Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Urlaubsentgelts nach Mehrarbeit
Leitsatz (amtlich)
- Erhält ein Arbeitnehmer für einen zusammenhängenden Zeitraum Urlaub aus zwei Urlaubsjahren, so beginnt sein Urlaub nur einmal im Sinne des § 66 Abs. 2 MTV. Das trifft auch dann zu, wenn der Arbeitnehmer für den Freistellungszeitraum zwei Anträge gestellt hat.
- Hat der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum vor Beginn des Urlaubs nicht in jedem Monat Mehrarbeit geleistet, ist nach § 66 Abs. 2 MTV die Mehrarbeit bei der Berechnung des Urlaubsentgelts nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Angestellten des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus vom 16. Juli 1973 in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung (MTV) §§ 20, 66-67; BUrlG § 11
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 27.03.1990; Aktenzeichen 8 (4) Sa 62/90) |
ArbG Wesel (Urteil vom 09.11.1989; Aktenzeichen 4 Ca 1969/89) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. März 1990 – 8 (4) Sa 62/90 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des tariflichen Urlaubsentgelts.
Der Kläger ist seit September 1985 bei der Beklagten als technischer Angestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien war der Manteltarifvertrag für die Angestellten des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus vom 16. Juli 1973 in der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung (MTV) anzuwenden. In dessen § 66 war u.a. bestimmt:
- “
- Für die Dauer des Urlaubs erhält der Angestellte die Einkommensbezüge, die er verdient haben würde, wenn er bei gleicher Beschäftigung weitergearbeitet hätte. Der Berechnung werden die Bezüge des letzten Kalendermonats vor dem Urlaubsantritt zugrunde gelegt. Umgruppierungen und tarifliche Gehaltsänderungen sind zu berücksichtigen.
- Bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes gemäß Absatz 1 ist nur die Mehrarbeit zu berücksichtigen, die der Angestellte in den letzten drei Kalendermonaten vor Beginn des Urlaubs (Rahmenfrist) geleistet hat, wenn er in jedem der drei Monate Mehrarbeit geleistet und diese innerhalb der Rahmenfrist insgesamt mindestens 24 Stunden erreicht hat. Die Berücksichtigung von Mehrarbeit im Urlaubsentgelt entfällt, wenn der genehmigte Urlaub nicht mehr als drei Arbeitstage beträgt.”
Der Kläger hatte Jahresurlaub 1988 u.a. in der Zeit vom 12. Dezember 1988 bis 6. Januar 1989. Die Arbeitstage vom 24. Dezember bis 31. Dezember 1988 waren keine Urlaubstage. Sie waren als tarifvertragliche Ruhetage und als tarifvertragliche Blockfreischicht bzw. wegen vorgezogener Arbeit arbeitsfrei. Im Anschluß an das Wochenende 7./8. Januar 1989 hatte der Kläger in der Zeit vom 9. Januar bis 26. Januar 1989 weiteren Urlaub aus dem Urlaubsjahr 1989. Für den gesamten Zeitraum hatte der Kläger zwei Urlaubsanträge gestellt, denen die Beklagte am 30. November 1988 für den Jahresurlaub 1988 und am 5. Dezember 1988 für den Jahresurlaub 1989 entsprach. Der Kläger leistete in den Monaten Oktober, November und Dezember 1988 Mehrarbeit, nicht aber im September 1988. Bei der Bemessung des Urlaubsentgelts hat die Beklagte diese Mehrarbeiten nicht berücksichtigt.
Der Kläger hat gemeint, die im letzten Quartal 1988 erbrachte Mehrarbeitsleistung sei bei der Berechnung des Urlaubsentgelts für den zweiten Urlaub im Januar 1989 zu berücksichtigen. Er habe im Januar 1989 einen zweiten Urlaub begonnen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 801,10 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem Tag der Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe nur einmal am 12. Dezember 1988 seinen Urlaub begonnen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verlangt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein höheres Urlaubsentgelt für die Urlaubstage im Januar 1989 nach § 66 Abs. 2 MTV. Der Kläger hat seinen Urlaub, der unter Einbeziehung der freien Arbeitstage im Dezember 1988 vom 12. Dezember 1988 bis 26. Januar 1989 andauerte, im Sinne des Tarifvertrages nur einmal begonnen. Ein erneuter Beginn des Urlaubs setzt eine Tätigkeit des Arbeitnehmers zwischen zwei urlaubsrechtlichen Freistellungszeiträumen voraus. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrages.
1. Die Tarifvertragsparteien haben ebensowenig wie der Gesetzgeber für den gleichlautenden Begriff in § 11 BUrlG definiert, was sie unter “Beginn des Urlaubs” verstehen. Ihr Wille ist daher durch Auslegung zu ermitteln.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Merkmale wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags, gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Urteil vom 10. Januar 1991 – 6 AZR 352/89 – AP Nr. 4 zu § 18 MTB II, m.w.N.).
