Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestentgelt in der Pflegebranche. persönlicher Anwendungsbereich der Pflege-ArbbV. Anrechnung sonstiger Leistungen des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Bei der ambulanten Pflege Rund-um-die-Uhr wird das Mindestentgelt nach der PflegeArbbV geschuldet, wenn die Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die hauswirtschaftliche Versorgung in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI überwiegt und die Pflegekraft sich im Übrigen beim Pflegebedürftigen bereit halten muss, bei Bedarf weitere Pflegeleistungen in der Grundpflege zu erbringen.
Orientierungssatz
1. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist für tatsächliche Arbeit (Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst) zu zahlen und als Geldfaktor in die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einzustellen.
2. Zuschläge für Überstunden sowie Sonn- und Feiertage sind auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV anzurechnen. Dasselbe gilt für Prämien, mit denen geleistete Arbeit entgolten wird.
3. Der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV wird durch Nachtarbeitszuschläge (§ 6 Abs. 5 ArbZG) nicht erfüllt.
4. Arbeitgeberbeiträge zu vermögenswirksamen Leistungen iSd. Fünften VermBG können nicht auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV angerechnet werden.
5. Echter Aufwendungsersatz ist kein Arbeitsentgelt und berührt den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV nicht. Zur Abgrenzung zum „verschleierten Arbeitsentgelt” kann das Einkommensteuerrecht herangezogen werden.
Normenkette
AEntG § 5 S. 1 Nr. 1, §§ 11-12; SGB XI § 14 Abs. 4; Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 § 1 Abs. 3 S. 1; Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 § 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2013 – 6 Sa 1274/12 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung in der durch die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 (BAnz. 2010 Nr. 110 S. 2571) bestimmten Höhe.
Die Beklagte betreibt einen privaten Pflegedienst mit häuslicher Kranken-, Alten- und Familienpflege. Sie bietet auch eine Rund-um-die-Uhr-Pflege an, bei der eine Pflegekraft bei den „Pflegeklienten” wohnt und ihnen täglich bis zu 24 Stunden zur Pflege und Betreuung zur Verfügung steht.
Die 1952 geborene Klägerin war bei der Beklagten vom 26. August 2009 bis zum 31. Oktober 2011 als Pflegehelferin in der häuslichen Pflege beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 21./26. August 2009 (im Folgenden Arbeitsvertrag 2009) war zunächst eine Jahresarbeitszeit vereinbart (§ 2 Nr. 3). Dafür erhielt die Klägerin ein Monatsentgelt von 1.300,00 Euro brutto. Ferner waren die Zahlung einer Prämie iHv. 300,00 Euro brutto nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens einem Jahr sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit vorgesehen (§ 5 Nr. 3 und Nr. 6 Arbeitsvertrag 2009). In einer Änderungsvereinbarung vom 9. Dezember 2010 (im Folgenden Änderungsvertrag 2010) vereinbarten die Parteien eine durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit von 182 Stunden monatlich. Dafür erhielt die Klägerin ein – verstetigtes – Bruttomonatsgehalt von 1.547,00 Euro. Für den Einsatz in der „Rund-um-Pflege vor Ort” bestimmt § 4 Nr. 1 Änderungsvertrag 2010 in Verbindung mit der Anlage 2 ua.:
„Regeln für das Arbeitszeitkonto: |
- Das für den Arbeitnehmer bei H quartalsweise (= für jedes Kalendervierteljahr) geführte Arbeitszeitkonto wird in dieser Zeit mit der geleisteten Arbeit entlastet. Die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt – ausschließlich der Pausen – 182 Stunden. Die je Quartal zu leistende Arbeitszeit beträgt also 546 Arbeitsstunden.
- Sofern dem Arbeitnehmer bei einem Pflegebedürftigen eine „Rund-um-Pflege” vor Ort obliegt, wird diese Tätigkeit auf dem Arbeitszeitkonto je Arbeitstag mit acht Stunden zzgl. einer „Pauschale Ruf-/ Bereit-schaft” mit einem zusätzlichen Betrag von 3,25 Stunden entlastet. Mit dieser Entlastung um weitere 3,25 Stunden je Arbeitstag werden Arbeitsbereitschaftsdienst, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – einschließlich ggf. dabei geleisteter Arbeit – abgegolten.
