Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist für Urlaubsgeldüberzahlung in der Druckindustrie
Leitsatz (amtlich)
Haben die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld geregelt, so ist im Zweifel anzunehmen, daß innerhalb der für tarifliche Geldansprüche vereinbarten Verfallfrist alle mit der Berechnung und Zahlung des Urlaubsgelds zusammenhängenden Fragen geklärt werden sollen. Dazu gehören insbesondere Streitigkeiten über die zutreffende Forderungshöhe. Nach Ablauf der Ausschlußfrist ist sowohl die Geltendmachung einer nicht vollständigen Erfüllung des Anspruchs als auch einer Überzahlung ausgeschlossen.
Normenkette
BGB § 812 Abs. 1; MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie vom 10. März 1989 i.d.F. vom 3. Juli 1994 § 10 Nr. 5 b; MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie vom 10. März 1989 i.d.F. vom 3. Juli 1994 § 15 Nr. 1 b
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 10.12.1996; Aktenzeichen 11 Sa 1175/96) |
ArbG Iserlohn (Urteil vom 14.03.1996; Aktenzeichen 4 Ca 2504/95) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. Dezember 1996 - 11 Sa 1175/96 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Rückzahlung von Urlaubsgeld verpflichtet ist.
Die Beklagte war von Juni 1988 bis Ende Januar 1995 in der Druckerei der Klägerin als Hilfskraft mit einer vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit von 25 Stunden beschäftigt. Nach der Vereinbarung der Parteien waren die Tarifverträge für die Druckindustrie anzuwenden. Die Klägerin zahlte der Beklagten 1993 und 1994 ein zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld. Das Urlaubsgeld für 1993 berechnete sie mit 18,10 DM Stundenlohn × Faktor 3,7 × 30 Urlaubstage = 1.945,84 DM brutto und das Urlaubsgeld für 1994 mit 18,46 DM Stundenlohn × Faktor 3,7 × 30 Urlaubstage = 2.049,06 DM brutto. Das Urlaubsgeld ist jeweils in zwei Raten im Juni und Juli des Urlaubsjahres ausgezahlt worden. Nach einer hausinternen Überprüfung ist die Klägerin im Frühjahr 1995 zu der Auffassung gelangt, das Urlaubsgeld sei fehlerhaft berechnet worden. Am 13. Juli 1995 hat die Klägerin die Beklagte schriftlich zur Rückforderung einer Überzahlung in Höhe von 695,06 DM aufgefordert. Am 15. August 1995 hat die Beklagte den Anspruch schriftlich zurückgewiesen. Soweit hier von Interesse ist im Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 10. März 1989 in der Fassung vom 3. Juli 1994 geregelt:
„§ 10 Urlaub
5. (…)
b) Jedem Arbeitnehmer und Auszubildenden wird zum Durchschnittslohn bzw. zur Ausbildungsvergütung ein zusätzliches Urlaubsgeld für jeden tariflichen und gesetzlichen Urlaubstag bezahlt.
Das zusätzliche Urlaubsgeld pro Urlaubstag beträgt 50 % des vereinbarten Tagesverdienstes. Es ergibt sich durch Vervielfachen des vereinbarten Stundenlohnes (§ 8 Ziff. 2) (ab 1.4.1989) mit dem Faktor 3,7; …
§ 8 Zuschläge
(…)
2. Als Bemessungsgrundlage für die Zuschläge gilt der Stundenlohn. Dieser errechnet sich einheitlich für den gesamten Manteltarifvertrag aus dem vereinbarten Wochenlohn (ab 1.4.1989) für 37 Stunden …, daß ist der tarifliche Wochenlohn zuzüglich Leistungszulage und sonstiger übertariflicher Bezahlung ohne tarifliche Zuschläge jeder Art sowie ohne etwaige Antrittsgebühr, geteilt durch die betrieblich vereinbarte Wochenarbeitszeit. (…)
§ 15 Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Ansprüche
1. Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und den Lohntarifverträgen sind wie folgt geltend zu machen:
- Ansprüche auf tarifliche Zuschläge und Antrittsgebühren innerhalb von 2 Wochen nach Vorliegen der Lohnabrechnung, bei der sie hätten abgerechnet werden müssen.
