Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungsabrede unterhalb des Tariflohnes
Orientierungssatz
- Es bedarf keiner Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 97 Abs. 5 ArbGG zur Klärung der Frage der Tarifzuständigkeit, wenn die Tatsacheninstanzen keine Tatsachen festgestellt haben, aus denen sich Bedenken gegen die Beendigung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers durch den Wechsel in die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) ergeben können.
- Für die Annahme einer generellen Unwirksamkeit einer OT-Mitgliedschaft unabhängig von den konkreten Regelungen der Satzung zu den Rechten der OT-Mitglieder gibt es keine rechtliche Grundlage.
- Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG ablösen soll, kann auch schon vor Eintritt der Nachwirkung abgeschlossen werden.
- Es bleibt offen, ob eine gegen § 4 Abs. 3 TVG verstoßende Regelung nichtig ist oder ob sie nur durch die unmittelbar und zwingend geltende tarifliche Regelung verdrängt wird.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1, 3, 5; ArbGG § 97 Abs. 5, § 2a Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten noch darüber, ob dem Kläger statt der arbeitsvertraglich vereinbarten monatlichen Vergütung ein höherer Tariflohn zusteht.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1969 als Auslieferungsfahrer beschäftigt und seit 1994 Mitglied der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Die Beklagte war bis zum 28. Februar 2002 Mitglied des Verbandes Deutscher Großbäckereien e.V.; ausweislich des Schreibens dieses Verbandes vom 25. Februar 2002 wurde die Mitgliedschaft der Beklagten ab 1. März 2002 “tariflos in der entsprechenden Verbandsgruppe geführt”.
Der Lohn- und Gehaltstarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 3. April 2001 (LGTV 2001), abgeschlossen zwischen dem Verband Deutscher Großbäckereien e.V. und der NGG, wurde zum 31. März 2002 gekündigt. Am 17. Mai 2002 wurde ein neuer Lohn- und Gehaltstarifvertrag (LGTV 2002) abgeschlossen, der zum 1. April 2002 in Kraft trat. Bis einschließlich Februar 2002 erhielt der Kläger Vergütung nach LGTV 2001, dh. monatlich 2.008,35 Euro brutto.
Am 19. Februar 2002 fand im Betrieb der Beklagten unter Beteiligung der beiden Geschäftsführer, eines Vertreters des örtlichen allgemeinen Arbeitgeberverbandes, von Unternehmensberatern und Betriebsratsmitgliedern eine Besprechung statt, an der auch der Kläger, der seinerzeit Betriebsratsmitglied war, teilnahm. Bei dieser Besprechung teilte die Beklagte mit, dass sie vor dem 31. März 2002 aus ihrem Verband austreten werde, um an den zu erwartenden Tariflohnerhöhungen im LGTV 2002 ab 1. April 2002 nicht teilnehmen zu müssen. Weiter erklärte die Arbeitgeberin, dass es aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sei, das Entgeltniveau der Arbeitnehmer auch unter die Vergütung abzusenken, wie sie sich aus dem LGTV 2001 ergibt.
Am 20. Februar 2002 schloss die Beklagte mit dem Kläger und einer Vielzahl weiterer Arbeitnehmer die folgende Vereinbarung:
“Änderungsvereinbarung
Der zwischen …
bestehende Arbeitsvertrag wird wie folgt geändert:
1.
Der Monatslohn beträgt ab dem 01.03.2002 1706,67 €. Mit der Novemberabrechnung wird eine Sonderzahlung von 300 € gezahlt. Sollte ein Weihnachtsgeld gezahlt werden, wird diese Sonderzahlung verrechnet.
…
3.
Insolvenzsicherung
Für den Fall, dass nach Stellung eines Insolvenzantrags das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, gilt als vereinbart, dass die Haustarife rückwirkend außer Kraft gesetzt werden und ebenfalls rückwirkend die bestehenden Flächentarifverträge wieder in Kraft gesetzt werden.