- Außerdem erhält der Arbeitnehmer bei einer „Rund-um-Pflege” vor Ort einen (Nacht-)Zuschlag in Höhe von pauschal Euro 6,40 (brutto). Mit diesem weiteren zusätzlichen Entgelt werden geleisteter Arbeitsbereitschaftsdienst, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft – einschließlich ggf. dabei geleisteter Arbeit – vergütet.”
In dieser „Rund-um-Pflege vor Ort” war die Klägerin vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 an insgesamt 232 Tagen (einschließlich Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) eingesetzt. Bei den in diesem Zeitraum zuhause zu Pflegenden überwog jeweils die für die Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erforderliche Zeit diejenige, die für die hauswirtschaftliche Versorgung in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI erforderlich war.
Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit der am 19. Dezember 2011 eingereichten und der Beklagten am 27. Dezember 2011 zugestellten Klage für die Zeit vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 unter Berufung auf § 2 Abs. 1 PflegeArbbV Differenzvergütung unter Einschluss von Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für 24 Stunden pro Einsatztag in der Rund-um-die-Uhr-Pflege verlangt. Darauf lässt sie sich die erhaltene monatliche Grundvergütung von 1.300,00 Euro brutto bzw. 1.547,00 Euro brutto anrechnen, nicht jedoch sonstige in den Gehaltsabrechnungen unter „Überstundenpauschale”, „Überstundengrundvergütung”, „Nachtbereitschaft”, „Sonntagszuschlag”, „Feiertagszuschlag” und „Fahrten Wohnung/Arbeit” ausgewiesene Zahlungen. Die Klägerin hat geltend gemacht, der persönliche Anwendungsbereich der PflegeArbbV sei bereits dann eröffnet, wenn die pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die Pflege in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI überwiegen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.757,23 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Dezember 2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der persönliche Anwendungsbereich der PflegeArbbV sei nicht eröffnet, weil die pflegerischen Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die Gesamttätigkeiten der Klägerin bei der Rund-um-die-Uhr-Pflege und -Betreuung nicht überwögen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf weitere Vergütung für die Zeit vom 1. August 2010 bis zum 31. Oktober 2011 auf der Grundlage der PflegeArbbV. Der persönliche Geltungsbereich der PflegeArbbV ist eröffnet. In welcher Höhe der Klägerin Differenzvergütung für die streitgegenständlichen Einsätze in der Rund-um-die-Uhr-Pflege zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
I. Die Beklagte betreibt unstreitig einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2
PflegeArbbV. In einem solchen fand die PflegeArbbV im Zeitraum 1. August 2010 bis 31. Dezember 2014 Anwendung auf alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI erbringen, § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV.
1. Der Wortlaut dieser Norm erfordert, dass pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI mehr als die Hälfte der Arbeitszeit des Beschäftigten in einem Pflegebetrieb ausfüllen („überwiegend … erbringen”). Nicht unter die PflegeArbbV fallen damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zwar in einem Pflegebetrieb arbeiten, aber – wie etwa Beschäftigte in der Verwaltung oder Reinigungskräfte – überhaupt keine pflegerischen Tätigkeiten verrichten, oder Beschäftigte, die zwar pflegerische Tätigkeiten ausüben, aber nicht überwiegend in den in § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI aufgeführten Bereichen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität. Damit nimmt die PflegeArbbV diejenigen Pflegekräfte aus ihrem Anwendungsbereich aus, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI (Einkaufen, Kochen, Reinigung der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen) verrichten (vgl. BT-Drs. 17/2844 S. 8).
2. Bei der ambulanten Rund-um-die-Uhr-Pflege übt die Pflegekraft typischerweise – bezogen auf die Vollarbeit – nicht arbeitszeitlich überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI aus, sondern – sofern nicht auch pflegerische Tätigkeiten in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI anfallen – betreut und beobachtet den Pflegebedürftigen, verbunden mit der Bereitschaft, bei Bedarf weitere Pflegeleistungen zu erbringen. Folgte man der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, es müsse arbeitszeitlich überwiegend Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI geleistet werden, liefe die PflegeArbbV im Bereich der Rund-um-die-Uhr-Pflege weitgehend leer. Denn es wird kaum vorkommen, dass in der ambulanten Pflege mehr als zwölf Stunden Vollarbeit mit der Grundpflege eines Pflegebedürftigen anfallen. Anhaltspunkte dafür, die ambulante Rund-um-die-Uhr-Pflege habe generell aus dem Anwendungsbereich der PflegeArbbV ausgenommen werden sollen, bestehen jedoch nicht. Vielmehr trifft das Ziel des Verordnungsgebers, mit der PflegeArbbV einen „Baustein (…) zur Aufwertung der Pflege insgesamt” zu schaffen und „der Gefahr einer abwärts gerichteten Lohnentwicklung und damit einem Wettbewerb zu Lasten der Qualität der Pflege und damit der Pflegebedürftigen zu begegnen” (BT-Drs. 17/2844 S. 2) für diese „erweiterte” ambulante Pflege in demselben Maße zu wie für die herkömmliche Form, bei der der Pflegebedürftige ausschließlich zum Zwecke tatsächlicher Pflegeverrichtungen für eine bestimmte Zeitspanne zuhause aufgesucht wird.
3. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen (BAG 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12 – Rn. 15 ff.). Deshalb gebietet es der systematische Zusammenhang, das Merkmal des überwiegenden Erbringens pflegerischer Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI nicht auf die Vollarbeit in diesem Bereich zu verengen, sondern auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu berücksichtigen. Denn diese Sonderformen der Arbeit, bei denen sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten muss, um im Bedarfsfalle die Arbeit von sich aus (Arbeitsbereitschaft) oder „auf Anforderung” (Bereitschaftsdienst) aufzunehmen, sind sowohl arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG, als auch vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611 Abs. 1 BGB (BAG 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12 – Rn. 16 mwN).
4. Danach ist bei der ambulanten Pflege Rund-um-die-Uhr der persönliche Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV eröffnet, wenn die Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI die pflegerische Tätigkeit in den Bereichen des § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI überwiegt und sich die Pflegekraft im Übrigen beim Pflegebedürftigen bereithalten muss, bei Bedarf weitere Pflegeleistungen in der Grundpflege zu erbringen (zur Rechtslage ab dem 1. Januar 2015 vgl. § 1 Abs. 2 bis Abs. 6 der Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche – 2. PflegeArbbV – vom 27. November 2014).
5. Diese Voraussetzung lag bei den streitgegenständlichen Einsätzen vor. Bei den von der Klägerin in der Rund-um-die-Uhr-Pflege betreuten Pflegebedürftigen hat unstreitig jeweils die Vollarbeit in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB XI diejenige in den Bereichen der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI zeitlich überwogen. Selbst wenn die Klägerin außerhalb der Pflege iSv. § 14 Abs. 4 SGB XI „nur” betreuend und beaufsichtigend tätig gewesen sein sollte, stellt die Beklagte nicht in Abrede, dass sich die Klägerin bei den „Pflegeklientinnen” auf- und bereithalten musste, um bei Bedarf von sich aus erforderliche weitere Pflegeleistungen in der Grundpflege zu erbringen. Damit erbrachte sie Arbeitsbereitschaft in dem von § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV genannten Bereich.
II. Über die Höhe der Differenzvergütung nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei wird im erneuten Berufungsverfahren Folgendes zu beachten sein:
1. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde” festgelegt. Damit knüpft die Norm an die „vergütungspflichtige Arbeitszeit” an. Es ist deshalb für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit die gemäß § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeit erbringt, zu zahlen. Ist der Anwendungsbereich der PflegeArbbV eröffnet, muss das Mindestentgelt auch für die nicht grundpflegerischen Zusammenhangstätigkeiten und für alle Formen von Arbeit – also auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst – gezahlt werden. Entgegenstehende vertragliche Abreden sind unwirksam (BAG 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12 – Rn. 14 ff.).