- Sonstige tarifliche Geldansprüche innerhalb von 8 Wochen nach dem Zeitpunkt, an dem sie hätten erfüllt werden müssen.
2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter Ziffer 1 festgesetzten Fristen ist ausgeschlossen.
3. Ist ein tariflicher Anspruch rechtzeitig geltend gemacht und lehnt der andere Teil seine Erfüllung ab, muß der Anspruch innerhalb von 12 Wochen seit der ausdrücklichen Ablehnung rechtshängig gemacht werden. Eine spätere Klageerhebung ist ausgeschlossen.”
Mit der am 1. September 1995 erhobenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Rückzahlung des zuviel gezahlten Urlaubsgelds geltend gemacht.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 695,06 DM nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin weiterhin ihren Klageantrag.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin ist nicht berechtigt, von der Beklagten 695,06 DM nebst Verzugszinsen zu fordern. Zwar hat die Beklagte in den Jahren 1993 und 1994 durch die Leistung der Klägerin den Mehrbetrag ohne rechtlichen Grund erlangt hat (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB), sie ist aber nicht gegenüber der Klägerin zur Herausgabe des überzahlten Urlaubsgeldes der Jahre 1993 und 1994 in Höhe von 695,06 DM verpflichtet.
1. Die Klägerin hat 1993 und 1994 mehr als das tariflich geschuldete Urlaubsgeld an die Beklagte gezahlt. Sie hat das zusätzliche Urlaubsgeld pro Urlaubstag nach der Berechnungsvorschrift § 10 Ziff. 5 b Unterabs. 2 Satz 2 MTV Druckindustrie durch Vervielfachen des vereinbarten Stundenlohnes mit dem Faktor 3,7 berechnet, der für Arbeitnehmer mit einer Wochenarbeitszeit von 37 Stunden gilt. Für die mit 25 Stunden an fünf Tagen in der Woche beschäftigte Beklagte war demgegenüber der Faktor 2,5 anzuwenden. Das ergibt sich aus der in der Fußnote zur tariflichen Berechnungsvorschrift wiedergegebenen Vereinbarung der Tarifvertragsparteien bei verringerter täglicher Arbeitszeit auch einen entsprechend verringerten Tagesverdienst zugrunde zu legen.
2. Die Klägerin hat ihren Herausgabeanspruch gegenüber der Beklagten nicht rechtzeitig geltend gemacht. Sie ist deshalb mit ihrem Anspruch nach § 15 Ziff. 2 MTV Druckindustrie „ausgeschlossen”.
a) Nach § 15 Ziff. 1 b MTV Druckindustrie sind alle Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und den Lohntarifverträgen, soweit sie nicht tarifliche Zuschläge und Antrittsgebühren betreffen, innerhalb von acht Wochen nach dem Zeitpunkt geltend zu machen, an dem sie hätten erfüllt werden müssen.
b) Das Landesarbeitsgericht hat für die Auslegung des Begriffs „tariflicher Geldanspruch” die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts herangezogenen, nach der tarifliche Verfallklauseln dazu dienen, innerhalb eines festgelegten, übersehbaren Zeitraums, Klarheit über den Bestand von Forderungen zu verschaffen (BAG Urteile vom 10. August 1967 - 3 AZR 221/66 - BAGE 20, 30, 35 = AP Nr. 37 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2 b der Gründe; vom 26. April 1978 - 5 AZR 62/77 - AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; vom 14. September 1994 - 5 AZR 407/93 - AP Nr. 127 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Sehe eine tarifliche Ausschlußklausel den Verfall von tariflichen Geldansprüchen vor, so müsse davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien innerhalb der Geltungsmachungsfrist nicht nur Klarheit über die Erfüllung der tariflichen Ansprüche sondern auch über irrtümlich erbrachte Zuvielleistungen schaffen wollen.
c) Die Revision macht geltend, das Landesarbeitsgericht habe § 15 MTV fehlerhaft ausgelegt. „Tarifliche Geldansprüche” seien klar und eindeutig gegenüber gesetzlichen Ansprüchen abzugrenzen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stehe auch im Widerspruch zu der Auslegung, die der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in dem nicht veröffentlichten Urteil vom 16. Oktober 1985 (- 5 AZR 187/84 -) zu der identischen Ausschlußklausel des § 13 des Vorgänger-MTV vertreten habe.
d) Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht als rechtsfehlerhaft.
