Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Ausschlußfrist. Nachweisgesetz. Auslage im Betrieb. Nachweis von Ausschlußfristen. Nachweisgesetz und Auslegungspflicht nach § 8 TVG. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Auslage des Tarifvertrages im Betrieb
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Nachweisgesetz (NachwG) ist auch hinsichtlich einer tarifvertraglichen Ausschlußfrist genüge getan, wenn gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG auf die Anwendbarkeit des einschlägigen Tarifvertrages hingewiesen wird.
2. Auch wenn die Verpflichtung zur Auslage des Tarifvertrages im Betrieb verletzt wird, gilt die Ausschlußfrist. Der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin hat keinen Schadensersatzanspruch.
Orientierungssatz
1. In Tarifverträgen geregelte Ausschlußfristen sind wie einzelvertraglich vereinbarte Verfallfristen wesentliche Vertragsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG.
2. Es bedarf keines gesonderten Nachweises einer tariflichen Ausschlußfrist, wenn der die Frist regelnde Tarifvertrag im Nachweis aufgeführt ist.
3. Ob und welche Rechtsfolgen die Verletzung der Nachweispflicht auslöst, war nicht zu entscheiden.
4. Ob tarifungebundene Arbeitgeber zur Auslage arbeitsvertraglich in Bezug genommener tariflicher Bestimmungen oder Tarifverträge verpflichtet sind, bleibt unentschieden.
5. Die Anwendung einer tariflichen Ausschlußfrist wird durch einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Auslage nicht ausgeschlossen.
6. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Pflicht zur Auslage eines Tarifvertrages besteht nicht.
Normenkette
NachwG §§ 2-3; TVG § 8; DVO-TVG § 9 Abs. 2; MTV für das Bäckerhandwerk Niedersachsen/Bremen vom 22. März 1995 i.d.F vom 13. August 1996 § 16
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. Dezember 2000 – 10 Sa 1505/00 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Zahlung von tarifvertraglich geregelten Zuschlägen für in der Zeit von Oktober 1998 bis Juli 1999 von der Klägerin geleistete Mehrarbeitsstunden in unstreitiger Höhe von 6.647,17 DM brutto.
Die Klägerin war vom 15. September 1998 bis 29. Februar 2000 bei der Beklagten, die eine Bäckerei mit 500 Filialen und ca. 2000 Beschäftigten betreibt, als Leiterin der Filiale S. tätig. Das Arbeitsverhältnis war zunächst auf Grund des Arbeitsvertrages vom 15. September 1998, den die Klägerin spätestens Ende November 1998 unterschrieben hatte, bis zum 14. September 1999 befristet. Anschließend wurde die Klägerin auf Grund des Arbeitsvertrages vom 15. September 1999 unbefristet beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 15. September 1998 heißt es ua.:
„Für das Zeit-Arbeitsverhältnis ist der Manteltarifvertrag des Bäckerhandwerks Niedersachsen/Bremen gültig.”
Im Arbeitsvertrag vom 15. September 1999 ist ua. geregelt:
„Auf den Arbeitsvertrag für Meisterbäckerei St, wird die Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages für das Bäckerhandwerk Niedersachsen/Bremen vereinbart.
Der Tarifvertrag gilt insoweit, als durch diesen Vertrag keine anderen Bestimmungen getroffen worden sind.”
Die Klägerin arbeitete in der Zeit von Oktober 1998 bis Juli 1999 zwischen 227,25 Stunden und 288,75 Stunden monatlich. Die Beklagte zahlte für die geleisteten Stunden die Grundvergütung, nicht jedoch die im Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk Niedersachsen/Bremen vorgesehenen Mehrarbeitszuschläge für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehenden geleisteten Stunden. Mit Schreiben vom 1. März 2000 machte die Klägerin die Zahlung der Zuschläge für die Mehrarbeitsstunden für den Gesamtzeitraum von Oktober 1998 bis Januar 2000 gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte zahlte daraufhin die Zuschläge für die Monate Dezember 1999 und Januar 2000 und lehnte eine weitergehende Zahlung unter Berufung auf die tarifvertragliche Verfallfrist des § 16 Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk Niedersachsen/Bremen ab. Der Manteltarifvertrag liegt nur im Lohnbüro am Hauptsitz der Beklagten in M., nicht dagegen in den einzelnen Filialen aus. Die Filialen werden ein- bis zweimal pro Woche von den Bezirksleitern aufgesucht, die den Manteltarifvertrag und den Lohn- und Gehaltstarifvertrag für das Bäckerhandwerk Niedersachsen/Bremen im Auto bei sich führen. Mit der beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin die Mehrarbeitszuschläge weiter.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe gegen die in § 8 TVG geregelte Pflicht zur Auslage des Tarifvertrages verstoßen, so daß es ihr verwehrt sei, sich auf den Verfall des Anspruchs auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen zu berufen.
Die Klägerin hat zuletzt noch beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.647,17 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe ihrer Pflicht zur Auslegung des Tarifvertrages dadurch genügt, daß der Manteltarifvertrag im Hauptsitz im Lohnbüro eingesehen werden könne und die Bezirksleiter die Tarifverträge bei Bedarf den Arbeitnehmern aushändigten. Im übrigen bliebe ein Verstoß gegen die Auslegungspflicht nach der gesetzlichen Regelung sanktionslos.