…”
Die in der Vereinbarung vorgesehene Ziff. 2 mit dem Wortlaut: “Die Arbeitsvertragsparteien sind sich darüber einig, dass auf das Arbeitsverhältnis keine tarifvertraglichen Bestimmungen Anwendung finden.”, strich der Kläger vor Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung durch. Ihm war zu diesem Zeitpunkt die Kündigung des LGTV 2001 zum 31. März 2002 und der bevorstehende Austritt der Beklagten aus dem tarifschließenden Verband vor dem 31. März 2002 bekannt.
Die Beklagte zahlte dem Kläger ab März 2002 – der Höhe nach abweichend von dem Betrag in der Änderungsvereinbarung – eine Vergütung von monatlich 1.766,90 Euro brutto. Die Differenz zur tariflichen Vergütung nach LGTV 2001 für den Monat März zahlte die Beklagte dem Kläger entsprechend einem gerichtlich protokollierten Vergleich in einem Vorprozess. Über die Differenzbeträge für die Monate April bis Juli 2002 erwirkte der Kläger ein obsiegendes Urteil des Arbeitsgerichts Hameln, gegen das die Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.
Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung – die Differenz zur tariflichen Vergütung für die Zeit von August 2002 bis Februar 2003 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er habe weiterhin Anspruch auf Tariflohn nach dem LGTV 2001, weil dieser in seinem Arbeitsverhältnis nachwirke. Die Vereinbarung vom 20. Februar 2002 sei nach § 4 Abs. 3 TVG unwirksam, weil sie vor Ablauf der Kündigungsfrist des LGTV 2001 und teilweise auch für eine Zeit abgeschlossen worden sei, in welcher der LGTV 2001 noch vollwirksam gewesen sei. Mit der Streichung der vorgesehenen Ziff. 2 der Vereinbarung habe er zum Ausdruck gebracht, dass er weiter nach den tarifvertraglichen Bestimmungen habe vergütet werden wollen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.690,15 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. November 2002 auf 724,35 Euro, seit dem 3. Dezember 2002 auf weitere 241,35 Euro, seit dem 9. Januar 2003 auf weitere 241,35 Euro, seit dem 17. Februar 2003 auf weitere 241,35 Euro sowie seit dem 6. März 2003 auf weitere 241,35 Euro.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, ab dem 1. April 2002 richte sich die monatliche Vergütung des Klägers nach dem Änderungsvertrag vom 20. Februar 2002. Diese Vereinbarung sei wegen der Beendigung des LGTV 2001 zum 31. März 2002 ab dem 1. April 2002 als andere Abmachung nach § 4 Abs. 5 TVG wirksam.
Das Arbeitsgericht hat die Klage wegen der geltend gemachten Lohndifferenz abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage wegen der monatlichen Vergütungsdifferenzen zu Recht abgewiesen.
I. Dem Kläger stehen die monatlichen Differenzen zur tariflichen Vergütung nach dem LGTV 2001 für den Zeitraum vom August 2002 bis Februar 2003 nicht zu. Ab dem 1. April 2002 galt der LGTV 2001 für das Arbeitsverhältnis der Parteien nur noch im Sinne der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG. Die Nachwirkung des LGTV 2001 ist durch die Vereinbarung vom 20. Februar 2002 ab dem 1. April 2002 abgelöst worden. Somit stand dem Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum nur die Vergütung entsprechend der Vereinbarung vom 20. Februar 2002 zu, die er unstreitig erhalten hat.
1. Der LGTV 2001 galt jedenfalls bis zum 28. Februar 2002 auf Grund der beiderseitigen Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG.
2. Die Tarifgebundenheit der Beklagten nach § 3 Abs. 1 TVG endete mit dem Ende von deren Mitgliedschaft in dem die Tarifgebundenheit vermittelnden Arbeitgeberverband am 28. Februar 2002.
a) Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte nur bis zum 28. Februar 2002 tarifgebundenes Mitglied des am Abschluss des LGTV 2001 beteiligten Arbeitgeberverbandes war, weil sie mit dem 1. März 2002 “tariflos in der entsprechenden Verbandsgruppe geführt” wurde, also zu diesem Stichtag in eine sogenannte OT-Mitgliedschaft gewechselt ist.
b) Der Senat kann sich dem anschließen, ohne das Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen.
Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist, hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen (§ 97 Abs. 5 ArbGG). Diese Pflicht besteht in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch in der Revisionsinstanz (Senat 23. Oktober 1996 – 4 AZR 409/95 (A) – BAGE 84, 238, zu II 1 der Gründe). Die Vorschrift ist zwingend. Die Aussetzung hat von Amts wegen zu erfolgen.
Tarifzuständigkeit ist die in der Satzung eines tariffähigen Verbandes geregelte Befugnis, Tarifverträge mit einem bestimmten räumlichen, betrieblich/fachlichen und persönlichen Geltungsbereich abzuschließen. Die Frage der Zulässigkeit einer Mitgliedschaft ohne Verbandstarifbindung (OT-Mitgliedschaft) hängt davon ab, ob die Begrenzung der personellen Tarifzuständigkeit auf einen Teil der Verbandsmitglieder zulässig ist. Die Frage der Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaft ist deshalb eine Frage der Tarifzuständigkeit. Eine Aussetzung ist aber nur dann geboten, wenn die Frage der Tarifzuständigkeit des Verbandes zwischen den Parteien streitig ist und der Ausgang des Rechtsstreits davon abhängt.
Hiernach bedarf es keiner Aussetzung des Verfahrens. Es kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass die Frage der Tarifzuständigkeit des Verbandes für die Beklagte zwischen den Parteien strittig ist. Der Kläger hat in keiner Phase des Verfahrens in den Vorinstanzen den Austritt der Beklagten aus dem Verband in Frage gestellt, sondern ausdrücklich vorgetragen, es sei zutreffend, “daß die Beklagte bis zum 28.02.2002 Mitglied im Verband Deutscher Großbäckereien e.V., Düsseldorf, war”. Dementsprechend ist das Arbeitsgericht ebenso wie das Landesarbeitsgericht ohne weiteres von dem Ende der Tarifgebundenheit der Beklagten nach § 3 Abs. 1 TVG am 28. Februar 2002 ausgegangen.
Das Vorbringen des Klägers in der Revisionsinstanz rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Kläger rügt lediglich, das Landesarbeitsgericht habe die Beklagte im Verband Deutscher Großbäckereien e.V. als Mitglied ohne Tarifbindung anerkannt und sei davon ausgegangen, dass die Beklagte als solche nicht mehr tarifgebunden sei. Das sei rechtsfehlerhaft, weil der hier vollzogene Wechsel der Beklagten am 28. Februar 2002 von einer vormaligen Verbandsvollmitgliedschaft zu einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung die Tarifgebundenheit der Beklagten nicht habe entfallen lassen. Darin sehe er einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 TVG, weil Vollmitglieder stets von § 3 Abs. 1 TVG erfasst würden und eine zusätzliche Unterwerfung unter die tarifliche Normsetzungsbefugnis nicht erforderlich sei. Diese abstrakten rechtlichen Ausführungen reichen nicht aus, die Tarifzuständigkeit des Verbandes für die Beklagte als zwischen den Parteien streitig anzusehen. Es fehlt an jeglicher Bezugnahme auf konkrete, von dem Landesarbeitsgericht festgestellte Umstände, aus denen sich im vorliegenden Fall der Fortbestand der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG trotz des vollzogenen Wechsels in die OT-Mitgliedschaft und “eine entsprechende Verbandsgruppe” ergeben soll. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits in dem Urteil vom 16. Februar 1962 (– 1 AZR 167/61 – BAGE 12, 285, 288) erkannt, dass es auf die vereinsrechtliche Stellung eines Mitgliedes ankomme, ob seine “Mitgliedschaft”, dort eine Gastmitgliedschaft, als Mitgliedschaft iSd. § 3 Abs. 1 TVG anzusehen sei. Die Tarifbindung der Mitglieder der tarifschließenden Verbände beruhe auf dem freiwilligen Eintritt in den Verband und darauf, dass der Tarifabschluss auch durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung oder einen Willensakt des durch Satzung oder konkreten Mitgliederbeschluss dazu ermächtigten Vereinsorgans erfolge. Die normative Wirkung des Tarifvertrages setze notwendig eine Vollmitgliedschaft der Tarifgebundenen dahin voraus, dass sie unmittelbar oder durch die von ihnen selbst frei gewählten Organe des Verbandes beim Tarifabschluss repräsentiert würden. Für die Annahme einer generellen Unwirksamkeit einer OT-Mitgliedschaft unabhängig von den konkreten Regelungen der Satzung zu der organisatorischen Struktur der betroffenen Verbandsbereiche und den Rechten der OT-Mitglieder, insbesondere im Hinblick auf den Abschluss von Tarifverträgen, mit der weiteren Konsequenz eines Verbleibens des Mitglieds im Zustand der Tarifgebundenheit trotz entgegenstehender Erklärung, gibt es danach keine rechtliche Grundlage.
3. Mit der Beendigung der Vollmitgliedschaft hat die Tarifgebundenheit der Beklagten zwar nicht geendet. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Die Beklagte blieb damit im Wege der Nachbindung an den LGTV 2001 bis zum 31. März 2002 gebunden. Die Nachbindung endete auf Grund der Kündigung des LGTV 2001 zum 31. März 2002.
4. Der LGTV 2001 hätte an sich ab dem 1. April 2002 nachgewirkt (§ 4 Abs. 5 TVG). Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG schließt sich auch bei einem Verbandsaustritt an das Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG an (BAG 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP TVG § 3 Nr. 13 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14). Diese Rechtsprechung hatte das Bundesarbeitsgericht wiederholt bekräftigt (5. Oktober 1993 – 3 AZR 586/92 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 42 = EzA BetrAVG § 1 Zusatzversorgung Nr. 6; 13. Dezember 1995 – 4 AZR 1062/94 – BAGE 82, 27, zu I 1.3.2.3 der Gründe; 17. Mai 2000 – 4 AZR 363/99 – BAGE 94, 367, zu I 4a der Gründe; 4. April 2001 – 4 AZR 215/00 – AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 9 = EzA TVG § 3 Nr. 21, zu I 3 der Gründe). Daran hält der Senat fest, zumal das Bundesverfassungsgericht die gegen diese Rechtsprechung erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken mit überzeugender Begründung zurückgewiesen hat (BVerfG 3. Juli 2000 – 1 BvR 945/00 – AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 36 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 29).
5. Die Nachwirkung des LGTV 2001 ist aber durch die Vereinbarung vom 20. Februar 2002 ausgeschlossen worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht entschieden.
a) Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Es ist allgemein anerkannt, dass eine “andere Abmachung” iSv. § 4 Abs. 5 TVG auch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung sein kann (Senat 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP TVG § 3 Nr. 13 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14; 28. Mai 1997 – 4 AZR 546/95 – BAGE 86, 43, zu 2b der Gründe).
