Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang durch Neuvergabe eines Bewachungsauftrags
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Bewachungsauftrag neu vergeben und übernimmt der neue Auftragnehmer nicht das wesentliche Personal, liegt ein Betriebsübergang nicht deshalb vor, weil die vom Auftraggeber eingebauten Sicherungseinrichtungen von dem neuen Auftragnehmer genutzt werden (im Anschluß an das Senatsurteil vom 11. Dezember 1997 - 8 AZR 426/94 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Normenkette
BGB § 613a; KSchG § 1; EWGRL 187/77
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. Juli 1996 - 2 Sa 6/96 - wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten zu 1) und darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund eines Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) übergegangen ist.
Der Kläger ist seit 1990 als Wachmann bei der Beklagten zu 1), die ein Bewachungsunternehmen betreibt, beschäftigt. Er war zur Bewachung der Bundesforschungsanstalt (fortan: B ) in T eingesetzt, die mit einer Sicherheitszaunanlage mit Zusatzeinrichtungen, Wach-/Pförtnerhaus, einer Kontrollzwecken dienenden PC-Anlage und einer entsprechend eingerichteten Telefonanlage ausgestattet war. Diese Einrichtungen wurden tagsüber von den bei der Bundesforschungsanstalt angestellten Bewachungskräften und abends, an Wochenenden und feiertags von den Beschäftigten der Beklagten zu 1) genutzt. Der Bewachungsvertrag der Beklagten zu 1) wurde zum 30. Juni 1995 gekündigt und an die Beklagte zu 2) neu vergeben. Die Beklagte zu 1) kündigte daraufhin allen elf bei ihr in T beschäftigten Arbeitnehmern, dem Kläger mit Schreiben vom 26. April 1995 und vom 30. Mai 1995 jeweils zum 30. Juni 1995. Die Beklagte zu 2) nahm die Bewachung der Bundesforschungsanstalt zum 1. Juli 1995 mit eigenem Personal auf. Sie bediente sich hierbei der fest installierten Sicherheitseinrichtungen der Bundesforschungsanstalt sowie eigener Betriebsmittel. Sie stellte zum 1. Juli 1995 einen Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) fest und einen weiteren zur Aushilfe ein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien unwirksam. Sie seien mangels dringenden betrieblichen Erfordernisses im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes nicht sozial gerechtfertigt. Darüber hinaus seien sie wegen Verstoßes gegen § 613 a BGB unwirksam, weil der Wachbetrieb der Beklagten zu 1) mit Wirkung zum 1. Juli 1995 auf die Beklagte zu 2) übergegangen sei. Deswegen bestehe zwischen ihm und der Beklagten zu 2) ab dem 1. Juli 1995 ein Arbeitsverhältnis.
Der Kläger hat beantragt festzustellen,
daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zu 1) weder aufgrund der Kündigung vom 26. April 1995 noch aufgrund der Kündigung vom 30. Mai 1995 geendet habe,
daß zwischen ihm und der Beklagten zu 2) ab 1. Juli 1995 ein Arbeitsverhältnis bestehe.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien aufgrund der Schließung des Wachbetriebes der Beklagten zu 1) in T zum 30. Juni 1995 sozial gerechtfertigt. Ein Betriebsübergang liege nicht vor, weil es keine vertraglichen Beziehungen zwischen ihnen gegeben habe. Die Beklagte zu 2) habe nur einzelne ehemalige Mitarbeiter der Beklagten zu 1) neu eingestellt.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten zu 1) zum 30. Juni 1995 endete und nicht aufgrund eines Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) überging.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Jedenfalls die nach Anhörung des Betriebsrats unter dem 30. Mai 1995 erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1995 sei aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gerechtfertigt. Die Beklagte zu 1) habe aufgrund der Kündigung des Bewachungsvertrages durch die B ihren Wachbetrieb in T zum 30. Juni 1995 stillgelegt. Der Wirksamkeit der Kündigung stehe nicht entgegen, daß der Kläger Betriebsrat gewesen sei. Der Schutz des § 15 KSchG greife bei Betriebsstillegungen nicht (§ 15 Abs. 4 KSchG).