Das Arbeitsgericht hat die Klage für den noch streitigen Zeitraum abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Anspruch der Klägerin auf Grund der tarifvertraglichen Ausschlußfrist verfallen ist.
1. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien unter den mit Wirkung vom 1. November 1996 für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrag für das Bäckerhandwerk Niedersachsen/Bremen vom 22. März 1995 in der Fassung vom 13. August 1996 (künftig: MTV) nach § 5 Abs. 4 TVG fällt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn der MTV findet zumindest auf Grund einzelvertraglich vereinbarter Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
2. Der MTV enthält ua. folgende Bestimmungen:
„§ 3
Vergütung für Mehr-, Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit
…
2. Zum tariflichen Stundenlohn einschließlich der arbeitsplatzbedingten Zulagen werden folgende Zuschläge gezahlt:
- für die ersten 30 Mehrarbeitsstunden im Monat 25 %
- für jede weitere Mehrarbeitsstunde im Monat 50 %
…
§ 4
Entgeltregelung
…
2. Die Entgeltzahlung erfolgt monatlich. Das Entgelt muß am letzten bankoffenen Werktag des Kalendermonats auf dem Konto verfügbar sein oder ausgezahlt werden.
…
3. Dem Arbeitnehmer bzw. der Arbeitnehmerin ist eine Entgeltabrechnung auszuhändigen, aus der mindestens folgendes ersichtlich ist:
- …
- Mehrarbeits- und andere Zuschläge
- …
§ 16
Ausschlußfrist
Ansprüche auf Zuschläge entsprechend § 3 und arbeitsplatzbedingte Zulagen sowie frei vereinbarte Zulagen sind innerhalb einer Frist von 8 Wochen nach Zugang der Monatsabrechnung schriftlich geltend zu machen. Alle übrigen gegenseitigen Ansprüche sind 3 Monate nach ihrer Fälligkeit ebenfalls schriftlich geltend zu machen. Nach Ablauf dieser Frist verfallen sie.
…”
3. Die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der Mehrarbeitszuschläge für die Monate Oktober 1998 bis Juli 1999 sind nach § 16 Satz 1 iVm. Satz 3 MTV verfallen. Die Klägerin hat die Zahlung der monatlichen Zuschläge nach § 3 Nr. 2 a) und b) MTV nicht innerhalb von acht Wochen nach Zugang der Monatsabrechnung, sondern erstmals mit Schreiben vom 1. März 2000 geltend gemacht.
Dem Eingreifen der tariflichen Ausschlußfrist stehen weder § 2 NachwG noch § 8 TVG bzw. § 9 Abs. 2 DVO-TVG entgegen. Die Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch, mit dem sie so zu stellen wäre, als hätte sie die Mehrarbeitszuschläge rechtzeitig geltend gemacht.
4. Die Beklagte hat keine ihr nach dem Nachweisgesetz obliegende Pflicht verletzt. Sie hat die tarifliche Ausschlußfrist ausreichend durch die Niederlegung der Geltung des MTV in den Arbeitsverträgen vom 15. September 1998 und 15. September 1999 nachgewiesen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG hat der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Der Nachweis hat alle wesentlichen konkreten Arbeitsbedingungen zu enthalten. Diese sind in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 10 NachwG beispielhaft aufgeführt. Die Beispiele sind als Mindestkatalog zu verstehen. Weitere wesentliche, der Nachweispflicht unterliegende Vertragsbedingungen sind denkbar (ErfK/Preis 2. Aufl. § 2 NachwG Rn. 8; Schoden NachwG 1996 § 2 Rn. 5; Schaefer NachwG 2000 B Rn. 7; Feldgen NachwG 1995 B Rn. 124).
b) Entgegen dem Landesarbeitsgericht sind in Tarifverträgen geregelte Ausschlußfristen ebenso wie vertraglich vereinbarte Verfallfristen wesentliche Vertragsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG.
aa) Es trifft zwar zu, daß wegen Allgemeinverbindlichkeit oder Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragspartner geltende Tarifverträge die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses unabhängig vom rechtsgeschäftlichen Willen der Arbeitsvertragsparteien kraft normativer Wirkung regeln (§ 5 Abs. 4 TVG bzw. § 4 Abs. 1 TVG). Abgesehen davon, daß der MTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zumindest einzelvertraglich anzuwenden ist, folgt aus dem Geltungsgrund des Tarifvertrages nicht zwingend, ob die in ihm geregelten arbeitsvertraglichen Konditionen der gesetzlichen Nachweispflicht unterfallen (so aber – für in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen enthaltene Ausschlußfristen – LAG Köln 6. Dezember 2000 – 3 Sa 1089/00 – NZA-RR 2001, 261 f. (Rev. eingelegt unter dem Az. – 5 AZR 105/01 -(; LAG Schleswig-Holstein 31. Mai 2001 – 4 Sa 417/00 – nv.; Feldgen aaO B Rn. 129). Die einzelvertragliche Bezugnahme auf den die Ausschlußfrist regelnden Tarifvertrag unterliegt der Nachweispflicht schon deswegen, weil die Anwendbarkeit des Tarifvertrages auf einer Individualabrede beruht und somit auf alle Fälle eine wesentliche Vertragsbedingung iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG darstellt.
bb) Gegen das Verständnis, nur individuell vertraglich vereinbarte Bedingungen als Vertragsbedingungen im Gesetzessinne anzusehen, sprechen der Gesetzeswortlaut, der gesetzliche Regelungszusammenhang und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.