Anders als bei der gesetzlich geregelten Verjährung von Ansprüchen (§ 194 Abs. 1 BGB) ist bei tarifvertraglich vereinbarten Ausschlußfristen nicht auf die jeweilige materielle Anspruchsgrundlage abzustellen. Das folgt aus dem Begriff Ausschlußfrist. Mit der Vereinbarung einer Ausschlußfrist beabsichtigen die Tarifvertragsparteien eine schnelle Klärung des Bestehens von Ansprüchen im Arbeitsleben herbeizuführen. Begrenzen sie den sachlichen Geltungsbereich der von ihnen vereinbarten Ausschlußfrist auf tarifliche Ansprüche, so sind regelmäßig nur die gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüche ausgenommen, deren Bestand von einem tariflich ausgestalteten Anspruch unabhängig ist.
So lag der Fall auch in dem vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts am 16. Oktober 1985 (aaO) entschiedenen Rechtsstreit. Dort hatte der Arbeitgeber einen vertraglich vereinbarten Vorschuß auf zukünftige Lohnansprüche zurückgefordert. Der Fünfte Senat entschied damals zu Recht, daß kein tariflicher Anspruch im Streit und deshalb die Ausschlußfrist nicht anwendbar war.
Mit dieser Fallgestaltung ist der vorliegende Rechtsstreit nicht vergleichbar. Denn das Bestehen des von der Klägerin geltend gemachten gesetzlichen Bereichungsanspruchs setzt voraus, daß der Beklagten nicht das tarifliche Urlaubsgeld in der von der Klägerin gezahlten Höhe zustand. Hängt der gesetzliche Anspruch vom Bestehen oder Nichtbestehen des tariflichen Anspruchs ab, so ist dieser ebenfalls mit im Streit. Ein Streit soll aber nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nach Ablauf der von ihnen festgelegten Klärungsfristen ausgeschlossen sein.
Alle mit dem zusätzlichen Urlaubsgeld zusammenhängenden Fragen, gleich ob zuviel oder zu wenig gezahlt worden ist, sollen innerhalb der Ausschlußfrist geklärt werden. Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien nur die unmittelbar tariflich geregelten Geldansprüche der Arbeitnehmer der Verfallklausel unterwerfen wollten, sind nicht ersichtlich. Mit einer Verfallklausel soll einheitlich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer geklärt werden, ob aus dem Lebenssachverhalt noch Ansprüche hergeleitet werden können (BAG Urteil vom 14. September 1994 - 5 AZR 407/93 - AP Nr. 127 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
e) Die Klägerin hätte die Überzahlung in den Lohnabrechnungszeiträumen Juni/Juli 1993 und Juni/Juli 1994 innerhalb von acht Wochen nach Zahlung geltend machen müssen. Der Anspruch auf Rückzahlung wird im Zeitpunkt der Überzahlung fällig (BAG Urteil vom 14. September 1994 - 5 AZR 407/93 - AP Nr. 127 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Nach dem eigenen Vortrag hat die Klägerin die Rückzahlung erst am 13. Juli 1995 gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Das war zu spät.
II. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Leinemann, Reinecke, Düwell, Otto Schodde
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.01.1999 durch Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436044 |
BAGE, 311 |
BB 1999, 1716 |
DB 1999, 1760 |
NWB 1999, 3462 |
EBE/BAG 1999, 122 |
ARST 2000, 46 |
FA 1999, 308 |
NZA 1999, 1107 |
ZTR 1999, 474 |
AP, 0 |
AuA 1999, 525 |
MDR 1999, 1334 |