Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsurteil ohne Tatbestand. Anfechtung der einem Aufhebungsvertrag zugrundeliegenden Willenserklärung wegen widerrechtlicher Androhung einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einer als Ersatzmitglied des Betriebsrats herangezogenen Arbeitnehmerin im Zeitraum des nachwirkenden Schutzes gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Ablehnung eines Arbeitsangebots bei der DB Services Süd-Ost GmbH als Verkehrsmittel- und Gebäudereinigerin
Orientierungssatz
- Ein Berufungsurteil ist im Revisionsverfahren aufzuheben, wenn es entgegen den zivilprozessualen Regelungen keinen Tatbestand enthält; daran hat sich durch das ZPO-Reformgesetz 2001 nichts geändert.
- Das vorübergehend in den Betriebsrat eingerückte Ersatzmitglied genießt nach Beendigung des Vertretungsfalles – nur – den nachwirkenden Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG; einer Zustimmung des Betriebsrats gem. § 103 BetrVG zur außerordentlichen Kündigung bedarf es nicht.
- Es bleibt offen, ob im Falle des Zustimmungserfordernisses nach § 103 BetrVG eine Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ohne Hinweis auf die beabsichtigte Einholung der Zustimmung des Betriebsrats schon deswegen iSd. § 123 BGB widerrechtlich ist.
Normenkette
ArbGG § 69; ZPO §§ 313a, 563 Abs. 1; BGB § 123; KSchG § 15 Abs. 1 S. 2; BetrVG §§ 103, 25 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 10.02.2005; Aktenzeichen 6 Sa 514/04) |
ArbG Dresden (Urteil vom 02.06.2004; Aktenzeichen 16 Ca 7029/03) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 10. Februar 2005 – 6 Sa 514/04 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. November 2003 hinaus, wobei es darum geht, ob die Klägerin ihre dem Aufhebungsvertrag vom 20. Oktober 2003 zugrundeliegende Willenserklärung wirksam angefochten hat.
Die 1959 geborene Klägerin ist seit 1. Juni 1982 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Nachdem ihre letzte Tätigkeit als Leistungsrechnerin in der Güterwagenausbesserung weggefallen war, wurde sie “Mitarbeiterin zur beruflichen Neuorientierung”. Der Geschäftszweck der Beklagten besteht in der Vermittlung kündigungsbeschränkter Arbeitnehmer einschließlich der erforderlichen Qualifizierung, Beratung, Betreuung und Förderung von Existenzgründungen und Personalüberlassungen. Kündigungsbeschränkte Arbeitnehmer sind solche, die nach den tarifvertraglichen Regelungen ordentlich unkündbar sind. Die Vermittlung dieses Personenkreises soll auf Dauerarbeitsplätze innerhalb oder außerhalb des DB Konzerns erfolgen.
Die Klägerin, die einen Facharbeiterabschluss als Wirtschaftskauffrau hat, erhielt zuletzt Vergütung nach der Entgeltgruppe 3 in Höhe von 1.122,16 Euro brutto monatlich.
Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt wegen beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer der DB Vermittlung GmbH (TV).
Nach § 22 Abs. 2 TV ist die Klägerin verpflichtet, jede ihr übertragene Tätigkeit im Unternehmen des DB Konzerns auch an wechselnden Arbeitsorten auszuüben, die ihr nach ihrer Befähigung, Ausbildung, Eignung und ihren sozialen Verhältnissen zugemutet werden kann. Grundsätzlich sind dem Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 2 TV auch längere Wegezeiten, ein Wohnsitzwechsel und eine Beschäftigung unterhalb seines bisherigen Beschäftigungsniveaus zuzumuten.
Am 15. September 2003 wurde der Klägerin in einem Personalgespräch durch die Beklagte ein Arbeitsvertragsangebot der DB Services Süd-Ost GmbH als Verkehrsmittel- und Gebäudereinigerin in der Niederlassung Sachsen-Ost unterbreitet. Gleichzeitig wurden ein Aufhebungsvertrag mit der Beklagten und der bereits von der DB Services Süd-Ost GmbH unterschriebene Arbeitsvertrag sowie die einschlägigen Tarifverträge übergeben. Die Klägerin wurde auf die Möglichkeit der Beendigungskündigung im Falle der Ablehnung des Arbeitsvertragsangebots hingewiesen.