(1) § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 10 NachwG nennt als nachzuweisenden Mindestinhalt einen Hinweis ua. auf die Tarifverträge, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind. Der Gesetzeswortlaut unterscheidet bei der Hinweispflicht nicht nach dem Grund für die Anwendbarkeit des Tarifvertrags – der Hinweis ist unabhängig von der Rechtsgrundlage der Tarifgeltung oder Tarifvertragsanwendung zu erteilen.
(2) § 2 Abs. 3 NachwG ermöglicht eine Ersetzung bestimmter Mindestangaben durch einen Verweis auf einschlägige Tarifverträge. Einschlägig sind Tarifverträge auch dann, wenn sie wegen ihrer Allgemeinverbindlichkeit oder wegen der Tarifgebundenheit für diese Vertragspartner gelten. Die Ersetzungsbefugnis nach § 2 Abs. 3 NachwG wird ergänzt durch § 3 Satz 2 NachwG. Danach gilt die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer jede Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen spätestens einen Monat nach der Änderung schriftlich mitzuteilen (§ 3 Satz 1 NachwG), bei einer Änderung der Tarifverträge, die für das Arbeitsverhältnis gelten, nicht. Es hätte dieser ausdrücklichen Regelung nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber die tariflich geregelten Bedingungen nicht selbst als wesentliche Vertragsbedingungen angesehen hätte.
(3) In der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht (BT-Drucks. 13/668 vom 2. März 1995) heißt es zu § 2 Abs. 3 NachwG, die Vorschrift gestatte bei bestimmten Einzelangaben einen Verweis auf „die für den betreffenden Bereich einschlägigen Kollektivvereinbarungen” (BT-Drucks. 13/668 S 11). Der Bundestagsausschuß hatte in seinem Bericht vom 21. Juni 1995 zum Gesetzesentwurf darauf hingewiesen, daß die Verweisungsmöglichkeit bei dem – insoweit auch Gesetzeswortlaut gewordenen – Beschluß des Ausschusses auch die Fälle erfaßt, in denen „kollektivrechtliche Normen nicht unmittelbar, sondern durch einzelvertragliche Vereinbarungen Anwendung finden” (BT-Drucks. 13/1753 S 5, 14). Die Ersetzungsbefugnis nach § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG gilt also nach dem – der Gesetzesentstehung zu entnehmenden – Willen des Gesetzgebers für alle Geltungsalternativen der Tarifnormen. Für die nachzuweisenden („ersetzbaren”) Einzelangaben kann nichts anderes gelten.
cc) Sieht das NachwG demnach nicht nur die vertraglich vereinbarten, sondern auch die kraft normativer Wirkung geltenden Konditionen als Vertragsbedingungen an (ebenso Müller-Glöge Sonderteil RdA 2001 S 46, 47, 54; Bepler ZTR 2001, 241 f., 243), so zählen in Tarifverträgen enthaltene Ausschlußfristen wegen ihrer anspruchsvernichtenden Wirkung in der Regel auch zu den wesentlichen Vertragsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG.
c) Im Ergebnis ist dem Landesarbeitsgericht aber darin zuzustimmen, daß es jedenfalls dann keines gesonderten Nachweises einer tariflichen Ausschlußfrist bedarf, wenn – wie hier – der diese Frist regelnde Tarifvertrag nachgewiesen ist. Dies folgt aus der europarechtskonformen systematischen und teleologischen Auslegung des NachwG.
aa) § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG benennt als Mindestinhalt der Niederschrift einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge. Diese Hinweispflicht würde wenig Sinn machen, wenn der Arbeitgeber nach dem gesetzgeberischen Willen darüber hinaus verpflichtet sein sollte, die in den Tarifverträgen geregelten wesentlichen Vertragsbedingungen gesondert im Nachweis aufzuführen. Der Vorschrift käme kein eigenständiger Regelungsgehalt mehr zu.
Der Zweck der Vorschrift, im Sinne der Rechtsklarheit und -sicherheit auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Kollektivregelungen hinzuweisen, gebietet es nicht, zB tarifliche Bestimmungen – quasi „wiederholend” – nachzuweisen. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß es unter Berücksichtigung des in der Bundesrepublik Deutschland historisch gewachsenen Systems, wonach der Arbeitgeber bereits verpflichtet sei, ua. die für den Betrieb maßgeblichen Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen (§ 8 TVG), für die gesetzliche Verpflichtung nach Nr. 10 ausreiche, wenn allgemein auf die Geltung von Tarifverträgen unter Angabe des einschlägigen Tarifbereichs hingewiesen werde (BT-Drucks. 13/668 S 11). Der Gesetzgeber hält eine detaillierte Auflistung der Regelungsinhalte der anwendbaren Tarifverträge nicht für nötig. Daß er sich beim Beweggrund der Gesetzesregelung von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG auf § 8 TVG – eine Vorschrift, die keine Sanktionsregelung für einen Pflichtenverstoß enthält – beruft, ändert nichts am aus dem Beweggrund zu schließendem Ergebnis der Gesetzesauslegung. Auslegungskriterium kann nur die Motivation des Gesetzgebers sein, nicht die Berücksichtigung eventueller Fehleinschätzungen, die der Motivation zugrunde lagen.