Die Kündigung sei auch nicht wegen eines Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam. Die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs hätten nicht vorgelegen. Die Übernahme des Bewachungsauftrages durch die Beklagte zu 2), den bisher die Beklagte zu 1) ausgeführt habe, sei als eine bloße Funktionsnachfolge zu werten. Die Tatsache, daß die Beklagte zu 1) die Sicherheitseinrichtungen benutze, welche die B zum Schutze ihrer Einrichtungen installiert habe, begründe keinen Betriebsübergang. Auch wenn man in den Sicherheitseinrichtungen, welche die B installiert habe, sächliche Betriebsmittel sehe, liege ein Betriebsübergang deshalb nicht vor, weil es nicht zur Übertragung der vertraglichen Beziehungen zwischen der Beklagten zu 1) und der B durch Rechtsgeschäft auf die Beklagte zu 2) gekommen sei.
B. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis und im wesentlichen Teil seiner Begründung einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Entgegen der Auffassung der Revision steht der Wirksamkeit der Kündigung das Kündigungsverbot des § 613 a Abs. 4 BGB nicht entgegen. Es liegt kein Betriebsübergang vor.
1. Nach der für die Auslegung des § 613 a BGB maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH (vgl. nur Urteil vom 11. März 1997 - Rs C-13/95 - Slg 1997-3, I-1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, Ayse Süzen/Zehnacker Gebäudereinigung) setzt ein Übergang im Sinne der EWG-Richtlinie Nr. 77/187 des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich danach auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf allerdings nicht nur als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.
Soweit in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, kann eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie dar. Das zuvor beauftragte Dienstleistungsunternehmen verliert zwar einen Kunden, besteht aber weiter, ohne daß einer seiner Betriebe oder Betriebsteile auf den neuen Auftragnehmer übertragen worden wäre. Ist zur Erfüllung des jeweiligen Auftrags die Nutzung von durch den Auftraggeber gestellten Arbeitsmitteln und Einrichtungen geboten, hat eine wertende Beurteilung zu erfolgen, ob diese dem Betrieb des Auftragnehmers als eigene Betriebsmittel zugeordnet werden können. Nur dann sind sie in die Gesamtabwägung, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat, einzubeziehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie auch des Europäischen Gerichtshofs zum Betriebsübergang beim Pächterwechsel (vgl. BAG Urteil vom 25. Februar 1981 - 5 AZR 991/78 BAGE 35, 104 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB; BAG Urteil vom 26. Februar 1987 - 2 AZR 768/85 - AP Nr. 59 zu § 613 a BGB; Senatsurteil vom 27. April 1995 - 8 AZR 197/94 - BAGE 80, 74 = AP Nr. 128 zu § 613 a BGB; EuGH Urteil vom 10. Februar 1988 - Rs 324/86 EuGHE 1988, 739 [Daddy's Dance Hall]; EuGH Urteil vom 15. Juni 1988 - Rs 101/87 - EuGHE 1988, 3057 [Bork]) sind einem Betrieb auch solche Gebäude, Maschinen, Werkzeuge oder Einrichtungsgegenstände als sächliche Betriebsmittel zuzurechnen, die nicht im Eigentum des Betriebsinhabers stehen, sondern die dieser aufgrund einer mit Dritten getroffenen Nutzungsvereinbarung zur Erfüllung seines Betriebszwecks einsetzen kann. Die Nutzungsvereinbarung kann als Pacht, Nießbrauch oder als untypischer Vertrag ausgestaltet sein. Wesentlich ist, daß dem Berechtigten Betriebsmittel zur eigenwirtschaftlichen Nutzung überlassen sind. Erbringt der Auftragnehmer dagegen nur eine (Dienst-)Leistung an fremden Geräten und Maschinen innerhalb fremder Räume, ohne daß ihm die Befugnis eingeräumt ist, über Art und Weise der Nutzung der Betriebsmittel in eigenwirtschaftlichem Interesse zu entscheiden, können ihm diese Betriebsmittel nicht als eigene zugerechnet werden (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1997 - 8 AZR 426/94 -, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Maßgebliches Unterscheidungskriterium für die Frage, ob im Eigentum des Auftraggebers stehende Arbeitsmittel Betriebsmittel des sie nutzenden Auftragnehmers sind, ist die Art der vom Auftragnehmer am Markt angebotenen Leistung. Da eine wertende Zuordnung vorzunehmen ist, ist eine typisierende Betrachtungsweise zulässig. Handelt es sich um eine Tätigkeit, für die regelmäßig Maschinen, Werkzeuge, sonstige Geräte oder Räume innerhalb eigener Verfügungsmacht und aufgrund eigener Kalkulation eingesetzt werden müssen, sind auch nur zur Nutzung überlassene Arbeitsmittel dem Betrieb oder dem Betriebsteil des Auftragnehmers zuzurechnen. Ob diese Betriebsmittel für die Identität des Betriebes wesentlich sind, ist Gegenstand einer gesonderten Bewertung.
