Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragliche Bezugnahme auf tarifliche Ausschlußfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Die vertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen ist nicht an eine Form gebunden. Sie kann sich auch aus einer betrieblichen Übung oder konkludentem Verhalten der Arbeitsvertragsparteien ergeben.
2. Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, so ist die Gewährung tariflicher Leistungen im Zweifel so zu verstehen, daß alle einschlägigen Tarifbestimmungen gelten sollen, also auch tarifliche Ausschlußfristen.
Normenkette
BetrVG § 112; Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie § 17; TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Mai 1998 – 7 Sa 1481/97 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf eine Ausgleichszahlung als Bestandteil einer Sozialplanabfindung verfallen ist.
Das Kölner Werk der Beklagten wurde durch Brand zerstört und nicht wieder aufgebaut. Am 13. März 1991 wurde deshalb ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart, in dem unter B u.a. bestimmt ist:
„III.
Leistungen im Falle der Entlassung ab Vollendung des 56. Lebensjahres und mindestens 10 vollendeten Dienstjahren
Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis gem. Abschnitt A dieser Vereinbarung durch firmenseitige Kündigung oder durch Vereinbarung mit dem Unternehmen beendet wird, die jedoch bei Ausscheiden mindestens 56 Jahre alt und mindestens 10 Jahre betriebsangehörig sind und die die Voraussetzungen dafür erfüllen, nach mindestens einjähriger Arbeitslosigkeit und Vollendung mindestens des 60. Lebensjahres vorgezogenes Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung („Arbeitslosenaltersruhegeld”) zu beziehen, erhalten wegen des Verlustes ihres Arbeitsplatzes und sozialen Besitzstandes Abfindungen im Sinne der §§ 9, 10 KSchG sowie sonstige Leistungen nach folgenden Bestimmungen:
1. Abfindung:
Die Abfindung besteht aus:
einem Grundbetrag von
…
Einem Zusatzbetrag in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen
95% des durchschnittlichen laufenden Monats-Nettoentgelts des Mitarbeiters auf der Grundlage der letzten 12 im Zeitpunkt des Ausscheidens abgerechneten Monate ohne einmalige Leistungen (Sonderzahlung, Erfolgsbeteiligung, Urlaubsgeld) und ohne vermögenswirksame Leistungen, jedoch nach dem Tarifstand bei Ausscheiden
und
- dem zu erwartenden Betrag des Arbeitslosengeldes/der Arbeitslosenhilfe nach dem Stand dieser Leistungen bei Ausscheiden zzgl. zu erwartender Leistungen des Unterstützungsvereins der chemischen Industrie zum Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom Ausscheiden bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn.
…
Soweit zu erwartende Leistungen an Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe tatsächlich nicht gewährt werden oder sich in ihrer Höhe – abgesehen von der jährlichen Leistungsanpassung – verändern, wird im Einvernehmen zwischen Werkleitung und dem Betriebsrat für den Zeitraum vom Ausscheiden bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn ein entsprechender Ausgleich auf 95% des durchschnittlich laufenden Monats-Nettoentgeltes gewährt.
…
3. Fälligkeit und Auszahlung:
Die Abfindungsleistungen gem. Ziffer 1 sind als einmalige Abfindung im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis fällig.
…”
Der im Februar 1935 geborene Kläger war seit 1976 im Werk Köln der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Der Betrieb befand sich im fachlichen Anwendungsbereich des Manteltarifvertrags für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie (MTV). Dieser enthält folgende Bestimmung:
„§ 17 Ausschlußfristen
…
2. Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlußfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.
3. Im Falle des Ausscheidens müssen die Ansprüche beider Seiten spätestens einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden.
4. Wird ein Anspruch erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, muß er spätestens einen Monat nach Fälligkeit geltend gemacht werden.
5. Die genannten Ausschlußfristen gelten nicht für beiderseitige Schadensersatzansprüche sowie für beiderseitige nachwirkende Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.”
Der Kläger war nicht tarifgebunden. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Anwendung tariflicher Regelungen war im Arbeitsvertrag der Parteien nicht enthalten.