bb) Das Nachweisgesetz differenziert bei der Art und Weise der Nachweispflicht nach der die wesentliche Vertragsbedingung regelnden Bestimmung. Während § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 5 NachwG explizit in den Nachweis aufzunehmende Bedingungen aufzählt, können die notwendigen Mindestangaben nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 – 9 NachwG gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG durch einen Hinweis auf einschlägige kollektivrechtliche Regelungen ersetzt werden. Das Gesetz privilegiert diese Mindestangaben, indem diese durch einen Verweis ua. auf einschlägige Tarifverträge ausreichend nachgewiesen sind. Die Nennung der konkreten tariflichen Bestimmung wurde vom Gesetzgeber nicht für erforderlich erachtet (BT-Drucks. 13/668 S 11).
Einem Umkehrschluß in dem Sinne, daß nicht in § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG aufgezählte Angaben auch nicht durch einen Hinweis auf Tarifverträge ersetzt werden können, begegnen erhebliche Bedenken. Die Ersetzungsmöglichkeit besteht neben der Regelung von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG und betrifft ausschließlich die aufgezählten Bedingungen. Wenn das Gesetz einzelne wesentliche Vertragsbedingungen ausdrücklich bezeichnet, die durch Hinweis auf die einschlägige Kollektivregelung ausreichend nachgewiesen sind, genügt ansonsten der generelle Hinweis auf den Kollektivvertrag (Müller-Glöge aaO S 55). Die Angabe zB einer tariflichen Ausschlußfrist wird durch § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG ausreichend belegt – sie muß nicht iSv. § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG durch einen Hinweis „ersetzt” werden. Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht Bremen (9. November 2000 – 4 Sa 138/00 – NZA-RR 2001, 98) zu Recht darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber die Ersetzungsmöglichkeit nach § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG für typischerweise in Tarifverträgen geregelte Bedingungen mit zentraler Bedeutung, die die Tragweite von Ausschlußfristen zT erheblich überschreiten, vorgesehen habe. Es wäre schwer nachvollziehbar, anspruchsbegründende Bestimmungen wie zB die Regelung über die Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts durch Hinweis auf Kollektivvereinbarungen als ausreichend nachgewiesen anzusehen, während eine solche Nachweisform für anspruchsbeschneidende Bestimmungen nicht genügen sollte (ebenso Müller-Glöge aaO S 55; Bepler aaO S 244).
cc) Auch § 3 Satz 2 NachwG spricht für die Annahme, daß tariflich geregelte wesentliche Vertragsbedingungen durch einen Hinweis auf den Tarifvertrag ausreichend nachgewiesen sind. Verlangt man die ausdrückliche Aufnahme einer tarifvertraglichen Verfallfrist in den Nachweis (so jedenfalls LAG Schleswig-Holstein 8. Februar 2000 – 1 Sa 563/99 – LAGE NachwG § 2 Nr. 8), kommt es bei der Änderung von Tarifbestimmungen zu Wertungswidersprüchen. Änderungen von Tarifbestimmungen muß der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Wortlaut von § 3 Satz 2 NachwG nicht mitteilen. Der Gesetzgeber hat eine Ergänzung der Niederschrift für nicht erforderlich gehalten, weil sich der Arbeitnehmer über die jeweils gültige Fassung der auf sein Arbeitsverhältnis anwendbaren Kollektivverträge in zumutbarer Weise selbst informieren kann (BT-Drucks. 13/668 S 12). Im Gegensatz zur Revision geht der Gesetzgeber erkennbar davon aus, daß einem mündigen Arbeitnehmer sehr wohl abverlangt werden kann, sich über die tariflichen Bestimmungen wie auch deren Änderung Kenntnis zu verschaffen.
dd) Diese Auslegung ist gemeinschaftskonform.
aaa) Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muß ein nationales Gericht die Auslegung innerstaatlichen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck einschlägiger Richtlinien ausrichten, um das mit ihnen verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 189 Abs. 3 EGV zu genügen (EuGH 13. November 1990 – Rs. C-106/89 – [Marleasing] Slg. 1990 I 4156, 4159; 14. Juli 1994 – Rs. C-91/92 – [Faccini Dori] Slg. 1994 I 3347, 3357). Für die Interpretation richtliniendurchführender Gesetze wird dieser Grundsatz allgemein akzeptiert (BAG 23. September 1992 – 4 AZR 30/92 – BAGE 71, 195 ff., zu II 3 c aa der Gründe; 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – BAGE 82, 349 ff., zu B II 2 b der Gründe mwN).
bbb) Jedenfalls wenn der Arbeitgeber auf die Anwendung einschlägiger Tarifverträge schriftlich hingewiesen hat, gebieten es Wortlaut und Zweck der Richtlinie 91/533/EWG über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen vom 14. Oktober 1991 (NachwRL) nicht, tarifliche Ausschlußfristen gesondert im Nachweis aufzunehmen.