Die Klägerin lehnte das Arbeitsvertragsangebot ab.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2003 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass sie im Wiederholungsfalle, dh., bei der erneuten Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsvertragsangebots, mit der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses rechnen müsse. Zugleich wurde ihr das Arbeitsvertragsangebot als Verkehrsmittel- und Gebäudereinigerin bei der DB Services Süd-Ost GmbH nochmals unterbreitet. Ihr wurde eine Überlegungsfrist bis zum 13. Oktober 2003 zur Annahme des Angebots eingeräumt. Hierauf lehnte die Klägerin das Angebot erneut ab.
Am 15. Oktober 2003 fand ein weiteres Personalgespräch bei der Beklagten statt. Der Klägerin wurde das Arbeitsvertragsangebot erneut unterbreitet und ihr wurde eine Überlegungsfrist bis zum 20. Oktober 2003 eingeräumt.
Schließlich unterzeichnete die Klägerin den auf den 20. Oktober 2003 datierten Arbeitsvertrag mit der DB Services Süd-Ost GmbH und den Aufhebungsvertrag mit der Beklagten vom 20. Oktober 2003.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2003 focht die Klägerin “den Aufhebungsvertrag vom 20.11.2003 (gemeint ist offensichtlich 20.10.2003) gemäß § 123 Abs. 1 BGB” an.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags vom 20. Oktober 2003 gewandt mit der Begründung, die Beklagte habe durch widerrechtliche Androhung mit einer außerordentlichen Kündigung die Klägerin veranlasst, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Die Beklagte sei zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrags nicht berechtigt gewesen. Das Arbeitsvertragsangebot habe nicht den Zumutbarkeitskriterien des § 23 TV entsprochen. Eine Kündigung habe nicht in Erwägung gezogen werden dürfen, weil die Klägerin im September und Oktober 2003 als Ersatzmitglied des Betriebsrats an Sitzungen teilgenommen habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin in Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 20. Oktober 2003 nicht aufgelöst worden ist. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
I. Das Berufungsurteil ist schon deswegen aufzuheben, weil es entgegen § 69 ArbGG keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält. Ein völliges Absehen von der Darstellung des Tatbestandes gem. § 69 Abs. 2 ArbGG, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt bei Berufungsurteilen nur dann in Betracht, wenn ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden ist. Ist das nicht der Fall, kann – wie hier auf Beschwerde der Beklagten – die Revision durch das Bundesarbeitsgericht zugelassen werden. In einem solchen Fall ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts ohne Tatbestand von Amts wegen aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (st. Rspr. des BAG vgl. zuletzt 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 4). Daran hat sich durch das ZPO-Reformgesetz 2001 nichts geändert (vgl. auch Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 69 Rn. 10, 10a).
1. Das Berufungsurteil muss einen den Anforderungen des § 69 Abs. 3 ArbGG genügenden Tatbestand enthalten. Nach § 69 Abs. 2 ArbGG kann unter den dort genannten Voraussetzungen von der Darstellung des Tatbestandes nur dann abgesehen werden, wenn das Berufungsurteil unzweifelhaft nicht der Revision unterliegt (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO). § 69 Abs. 3 ArbGG verlangt für Urteile, gegen die die Revision statthaft ist, eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien. Das ist erforderlich, um die Nachprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen, und gilt auch, wenn die Revision erst auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das Revisionsgericht zugelassen worden ist. Zumindest eine verkürzte Darstellung des etwaigen zweitinstanzlichen Vorbringens ist erforderlich (vgl. BAG 15. August 2002 – 2 AZR 386/01 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 12 = EzA ZPO § 543 Nr. 12; BGH 13. August 2003 – XII ZR 303/02 – BGHZ 156, 97; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 69 Rn. 10a). Einem Urteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt hat, so dass dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung verwehrt ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils und insbesondere dessen Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen, im Einzelfall deswegen erreicht werden kann, weil der Sach- und Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichendem Umfang ergibt (BAG 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 4, zu I 1 der Gründe).
2. Das angefochtene Urteil enthält keinen Tatbestand. Das Landesarbeitsgericht hat ohne weitere Hinweise “von der weiteren Wiedergabe des Tatbestandes … gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen”. Eine Darstellung des zweitinstanzlichen Vorbringens fehlt. Es ist ersichtlich davon ausgegangen, dass sein Urteil nicht der Revision unterliegt.
