Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Berufung wegen teilweiser Berufungsrücknahme. beitragspflichtiges Arbeitseinkommen nach dem Hamburger Ruhegeldgesetz (HRGG). Bestätigung von BAG 9. Juli 2003 – 10 AZR 615/02 – AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 37. Prozessrecht. Aufhebungsvertrag. Arbeitslohn. Betriebliche Altersversorgung
Orientierungssatz
- In der Revision ist die Zulässigkeit der Berufung als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu prüfen.
- Nimmt der Berufungskläger seine Anträge freiwillig teilweise zurück, sodass der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung unter 600,00 Euro sinkt (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG), so wird sie unzulässig.
- Das gilt auch dann, wenn die Rücknahme durch den Hinweis des Berufungsgerichts veranlasst wurde, die Berufung werde dadurch nicht unzulässig. Unzutreffende Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit des Rechtsmittels eröffnen weder eine weitere Instanz noch ersetzen sie fehlende oder weggefallene Prozessfortsetzungsbedingungen.
- Eine nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werdende Abfindung gehört nicht zum beitragspflichtigen Entgelt iSd. § 1c Satz 1 des 1. HRGG.
Normenkette
ArbGG § 64 Abs. 2-3; ZPO § 4; UKEStrG § 1; 1. HRGG §§ 1a, 1b, 1c; EStG §§ 8, 19
Verfahrensgang
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 20. November 2002 – 6 Sa 55/02 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Mai 2002 – 28 Ca 380/01 –, soweit sie nicht zurückgenommen worden ist, als unzulässig verworfen wird.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte von einer der Klägerin zu zahlenden Abfindung Ruhegeldbeiträge abziehen darf.
Die Klägerin war seit dem 16. Mai 1983 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Für das nichtwissenschaftliche Personal wurde am 22. September 1999 eine Dienstvereinbarung über personalwirtschaftliche Maßnahmen im Universitäts-Krankenhaus E… (DV-PWM) abgeschlossen. Diese enthält ua. folgende Bestimmung:
Ҥ 8
Abfindung
(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers im gegenseitigen Einvernehmen während der Laufzeit dieser Dienstvereinbarung einen Auflösungsvertrag schließen, erhalten eine Abfindung.
(5) Der Anspruch auf Abfindung entsteht an dem Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, frühestens jedoch mit dem Ende der Rücktrittsfrist nach § 15. Der Anspruch wird mit der Entstehung auch fällig, es sei denn, dass mit der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer auf dessen Wunsch ein späterer Fälligkeitstermin vereinbart wird.”
Auf der Grundlage dieser Dienstvereinbarung schlossen die Parteien am 7. März 2001 einen Aufhebungsvertrag zum Ablauf des 31. März 2001. Im Weiteren bestimmten die Parteien:
“2. Abfindung
Der Arbeitnehmerin wird nach Beendigung der Mitarbeit ab dem 01. April 2001 eine Abfindung in Höhe von Brutto DM 85.216,80 gezahlt. Die steuerliche Behandlung von Abfindung i.e.S. richtet sich nach den geltenden Bestimmungen des Einkommenssteuergesetzes (EStG) und wird von der zuständigen Besoldungs- und Versorgungsstelle automatisch vorgenommen.
3. Rücktrittsrecht
Von diesem Vertrag kann die Arbeitnehmerin binnen vier Wochen nach Vertragsunterzeichnung, längstens jedoch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, zurücktreten.
4. Abschlussbestimmungen
Die Ausführungen der DV-PWM, insbesondere die §§ 7, 8, 9, 11, 12, 13 und 15 sind Bestandteil dieses Vertrages. Eine Kopie der DV PWM wird mit diesem Vertrag ausgehändigt.”
Die Beklagte ließ nach § 3 Nr. 9 EStG (in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes vom 24. März 1999, BGBl. I S. 402) von der Abfindung 20.000,00 DM steuerfrei. Von den restlichen, zu versteuernden 65.216,80 DM behielt die Beklagte 1,25 % oder 815,21 DM (416,81 Euro) als Beitrag der Klägerin nach dem Ersten Hamburger Ruhegeldgesetz (1. HRGG) ein. Außerdem leistete die Beklagte den Nettobetrag der Abfindung iHv. 58.680,69 DM erst am 11. April 2001 und zahlte keinen anteiligen Ausgleich für die tariflichen Sonderzuwendungen gem. § 12 der DV-PWM.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vier Ansprüche geltend gemacht:
- Verzugszinsen wegen verspäteter Zahlung der Abfindung,
- Abgeltung der tariflichen Sonderzuwendungen,
- Bonuszahlung,
- Auszahlung des einbehaltenen Beitrags.