(1) Art. 2 Abs. 1 NachwRL regelt die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer von einer einen wesentlichen Punkt des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses darstellenden Vereinbarung in Kenntnis zu setzen. Wesentliche Punkte können auch andere als die in Art. 2 Abs. 2 NachwRL aufgeführten Punkte sein – aus dem Wortlaut der Regelung („mindestens”) folgt, daß der beschriebene Katalog von lit. a) bis lit. j) keine abschließende Aufzählung enthält. Die Unterrichtung über in der NachwRL nicht ausdrücklich benannte wesentliche Vertragspunkte muß gemäß den Bedingungen erfolgen, die für die in der Richtlinie ausdrücklich aufgezählten Mindestangaben gelten. Ggf. kann die Unterrichtung in Form eines Hinweises auf Tarifvertragsbestimmungen erfolgen (Art. 2 Abs. 3 NachwRL). Für den Fall einer tariflich geregelten Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Verpflichtung der Ableistung von Überstunden auf Anordnung des Arbeitgebers hat der EuGH entschieden, daß der Arbeitnehmer über diese in Art. 2 Abs. 2 lit. a) bis i) NachwRL nicht genannte, aber als wesentlichen Punkt zu qualifizierende Bedingung durch einen Hinweis auf den einschlägigen Tarifvertrag entsprechend der ua. für die normale Arbeitszeit geltenden Regelung von Art. 2 Abs. 3 NachwRL ausreichend unterrichtet ist (EuGH 8. Januar 2001 – Rs. C-350/99 – [Lange/Schünemann GmbH] NZA 2001, 381 ff.).
Für eine tarifliche Ausschlußfristenbestimmung kann nichts anderes gelten. Denn zwischen einer solchen Bestimmung und den Vereinbarungen über das Arbeitsentgelt (Art. 2 Abs. 2 lit. h) NachwRL) besteht ein ähnlich enger Zusammenhang wie zwischen der Möglichkeit der Überstundenanordnung und den Vereinbarungen über die Arbeitszeit (Art. 2 Abs. 2 lit. i) NachwRL; ebenso Bepler aaO S 244).
(2) Im übrigen dürfte ein Hinweis nach Art. 2 Abs. 3 NachwRL bei allen tariflich geregelten, im Mindestkatalog nicht enthaltenen, wesentlichen Punkten für eine Unterrichtung des Arbeitnehmers genügen. Der Verpflichtung zur Angabe von die Arbeitsbedingungen regelnden Tarifverträgen (Art. 2 Abs. 2 lit. j)) käme anderenfalls ein rein deklaratorischer Charakter zu.
(3) Hat die Beklagte sonach die Ausschlußfrist gem. § 16 MTV ausreichend iSd. NachwG nachgewiesen, bedarf es eines Eingehens darauf nicht mehr, ob die einzig wirksame und in Frage kommende Sanktion einer Verletzung des NachwG durch den Arbeitgeber in der Nichtanwendbarkeit der nicht nachgewiesenen Tarifbestimmung bestehe, wie die Revision meint.
5. Ob die Beklagte ihrer etwaigen Pflicht, den Tarifvertrag im Betrieb auszulegen (§ 8 TVG), hinreichend nachgekommen ist, kann dahinstehen. Auch wenn das nicht der Fall ist, muß die Klägerin die Ausschlußfrist gegen sich gelten lassen. Sie hat auch keinen Schadensersatzanspruch.
a) Zweifelhaft ist, ob tarifungebundene Arbeitgeber der Auslegungsverpflichtung nach § 8 TVG dann unterliegen, wenn arbeitsvertraglich auf tarifliche Bestimmungen oder auf Tarifverträge Bezug genommen worden ist (ablehnend zB Oetker in Wiedemann TVG 6. Aufl. § 8 Rn. 11; Löwisch/Rieble TVG 1992 § 8 Rn. 4; Kasseler Handbuch/Dörner 2. Aufl. Bd. 2 8.1 Rn. 300; Koberski/Clasen/Menzel TVG § 8 Rn. 7; dagegen nimmt Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 1295 eine Informationspflicht auf Grund vertraglicher Nebenpflicht des Arbeitgebers an). Das Bundesarbeitsgericht hat sich hierzu noch nicht abschließend geäußert (offengelassen in BAG 5. November 1963 – 5 AZR 136/63 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 1).
Nach § 9 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes vom 23. Dezember 1988 (DVO-TVG) gilt die Auslegungspflicht auch für die Arbeitgeber, für die der Tarifvertrag infolge der Allgemeinverbindlicherklärung verbindlich ist (§ 9 Abs. 1 DVO-TVG).
b) Der Senat kann die Frage einer Auslegungspflicht der Beklagten ebenso offen lassen wie die Frage, ob die Beklagte einer solchen Verpflichtung nachgekommen ist. Denn selbst wenn unterstellt wird, die Beklagte habe den MTV rechtswidrig nicht (hinreichend) ausgelegt, ist der Klage nicht stattzugeben. Die Anwendung einer tariflichen Ausschlußfrist wird nicht durch einen Verstoß gegen die Auslegungspflicht nach § 8 TVG bzw. § 9 Abs. 2 DVO-TVG ausgeschlossen.