Das Arbeitsverhältnis endete am 30. September 1991 aufgrund betriebsbedingter Kündigung. Der Kläger erhielt eine Abfindung nach dem Sozialplan. Bis zum 31. Mai 1994 bezog er Arbeitslosengeld. Sein Antrag auf anschließende Gewährung von Arbeitslosenhilfe wurde mit Bescheid vom 21. Juni 1994 abgelehnt. Der hiergegen am 15. August 1994 eingelegte Widerspruch des Klägers wurde wegen Versäumung der Widerspruchsfrist mit Bescheid vom 31. Oktober 1994 als unzulässig verworfen.
Mit folgendem Schreiben vom 4. Dezember 1994 wandte sich der Kläger wegen einer Ausgleichszahlung an die Personalabteilung der Beklagten:
„Sehr geehrte Frau O
Da ich nichts mehr von Ihnen höre, möchte ich doch mal nachfragen was denn nun aus meiner Angelegenheit wird. Ihre Bedingungen sind erfüllt und der Überweisung des mir noch zustehenden Betrages dürfte nichts mehr im Wege stehen. Ich bitte daher um Überweisung auf mein Konto. …”
Die Beklagte gewährte dem Kläger jedoch für die Zeit vom 1. Juni 1994 an keine zusätzlichen Leistungen mehr nach Abschnitt B III 1 b des Sozialplans. Seit dem 1. März 1995 bezieht der Kläger vorgezogene Altersrente.
Er hat die Auffassung vertreten, für die Zeit vom 1. Juni 1994 bis zum 28. Februar 1995 habe er nach Abschnitt B III 1 b des Sozialplans noch Anspruch auf einen Ausgleich für die ausgefallene Arbeitslosenhilfe. Der Anspruch sei nicht nach § 17 MTV verfallen. Der Manteltarifvertrag habe für sein Arbeitsverhältnis weder aufgrund Tarifbindung noch kraft einzelvertraglicher Bezugnahme gegolten. Eine Arbeitsordnung, welche auf Tarifverträge verwiesen habe, sei im Betrieb nicht ausgehängt worden. Überdies habe die streitige Zusatzleistung Versorgungscharakter und könne deshalb von einer tariflichen Ausschlußfrist nicht erfaßt werden. Schließlich habe er die Frist eingehalten, denn er habe die Beklagte umgehend telefonisch von der Ablehnung seines Antrags auf Arbeitslosenhilfe unterrichtet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.076,64 DM brutto zu zahlen nebst 4% Zinsen seit dem 1. März 1995.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung ist der Anspruch verfallen. Der Kläger habe die Ausschlußfrist des § 17 Nr. 4 MTV versäumt. Zwischen den Parteien sei die Anwendung des Manteltarifvertrags konkludent vereinbart worden. So habe der Kläger Arbeitsentgelt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Urlaub nach den einschlägigen Tarifbestimmungen erhalten. Überdies sei im Betrieb die Arbeitsordnung der R werke AG bekannt gegeben worden, die Verweisungen auf die „tariflichen Bestimmungen” über die Kündigungsfristen, den Urlaub, die Dauer der Arbeitszeit sowie die Löhne und Gehälter enthalten habe. Die Ausschlußfrist erfasse auch Sozialplanansprüche. Um eine Versorgungsleistung handele es sich bei dem beanspruchten Ausgleich in Form einer Einmalzahlung nicht. Die vom Kläger behauptete mündliche Unterrichtung über die Versagung der Arbeitslosenhilfe habe zur Geltendmachung des Anspruchs nicht ausgereicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf die Zeit ab 8. Januar 1997 stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist erfolgreich. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung trägt das angefochtene Urteil nicht. Dem Senat ist allerdings eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt. Hierzu bedarf es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung mit der Begründung stattgegeben, der Kläger habe nach dem Sozialplan Anspruch auf die streitige Ausgleichszahlung. Der Anspruch sei nicht nach § 17 MTV verfallen, denn er werde von dieser Bestimmung nicht erfaßt. Die einmonatige Ausschlußfrist des § 17 Nr. 4 MTV gelte nur für Ansprüche, deren Fälligkeit klar sei oder einfach bestimmt werden könne. Daran fehle es hier jedoch hinsichtlich zweier Voraussetzungen, nämlich des Zeitpunkts der Nichtgewährung von Arbeitslosenhilfe und des Einvernehmens zwischen Werkleitung und Betriebsrat über die Gewährung einer Ausgleichszahlung. Die in § 17 Nr. 2 und 3 MTV geregelten Ausschlußfristen seien hier nicht einschlägig, da sie nur für Ansprüche gälten, die bereits während des Arbeitsverhältnisses fällig geworden seien.