Zum Lohneinbehalt hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Abfindung sei kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne des 1. HRGG. Sie hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie zu zahlen
- 150,94 DM Verzugszinsen;
- 1.372,86 DM brutto als Abgeltung für tarifliche Sonderzahlungen nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 1. April 2001;
- 815,21 DM netto (einbehaltener Beitrag nach dem 1. HRGG);
- 6000,00 DM brutto als “Zeitbonus” nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 1. April 2001.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat zum Lohneinbehalt die Auffassung vertreten, die Definition des steuerpflichtigen Arbeitsentgelts im Sinne des HRGG sei dem Einkommenssteuergesetz zu entnehmen. Nach § 8 Abs. 1 iVm. § 19 Abs. 1 EStG fielen sämtliche Güter, die in Geld oder Geldeswert bestünden, unter das steuerpflichtige Arbeitsentgelt, also auch Abfindungen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich der Bonuszahlung abgewiesen, ihr im Zinsanspruch teilweise und hinsichtlich der Abgeltung der tariflichen Sonderzahlungen und der einbehaltenen Ruhegeld-Beiträge ganz stattgegeben.
Die Beklagte hat zunächst uneingeschränkt Berufung eingelegt, beschränkte diese aber später insoweit, als sie gemäß den Anträgen zu 2. und 3. verurteilt worden war.
Zwischenzeitlich hatte sich die Klägerin eine vollstreckbare Kurzausfertigung des arbeitsgerichtlichen Urteils besorgt und die Beklagte aufgefordert, die erstinstanzlich zugesprochenen Beträge bis zum 13. Juli 2002 zu zahlen, andernfalls sie mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen rechnen müsse. Daraufhin zahlte die Beklagte die der Klägerin zugesprochenen Zinsen sowie – hinsichtlich des Antrags zu 2. – 701,93 Euro (1.372,86 DM), nicht aber den unter Berufung auf das 1. HRGG einbehaltenen Betrag. Die Zahlungen wollte die Beklagte zunächst ausschließlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geleistet haben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärte dessen Vorsitzende, dass für die Berufung hinsichtlich des Klageantrags zu 2. materiell-rechtlich keine Erfolgsaussicht bestünde. Eine Berufungsrücknahme werde insoweit nahe gelegt. Die Zulässigkeit der Berufung werde durch eine Unterschreitung des Beschwerdewertes im Verlauf des Berufungsverfahrens nicht berührt, sodass die Beklagte das von ihr eingelegte Rechtsmittel auch teilweise zurücknehmen könne, ohne dass dessen Zulässigkeit in Frage gestellt sei.
Daraufhin nahm die Beklagte die Berufung hinsichtlich des Antrags zu 2. zurück. Ihre restliche Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht als unbegründet zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel einer Abweisung des Klageantrags zu 3. weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, weil bereits ihre Berufung unzulässig geworden war. Davon abgesehen wäre sie auch materiell-rechtlich unbegründet gewesen.
Die Berufung der Beklagten ist unzulässig geworden.
1. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine vom Senat von Amts wegen zu prüfende Prozessfortsetzungsbedingung (BAG 25. Oktober 1973 – 2 AZR 526/72 – AP ZPO § 518 Nr. 22 = EzA ZPO § 518 Nr. 7; 6. Oktober 1960 – 5 AZR 261/60 – AP ZPO § 212a Nr. 1). Fehlt es daran, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist insoweit ohne Bedeutung (vgl. BGH 4. Juni 1992 – IX ZB 10/92 – AP ZPO § 286 Nr. 16).
2. Die zunächst uneingeschränkt, sodann mit der Berufungsbegründung auf die Anträge zu 2. und 3. beschränkte Berufung war nach dem Beschwerdewert der angegriffenen Urteilsteile zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG). Mit der Einschränkung ihres Antrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht sank jedoch der Wert ihres Beschwerdegegenstandes von 1.118,74 Euro auf 416,81 Euro und damit unter den in § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG vorausgesetzten Wert von mehr als 600,00 Euro/1.200,00 DM. Zwar ist zunächst für die Ermittlung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nach § 4 Abs. 1 ZPO auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels abzustellen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts können aber spätere Veränderungen des Beschwerdegegenstandes nach Rechtsmitteleinlegung nicht außer Betracht bleiben. Schränkt der Rechtsmittelkläger, ohne durch äußere Umstände dazu genötigt zu sein, seine Anträge freiwillig ein, so kann er keine günstigere Behandlung beanspruchen, als wenn er das Rechtsmittel von vornherein in unzulässigem Umfang eingelegt hätte (BAG 17. August 1961 – 5 AZR 311/60 – AP ZPO § 91a Nr. 9; BGH 8. Oktober 1982 – V ZB 9/82 – NJW 1983, 1063; BAG 9. Juli 2003 – 10 AZR 615/02 – AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 37).