aa) § 8 TVG bzw. § 9 Abs. 2 DVO-TVG enthalten keine Sanktionsregelungen für den Fall eines Pflichtenverstoßes. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende und damit gemäß §§ 242, 134 BGB unzulässige Rechtsausübung kann nicht schon dann angenommen werden, wenn nur ein Verstoß gegen die gesetzliche Auslegungspflicht vorliegt (BAG 5. November 1963 – 5 AZR 136/63 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 1 (zu § 7 TVG aF(; Oetker in Wiedemann aaO § 8 Rn. 19 mwN; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 209 Rn. 10; Weyand Die tariflichen Ausschlußfristen in Arbeitsrechtsstreitigkeiten F. I. S 107; aA Däubler aaO Rn. 1300; LAG Schleswig-Holstein 10. September 1986 – 6 (3) Sa 712/85 – nv.).
aaa) Die Annahme des Ablaufs tariflicher Ausschlußfristen mag unbillig sein, wenn das Verhalten des dadurch Begünstigten es selbst bewirkt hat, daß der Berechtigte die Frist nicht wahren konnte (BAG 3. August 1971 – 1 AZR 327/70 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 66 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 9; 22. Januar 1997 – 10 AZR 459/96 – AP BAT § 70 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 125). Die Rechtsausübung ist aber nicht bereits dann immer unzulässig, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt (Palandt/Heinrichs BGB 60. Aufl. § 242 Rn. 46). Es kommt darauf an, welchen Zweck die verletzte Pflicht verfolgt.
Das Landesarbeitsgericht hat unter ausführlicher Begründung und historischer Auslegung die Auslagepflicht nach § 8 TVG dahingehend interpretiert, daß sie der Information der Arbeitnehmer über die für den Betrieb maßgeblichen Tarifverträge und dem Publizitätsbedarf von Tarifnormen im Interesse der Öffentlichkeit dient (ebenso: Löwisch/Rieble aaO § 8 Rn. 1; Oetker in Wiedemann aaO § 8 Rn. 2; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 8 Rn. 1). Tarifverträge müssen im Gegensatz zu Gesetzen nicht veröffentlicht werden. Der Tarifvertragstext, aus dem allein der Norminhalt zu entnehmen ist, wird nicht publiziert. Im Fall der Allgemeinverbindlichkeit wird nur die ministerielle Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages, nicht aber dessen Inhalt bekannt gegeben (§ 5 Abs. 7 TVG). Für allgemeinverbindliche Tarifverträge hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, das Bekanntgabesystem nach dem TVG vermöge zwar nicht zu befriedigen, halte aber der verfassungsrechtlichen Nachprüfung unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips noch stand, auch weil es dem Arbeitnehmer möglich sei, Einsicht in den Tarifvertrag zu nehmen, wenn ihn sein Arbeitgeber an geeigneter Stelle im Betrieb auslege (BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfG 44, 322 ff.; bestätigt durch Nichtannahmebeschluß des BVerfG 10. September 1991 – 1 BvR 561/89 – AP TVG § 5 Nr. 27). Als Publizitätsvorschrift ist § 8 TVG eine Ordnungsvorschrift (BAG 6. Juli 1972 – 5 AZR 100/72 – AP TVG 1969 § 8 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 11). Ein individualschützender Normenzweck – zB auch mit der Konsequenz, daß dem einzelnen Arbeitnehmer ein individuelles Recht zustünde, die Einhaltung des § 8 TVG klageweise geltend zu machen (hierauf weist Adam Anm. LAGE NachwG § 2 Nr. 9 hin) – kommt der Regelung nicht zu.
bbb) Eine verfassungskonforme Auslegung von § 8 TVG gebietet entgegen der Auffassung der Revision keine Korrektur des bisherigen Verständnisses der Norm als sanktionslose Ordnungsvorschrift (so aber Koch FS Schaub S 421 ff., 430) oder als Norm, die zwar eine Schutzfunktion aufweist, deren Nichtbeachtung aber keine Folgen zeitigt.
(1) Die Zivilgerichte müssen – insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB – die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG beachten. Daraus ergibt sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind (BVerfG 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89 – BVerfGE 89, 214 ff.). Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung (BVerfG 7. Februar 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 ff.).
(2) Fraglich ist bereits, ob das Informationsbedürfnis eines Arbeitnehmers über auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende Tarifvorschriften aus einer grundsätzlich anzunehmenden, der Verhandlungsposition des Arbeitnehmers entsprechenden strukturellen Unterlegenheit iSd. Rechtsprechung des BVerfG resultiert. Bei der Anfechtung von Aufhebungsverträgen zugrunde liegenden Willenserklärungen durch den Arbeitnehmer hat das Bundesarbeitsgericht die Annahme einer Unterlegenheit, die sich aus der strukturbedingten Rollenverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Vertragsbeendigung grundsätzlich ergebe und deshalb stets anzunehmen sei, abgelehnt (zB BAG 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 21).