b) Die Vereinbarung vom 20. Februar 2002 sollte die bevorstehende Nachwirkung des LGTV 2001 ablösen. Das Landesarbeitsgericht hat für das Revisionsgericht bindend festgestellt, dem Kläger seien die Kündigung des LGTV 2001 zum 31. März 2002 und der bevorstehende Verbandsaustritt der Beklagten bekannt gewesen und die Beklagte habe in der Besprechung vom 19. Februar 2002, an der der Kläger teilgenommen hat, ua. erklärt, dass es aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sei, das Entgeltniveau unter das des LGTV 2001 abzusenken, was durch Ziff. 1 der Vereinbarung, die den Monatslohn auf 1.706,67 Euro, dh. niedriger als den Monatslohn von 2.008,35 Euro nach dem LGTV 2001, festlegt, umgesetzt wurde. Die insoweit vom Kläger vorgebrachte Rüge, das Landesarbeitsgericht habe fehlerhaft unterstellt, dem Kläger sei der beabsichtigte Verbandsaustritt bekannt gewesen, geht fehl. Der Kläger hat hinsichtlich dieser Feststellung des Landesarbeitsgerichts keinen Berichtigungsantrag gestellt. Seine dagegen erhobenen Revisionsangriffe sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Kläger in der Berufungsinstanz gegen die entsprechenden Feststellungen des Arbeitsgerichts keine Einwendungen erhoben hat. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung diese Feststellungen nicht ausdrücklich angegriffen, sondern nur pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen verwiesen. Unzutreffend ist auch die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft unterstellt, er habe bei der Unterzeichnung der Vereinbarung die rechtlichen Zusammenhänge zutreffend einordnen können. Das Landesarbeitsgericht hat diese Feststellung nicht ausdrücklich getroffen und sie ergibt sich auch nicht zwingend aus den von dem Kläger gekennzeichneten Ausführungen.
Der Auslegung der Vereinbarung vom 20. Februar 2002 als eine die Nachwirkung ablösende Abmachung steht nicht entgegen, dass der Kläger die vorgesehene Ziff. 2 der Vereinbarung vor seiner Unterschrift gestrichen hat. Ziff. 2 beinhaltet nach dem eindeutigen Wortlaut die Aufhebung einer vertraglichen Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge. Soweit der Kläger demgegenüber geltend macht, er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er weiter nach den tarifvertraglichen Bestimmungen habe vergütet werden wollen, ist das nicht mit der von ihm unterzeichneten Ziff. 1 der Vereinbarung zu vereinbaren. Darin wird eine Vergütung festgelegt, die deutlich unter der des gekündigten LGTV 2001 lag, nach dem der Kläger bis dahin bezahlt worden war. Durch die Streichung der Ziff. 2 konnte die danach eindeutige Regelung in Ziff. 1 nicht beseitigt werden. Die Streichung der Ziff. 2 bewirkt lediglich, dass eine ggf. bestehende arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge im Übrigen, soweit es nicht um die Vergütung geht, aufrecht erhalten bleibt.
c) Die Vereinbarung vom 20. Februar 2002 über die Ablösung der nachwirkenden Vergütungsregelung des LGTV 2001 konnte wirksam schon vor dem Beginn der Nachwirkung ab dem 1. April 2002 abgeschlossen werden. § 4 Abs. 5 TVG schließt die Möglichkeit einer die Nachwirkung ablösenden auf den Ablösungszeitraum gerichteten Abmachung vor Ablauf des Tarifvertrages nicht aus (offen gelassen von BAG 14. Februar 1991 – 8 AZR 166/90 – BAGE 67, 222 und 28. Mai 1997 – 4 AZR 546/95 – BAGE 86, 43, zu 2b bb der Gründe).
aa) Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG steht dem nicht entgegen (aA LAG Berlin 19. Oktober 1990 – 6 Sa 64/90 – NZA 1991, 278). Zwar spricht die gesetzliche Regelung davon, dass nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen weitergelten, “bis” sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden, geht also davon aus, dass die Nachwirkung zunächst eingetreten ist. Daraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass eine ablösende Abmachung nicht auch schon im Voraus getroffen werden kann, wenn es ihr darum geht, den Nachwirkungszeitraum abweichend zu regeln, auch wenn es dadurch nicht dazu kommt, dass ein Tarifvertrag nach seinem Ablauf überhaupt nachwirkt iSv. § 4 Abs. 5 TVG.
