechnung dieser Zeiten als Dienstzeit nach § 20 TVK geltend.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch Zeiten freier Mitarbeit als Musiker in Kulturorchestern seien auf die Dienstzeit nach § 20 TVK anzurechnen. § 20 Abs. 1 TVK stelle – anders als zB § 19 BAT – nicht darauf ab, daß die Zeiten in Arbeitsverhältnissen zurückgelegt wurden. Nach dem Wortlaut der Tarifnorm umfasse die Dienstzeit die bei Kulturorchestern als Musiker zurückgelegten Zeiten. Dies könnten auch Zeiten freier Mitarbeit sein.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß 153 Kalendertage als Dienstzeit von der Beklagten zu der im Orchester der B. seit 1. März 1997 begonnenen Dienstzeit hinzuzuzählen sind.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, Zeiten freier Mitarbeit seien auf die Dienstzeit nach § 20 TVK nicht anzurechnen. Daß als Dienstzeit nur in Arbeitsverhältnissen zurückgelegte Zeiten zu berücksichtigen seien, ergebe sich aus § 20 Abs. 4 TVK, der nach seinem Wortlaut ein Arbeitsverhältnis voraussetze.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Die Zeiten, in denen die Klägerin im Rahmen freier Mitarbeit auf der Grundlage von Honorarverträgen als Musikerin in Kulturorchestern tätig war, sind nach § 20 TVK nicht als Dienstzeit anzurechnen.
I. Nach § 20 Abs. 1 TVK umfaßt die Dienstzeit die bei Kulturorchestern als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 bis 5 anzurechnenden Zeiten. Die tarifliche Regelung unterscheidet zwischen Zeiten, die bei Kulturorchestern als Musiker zurückgelegt wurden – diese werden nach § 20 Abs. 1 erster Halbsatz TVK von der Dienstzeit umfaßt – und Zeiten anderer Tätigkeiten, die nach den Absätzen 2 bis 5 anzurechnen sind. Die Zeiten der freiberuflichen Tätigkeit der Klägerin gehörten weder zu den „bei Kulturorchestern … als Musiker” zurückgelegten Zeiten, noch sind sie nach den Absätzen 2 bis 5 als Dienstzeit anzurechnen. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung.
1. Der Tarifwortlaut, von dem bei der Tarifauslegung in erster Linie auszugehen ist(st. Rspr., vgl. BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308; 12. November 1997 – 10 AZR 206/91 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Deutsche Bahn Nr. 1; 28. Mai 1998 – 6 AZR 349/96 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5; 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27), ist zwar insoweit nicht eindeutig. § 20 Abs. 1 TVK stellt – worauf die Klägerin zu Recht hingewiesen hat – nicht ausdrücklich auf im Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeiten ab. Die Tarifvertragsparteien haben mit den „bei Kulturorchestern … als Musiker” zurückgelegten Zeiten im Sinne des § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK jedoch nur Zeiten gemeint, in denen der Musiker in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat. Dies ergibt sich aus dem bei der Tarifauslegung ebenfalls zu berücksichtigenden tariflichen Gesamtzusammenhang und dem daraus zu ermittelnden Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Dabei ist insbesondere § 20 Abs. 4 TVK zu berücksichtigen, auf den § 20 Abs. 1 TVK ausdrücklich verweist. Dort ist bestimmt, daß die in den Absätzen 1 und 3 aufgeführten Zeiten nicht angerechnet werden, wenn der Musikerdas Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grund beendet worden ist. § 20 Abs. 4 TVK enthält daher eine Ausnahmeregelung vom Anrechnungstatbestand in § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK und sieht vor, daß bestimmte Zeiten, die an sich als Dienstzeit zu berücksichtigen wären, unter den genannten Voraussetzungen nicht anzurechnen sind. Dabei setzt § 20 Abs. 4 TVK voraus, daß die von der Anrechnung ausgeschlossenen Zeiten in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegt wurden. Dies folgt aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Tarifbestimmung. Da der Ausschlußtatbestand Zeiten voraussetzt, die in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegt wurden, gilt dies auch für den Anrechnungstatbestand in § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK. Die gegenteilige Auffassung der Klägerin, nur der Anrechnungsausschluß in § 20 Abs. 4 TVK sei auf Zeiten beschränkt, die in Arbeitsverhältnissen zurückgelegt wurden, nicht aber der Anrechnungstatbestand in Abs. 1, überzeugt nicht. Hätten die Tarifvertragsparteien eine solche Differenzierung beabsichtigt, hätte es nahegelegen, dies durch eine entsprechende Formulierung im Tarifvertrag zum Ausdruck zu bringen, zumal der TVK ausschließlich die Arbeitsbedingungen von Musikern in Arbeitsverhältnissen regelt und der „Musiker” im Sinne des TVK grundsätzlich Arbeitnehmer ist(§ 3 Abs. 1 TVK). Die von der Klägerin vertretene Auffassung würde außerdem dazu führen, daß Vordienstzeiten, die der Musiker in Arbeitsverhältnissen zurückgelegt hat, unter den in § 20 Abs. 4 TVK genannten Voraussetzungen ungünstiger behandelt würden als Vordienstzeiten, in denen der Musiker außerhalb eines Arbeitsverhältnisses tätig war. Daß die Tarifvertragsparteien eine solche Unterscheidung, für die kein einleuchtender Grund ersichtlich ist, getroffen haben, kann nicht angenommen werden.