Jedenfalls besteht kein verfassungsrechtlich bedenkliches Ungleichgewicht bei der Vertragsdurchführung, wenn der Arbeitgeber die für seinen Betrieb maßgeblichen Tarifverträge nicht iSv. § 8 TVG bekannt gibt. Der Arbeitnehmer ist gehalten, sich selbst über seine Rechte im Arbeitsverhältnis zu informieren. Die Annahme einer Vertragsdisparität immer bereits dann, wenn nur eine Partei vollständige Kenntnis von den bestehenden Rechten und Pflichten hat oder haben muß – die Anspruchserhebung und deren Durchsetzung also zumindest gefährdet seien, wenn der Rechtsinhaber die Voraussetzungen für den Bestand seines Rechts nicht kennt (so Koch aaO S 431) -, würde zu einer faktischen Nichtgeltung aller die Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses betreffenden normativen Regelungen führen. Die Wirksamkeit tariflicher Normen hinge letztlich von deren Bekanntgabe ab. Auf die konkrete Kenntnis von zB Ausschlußfristen kommt es bei deren Anwendung aber gerade nicht an – diese laufen ohne Rücksicht auf das Wissen der Arbeitsvertragsparteien (BAG 16. November 1965 – 1 AZR 160/65 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 30 = EzA TVG § 4 Nr. 9; 16. August 1983 – 3 AZR 206/82 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 131 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 56).
Es wäre Sache der Klägerin gewesen, sich rechtzeitig und zutreffend über ihre Rechte und Pflichten aus ihrem Arbeitsverhältnis zu informieren. Dies gilt um so mehr, weil sie dem Arbeitsvertrag einen Hinweis auf den MTV entnehmen konnte. War sie in der Lage, sich über die ihr zustehenden Mehrarbeitszuschläge Kenntnis zu verschaffen, war es ihr auch möglich, sich über etwaige Ausschlußfristen in Kenntnis zu setzen oder sich darüber zu erkundigen.
ccc) Bei ihrem Verweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. November 1998 (- 5 AZR 63/98 – EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 128) verkennt die Revision, daß in jenem Rechtsstreit der Tarifvertrag selbst bestimmte, daß Ansprüche dann nicht wegen Versäumung der Ausschlußfrist erlöschen, „wenn dieser Tarifvertrag dem/n Arbeitnehmer/innen nicht ausgehändigt oder im Betrieb nicht ausgelegt oder ausgehängt ist” (§ 18 Ziff. 3 Manteltarifverträge für den Hessischen Einzelhandel vom 31. März 1994 und vom 24. September 1996). Die dortigen Tarifvertragsparteien haben die Rechtsfolgen einer über § 8 TVG hinausgehenden, tariflich geregelten Aushändigungs-, Auslegungs- bzw. Aushängungsverpflichtung bestimmt. Der MTV enthält eine solche Regelung nicht.
ddd) Das Inkrafttreten des Nachweisgesetzes führt nicht zu einem anderen Verständnis der gesetzlich normierten Auslegungspflicht von Tarifverträgen als das einer Ordnungsvorschrift.
Der Gesetzgeber hat die Entbehrlichkeit einer detaillierten Auflistung des Regelungsinhaltes ua. von Tarifverträgen im vom Arbeitgeber zu erstellenden Nachweis mit einem Hinweis auf die Auslegungspflicht nach § 8 TVG begründet (BT-Drucks. 13/668 S 11). Selbst wenn in dieser Begründung zum Ausdruck kommen sollte, daß der Gesetzgeber § 8 TVG einen (ausschließlich) individualschützenden Normencharakter beimißt, so vermag diese Einschätzung nicht zu einer „Umwidmung” der Rechtsnorm führen (so aber ausdrücklich Bepler aaO S 247). Die Verkennung der Reichweite einer Norm, auf die in einer Begründung für eine andere gesetzliche Regelung Bezug genommen wird, ändert nicht die Reichweite dieser Norm. Eine solche Änderung bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten. Im Zuge der Umsetzung der NachwRL wurde aber gerade keine Notwendigkeit zur Änderung der nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das Schrifttum zT (zusammenfassende Nachweise bei ErfK/Schaub 2. Aufl. § 8 TVG Rn. 7) angeschlossen hat, als Ordnungsvorschrift zu verstehenden Norm des § 8 TVG gesehen.
eee) Im übrigen bringt der Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zu § 3 NachwG zum Ausdruck, daß er davon ausgeht, daß sich der einzelne Arbeitnehmer selbst in zumutbarer Weise über die jeweils gültige Fassung der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Gesetze und Kollektivverträge informieren kann (BT-Drucks. 13/668 S 12). Dem Arbeitnehmer kann also sehr wohl abverlangt werden, sich im eigenen Interesse über die konkrete normative Ausgestaltung seines Arbeitsverhältnisses kundig zu machen. Die Zugangsschwelle zu Regelungsinhalten von Gesetzen und Kollektivverträgen wird dabei vom Gesetzgeber nicht unterschiedlich bewertet. Insofern überzeugt auch die Ansicht der Revision nicht, Gesetze seien leichter zugänglich als Tarifverträge.
bb) Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch wegen einer (unterstellten) Verletzung der Auslegungspflicht von Tarifverträgen durch die Beklagte.