bb) Es ist kein rechtlich tragfähiger Grund erkennbar dafür, dass eine die Nachwirkung beendende arbeitsvertragliche Vereinbarung erst nach Eintritt der Nachwirkung getroffen werden kann. Von der Privatautonomie umfasst sind grundsätzlich auch Verträge, die erst in der Zukunft Wirkung entfalten sollen. Das muss auch für eine Vereinbarung gelten, die auf die Ablösung einer Nachwirkung des Tarifvertrages gerichtet ist. Maßgeblich ist insoweit, dass die Vereinbarung dahin gehend ausgelegt werden kann, dass sie – zumindest: auch – die Nachwirkung des beendeten Tarifvertrages beseitigen soll (tendenziell ebenso BAG 21. September 1989 – 1 AZR 454/88 – BAGE 62, 360, 375 f.). Ist dies der Fall, wirkt sie als “andere Abmachung” vom Ende der zwingenden Wirkung des Tarifvertrages an.
d) Der Wirksamkeit der Vereinbarung als ablösende Abrede hinsichtlich der Nachwirkung des LGTV 2001 ab dem 1. April 2002 steht nicht entgegen, dass die Vereinbarung über die niedrigere Vergütung schon ab dem 1. März 2002 gelten sollte.
aa) Zwar konnte für März 2002 der untertarifliche Lohn von 1.706,67 Euro nicht wirksam vereinbart werden. § 4 Abs. 3 TVG bestimmt, dass von tariflichen Ansprüchen abweichende Abmachungen nur zulässig sind, wenn sie eine Regelung zu Gunsten des Arbeitnehmers beinhalten. Da im März 2002 auf Grund der Nachbindung der Beklagten gem. § 3 Abs. 3 TVG der LGTV 2001 noch unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt, konnte arbeitsvertraglich keine niedrigere Vergütung festgesetzt werden. Das ist vorliegend zwischen den Parteien auch nicht mehr streitig, nachdem die Beklagte die restliche tarifliche Vergütung für März 2002 im Vorprozess vergleichsweise anerkannt hat.
bb) Es bedarf insoweit keiner Entscheidung der umstrittenen Frage, ob eine gegen § 4 Abs. 3 TVG verstoßende Regelung nichtig ist oder ob sie durch die unmittelbare und zwingend geltende tarifliche Regelung nur verdrängt wird. Geht man von einer Verdrängung der tarifwidrigen arbeitsvertraglichen Vereinbarung aus, konnte die Vereinbarung vom 20. Februar 2002 erst ab 1. April 2002, dh. mit dem Ablauf des LGTV 2001 am 31. März 2002, die untertarifliche Vergütung wirksam festlegen. Wenn man dagegen die Nichtigkeit der Vereinbarung wegen Verstoßes gegen das Günstigkeitsprinzip, was den Monat März 2002 angeht, annimmt, folgt daraus für den vorliegenden Fall nicht die Unwirksamkeit der gesamten Vereinbarung. Nach dem Maßstab des § 139 BGB ist unter den feststehenden Umständen des Einzelfalles davon auszugehen, dass die Vereinbarung für den Zeitraum ab April 2002 getroffen worden wäre, wenn die Parteien die Unwirksamkeit ihrer Vereinbarung im Hinblick auf den Monat März gekannt hätten. Der Beklagten ging es auf Grund ihrer wirtschaftlichen Situation darum, in jedem Fall eine Minderung der Lohnkosten zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erreichen. Der Kläger hat offenbar die bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beklagten erkannt und deshalb eine Lohnminderung schon ab März 2002 akzeptiert; es gibt keinen Grund für die Annahme, dass er eine erst danach eintretende Minderung abgelehnt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Minderung im März 2002 nicht wirksam vereinbart werden konnte.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Bepler, Bott, Wolter, Dassel, Kiefer
Fundstellen
Haufe-Index 1410677 |
DB 2005, 2305 |
FA 2005, 386 |
NZA 2005, 1320 |
RdA 2006, 308 |
SAE 2005, 295 |
ZTR 2005, 635 |
AP 2007 |
AP, 0 |
EzA-SD 2005, 23 |
EzA |
NJOZ 2005, 4775 |
SPA 2005, 3 |