Wird dagegen vom Auftragnehmer eine Leistung angeboten, die er an den jeweiligen Einrichtungen des Auftraggebers zu erbringen bereit ist, ohne daß er daraus einen zusätzlichen wirtschaftlichen Vorteil erzielen und ohne daß er typischerweise über Art und Umfang ihres Einsatzes bestimmen könnte, gehören diese Einrichtungen nicht zu den Betriebsmitteln des Auftragnehmers (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1997, aaO).
2. Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen ist kein Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2) übergegangen. In der Neuvergabe des Bewachungsauftrags an die Beklagte zu 2) liegt eine bloße Funktionsnachfolge. Die Beklagte zu 2) hat von der Beklagten zu 1) keinen wesentlichen Personalbestand und auch keine Betriebsmittel übernommen. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Beklagte zu 2) durch die Benutzung der Sicherheitseinrichtungen der Forschungsanstalt keine sächlichen Betriebsmittel der Beklagten zu 1) übernommen.
Bewachungsleistungen werden üblicherweise nur unter Einsatz einfacher Arbeitsmittel wie Handys, Stechuhren, Taschenlampen, Uniformen, evtl. auch Waffen und Hunden angeboten. Diese setzt der Anbieter aufgrund eigener Kalkulation und Verfügungsmacht ein. Komplizierte und teure Sicherheitssysteme werden hingegen vom Auftraggeber vorgegeben und unterhalten.
Dies trifft auch für den an der B ausgeführten Überwachungsauftrag zu. Die Beklagte zu 1) konnte die Anlagen der Forschungsanstalt nur zeitweise nutzen, nämlich abends, an Wochenenden und feiertags. Während der Zeit des normalen Dienstbetriebes in der B wurden die Sicherheitseinrichtungen allein von Mitarbeitern der B genutzt. Über Art und Ausgestaltung des Einsatzes der Sicherheitssysteme hatte die Beklagte zu 1) nicht zu bestimmen, eine eigenwirtschaftliche Kalkulation mit diesen Arbeitsmitteln war ausgeschlossen. Die Bewachungsleistungen wurden nach Arbeitsstunden abgerechnet. In gleicher Weise werden die Sicherheitseinrichtungen der B nunmehr von der Beklagten zu 2) genutzt. Die Sicherheitseinrichtungen gehörten daher weder zu den Betriebsmitteln der Beklagten zu 1), noch gehören sie nunmehr zu den Betriebsmitteln der Beklagten zu 2).
II. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die ordentliche Kündigung vom 30. Mai 1995 im Sinne von § 1 Abs. 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes nicht sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte zu 1) hat nach der Kündigung des Bewachungsauftrages durch die B zum 30. Juni 1995 ihren in der Forschungsanstalt bestehenden Wachbetrieb stillgelegt und sämtlichen dort tätigen Wachleuten zum 30. Juni 1995 gekündigt. Die Stillegung des gesamten Betriebs durch den Arbeitgeber zählt gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung abgeben können. Die Beklagte zu 1) hat nach der Stillegung ihres Wachbetriebes in Tübingen keine Möglichkeit, den Kläger weiterzubeschäftigen. Daher steht auch die Funktion des Klägers als Betriebsrat der betriebsbedingten Kündigung nicht entgegen (§ 15 Abs. 4 KSchG).
Die Beklagte zu 1) war nicht gehalten, die Kündigung erst nach Durchführung der Stillegung auszusprechen, sondern konnte die Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung wirksam erklären, als der Bewachungsauftrag gekündigt war und die betrieblichen Umstände der Stillegung greifbare Formen angenommen hatten (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Senatsurteil vom 22. Mai 1997 - 8 AZR 101/96 - AP Nr. 154 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B I 2 a der Gründe).
III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid Dr. Wittek Mikosch Rosendahl Umfug
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.01.1998 durch Klapp, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436516 |
BB 1998, 1012 |
DB 1998, 1137 |
DStR 1998, 1192 |
FA 1998, 164 |
NZA 1998, 638 |
RdA 1998, 253 |
ZIP 1998, 924 |
ZTR 1998, 333 |
ArbuR 1998, 248 |