3. Die in den Entscheidungsgründen Bl. 5 und 6 erwähnten und anklingenden Sachverhaltselemente begründen allein keine sichere tatsächliche Grundlage für eine abschließende rechtliche Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, nämlich ob die Beklagte rechtswidrig mit einer außerordentlichen Kündigung gedroht hat, weil ein verständiger Arbeitgeber bei dem gegebenen Sachverhalt eine außerordentliche Kündigung wegen Ablehnung des Angebots, als Verkehrsmittel- und Gebäudereinigerin bei der DB Services Süd-Ost GmbH in deren Niederlassung Sachsen-Ost zu arbeiten, nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte. Den Entscheidungsgründen lässt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, welche Tatsachen das Landesarbeitsgericht als unstreitig oder erwiesen angesehen und welches streitige Vorbringen der Parteien es berücksichtigt und gewürdigt hat.
Das gilt insbesondere für die Zweitbegründung des Landesarbeitsgerichts, nämlich dass das der Klägerin angebotene Arbeitsverhältnis unzumutbar iSd. § 23 TV gewesen sei. Das Landesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, dass die Klägerin, die unter orthopädischen Beschwerden leide, wie der Beklagten auf Grund der betriebsärztlichen Untersuchung vom 15. Februar 2002 bekannt gewesen sei, für die Tätigkeit als Reinigungskraft/Fahrzeugreinigerin untauglich und damit für die vorgesehene Tätigkeit nicht geeignet gewesen sei. Dies habe sich durch das sozialmedizinische Gutachten vom 22. April 2004 bestätigt.
Es hat aber nicht zu erkennen gegeben, dass und warum es den Sachvortrag aus der Berufungsbeantwortung vom 8. September 2004, dort insbesondere Bl. 5, zum schriftlichen Ergebnis eines Tauglichkeitsgutachtens des Bahnarztes Dr. med. Z… vom 30. Juni 2003 für unbehelflich angesehen hat und warum die Vorbehalte der Beklagten gegen das Gutachten vom 22. April 2004 nicht tragen sollen.
II. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei sieht sich der Senat auf Grund der rechtlichen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts trotz des fehlenden ausreichenden Tatbestandes zu nachfolgenden Hinweisen veranlasst:
1. Bei der neuen Verhandlung des Rechtsstreits wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass im Zeitraum des nachwirkenden Schutzes gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung nicht erforderlich ist.
Das vorübergehend eingerückte Ersatzmitglied genießt nach Beendigung des Vertretungsfalles den nachwirkenden Kündigungsschutz gem. Satz 2 des Abs. 1 des § 15 KSchG (BAG 6. September 1979 – 2 AZR 548/77 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 7 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 23). Das folgt zunächst daraus, dass auch die vorübergehend tätig gewordenen Ersatzmitglieder während des Vertretungszeitraums vollwertige Mitglieder des Betriebsrats geworden sind. Darüber hinaus können Ersatzmitglieder auch bei nur kurzer Vertretungstätigkeit in Konflikte mit dem Arbeitgeber geraten sein, so dass auch für sie gelten muss, dass sie nicht um den Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse fürchten müssen, jedenfalls nicht durch ordentliche Kündigung. Andernfalls könnte das Ersatzmitglied seine Vertretung nicht unbefangen wahrnehmen (vgl. nur v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 15 Rn. 47).
Der nachwirkende Kündigungsschutz für vorübergehend herangezogene Ersatzmitglieder beginnt nach Beendigung der Vertretung im Betriebsrat und beträgt unabhängig von der Dauer der Vertretung ein Jahr. Diese Frist beginnt bei jeder weiteren Vertretung erneut zu laufen. Der nachwirkende Kündigungsschutz besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung von der Vertretungstätigkeit gewusst hat (BAG 6. September 1979 – 2 AZR 548/77 – aaO). Maßgebend ist der objektive Tatbestand (v. Hoyningen-Huene/Linck aaO Rn. 48).
2. Dagegen bedarf es entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines vorübergehend eingesetzten Ersatzmitgliedes oder der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats durch die Arbeitsgerichte im Falle der Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat im Zeitraum des nachwirkenden Kündigungsschutzes. Der personelle Anwendungsbereich des § 103 BetrVG erfasst Ersatzmitglieder, soweit sie entweder endgültig für ein ausgeschiedenes Mitglied einrücken (§ 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) oder solange sie ein zeitweilig verhindertes Mitglied vertreten (§ 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Unter § 103 BetrVG fallen aber nicht Ersatzmitglieder, die nach Beendigung der Vertretungszeit wieder aus dem Betriebsrat ausgeschieden sind. Sie sind nur nach jedem Vertretungsfall für ein Jahr gegen eine ordentliche Kündigung geschützt (vgl. nur Wlotzke in Wlotzke/Preis BetrVG 3. Aufl. § 25 Rn. 24).