aaa) Ein solcher folgt nicht aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 8 TVG. § 8 TVG ist kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB (BAG 8. Januar 1970 – 5 AZR 124/69 – BAGE 22, 241; Koberski/Clasen/Menzel aaO § 8 Rn. 11; einen deliktischen Schadensersatzanspruch iE ebenso verneinend: Oetker in Wiedemann aaO § 8 Rn. 16; Kempen/Zachert aaO § 8 Rn. 5; aA Löwisch/Rieble aaO § 8 Rn. 10; Däubler aaO Rn. 1301).
bbb) Die Nichtauslage eines Tarifvertrages ist keine positive Forderungsverletzung mit der Folge eines Schadensersatzanspruchs iSv. § 249 BGB (so aber Fenski BB 1987 S 2293 ff., 2297). Der Zweck von § 8 TVG ist die Ermöglichung der Kenntnisnahme von Tarifverträgen. Normzweck ist nicht, zu verhindern, daß der Arbeitnehmer wegen seiner Unkenntnis Vermögensnachteile erleidet (Oetker in Wiedemann aaO § 8 Rn. 18). Die Auslegungspflicht dient nicht dem Schutz des Einzelnen (Schaub aaO § 209 Rn. 10). Ebensowenig wie Gesetzesunkenntnis zur Unanwendbarkeit der gesetzlichen Regelung führt, kann sich der Arbeitnehmer mit Erfolg auf die bloße Unkenntnis tariflicher Verfallklauseln berufen.
ccc) Im übrigen wäre selbst bei der Annahme eines Schadensersatzanspruchs der Klage nicht zwingend stattzugeben. Es besteht nämlich kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Pflichtenverstoß und der Unkenntnis der Klägerin über die tarifliche Ausschlußfrist, worauf das Landesarbeitsgericht zu Recht hinweist.
In den Arbeitsverträgen vom 15. September 1998 und 15. September 1999 ist die Geltung des MTV niedergelegt. Man kann – entgegen der Auffassung der Revision – von einem Arbeitnehmer erwarten, daß er sich über die Einzelheiten eines benannten Tarifvertrages informiert. Der von der Revision aufgestellte Grundsatz „Arbeitnehmer kennen Ausschlußfristen nicht” ist angesichts der Tatsache, daß branchenübergreifend fast alle Mantel- oder Rahmentarifverträge solche Fristenregelungen enthalten (vgl. hierzu zB Weyand aaO unter dem Vorwort), kaum nachvollziehbar. Unverständlich erscheint auch das Argument der Revision, der MTV sei schwer zugänglich.
Unabhängig davon, ob man sich Tarifverträge heute über das Internet leicht beschaffen kann oder ob Tarifverträge unschwer bei den Tarifvertragsparteien abgefordert werden können, erklärt dies nicht, was die Klägerin daran gehindert haben soll, sich bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen des Inhaltes des MTV an die Beklagte zu wenden. Erschwert oder verweigert nämlich der Arbeitgeber die Information, so wäre ein Nichteingreifen der tariflichen Ausschlußfrist wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben zu prüfen (offengelassen in BAG 14. Juni 1994 – 9 AZR 284/93 – BAGE 77, 81 ff.; vgl. auch 22. November 1963 – 1 AZR 17/63 – AP BGB § 611 Öffentlicher Dienst Nr. 6).
cc) Die Auslegungspflicht konkretisiert auch nicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist nicht auf Grund dieser Pflicht gehalten, dem Arbeitnehmer alle anspruchsbegründenden bzw. -vernichtenden Tatsachen mitzuteilen (Lindena DB 1988, 1114, 1116 mwN).
dd) Die Auslegungsverpflichtung ist schließlich auch keine Obliegenheit des Arbeitgebers. Eine solche „Verpflichtung gegen sich selbst” kann nur bei Verhaltensanforderungen angenommen werden, denen der Belastete im eigenen Interesse nachkommen soll (Boemke Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis 1999 S 92 f.). Gerade wenn die Pflicht zur Auslage des Tarifvertrages nicht nur wegen des im öffentlichen Interesse stehenden Publizitätszwecks besteht, sondern auch dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers dient, folgt daraus kein Verlust einer Rechtsposition des Arbeitgebers hinsichtlich einer ihm im Einzelfall günstigen Bestimmung des Tarifvertrages (aA Kempen/Zachert aaO § 8 Rn. 6 ff.).
Unterschriften
Schliemann, Wolter, Friedrich, Gotsche, Kralle-Engeln
Fundstellen
Haufe-Index 749367 |
BAGE, 225 |
BB 2002, 2606 |
NWB 2002, 543 |
BuW 2002, 924 |
EBE/BAG 2002, 108 |
ARST 2002, 227 |
ARST 2002, 95 |
EWiR 2002, 823 |
FA 2002, 128 |
FA 2002, 276 |
FA 2002, 362 |
JR 2002, 484 |
NZA 2002, 800 |
SAE 2002, 350 |
ZIP 2002, 1367 |
ZTR 2002, 425 |
AP, 0 |
AuA 2002, 133 |
EzA-SD 2002, 11 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA |
MDR 2002, 1071 |
PERSONAL 2002, 46 |
PERSONAL 2002, 55 |
ZfPR 2002, 114 |
AUR 2002, 277 |
AUR 2002, 71 |
RdW 2002, 598 |
BAGReport 2002, 313 |
PP 2002, 28 |
SPA 2002, 7 |