Ob die Klägerin für tatsächlich geleistete Arbeit – nachdem sie unstreitig nicht 24 Stunden pro Arbeitstag Vollarbeit erbrachte – in dem von ihr begehrten Umfang das Mindestentgelt beanspruchen kann, hängt davon ab, ob sie arbeitstäglich 24 Stunden neben der Vollarbeit zu Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst eingesetzt war. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, ob die Klägerin nach den Vorgaben der Beklagten verpflichtet war, sich durchgehend und ausnahmslos an der Pflegestelle bereitzuhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Ferner wird das Landesarbeitsgericht – ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien – festzustellen haben, ob der Klägerin Gelegenheit gegeben wurde, Pausen im Rechtssinne (zum Begriff BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 886/12 – Rn. 21 mwN) zu nehmen, es also Phasen gab, in denen sie sich nicht zur Arbeit bereithalten musste und in freier Nutzung des Zeitraums eigenen Interessen nachgehen konnte.
2. In der Klageforderung enthalten sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diese erfasst § 2 PflegeArbbV nicht. Gegenstand einer auf einen Kommissionsvorschlag (§ 12 AEntG) erlassenen Rechtsverordnung (§ 11 AEntG) wie der PflegeArbbV können nach § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG nur Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze, und damit Regelungen über die Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden sein (vgl. – zum TV Mindestlohn für pädagogisches Personal – BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 495/14 – Rn. 26 mwN). Zudem fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die PflegeArbbV Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schaffen sollte.
Ein Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Mindestentgelts nach § 2 PflegeArbbV kann sich aber aus § 3 Abs. 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG und dem diesen Bestimmungen zugrunde liegenden Entgeltausfallprinzip ergeben. Denn dieses verlangt, das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 495/14 – Rn. 29).
3. Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erhielt die Klägerin neben der Grundvergütung weitere Leistungen. Ob und in welchem Umfang mit diesen der Mindestentgeltanspruch der Klägerin erfüllt worden ist, richtet sich danach, ob die vom Arbeitgeber erbrachten (Zusatz-)Leistungen die Normzwecke der PflegeArbbV, nämlich der Gefahr einer abwärts gerichteten Lohnentwicklung und damit einem Wettbewerb zu Lasten der Qualität der Pflege und der Pflegebedürftigen zu begegnen sowie die Pflege insgesamt aufzuwerten (vgl. BT-Drs. 17/2844 S. 2), sichert (zur Anrechnung von Leistungen bei einem Mindestlohntarifvertrag vgl. BAG 16. April 2014 – 4 AZR 802/11 – Rn. 37 ff., BAGE 148, 68).
a) Der Mindestentgeltspruch der Klägerin ist durch Nachtarbeitszuschläge nicht erfüllt worden.
§ 6 Abs. 5 ArbZG gewährt Nachtarbeitnehmern (§ 2 Abs. 5 ArbZG), die während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) Nachtarbeit (§ 2 Abs. 4 ArbZG) leisten, einen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung ist die Beklagte durch die Zahlung eines Zuschlags als von ihr gewählter Schuldnerleistung (vgl. BAG 5. September 2002 – 9 AZR 202/01 – zu A II 1 der Gründe, BAGE 102, 309) nachgekommen. Der PflegeArbbV kann nicht entnommen werden, dass mit dem Mindestentgelt von – im Streitzeitraum – 8,50 Euro je Stunde zugleich ein Ausgleich iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG für geleistete Nachtarbeit geregelt ist (ähnlich zum Mindestlohntarifvertrag für die Branche Abfallwirtschaft BAG 16. April 2014 – 4 AZR 802/11 – Rn. 50 ff., BAGE 148, 68). Auch bestimmt die PflegeArbbV nicht die Anrechnung des Ausgleichs nach § 6 Abs. 5 ArbZG auf das Mindestentgelt.