Der Freiwilligkeit der Einschränkung könnte nur eine objektive Veränderung der materiellen Rechtslage entgegenstehen. Dafür sind keine Anzeichen erkennbar. Es kommt nicht darauf an, ob die Einschränkung durch Hinweise der Berufungskammer in der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2002 veranlasst wurde. Misst auf Grund materiell-rechtlicher Hinweise der Rechtsmittelkläger der Berufung insoweit keine Erfolgsaussicht mehr bei und nimmt er daher die Berufung teilweise zurück, so liegt ein Fall der freiwilligen Beschränkung vor (Hanseatisches OLG 15. Juli 1997 – 3 U 110/97 – NJW-RR 1998, 356). Dies gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht erklärt hat, das Rechtsmittel sei auch nach teilweiser Berufungsrücknahme zulässig. Verfahrensfehler des Gerichts eröffnen weder eine weitere Instanz noch ersetzen sie fehlende oder weggefallene Prozessfortsetzungsbedingungen. Es liegt in der Verantwortung der Beklagten und ihres Prozessbevollmächtigten, die Rechtsfolgen der Einschränkung des Rechtsmittels zu prüfen. Wenn auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung die Entscheidung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juli 2003 nicht bekannt sein konnte, so gab es doch gegenüber der vom Berufungsgericht zitierten und für zutreffend gehaltenen Rechtsauffassung erhebliche Gegenauffassungen sowohl in der Rechtsprechung wie der Literatur.
Indes hätte auch einer vollumfänglich weitergeführten Berufung der Beklagten im hier noch interessierenden Streitpunkt kein materiell-rechtlicher Erfolg beschieden sein können. Die der Klägerin zu zahlende Abfindung ist kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne des 1. HRGG.
1. Auf das 1983 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien ist das 1. HRGG in der Fassung des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Ersten Ruhegeldgesetzes (Gesetz zur Änderung ruhegeldrechtlicher Vorschriften vom 14. Juli 1999, HambGVBl. S. 148) anzuwenden (Art. 1 § 1 Abs. 1 iVm. Art. 6 2. HRGG, HambGVBl. 1995 S. 53). Das 1. HRGG lautet in Abschn. 1a, Beiträge, auszugsweise wie folgt:
Ҥ 1a
Grundlagen, Beitragssatz
Die Arbeitnehmer leisten einen Beitrag zu den Versorgungsausgaben. Der Anfangsbeitragssatz beträgt 1,25 vom Hundert.
…
§ 1b
Beginn und Ende der Beitragspflicht
Die Beitragspflicht beginnt mit dem Tag der Begründung und endet mit dem Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Satz 1 gilt nicht für Zeiten vor Vollendung des Siebzehnten Lebensjahres, für Zeiten ohne Bezüge und für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nach § 5 Absatz 2 oder 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch nicht der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
§ 1c
Bemessungsgrundlage
Grundlage für die Erhebung des Beitrags ist das als Arbeitnehmer der Freien und Hansestadt Hamburg erzielte steuerpflichtige Arbeitsentgelt. Der Beitrag wird vom Arbeitsentgelt einbehalten.
…”
2. Bereits dem Wortlaut nach fällt die nach Ziff. 2 des zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrags vom 7. März 2001 zu zahlende Abfindung nicht unter das beitragspflichtige Entgelt im Sinne des 1. HRGG. Denn danach ist der Klägerin die Abfindung erst “nach Beendigung der Mitarbeit ab dem 1. April 2001” zu zahlen. Gem. § 1b Satz 1 1. HRGG hatte jedoch die Beitragspflicht der Klägerin mit dem Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also mit dem 31. März 2001 geendet. Weiter setzt § 1c Satz 1 1. HRGG voraus, dass das steuerpflichtige Arbeitsentgelt nur dann Grundlage für die Beitragserhebung ist, wenn es “als Arbeitnehmer der Freien und Hansestadt Hamburg erzielt” wurde. Sowohl nach Ziff. 2 des Aufhebungsvertrags vom 7. März 2001 als auch gem. § 8 Abs. 5 DV-PWM entstand der Abfindungsanspruch der Klägerin erst an dem Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
3. Im Übrigen hat das Berufungsgericht zutreffend gesehen, dass auch nach der Zielrichtung des 1. HRGG für die Beitragspflicht maßgeblich auf “Arbeitsentgelt” und nicht auf “steuerpflichtig” abgestellt wird. Entgegen der Beklagtenauffassung ist nicht jede zu versteuernde Zahlung zugleich auch beitragspflichtig. Es muss sich vielmehr um Entgelt handeln, das durch geleistete Arbeit “erzielt” wird (§ 1c Satz 1 1. HRGG). Von diesem für geleistete Arbeit gezahlten Entgelt sollen nur die Anteile Grundlage für die Beitragserhebung sein, die auch steuerpflichtig sind. Steuerfreies Entgelt für geleistete Arbeit soll dagegen durch Beiträge nicht belastet werden. Die der Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlte Abfindung wird jedoch nicht für geleistete Arbeit gezahlt, sondern für den Verlust sozialen Besitzstandes und künftiger Einkommenschancen.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Schoden, V. Ludwig
Fundstellen
Haufe-Index 1164173 |
NZA 2004, 808 |
ZTR 2004, 651 |
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 14 |
EzA |
NJOZ 2004, 2604 |