II. Diese Begründung ist fehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat den Inhalt des § 17 MTV verkannt.
1. Dem angefochtenen Urteil ist allerdings darin zu folgen, daß der Ausgleichsanspruch in der vom Kläger geltend gemachten Höhe entstanden ist. Der Kläger hatte bei seinem Ausscheiden am 30. September 1991 das insoweit in Abschnitt B III des Sozialplans geforderte Alter von 56 Jahren und gehörte auch über 10 Jahre, nämlich 15 Jahre, dem Betrieb an. Die Voraussetzungen für den Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld mit 60 Jahren erfüllte er nach mehr als einjähriger Arbeitslosigkeit am 1. März 1995. Vom 1. Juni 1994 bis zum 28. Februar 1995 bezog er trotz Arbeitslosigkeit weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe. Das in Abschnitt B III 1 b des Sozialplans zusätzlich angeführte Erfordernis des Einvernehmens zwischen Werkleitung und Betriebsrat lag hier, wie die Beklagte selbst vorgetragen hat, für alle Betroffenen und damit auch für den Kläger vor. Hinsichtlich der Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Ausgleichsanspruch sei entstanden, hat die Revision auch keine Rüge erhoben.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist aber nicht auszuschließen, daß der Anspruch nach § 17 MTV verfallen ist.
a) Unzutreffend ist schon die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die einmonatige Ausschlußfrist des § 17 Nr. 4 MTV sei auf Fälle klar gegebener oder einfach zu bestimmender Fälligkeit beschränkt. Für diese einschränkende Auslegung enthält die Regelung keinen Ansatzpunkt. So umfaßt sie nach ihrem Wortlaut ohne Einschränkung Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die erst nach dessen Beendigung fällig werden. Auch der Regelungszusammenhang führt nicht zu einer anderen Bewertung. Im Gegenteil knüpft § 17 Nr. 4 MTV erkennbar an die in § 17 Nr. 2 MTV enthaltene Grundnorm an, welche für alle Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis gilt. Diese Verbindung ergibt sich schon aus der systematischen Stellung der Bestimmungen. Daß § 17 Nr. 4 MTV keine eigenständige Regelung enthält, sondern als Spezialvorschrift auf § 17 Nr. 2 aufbaut, wird außerdem dadurch verdeutlicht, daß in Nr. 4 die insoweit maßgebenden Teile der Grundregel – schriftliche Geltendmachung, Ausschluß nach Fristablauf – nicht wiederholt werden.
Es kommt hinzu, daß § 17 Nr. 4 MTV nach der Auslegung des Landesarbeitsgerichts seinen Zweck verfehlen müßte. Der von Ausschlußfristen ausgehende Druck, Ansprüche zügig geltend zu machen, soll für den jeweiligen Anspruchsschuldner alsbald Klarheit darüber schaffen, welche Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis er noch zu erfüllen hat (BAG Urteil vom 10. August 1994 – 10 AZR 937/93 – AP Nr. 126 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 c der Gründe; BAGE 73, 54, 58 = AP Nr. 124 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 der Gründe). Diese Funktion könnte indessen eine Ausschlußfrist nicht erfüllen, deren Anwendungsbereich durch so unbestimmte Rechtsbegriffe abgegrenzt wäre, wie sie das Landesarbeitsgericht einfügen will. Für die Vertragsparteien bestünde dann nämlich erhebliche Unsicherheit darüber, welche Ansprüche von der Ausschlußfrist überhaupt erfaßt werden.
b) Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht verkannt, daß es hier auf die Anwendung des § 17 Nr. 4 MTV nicht ankommt.