Es entspricht auch der Bedeutung, die der Tarifvertrag der Dienstzeit für das Arbeitsverhältnis beimißt, daß nur in Arbeitsverhältnissen zurückgelegte Zeiten nach § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK als Dienstzeit anzurechnen sind. Die Dienstzeit spielt nicht nur eine Rolle für Jubiläumszuwendungen(§ 31 TVK) und für die Dauer der verlängerten Gewährung von Krankenbezügen nach der Übergangsregelung in § 56 a Abs. 2 TVK. Sie ist vielmehr insbesondere bedeutsam für die Höhe der Grundvergütung(§ 23 TVK). Diese hängt von der Dienstzeit des Musikers ab und steigt nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TVK alle zwei Jahre bis zum Erreichen der Endgrundvergütung. Die Tarifvertragsparteien sind daher, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, ersichtlich von dem Erfahrungssatz ausgegangen, daß die Dienstleistung eines Musikers mit steigender Dienstzeit auf Grund der in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen für den Arbeitgeber wertvoller wird und daher eine längere Dienstzeit regelmäßig eine höhere Vergütung rechtfertigt. Erfahrungen, die ein Musiker in einem auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnis sammelt, sind ungleich intensiver und umfangreicher als solche, die er durch einzelne Engagements auf der Grundlage von Honorarverträgen gewinnt. Dies folgt schon daraus, daß der Musiker als Arbeitnehmer in der Regel wöchentlich eine bestimmte Anzahl von Diensten zu leisten hat(§ 15 Abs. 1 – 3 TVK) und an allen Veranstaltungen mit dem Orchester, auch im Rahmen der Repräsentation des Arbeitgebers, bei Darbietungen für Rundfunk- und Fernsehzwecke, bei Band- und Schallplattenaufnahmen etc. mitzuwirken hat(§ 7 TVK). Diese Verpflichtungen bestehen bei Tätigkeiten in freier Mitarbeit, bei denen der Musiker im Einzelfall an bestimmten Aufführungen und den dazu gehörigen Proben mitwirkt, in der Regel nicht. Auch daraus ergibt sich, daß die Tarifvertragsparteien mit den „bei Kulturorchestern … als Musiker” zurückgelegten Zeiten im Sinne des § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK nur Zeiten gemeint haben, in denen der Musiker in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat. Dies ist bei den hier im Streit befindlichen Zeiten nicht der Fall.
2. Diese Zeiten sind auch nicht nach § 20 Abs. 2 bis 5 TVK als Dienstzeit anzurechnen. Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit nur § 20 Abs. 3 TVK in Betracht. Danach können Zeiten einer Tätigkeit als Musiker in anderen als Kulturorchestern sowie Zeiten einer sonstigen musikalisch-künstlerischen oder einer musik-pädagogischen Tätigkeit auf die Dienstzeit angerechnet werden. Auch nach dieser Bestimmung sind nur Zeiten als Dienstzeit zu berücksichtigen, die in Arbeitsverhältnissen zurückgelegt wurden. Dies ergibt sich, ebenso wie für die Anrechnung nach § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK, aus § 20 Abs. 4 TVK. Diese Bestimmung setzt auch für den Anrechnungsausschluß von nach Abs. 3 grundsätzlich anrechenbaren Zeiten voraus, daß diese in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegt wurden. Gleiches gilt daher für den Anrechnungstatbestand selbst.
Außerdem würde die Regelung des § 20 Abs. 3 TVK dem Musiker keinen Anspruch auf Anrechnung der dort genannten Zeiten als Dienstzeit gewähren, sondern lediglich dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnen, solche Zeiten als Dienstzeit anzurechnen. Der Musiker hat deshalb allenfalls einen Anspruch darauf, daß der Arbeitgeber eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Anrechnung solcher Zeiten als Dienstzeit trifft. Anhaltspunkte dafür, daß die Entscheidung der Beklagten, die streitgegenständlichen Zeiten nicht als Dienstzeit der Klägerin anzurechnen, ermessensfehlerhaft sein könnte, sind nicht ersichtlich. Darauf hat sich auch die Klägerin selbst nicht berufen. Sie stützt ihren Anspruch vielmehr auf Tatsachen, die ihrer Ansicht nach zwingend zur Anrechnung führen müssen, und damit ausschließlich auf § 20 Abs. 1 erster Halbs. TVK.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, R. Schwarck, Matiaske
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.05.2000 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 537465 |
BB 2000, 2052 |
NZA 2000, 1343 |
ZTR 2001, 25 |
AP, 0 |
RiA 2001, 69 |
RiA 2001, 70 |