Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung
Orientierungssatz
Eine Streitwertfestsetzung ist nur dann offensichtlich unrichtig, wenn sie in jeder Beziehung unverständlich und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und außerdem der zutreffende Streitwert auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze übersteigt oder unterschreitet. Handelt es sich um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte und wird wie hier, bei einem Monatslohn von 2200,-- DM der Streitwert auf 600,-- DM festgesetzt, so kann nicht angenommen werden, diese Festsetzung des Streitwertes sei offenbar unrichtig.
Normenkette
ArbGG §§ 61, 64
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 19.12.1985; Aktenzeichen 3 Sa 810/85) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 20.06.1985; Aktenzeichen 6 Ca 3838/85) |
Tatbestand
Der Kläger war seit 21. März 1981 bei der Beklagten als Arbeiter gegen einen Monatslohn von etwa 2.200,-- DM brutto beschäftigt. Mit Schreiben vom 2. Januar 1985 mahnte ihn die Beklagte wegen angeblich dreier Verletzungen seiner arbeitsvertraglichen Pflichten ab.
Mit der gegen diese Abmahnung gerichteten Klage hat der Kläger zuletzt begehrt, die Beklagte zu verurteilen,
die erteilte Abmahnung zurückzunehmen und
sie aus den Personalakten des Klägers zu
entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, sie habe das Verhalten des Klägers zu Recht beanstandet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dem Kläger stehe der von ihm verfolgte Anspruch nicht zu. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil den Streitwert auf 600,-- DM festgesetzt und hierzu in den Gründen ausgeführt, diese Entscheidung beruhe auf § 61 Abs. 1 ArbGG.
Das Landesarbeitsgericht hat die vom Kläger eingelegte Berufung für statthaft angesehen. Es hat angenommen, die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts sei offensichtlich unrichtig. Bei Klagen auf Entfernung einer Abmahnung aus Personalakten sei der Streitwert auf ein halbes Monatseinkommen festzulegen. Das führe im vorliegenden Fall zu einem Streit- und Beschwerdewert von 1.100,-- DM. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung auch für begründet erachtet und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Verwerfung der Berufung als unzulässig. Sie hat gegen den in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vertreten gewesenen Kläger den Erlaß eines Versäumnisurteils beantragt.
Entscheidungsgründe
Der Kläger war trotz ordnungsmäßiger Ladung seines Prozeßbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten. Auf entsprechenden Antrag war durch Versäumnisurteil, wie geschehen, zu erkennen, da die Revision begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zu Unrecht als zulässig angesehen.
1. Bei der Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Bei einer vermögensrechtlichen Streitigkeit ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG die Berufung nur statthaft, wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM übersteigt. Da das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall die Berufung nicht zugelassen hat, war die Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM überschritt. Dabei mußte das Landesarbeitsgericht von dem Wert des Streitgegenstandes ausgehen, den das Arbeitsgericht in seinem Urteil festgesetzt hatte (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 11. Juni 1986 - 5 AZR 512/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
Das Arbeitsgericht hat den Streitwert auf 600,-- DM festgesetzt. Von diesem Streitwert mußte das Landesarbeitsgericht auch ausgehen, wenn es ermittelte, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM überstieg.
2.a) An die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Urteil war das Landesarbeitsgericht nur dann nicht gebunden, wenn diese offensichtlich unrichtig war. Hierzu gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß eine Streitwertfestsetzung nur dann offensichtlich unrichtig ist, wenn sie in jeder Beziehung unverständlich und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und außerdem der zutreffende Streitwert auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze übersteigt oder unterschreitet (vgl. dazu des näheren das angeführte Urteil vom 11. Juni 1986 m. w. N.).
b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsgericht habe den Streitwert offensichtlich unrichtig auf einen Betrag von 600,-- DM festgesetzt, ist rechtlich nicht haltbar.
Die Festsetzung des Streitwerts bestimmt sich nach § 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift wird der Wert von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Soweit es sich, wie hier, um die Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten handelt, ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine feststehende Spruchpraxis dahin, daß der Streitwert in diesen Fällen mit einem halben Monatsgehalt anzusetzen sei. So haben in dem in etwa vergleichbaren Fall, der der Entscheidung des Senats vom 11. Juni 1986 zugrunde lag, die Vorinstanzen angenommen, der Streitwert sei zutreffend auf 1/4 (Arbeitsgericht) bzw. 1/6 (Landesarbeitsgericht) des Monatslohns festzulegen. Soweit das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Juli 1982 (EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 9) verwiesen hat, ist in dem angezogenen Urteil nur ausgeführt, wenn das Arbeitsgericht den Streitwert auf etwa einen halben Monatslohn festgesetzt habe, so sei dies eine nach den Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO, § 12 Abs. 7 ArbGG sachgerechte Bewertung des Streits. Das Landesarbeitsgericht Köln hat in der Entscheidung vom 26. Juni 1984 - 1 Sa 336/84 - (EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 13) ausgeführt, wenn bei einem Gehalt von 3.200,-- DM bei einer Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten der Streitwert auf 700,-- DM vom Arbeitsgericht festgesetzt worden sei, so könne nicht angenommen werden, diese Festsetzung des Streitwerts sei offenbar unrichtig. In der soeben genannten Entscheidung ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß von einem offensichtlich unrichtigen Streitwert nur in seltenen Ausnahmefällen gesprochen werden kann. Diese strengen Anforderungen sind deshalb gerechtfertigt, weil für die Parteien nicht ungewiß bleiben darf, ob eine Entscheidung noch mit Rechtsmitteln anfechtbar ist oder nicht.
c) Nach alledem kann keine Rede davon sein, daß das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall bei dem ihm nach gesetzlicher Bestimmung offenstehenden Ermessen den Streitwert offensichtlich unrichtig festgesetzt hat. Deshalb war die Berufung unzulässig.
Dem Kläger steht gegen dieses Versäumnisurteil der Einspruch zu. Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils. Die Einspruchsschrift muß von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Halberstadt Krebs
Fundstellen