aa) Wäre § 17 Nr. 4 MTV wegen unangemessener Kürze der Ein-Monats-Frist tatsächlich nicht maßgeblich, dann ergäbe sich daraus noch nicht, daß der Anspruch, wie das Landesarbeitsgericht meint, überhaupt keiner Ausschlußfrist unterläge. Vielmehr wäre dann auf die Drei-Monats-Frist des § 17 Nr. 2 MTV abzustellen. Die in dieser Norm enthaltene Grundregel (s.o. a) würde dann nicht von der Sondervorschrift des § 17 Nr. 4 MTV verdrängt. Die Beschränkung des § 17 Nr. 2 MTV auf Ansprüche mit Fälligkeit während des Arbeitsverhältnisses, auf die sich das Landesarbeitsgericht insoweit beruft, läßt sich nämlich nicht unmittelbar aus dieser Bestimmung herleiten, sondern ergibt sich erst aus deren Zusammenhang mit § 17 Nr. 4 MTV. Nur insoweit, als diese Tarifbestimmung für Ansprüche, die erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses fällig werden, eine kürzere Ausschlußfrist vorschreibt, tritt die Grundnorm des § 17 Nr. 2 MTV zurück.
bb) Einer Anwendung der Ausschlußfrist steht auch nicht der Charakter des streitigen Anspruchs entgegen.
So ist es unschädlich, daß es sich um eine Sozialplanabfindung handelt. Nach ständiger Rechtsprechung können auch solche Ansprüche tariflichen Ausschlußfristen unterliegen (BAG Urteil vom 27. März 1996 – 10 AZR 668/95 – AP Nr. 134 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 der Gründe).
Eine Anwendung von § 17 Abs. 2 MTV ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil der Anspruch Versorgungszwecken dienen würde. Allerdings erstreckt sich eine tarifliche Ausschlußklausel nach ständiger Rechtsprechung im Zweifel nicht auf Ruhegeldraten. Ausschlußfristen zielen nämlich auf fortwährend neu entstehende und zu erfüllende Forderungen, hinsichtlich derer jeweils rasch Klarheit geschaffen werden soll; nach einer gewissen Zeit ist im allgemeinen nicht damit zu rechnen, daß eine Arbeitsvertragspartei noch auf abgeschlossene Vorgänge zurückkommt. Die Entstehungsvoraussetzungen von Ruhegeldansprüchen werden dagegen bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesetzt und unterliegen dann nur noch im beschränkten Umfang der Änderung. Daher besteht kein Bedürfnis, die Ansprüche auf einzelne Ruhegeldraten kurzfristig erlöschen zu lassen (BAG Urteil vom 27. Februar 1990 – 3 AZR 216/88 – AP Nr. 107 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 2 c der Gründe).
Um einen solchen Anspruch handelt es sich hier indessen nicht. Vielmehr geht es um eine einmalige Zahlung, und der Anspruch ist mit der Erfüllung seiner Voraussetzungen fällig geworden. Daß er möglicherweise auch Versorgungszwecken dienen soll, vermag die Anwendung von § 17 MTV nicht auszuschließen. Zu Unrecht beruft sich der Kläger hiergegen auf das Senatsurteil vom 3. April 1990 (– 1 AZR 131/89 – EzA Nr. 94 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Zum einen handelte es sich in dem damals entschiedenen Fall um Ansprüche auf fortlaufende Zahlungen, die nach einem Sozialplan zusätzlich zur Sozialversicherungsrente und zur Betriebsrente zu entrichten waren. Zum anderen stellte der Senat entscheidend darauf ab, daß der damalige Kläger alles Erforderliche getan hatte, um seinen Anspruch innerhalb der Ausschlußfrist geltend zu machen.
cc) Hier hat der Kläger sogar selbst die Drei-Monats-Frist des § 17 Nr. 2 MTV nicht eingehalten. In der zur Wahrung der Frist erforderlichen schriftlichen Form wandte er sich erst am 4. Dezember 1994 an die Beklagte, wobei dahinstehen kann, ob dieses Schreiben als hinreichend bestimmte Geltendmachung seines Anspruchs anzusehen ist. Jedenfalls ging es der Beklagten erst mehr als fünf Monate nach Fälligkeit des Anspruchs zu. Spätestens Ende Juni 1994 war der Anspruch fällig geworden, wie sich aus Abschnitt B III 2 des Sozialplans ergibt. Nach dieser Bestimmung wurden die in Abschnitt B III 1 genannten Leistungen, zu denen auch der hier streitige Ausgleichsanspruch gehört, bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis fällig. Für Ansprüche, die – wie im vorliegenden Fall – erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses entstehen, ist diese Regelung dahin zu verstehen, daß die Fälligkeit nicht wie bei den während des Arbeitsverhältnisses entstandenen hinausgeschoben werden, sondern sofort mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen eintreten sollte.
Die erste Voraussetzung war nach Abschnitt B III 1 des Sozialplans, daß eine erwartete Entgeltersatzleistung nach dem Arbeitsförderungsgesetz tatsächlich nicht gewährt wurde. Es bedarf hier keiner Klärung, ob diese Regelung, wie ihr Wortlaut nahelegt, lediglich auf das Unterbleiben der Leistung abstellt, oder ob es insoweit auf den Verwaltungsakt ankommt, der das Nichtbestehen des Anspruchs feststellt. In jedem Fall war die Voraussetzung nämlich mehr als fünf Monate vor der schriftlichen Geltendmachung erfüllt. Der Kläger erhielt seit dem 1. Juni 1994 keine Entgeltersatzleistungen mehr. Die für diesen Zeitpunkt beantragte Gewährung von Arbeitslosenhilfe wurde ihm mit Bescheid vom 21. Juni 1994 versagt. Der Bescheid war nach § 39 Abs. 1 SGB X mit der kurz darauf erfolgten Bekanntgabe an den Kläger – der genaue Zeitpunkt ist nicht festgestellt – wirksam. Der – im übrigen verspätet eingelegte – Widerspruch des Klägers hatte nach § 86 Abs. 2 SGG keine aufschiebende Wirkung (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl., § 86 Rz 6, 6 a). Auch die zweite Anspruchsvoraussetzung, das Einvernehmen zwischen der Werkleitung und dem Betriebsrat über die Zahlung des Ausgleichs, lag zu diesem Zeitpunkt vor.
III. Hat der Kläger somit die Ausschlußfrist des § 17 MTV nicht eingehalten, so hängt die Begründetheit der Klage von der zwischen den Parteien streitigen Frage ab, ob die Tarifbestimmung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers überhaupt anwendbar war. Anhand des bisher festgestellten Sachverhalts läßt sie sich nicht beantworten. Es steht lediglich fest, daß ihre normative Geltung ausscheidet, und daß die Parteien auch eine entsprechende einzelvertragliche Vereinbarung nicht ausdrücklich getroffen hatten. Es ist aber nicht auszuschließen, daß § 17 MTV aufgrund betrieblicher Übung oder einer anderen Form stillschweigender Vereinbarung anwendbar war. Bei der Prüfung dieser Frage wird das Landesarbeitsgericht folgendes zu berücksichtigen haben:
1. Tarifvertragliche Regelungen können auch aufgrund stillschweigender Bezugnahme, z.B. durch betriebliche Übung, auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sein (herrschende Meinung, vgl. BAG Urteil vom 11. August 1988 – 2 AZR 53/88 – AP Nr. 5 zu § 625 BGB, zu II 3 c cc der Gründe; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 335; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 733; ErfK/Preis, § 611 BGB Rz 284; Hanau/Kania, Festschrift Schaub 1998, S. 239, 258 ff.; vgl. aber auch BAG Urteil vom 3. Juli 1996 – 2 AZR 469/95 – RzK I 3 e Nr. 62 – zur Vereinbarung tarifvertraglicher Kündigungsfristen). Die hiergegen unter Hinweis auf das Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG erhobenen Bedenken (Zachert in Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rz 73) greifen nicht durch. Dieses Gebot beruht auf dem Normencharakter des Tarifvertrags und soll den Normunterworfenen, die ja an der Entstehung des Tarifvertrags nicht unmittelbar beteiligt sind, den Zugang zu dem für sie maßgeblichen Tarifrecht erleichtern (vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 516, m.w.N.). Bei der Verweisung auf Tarifverträge handelt es sich indessen um eine individualrechtliche Regelung, deren Inhalt sich aus den vorausgesetzten und ihrerseits schriftformgebundenen Tarifbestimmungen ergibt. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, daß eine solche Bezugnahme nur schriftlich möglich sein sollte, wenn beliebige andere – auch den Arbeitnehmer belastende – Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen formlos getroffen werden können.