b) Soweit die Beklagte Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit leistete, sind diese auf das Mindestentgelt anzurechnen. Derartige Zuschläge sind Arbeitsentgelt und erfüllen die Zwecke der PflegeArbbV. Deren § 2 legt das Mindestentgelt unabhängig von der Anzahl der zu leistenden Stunden und unabhängig von den Tagen, an denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist, fest. Die Norm nimmt damit keine Rücksicht darauf, ob übermäßig lange Arbeit oder Arbeit an Sonn- und Feiertagen für die Beschäftigten mit besonderen Erschwernissen verbunden ist. Einen gesonderten Zuschlag für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit sieht die PflegeArbbV ebenso wenig wie das ArbZG vor.
c) Arbeitgeberbeiträge zu vermögenswirksamen Leistungen iSd. Fünften VermBG können nicht auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV angerechnet werden. Wegen der erheblichen Bindungsdauer der angelegten Gelder fehlt es an aktuellen Vorteilen für die Beschäftigten. Vermögenswirksame Leistungen dienen der langfristigen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und sind keine unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeit (vgl. BAG 19. August 2015 – 5 AZR 500/14 – Rn. 39 mwN). Sie sind damit nicht geeignet, die Zwecke der PflegeArbbV zu erfüllen.
d) Sollte die Beklagte im Streitzeitraum die in § 5 Nr. 3 Arbeitsvertrag 2009 vorgesehene Prämie von 300,00 Euro brutto gezahlt haben, findet eine Anrechnung auf den Mindestentgeltanspruch im Monat der Leistung der Prämie statt, ggf. – bei einem „Überschuss” – auch im Folgemonat, in dem das Mindestentgelt fällig wird (§ 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV). Denn die Prämie ist nach dem Arbeitsvertrag der Parteien Teil der Vergütung für die zu leistende Arbeit und erfüllt die Zwecke der PflegeArbbV, welche ihrerseits die Anrechnung von Prämien auf das Mindestentgelt nicht ausschließt.
e) Die Erstattung von Fahrtkosten erfüllt nicht den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV, wenn es sich dabei um echten Aufwendungsersatz handelt. Ein solcher ist keine Gegenleistung für die Arbeitsleistung. Zur Abgrenzung zum „verschleierten Arbeitsentgelt” kann das Einkommensteuerrecht herangezogen werden. Aufwendungsersatz, der dem Arbeitnehmer steuerrechtlich nur brutto zufließen kann, ist zumindest indiziell „unecht” (vgl. zur entsprechenden Problematik bei § 10 Abs. 4 AÜG: BAG 13. März 2013 – 5 AZR 294/12 – Rn. 34 ff.; 19. Februar 2014 – 5 AZR 700/12 – Rn. 57).
4. Der Anspruch der Klägerin auf Differenzvergütung ist nicht verfallen.
Nach § 4 PflegeArbbV verfallen die Ansprüche auf das Mindestentgelt, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Fällig wird das Mindestentgelt zum 15. des Monats, der auf den Monat folgt, für den das Mindestentgelt zu zahlen ist, § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV.
Somit hat die Klägerin das Mindestentgelt für die Monate August 2010 bis August 2011 mit Schreiben vom 31. August 2011 und für die Monate September und Oktober 2011 mit der der Beklagten am 27. Dezember 2011 zugestellten Klage rechtzeitig geltend gemacht.
5. Bei der Zinsentscheidung wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass – anders als vom Arbeitsgericht tituliert – der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen (§ 291 BGB) erst ab dem Tag nach Zustellung besteht (BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 495/14 – Rn. 36 mwN).
Unterschriften
Müller-Glöge, Biebl, Volk, Reinders, Ilgenfritz-Donné
Fundstellen
Haufe-Index 9176261 |
BAGE 2016, 248 |
BB 2016, 884 |
DB 2016, 7 |