2. Die Auslegung nach diesen Regeln ergibt, daß keine Gesichtspunkte dafür sprechen, daß die Tarifvertragsparteien bei einer zusammenhängenden Freizeit wie im Streitfall von einem zweifachen Urlaubsbeginn ausgehen. Vielmehr sind nur Anhaltspunkte für einen einmaligen Beginn festzustellen.
a) Der Wortlaut der Tarifvorschrift ist für den Fall einer zusammenhängenden Freizeit, in der die Freistellung von der Arbeit auf verschiedenen Rechtsgründen beruht, nicht eindeutig. Der Tarifbegriff “Beginn des Urlaubs” kann sich auf den tatsächlichen Anfang der Freizeit beziehen. Die Tarifvertragsparteien können den Begriff allerdings auch rechtlich bezogen auf die Freistellungen des jeweiligen Urlaubsjahres verstanden haben. Dann hätte im Fall des Klägers am 9. Januar 1989 ein neuer Urlaub begonnen.
b) Der Wortlaut der anderen Vorschriften des Abschnitts über den Urlaub im Manteltarifvertrag läßt ebenfalls nicht eindeutig erkennen, was die Tarifvertragsparteien unter Beginn des Urlaubs verstanden wissen wollen. Sie haben die Unterbrechung des Urlaubs im betrieblichen Interesse als statthaft geregelt und dafür Anrechnungs- und Kostenbestimmungen normiert, § 67 MTV. Die Vorschrift besagt allerdings auch nicht, ob nach einer betriebsbedingten Unterbrechung des Urlaubs dieser danach erneut im Sinne des § 66 Abs. 2 MTV “beginnt”.
c) Tarifliche Ausnahmevorschriften sind eng auszulegen. § 66 Abs. 2 MTV ist eine Ausnahmevorschrift. Die Tarifvertragsparteien wollten nicht jede Mehrarbeit mit einem erhöhten Urlaubsentgelt honorieren. Die Mehrarbeit muß mindestens 24 Stunden lang geleistet und innerhalb der Rahmenfrist von drei Monaten verteilt sein. Die enge Auslegung verbietet es anzunehmen, die Tarifvertragsparteien hätten gewollt, der Arbeitnehmer solle über den Wortlaut hinaus durch zweimaligen Urlaubsbeginn begünstigt werden.
d) Der Zweck der Tarifnorm, dem Angestellten, der längere Zeit und regelmäßig Mehrarbeit geleistet und sich an den Mehrverdienst gewöhnt hat, diesen Standard auch im Urlaub zu erhalten, läßt sich auch erreichen, wenn eine zusammenhängende Freistellung, die mit Ansprüchen aus zwei Urlaubsjahren begründet ist, nur einmal im Sinne des Tarifvertrags beginnt. Hätte der Kläger in den Monaten September bis November 1988 mehr als 24 Mehrarbeitsstunden geleistet, hätte er für alle Urlaubstage im Dezember 1988 und im Januar 1989 ein höheres Urlaubsentgelt bekommen.
e) Praktikabilitätsgesichtspunkte sprechen gegen einen zweimaligen Beginn. § 66 Abs. 2 MTV muß als Berechnungsvorschrift einfach handhabbar sein und legt deshalb feste, sofort ablesbare Daten wie die letzten drei Kalendermonate und den Beginn des Urlaubs fest. Diese Funktion ginge verloren, müßte der Berechnende zur Bestimmung der einen Zeitkomponente erst eine rechtliche Subsumtion vornehmen.
f) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß eine zweimalige Beantragung von Urlaub nicht zu einem zweimaligen Beginn des Urlaubs im Sinne des § 66 Abs. 2 MTV führen muß Geswirkt ein zweiter Antrag des Arbeitsnehmers die Verlängerung des im vor beantragten und gewährten Urlaubs ohne Unterbrechung, beginnt bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch der Arbeitnehmer nur einmal einen zusammenhängenden Urlaub. Ohne Bedeutung für die Auslegung des Tarifbegriffs sind auch die urlaubsrechtlichen Vorgaben, daß der Urlaub des Jahres 1989 erst nach seiner Entstehung gewährt werden kann.
g) Der Urlaub des Klägers ist auch nicht durch das Wochenende 7./8. Januar 1989 unterbrochen. Zwar bezog sich die Urlaubsgewährung der Beklagten nicht auf diese Tage. Das war auch rechtlich nicht möglich, weil für den Kläger an diesem Wochenende keine Arbeitspflicht bestand, von der er hätte befreit werden können. Die in § 20 MTV normierte Pflicht, an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen zu arbeiten, soweit solche Arbeiten für die Aufrechterhaltung und Wiederaufnahme des werktägigen Produktions- und Dienstleistungsbetriebes nötig und nach den gesetzlichen Bestimmungen zulässig sind, führt nur zu einer Unterbrechung des Urlaubs und erneutem Beginn, wenn der Arbeitnehmer nach entsprechender Aufforderung Arbeit am Wochenende geleistet hat.
h) Zu Unrecht beruft sich die Revision auf einen angeblichen Grundsatz, wonach für den Fall einer möglichen Auslegung in mehrere Richtungen die für den Arbeitnehmer ungünstigere zu vermeiden sei. Ein solcher Grundsatz ist den Regeln über die Auslegung von Gesetzen und Tarifverträgen nicht zu entnehmen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Lipke, Dörner, Holst
Der ehrenamtliche Richter Binzek ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Dr. Leinemann
Fundstellen
Haufe-Index 838637 |
NZA 1993, 85 |
RdA 1992, 403 |