Der Begriff der Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz

Gerade vor dem Hintergrund der gesetzlich erforderlichen Arbeitszeiterfassung und immer fortschreitenden Formen mobiler Arbeit gerät der Begriff „Arbeitszeit“ wieder vermehrt in den Fokus. Als problematisch kann es sich erweisen, dass es in juristischer Hinsicht verschiedene Deutungsweisen gibt, die zu rechtlich unterschiedlichen Ergebnissen führen. Diese Differenzierung muss in der Diskussion um die „Arbeitszeit“ strenge Beachtung finden. In diesem Beitrag wird schwerpunktmäßig der Begriff der Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) erläutert, der einen wesentlichen Ansatzpunkt im arbeitsschutzrechtlichen Kontext aufweist.

Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzgesetz

Neben den arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitdimensionen (vgl. z. B. ArbZG, § 4 MuSchG, § 4 JArbSchG, AZV) hat der Begriff der „Arbeitszeit“ auch eine vergütungsrechtliche Dimension. Die Frage, was als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG gilt, ist folglich von der Frage zu trennen, ob dem Beschäftigten bestimmte Zeiten vergütet werden müssen. Gerade im Bereich der Rufbereitschaft (hierzu siehe unten) wird dies deutlich. Nach dem ArbZG ist dies keine Arbeitszeit, vergütungsrechtlich bekommen diese Zeiten allerdings eine Bedeutung.

Grundsätzlich ist die Arbeitszeit nach dem Arbeitsschutzrecht die Zeit einer gewissen Inanspruchnahme des Beschäftigten. Dies ist insoweit bedeutsam, als dass auch die Arbeitszeit einen Gefährdungsaspekt darstellt, der auch durch die Gefährdungsbeurteilung erfasst sein muss (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 4 ArbSchG). Das Arbeitsschutzrecht will somit vor einer arbeitszeitbezogenen Überbeanspruchung schützen.

Als „Arbeitszeit“ definiert das ArbZG die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen (vgl. § 2 Abs. 1 ArbZG). Gerade in Bezug auf § 3 ArbZG (Höchsttagesdauer) ist aber wesentlich, was denn nun genau zur Arbeitszeit zählt.

In der rechtswissenschaftlichen Literatur und in der Rechtsprechung wird bei der Arbeitszeit unterschieden zwischen:

  • Vollarbeit,
  • Arbeitsbereitschaft,
  • Bereitschaftsdienst und
  • Rufbereitschaft.

Von der Arbeitszeit ist auf alle Fälle die Ruhezeit § 5 ArbZG zu unterscheiden. Der Begriff der Ruhezeit bezeichnet die arbeitsfreie Zeit, die den Beschäftigten nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit gewährt werden muss.

Vollarbeit

Bei der sogenannten Vollarbeit handelt es sich um die „intensivste“ Form der Arbeit. Sie liegt dann vor, wenn die betroffene Person „in vollem Umfang“ für die Zwecke des Arbeitgebers eingesetzt wird, sie also durch die Arbeit voll beansprucht wird (Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG § 2 Rn. 30). Bei der Vollarbeit handelt es sich um Arbeitszeit im Sinne von § 3 ArbZG.

Arbeitsbereitschaft ist vollwertige Arbeitszeit

Absteigend in der Intensität folgt die Arbeitsbereitschaft. Darunter versteht man die Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustande der Entspannung (vgl. z. B. BAG Urt. v. 09.03.2005 – 5AZR 385/02). Die betroffene Person wird in dieser Zeit nicht in vollem Umfang beansprucht, ist aber jederzeit fähig, in Vollarbeit zu treten. So leistet eine Person etwa dann Arbeitsbereitschaft, wenn sie als Verkäuferin im Laden auf Kundschaft wartet, ohne mit anderweitigen Tätigkeiten (z. B. Etikettieren) betraut zu sein. Auch diese Zeit der Arbeit ist vollwertige Arbeitszeit im Sinne von § 3 ArbZG.

Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit

Als noch weniger intensive Form der Arbeit zählt der Bereitschaftsdienst. Darunter versteht man die Zeitspanne, während derer die betroffene Person nicht unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein muss, sich aber für Zwecke des Betriebs an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, um im Bedarfsfall sofort oder zeitnah ihre volle Arbeitstätigkeit aufnehmen zu können (vgl. z. B. BAG Beschl. v. 18.02.2003 – 1 ABR 2/02).

Während des Bereitschaftsdienstes ist die betroffene Person folglich nicht unmittelbar für den Arbeitgeber tätig. Die „Inanspruchnahme“ zeichnet sich hier dadurch aus, dass die Person sofort oder sehr zeitnah die Arbeit aufnehmen kann. Dieser Fall unterscheidet sich von der Arbeitsbereitschaft darin, dass sich die Person beim Bereitschaftsdienst nicht am Arbeitsort aufhält, sondern an einem Ort innerhalb oder außerhalb des Betriebes, der vom Arbeitgeber vorgegeben ist (z. B. Arztbereitschaft im Krankenhaus).

In der Rechtsliteratur ist weiterhin strittig, ob der Bereitschaftsdienst eine anzurechnende Arbeitszeit nach § 4 ArbZG darstellt (kritisch z. B. Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG § 2 Rn. 45). Dennoch definiert die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. z. B. BAG Beschl. v. 18.02.2003 – 1 ABR 2/02) den Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit nach § 3 ArbZG. Dies ist europarechtlichen Hintergründen geschuldet. Das Arbeitszeitrecht weist eine starke europarechtliche Prägung auf (vgl. RL 2003/88/EG). Als Arbeitszeit gilt europarechtlich jede Zeitspanne, während der die betroffene Person gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und ihre Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt (Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG). In diesem Sinne ist auch § 3 ArbZG auszulegen (Gebot der europarechtskonformen Auslegung von Rechtsvorschriften; vgl. Art. 288 UAbs. 3, Art. 3 AeuV, „effet utile“, Gebot der Unionstreue nach Art. 4 Abs. 3 EUV). Insofern ist festzustellen, dass auch der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit nach § 3 ArbZG anzusehen ist.

Rufbereitschaft ist keine Ruhezeit

Als Rufbereitschaft wird der Zeitraum erfasst, in welchem die betroffene Person außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit auf Weisung des Arbeitgebers erreichbar sein muss. Auch in der Zeit der Rufbereitschaft ist die betroffene Person folglich nicht für den Arbeitgeber tätig. Sie ist allerdings in ihrer Freizeit eingeschränkt, da sie sicherstellen muss, innerhalb des definierten Zeitraumes ihre Arbeit aufnehmen zu können.

Die Rufbereitschaft unterscheidet sich vom Bereitschaftsdienst dadurch, dass sich die Person in der Zeit, für welche die Rufbereitschaft angeordnet ist, ihren Aufenthaltsort selbst bestimmen kann und sich nicht in der Arbeitsstätte aufhalten muss (vgl. z. B. BAG, Entsch. V. 31.01.2002 – 6 AZR 214/00).

Rufbereitschaft zählt nicht zur Arbeitszeit nach § 3 ArbZG. Sie darf aber auch nicht in die Ruhezeit gelegt werden, da während der Rufbereitschaft ja mit einer Arbeitsaufnahme gerechnet werden muss.

Arbeitszeit im Europarecht

Auch in Bezug auf den Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft darf der bereits erwähnte europarechtliche Kontext nicht unbeachtet gelassen werden. Für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist entscheidend, inwieweit in der Gesamtbetrachtung die Gestaltung des Lebens der betroffenen Person durch die „Bereitschaft“ beeinträchtigt wird. Auch die Rufbereitschaft fällt gemäß EuGH unter die „Arbeitszeit“, wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigt (EuGH Urt. v. 11.11.2021 – C-214/20). Zu kurze Zeiten der gewünschten Arbeitsaufnahme werden dem nicht gerecht. Folglich ist auch Rufbereitschaft (etwa, wenn die betroffene Person innerhalb von 15 Minuten die Arbeit aufnehmen können muss) dann als Arbeitszeit zu werten, wenn der betroffenen Person faktisch keine Wahlmöglichkeit hinsichtlich ihrer Freizeitgestaltung verbleibt.

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Schlagworte zum Thema:  Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst