Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Rückzahlung von Ausbildungskosten
Orientierungssatz
Der Senat hat mit Urteil vom 11.4.1984 5 AZR 430/82 = BB 1985, 121 erkannt, eine Lehrgangsdauer bis zu zwölf Monaten rechtfertige in der Regel nur dann eine längere Bindung als drei Jahre nach Abschluß der Ausbildung, wenn durch die Teilnahme am Lehrgang eine besonders hohe Qualifikation verbunden mit überdurchschnittlichen Vorteilen für den Arbeitnehmer entsteht.
Normenkette
GG Art. 12; BGB §§ 611, 133, 157
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 07.04.1983; Aktenzeichen 10 Sa 1528/82) |
ArbG Arnsberg (Entscheidung vom 08.09.1982; Aktenzeichen 1 Ca 426/82) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückgewähr der von ihm während eines Lehrgangs für leitendes Krankenhauspersonal aufgewendeten Kosten.
Die Beklagte war vom 1. April 1969 bis zum 14. Februar 1981 als Angestellte im Krankenpflegedienst bei dem Kläger beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis regelte sich nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 1. April 1969 nach den von dem Kläger für seine Angestellten abgeschlossenen Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung. Die Beklagte war von 1969 bis 1971 als Pflegehelferin, von 1971 bis 1974 als Krankenschwester, ab 1. März 1975 mit der Vergütungsgruppe KR IV und ab 1. Juni 1975 mit der Vergütungsgruppe VI a MT-An als Oberpflegerin beschäftigt. Ab 1. August 1976 erhielt sie nach § 24 MT-An im Vertretungsfalle eine persönliche Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages der Vergütungsgruppen KR VI a MT-An und KR VII MT-An. Mit Schreiben vom 7. Mai 1976 bewarb sich die Beklagte bei dem Kläger um eine ausgeschriebene Stelle als "Leitende Krankenschwester". In ihrem Bewerbungsschreiben teilte sie gleichzeitig mit, sie sei bereit, einen Kursus mitzumachen, um die Qualifikation als Leitende Krankenschwester zu erwerben. Die Beklagte besuchte daraufhin in den Jahren 1977 und 1978 in Frankfurt am Main einen Lehrgang für leitendes Krankenhauspersonal. Für diesen Zweck wurde sie während folgender Zeitabschnitte ganztägig vom Dienst freigestellt:
17. Oktober 1977 - 22. Dezember 1977,
4. Januar 1978 - 12. Juni 1978,
15. Juli 1978 - 14. Oktober 1978.
Während dieser Zeit zahlte der Kläger die Vergütung der Beklagten fort. Er übernahm ebenfalls die mit der Ausbildung verbundenen sonstigen Aufwendungen und zahlte darüber hinaus an die Beklagte Trennungsentschädigung und Reisekosten. Hierfür hat der Kläger unstreitig folgende Beträge aufgewendet:
- tarifliche Vergütung = 24.868,18 DM
- Lehrgangsgebühren = 4.720,-- DM
- Trennungsentschädigung = 7.206,83 DM
- Reisekosten = 537,62 DM
-------------
Gesamtbetrag: 37.332,63 DM
Mit einer Erklärung vom 24. Oktober 1977 verpflichtete sich die Beklagte schriftlich, nach Abschluß des Lehrgangs mindestens fünf Jahre im Dienst des Klägers zu bleiben. Diese Verpflichtungserklärung hat folgenden Wortlaut:
"Verpflichtungserklärung
------------------------
Ich, Ch D , geb.
verpflichte mich, nach Abschluß des Lehrganges für
Leitendes Krankenpflegepersonal beim Berufsfort-
bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes in
Frankfurt/Main, mindestens 5 Jahre im Dienste des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe tätig zu sein,
sofern der Landschaftsverband dieses wünscht.
Erfolgt vor diesem Zeitpunkt das Ausscheiden aus
dem Dienst auf eigenen Wunsch oder aus einem von mir
zu vertretenden Grund, erkläre ich mich damit ein-
verstanden, die mir während der Zeit der Ausbildung
an der Krankenpflegehochschule gezahlten Dienstbe-
züge und sonstigen Zuwendungen (Trennungsentschädi-
gung, Studiengebühren usw.) in einer Summe zu er-
statten.
Die Erstattungssumme vermindert sich für jeden nach
Abschluß der Ausbildung beim Landschaftsverband voll
abgeleisteten Monat um ein Sechzigstel.
Sofern der Lehrgang für Leitendes Krankenpflegeper-
sonal in Frankfurt von mir auch im Wiederholungsfalle
nicht bestanden wird oder aus einem von mir zu ver-
tretenden Grunde vorzeitig abgebrochen wird, ver-
pflichte ich mich, die an mich bis zu diesem Zeit-
punkt gezahlte Trennungsentschädigung sowie die
Studiengebühren in voller Höhe zurückzuzahlen."
Nach dem erfolgreichen Abschluß des Lehrgangs erhielt die Beklagte ab 1. November 1978 Gehalt nach der Vergütungsgruppe KR VIII. Der monatliche Differenzbetrag zwischen dieser Vergütungsgruppe und der Vergütungsgruppe VI a beträgt - einschließlich des Ortszuschlages - in der Eingangsstufe ca. 350,-- DM und in der Endstufe ca. 510,-- DM.
Mit Schreiben vom 31. Dezember 1980 bat die Beklagte den Kläger um Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen. Als Begründung gab sie an, sie lebe seit dem 13. September 1979 von ihrem Ehemann getrennt und wolle mit ihrem am 21. August 1979 geborenen Kind zu dessen leiblichem Vater nach Hildesheim ziehen, um die Betreuung des Kindes sicherzustellen. Ihre Mutter, die das Kind bisher betreut habe, sei aus gesundheitlichen Gründen hierzu nicht mehr in der Lage. Gleichzeitig bat die Beklagte, von der Rückforderung der Lehrgangskosten abzusehen.
Mit Schreiben vom 21. Januar 1981 erklärte sich der Kläger mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 14. Februar 1981 einverstanden. Er teilte der Beklagten zugleich mit, er könne von der Rückzahlung der anteiligen Ausbildungskosten nicht absehen, deren genaue Höhe ihr demnächst mitgeteilt werde. Mit Schreiben vom 9. März 1981 machte der Kläger unter Angabe der einzelnen Beträge 32/60 der ihm entstandenen Kosten in Höhe von 19.910,74 DM geltend und bat um Überweisung bis spätestens 15. April 1981.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Rückzahlungsvereinbarung sei wirksam. Insbesondere sei die fünfjährige Bindungswirkung angesichts der von ihm aufgewendeten Beträge nicht zu lang und verstoße nicht gegen Art. 12 GG. Darüber hinaus habe die Beklagte durch die von ihm finanzierte Ausbildung einen erheblichen Vorteil erhalten, da sie nunmehr als Leitende Krankenschwester habe tätig werden können.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen
Betrag von 19.910,74 DM zuzüglich der Verzugs-
zinsen in Höhe von 2 % über dem jeweils gel-
tenden Diskontsatz der Deutschen Bundesbank
ab dem 15. April 1981 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und vorgetragen: Sie habe die später eingetretenen persönlichen Umstände nicht übersehen können, als sie die Verpflichtungserklärung abgab. Darüber hinaus sei sie gezwungen gewesen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, weil sie andernfalls ihr Kind nicht ordnungsgemäß hätte versorgen können. Die Teilnahme an dem Lehrgang habe ausschließlich im Interesse des Klägers gelegen, weil er erst nach ihrer Ausbildung eine frei gewordene Stelle hätte besetzen können. Die fünfjährige Bindungsfrist sei deshalb zu lang und verstoße gegen Art. 12 GG.
Mit Schriftsatz vom 9. März 1983 hat die Beklagte in der Berufungsinstanz vorgetragen, der Kläger habe Zuschüsse des Arbeitsamtes zu den Lehrgangsgebühren nicht berücksichtigt, "ebenfalls wohl nicht andere vom Arbeitsamt geleistete Zahlungen für die Weiterbildungsmaßnahme". Diesen Vortrag hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. April 1983 bestritten. In der mündlichen Verhandlung vom 7. April 1983 hat die Beklagte ihren Vortrag dahin ergänzt, daß das Arbeitsamt mindestens 3,-- DM pro Unterrichtsstunde gezahlt habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten - unter Zurückweisung deren neuen Vortrages als verspätet - zurückgewiesen. Mit der vom Senat durch Beschluß vom 19. Oktober 1983 - 5 AZN 322/83 - zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet. Die Beklagte ist nur verpflichtet, 8/36 = 8.296,14 DM der von dem Kläger für die Teilnahme der Beklagten an dem Lehrgang aufgewendeten Beträge zurückzuzahlen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, nach den von dem Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätzen über die Zulässigkeit von Bindungsklauseln und deren Dauer sei eine Bindung von fünf Jahren rechtlich nicht zu beanstanden, obwohl der Lehrgang nicht einmal ein Jahr gedauert habe. Dies ergebe sich insbesondere auch aus der Höhe der Aufwendungen des Klägers und der zeitanteiligen Kürzung des Rückzahlungsbetrages. Bei Würdigung aller Umstände liege kein Mißverhältnis zwischen den Vorteilen, die die Beklagte durch die Ausbildung zur Leitenden Krankenschwester zumindest teilweise auf Kosten des Klägers erlangt habe, und der zeitlichen Bindung der Beklagten für die Dauer von fünf Jahren.
Dem vermag der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen.
II. 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, daß Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer aufgewendet hat, von diesem zurückzuzahlen sind, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 GG beeinträchtigen. Deshalb kommt es darauf an, ob den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gegenübersteht. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen. Die Rückzahlungspflicht muß vom Standpunkt eines verständigen Betrachters aus einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen; der Arbeitnehmer muß mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Dabei kommt es u. a. auf die Dauer der Bindung, den Umfang der Fortbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrages und dessen Abwicklung an (vgl. BAG 13, 168, 174 ff. = AP Nr. 25 zu Art. 12 GG, zu II 1 der Gründe; BAG 28, 159, 163 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 1 a der Gründe; BAG Urteile vom 19. März 1980 - 5 AZR 362/78 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe und vom 23. Februar 1983 - 5 AZR 531/80 - BAG 42, 48 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe und vom 11. April 1984 - 5 AZR 430/82 - AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe = DB 1984, 2411 f. = NZA 1984, 288 f., jeweils m. w. N.; ebenso BGH Urteil vom 5. Juni 1984 - VI ZR 279/82 - NZA 1984, 290).