Darauf, ob im Falle des Zustimmungserfordernisses eine Drohung ohne Hinweis auf die beabsichtigte Einholung der Zustimmung widerrechtlich wäre, was als sehr zweifelhaft erscheint, kommt es nicht an.
Da die Klägerin einen nur nachwirkenden Kündigungsschutz gegen ordentliche Kündigungen nach Beendigung des Vertretungsfalles iSd. § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG hatte, ist die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung nur dann im Sinne des § 123 BGB widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Das Gegenteil kann hier der Fall sein. Aus der besonderen Pflichtenlage des vorliegenden Arbeitsverhältnisses heraus verletzt der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er zumutbare Arbeitsplatzangebote ablehnt. Die Klägerin hat trotz Abmahnung das Angebot, bei der Firma DB Services Süd-Ost GmbH als Verkehrsmittel- und Gebäudereinigerin in der Niederlassung Sachsen-Ost zu arbeiten, abgelehnt.
Der Zweite Senat hat mit Urteil vom 2. Februar 2006 (– 2 AZR 222/05 – zur Veröffentlichung vorgesehen) eine ordentliche – verhaltensbedingte – Kündigung wegen Ablehnung der Vermittlung oder der Übernahme einer zumutbaren Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen nach § 26 Abs. 1 Satz 1 TV als wirksam angesehen. Deshalb kommt grundsätzlich auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Die Kündigungserklärungsfrist wäre gewahrt gewesen. Zum einen waren nach Zugang der Abmahnung vom 9. Oktober 2003 und nach der erneuten Ablehnung des Angebots am 15. Oktober 2003 noch nicht mehr als zwei Wochen vergangen. Zum anderen handelt es sich insoweit um einen Dauertatbestand. Es liegt insoweit eine fortdauernde beharrliche Ablehnung des Angebots vor mit der Folge, dass die Kündigungserklärungsfrist täglich neu beginnt (vgl. BAG 2. Februar 2006 – 2 AZR 222/05 – aaO, zu B II 2 der Gründe). Die beharrliche Ablehnung eines zumutbaren Vermittlungsangebots ist in Anbetracht der besonderen Situation des Arbeitsverhältnisses der Parteien als möglicherweise schuldhafte Verletzung der Pflichten der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis “an sich” geeignet, auch eine außerordentliche Kündigung zu tragen. Das setzt allerdings voraus, dass der Klägerin das unterbreitete Arbeitsplatzangebot tatsächlich zumutbar war (§ 23 TV), sie es folglich nicht ablehnen durfte und deswegen mit ihrem Verhalten beharrlich gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat.
Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klägerin, die unter orthopädischen Beschwerden leide, sei, wie der Beklagten auf Grund der betriebsärztlichen Untersuchung vom 15. Februar 2002 bekannt gewesen sei, für die Tätigkeit als Reinigungskraft/Fahrzeugreinigerin untauglich und damit für die vorgesehene Tätigkeit nicht geeignet gewesen. Dies habe sich durch das sozialmedizinische Gutachten vom 22. April 2004 bestätigt.
Dabei hat das Landesarbeitsgericht, wie die Revision zutreffend rügt, sich mit dem Sachvortrag aus der Berufungsbeantwortung vom 8. September 2004 zum schriftlichen Ergebnis eines Tauglichkeitsgutachtens des Bahnarztes Dr. med. Z… vom 30. Juni 2003 nicht auseinandergesetzt. Die Revision hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass das Gutachten vom 22. April 2004 erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt – 15. Oktober 2003 – ergangen ist.
III. Der Senat hat bei der Zurückverweisung der Sache von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Friedrich, Koch, Augat
Fundstellen
Haufe-Index 1558212 |
DB 2006, 2693 |
NJW 2006, 3020 |
FA 2006, 351 |
NZA 2006, 1037 |
AP, 0 |
AuA 2006, 749 |
EzA-SD 2006, 11 |
EzA |
AUR 2006, 333 |