2. Sollte festgestellt werden, daß sich die Beklagte bei der Gewährung bestimmter Leistungen nach den einschlägigen Tarifverträgen gerichtet hat, so kann allerdings hieraus allein nicht in jedem Fall geschlossen werden, das Arbeitsverhältnis habe insgesamt diesen Tarifverträgen unterlegen mit der Folge, daß für alle Ansprüche einschließlich solcher aus Sozialplänen auch § 17 MTV gegolten hätte. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß sich die einzelvertragliche Bezugnahme auch auf Teile eines Tarifvertrags beschränken kann (herrschende Meinung, vgl. BAGE 50, 241, 246 = AP Nr. 31 zu § 99 BetrVG 1972; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 739; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz 115). Der hiergegen gerichtete Einwand, die Tarifautonomie werde untergraben, wenn tarifgebundenen Arbeitnehmern nachteilige tarifliche Regelungen zugemutet würden, die Unorganisierten erspart werden könnten („Rosinenpickerei”, vgl. Zachert in Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rz 85), überzeugt nicht. Erstens trifft er solche Verweisungen nicht, die jeweils einen ganzen Sachkomplex (z. B. Entgelt, Urlaub usw.) umfassen. Zweitens ist nicht ersichtlich, daß die als Folge der herrschenden Meinung befürchteten Entwicklungen (Austritt aus der Gewerkschaft um einer günstigeren einzelvertraglich angebotenen Verweisung willen) tatsächlich eingetreten wären.
3. Bei der Würdigung, ob vorliegend die einschlägigen Tarifverträge vollständig oder nur teilweise in Bezug genommen wurden, ist der Zweck einer Verweisung auf tarifliche Regelungen zu berücksichtigen. Dabei ist danach zu differenzieren, ob die Beklagte, was nicht festgestellt ist, aber angesichts der Prozeßvertretung durch den Arbeitgeberverband in den Vorinstanzen naheliegt, zur Zeit der konkludenten Bezugnahme tariflicher Regelungen Mitglied des Arbeitgeberverbandes war.
Ist ein Arbeitgeber tarifgebunden, so soll die einzelvertragliche Verweisung auf Tarifverträge regelmäßig zur Gleichstellung der Außenseiter mit den Gewerkschaftsmitgliedern führen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1997 – 1 AZR 572/96 – AP Nr. 64 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 2 a aa der Gründe; BAGE 67, 330, 341 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, zu B II 4 der Gründe). In diesem Fall kann aus der Anwendung wesentlicher Tarifbedingungen, insbesondere aus der Gewährung des Tariflohns, geschlossen werden, daß das Arbeitsverhältnis insgesamt den einschlägigen Tarifverträgen unterliegen soll, es sei denn, besondere Umstände des Einzelfalls sprächen gegen einen solchen Schluß, beispielsweise die tatsächliche Nichtgewährung bestimmter tariflicher Leistungen an Unorganisierte. Dabei umfaßt eine konkludente Verweisung, die sich auf sämtliche Gegenstände der einschlägigen tariflichen Regelungen bezieht, immer auch Arbeitnehmer belastende Tarifbestimmungen, z. B. über die Form der Geltendmachung von Ansprüchen und über Ausschlußfristen.
Ist der Arbeitgeber dagegen nicht tarifgebunden, so kommt eine eingeschränkte Bezugnahme von Tarifverträgen eher in Betracht. Es fehlt dann nämlich die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen von organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern. Die Reichweite der Verweisung auf Tarifverträge ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Dabei spricht es für eine umfassende Bezugnahme, wenn sich bei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Arbeitsbedingungen (Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub) nach den tariflichen Regelungen richten, ohne daß hinsichtlich anderer Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers von den tariflichen Regelungen abgewichen würde.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, von Platen, Brunner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.01.1999 durch Klapp, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436267 |
BB 1999, 1388 |
EBE/BAG 1999, 100 |
ARST 1999, 283 |
FA 1999, 204 |
FA 1999, 326 |
NZA 1999, 879 |
RdA 2000, 173 |
ZTR 1999, 473 |
AP, 0 |
EzA |
RdW 1999, 565 |