2. a) Der Senat hat mit Urteil vom 11. April 1984 (- 5 AZR 430/82 - AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe = DB 1984, 2411 f. = NZA 1984, 288 f.) erkannt, eine Lehrgangsdauer bis zu zwölf Monaten rechtfertige in der Regel nur dann eine längere Bindung als drei Jahre nach Abschluß der Ausbildung, wenn durch die Teilnahme am Lehrgang eine besonders hohe Qualifikation verbunden mit überdurchschnittlichen Vorteilen für den Arbeitnehmer entsteht. Von dieser grundsätzlichen Auffassung abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlaß. Der von der Beklagten besuchte Lehrgang für leitendes Krankenhauspersonal hat nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil insgesamt zehn Monate und 13 Tage gedauert. Er hat dazu geführt, daß die Beklagte um zwei Vergütungsgruppen höher eingestuft worden ist und dadurch eine um 350,-- DM bis 510,-- DM höhere Vergütung erhielt. Zwar hat die Beklagte durch die Teilnahme an dem Lehrgang die Möglichkeit erhalten, in die Funktion des Pflegedienstleiters aufzusteigen, doch sind diese Stellen nach dem eigenen Vortrag des Klägers so selten, daß die Aussicht, einen solchen Posten zu erreichen, angesichts der Zahl der Lehrgangsabsolventen keinen überdurchschnittlichen Vorteil für die Beklagte darstellt. Nach dem unstreitigen Vortrag des Klägers in der Revisionsinstanz ist die Stelle des Pflegedienstleiters in jedem Krankenhaus nur einmal vorhanden. Demgegenüber gibt es schon im Bereich des Klägers 61 leitende Pflegekräfte. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang gerügt, er hätte diesen Vortrag bereits in der Berufungsinstanz gebracht, wenn das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO die Frage der durch den Lehrgang vermittelten Qualifikation der Beklagten und den damit verbundenen Vorteilen erörtert hätte. Diese zulässige Rüge führt jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Wie bereits ausgeführt, ist bei einer Lehrgangsdauer von weniger als zwölf Monaten eine drei Jahre übersteigende Bindung für den Arbeitnehmer nur dann zumutbar, wenn eine besonders hohe Qualifikation und überdurchschnittliche Vorteile durch die Ausbildung entstehen. Ein solcher Ausnahmefall ist hier, wie dargestellt, nicht gegeben, so daß das Berufungsgericht hierauf nicht näher einzugehen brauchte.
b) Auch die Höhe der von der Klägerin gezahlten Vergütung kann im Gegensatz zu der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nur eine untergeordnete Rolle spielen (BAG 28, 159, 166 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 5 der Gründe). Sie ist von der Art der Ausbildung und, wie der vorliegende Fall deutlich zeigt, dem Ausbildungsort abhängig und sagt nichts aus über die Vorteile, die der Arbeitnehmer durch die Ausbildung erhält. Insbesondere hängt gerade die Höhe der Kosten entscheidend von der vor Beginn des Lehrgangs gezahlten Vergütung des Arbeitnehmers und der Dauer des Lehrgangs ab, also von Umständen, die bereits als solche in die Abwägung einzubeziehen sind (BAG Urteil vom 11. April 1984, aaO).
3. Ist nach alledem eine Bindungsdauer von fünf Jahren unzulässig lang, so ist sie entsprechend der vertraglichen Regelung auf ein angemessenes Maß zurückzuführen (BAG Urteile vom 24. Januar 1963 - 5 AZR 100/62 - AP Nr. 29 zu Art. 12 GG, zu II 3 der Gründe und vom 20. Februar 1975 - 5 AZR 240/74 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 4 a (1) der Gründe). Entsprechend der Entscheidung des Senats vom 11. April 1984 (aaO) ist eine Bindung von drei Jahren angemessen, insbesondere dann, wenn eine zeitanteilige Kürzung des Rückzahlungsbetrages eintritt, je nach Dauer der Arbeitsleistung der Beklagten nach Lehrgangsabschluß. Daraus folgt, daß die Beklagte nur verpflichtet ist, 8/36 der erhaltenen Vergütung an den Kläger zurückzuzahlen, nachdem sie 28 Monate nach Abschluß des Lehrgangs bei diesem verblieben ist. Das sind 8.296,14 DM
III. Der Kläger hat seine weit über dem gesetzlichen Zinsanspruch liegende Zinsforderung mit keinem Wort begründet. Macht der Gläubiger jedoch nach § 288 Abs. 2 BGB einen erhöhten Zins als Verzugsschaden geltend, muß er diesen zumindest darlegen und gegebenenfalls nachweisen (vgl. statt vieler Palandt/Heinrichs, BGB, 43. Aufl., § 288 Anm. 2 m. w. N.). Der Kläger kann daher nur den gesetzlichen Zinssatz von 4 % verlangen.
Dr. Gehring Michels-Holl Schneider
Döring Dr. Florack
Fundstellen