Entscheidungsstichwort (Thema)
Unverfallbarkeitsfrist und Wartezeit. Vorschaltzeit und Eintritt der Unverfallbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Sagt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis zu, ihm nach einer festgelegten Zeitspanne eine Versorgungszusage zu erteilen, und verbleibt dem Arbeitgeber nach deren Ablauf kein Entscheidungsspielraum, ob er die Zusage erteilt oder nicht, so beginnt die Unverfallbarkeitsfrist schon mit dem Zeitpunkt der „Zusage der Zusage”.
Orientierungssatz
1. Die Unverfallbarkeitsfrist ist eine der privatautonomen Gestaltung zu Lasten der Arbeitnehmer entzogene gesetzliche Mindestbeschäftigungszeit, die ein Arbeitnehmer bis zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zurückgelegt haben muss, um zumindest einen Teil der versprochenen Versorgung beanspruchen zu können.
2. Wartezeit im Sinne des Betriebsrentengesetzes ist eine privatautonom festgelegte Mindestbeschäftigungszeit, die ein Arbeitnehmer nach dem Willen des Arbeitgebers im Beschäftigungsverhältnis zurückgelegt haben muss, um den vollen Betriebsrentenanspruch zu erwerben. Der Arbeitgeber ist bei der Festlegung einer solchen Wartezeit frei, so lange er sich damit nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht setzt.
3. Hat ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer die Zusage erteilt, er werde ihm in Zukunft eine Versorgungszusage geben, handelt es sich um eine Vorschaltzeit. Sie kann bei einer entsprechenden Regelung in der Versorgungsordnung als Verlängerung einer für den Vollanspruch verlangten Wartezeit wirken. Ob bereits während der Vorschaltzeit die Unverfallbarkeitsfrist zu laufen beginnt, hängt davon ab, inwieweit die „Zusage einer Zusage” ein einer Versorgungszusage entsprechendes Vertrauen des Arbeitnehmers begründet, es hänge nur noch von der weiteren Beschäftigung im Betrieb und dem Erreichen des Versorgungsfalls ab, ob er einen Versorgungsanspruch erwirbt oder nicht. Die „Zusage einer Zusage” steht einer Versorgungszusage iSd. § 1 Abs. 1 BetrAVG aF (= § 1b Abs. 1 BetrAVG nF) mit der Folge eines Beginns der Unverfallbarkeitsfrist dann gleich, wenn der Arbeitgeber auf ihrer Grundlage keinen Entscheidungsspielraum mehr hat, ob er die Zusage nach Ablauf der Vorschaltzeit erteilt oder nicht. Auf die Länge der Vorschaltzeit kommt es nicht an. Dies gilt auch dann, wenn eine arbeitsvertragliche Probezeit innerhalb eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses als Vorschaltzeit festgelegt ist.
Normenkette
BetrAVG § 1 a.F. (§ 1b nF), §§ 2, 17 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. November 2002 – 16 Sa 1162/02 – aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. März 2002 – 40 Ca 26662/01 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger während seiner Beschäftigung bei der Beklagten eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben hat.
Der Kläger ist am 4. Juni 1958 geboren. Er war bei der Beklagten seit dem 18. November 1991 als Sachbearbeiter/Bauleiter beschäftigt. In dem schriftlichen Anstellungsvertrag, der als Beginn des Arbeitsverhältnisses den 18. November 1991 sowie die Gehaltshöhe und die Höhe des Jahresurlaubs, die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation und die möglichen Einsatzorte für den Kläger festlegt, heißt es im hier Wesentlichen wörtlich:
„§ 3
Die ersten 6 Monate des Anstellungsverhältnisses gelten als Probezeit. Während dieser Zeit kann der Anstellungsvertrag beiderseits mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden.
Danach beträgt die Kündigungsfrist 3 Monate zum Quartalsende.
…
§ 8
Nach Ablauf der Probezeit erteilt S Herrn K eine freiwillige Pensionszusage gemäß den Richtlinien der betrieblichen Sozialordnung.
…”
In der „Sozialordnung”, die von der Beklagten einseitig aufgestellt worden war und die dem Kläger bei Arbeitsvertragsschluss überreicht wurde, finden sich unter 4.3
Regelungen über „Betriebliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung”, wonach „als Beitrag zur Versorgung im Alter … der/die Mitarbeiter(in) nach Beendigung der Probezeit eine freiwillige Pensionszusage” erhält. Vollzeitkräften steht hiernach ab Vollendung des 65. Lebensjahres lebenslänglich eine monatliche Betriebsrente von 300,00 DM zu. Sie „setzt eine ununterbrochene Mindestbetriebszugehörigkeit von 10 Jahren voraus”, wobei nur ununterbrochene Dienstjahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zählen.
Die Beklagte gab dem Kläger nach Ablauf der Probezeit keine besondere Zusage über eine betriebliche Altersversorgung. Eine solche gesonderte Erklärung war gegenüber den Mitarbeitern auch allgemein nicht üblich.
Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund einer fristgerechten Kündigung vom 24. September 2001 zum Ablauf des 31. Dezember 2001, die ursprünglich Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits war und bereits in Erster Instanz durch einen Teilvergleich gegen Zahlung einer Abfindung übereinstimmend bestätigt worden war.
Der Kläger hat geltend gemacht, er habe durch sein mehr als zehnjähriges Beschäftigungsverhältnis bei der Beklagten eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben. Er hat beantragt
festzustellen, dass er bei der Beklagten eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung gemäß der betrieblichen Sozialordnung der Beklagten erworben hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sowohl aus dem Arbeitsvertrag als auch aus der betrieblichen Sozialordnung ergebe sich, dass die zehnjährige Wartefrist erst ab dem Ende der Probezeit (18. Mai 1992) gelaufen sei. Vorschaltzeiten als Anspruchsvoraussetzung seien nicht verboten. Das Betriebsrentengesetz habe die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers nicht beeinträchtigt. Zudem habe sie nach Ablauf der Probezeit noch darüber entscheiden können, ob sie eine Pensionszusage geben wolle oder nicht, wie sich aus der ausdrücklichen „Freiwilligkeit” der Pensionszusage im Arbeitsvertrag und in der Sozialordnung ergebe.
Während das Arbeitsgericht dem Klageantrag entsprochen hat, hat das Landesarbeitsgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten hin abgewiesen. Mit seiner Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils Erster Instanz an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Er hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts durch seine Tätigkeit bei der Beklagten eine nach § 1 Abs. 1 Satz 1 (1. Alternative) BetrAVG aF unverfallbare Versorgungsanwartschaft nach Maßgabe der Sozialordnung der Beklagten erworben. Dabei steht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem Senat fest, dass es um die Sozialordnung in der zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers geltenden Fassung vom 1. April 1994 geht. Diese ist von der dynamischen Verweisung im Arbeitsvertrag mitumfasst und stimmt im hier interessierenden Zusammenhang mit der ursprünglichen Fassung vom 1. Januar 1990 überein. Das durch Berufung angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb im Ergebnis richtig, so dass die dieses Urteil abändernde Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist.
I. Das Landesarbeitsgericht, das die Rechtsprechung des Senats zu den so genannten Vorschaltzeiten zur Kenntnis genommen hat, hat seine klageabweisende Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, es sei von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wenn ein Arbeitgeber freiwillig übernommene Verpflichtungen der betrieblichen Altersversorgung an den Zeitpunkt anknüpfen wolle, zu dem seine rechtliche Bindung an den Arbeitnehmer eine qualitative rechtliche Steigerung erfahre. Vorangegangene Zeiten müssten deshalb bei der Berechnung der Unverfallbarkeitsfrist nicht mitberücksichtigt werden, auch wenn schon zuvor eine Versorgungszusage in Aussicht gestellt worden sei.
II. Dem ist nicht zu folgen. Der Ansatz des Landesarbeitsgerichts unterscheidet nicht zwischen einer privatautonom festgelegten Wartezeit und den gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen. Eine Wartezeit ist die vom Arbeitgeber in seiner Versorgungszusage als Voraussetzung für einen Vollanspruch auf betriebliche Altersversorgung festgelegte Mindestbeschäftigungszeit. Die Unverfallbarkeitsfrist ist demgegenüber eine der privatautonomen Gestaltung zu Lasten des Arbeitnehmers entzogene (§ 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG) gesetzlichen Festlegung der Mindestbeschäftigungszeit, die bis zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zurückgelegt sein muss, damit ein im Zweifel nach § 2 BetrAVG zu berechnender Teilrentenanspruch erworben wird.
1. Der Arbeitgeber ist bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs frei, einen Zeitraum festzulegen, den ein Arbeitnehmer mindestens im Arbeitsverhältnis zurückgelegt haben muss, um einen Versorgungsanspruch zu erwerben. Er kann auch festlegen, zu welchem Zeitpunkt diese sog. Wartezeit zu laufen beginnt, und bestimmen, von welcher Beschäftigungsdauer an Betriebszugehörigkeitszeiten anwartschaftssteigernd wirken (vgl. auch Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Bode/Pühler BetrAVG § 1b Rn. 54). Diese Gestaltungsfreiheit ist seiner Bereitschaft geschuldet, sich freiwillig zu einer von ihm zu finanzierenden betrieblichen Zusatzversorgung zu verpflichten.
Hiervon grundlegend zu unterscheiden sind die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen nach § 1 Abs. 1 BetrAVG aF (= § 1b BetrAVG nF). Mit ihnen hat der Gesetzgeber im Anschluss an das grundlegende Urteil des Senats vom 10. März 1972 (–3 AZR 278/71 – BAGE 24, 177, 186) um des schützenswerten Vertrauens der von einer Versorgungszusage begünstigten Arbeitnehmer willen in das privatautonome Versorgungsversprechen eingegriffen und schon dem eine rechtlich geschützte Rechtsposition zuerkannt, der zwar nicht die für die Versorgungsleistung erwartete Gegenleistung, Betriebstreue bis zum Versorgungsfall, wohl aber einen bestimmten Teil hiervon erbracht hat, den der Gesetzgeber als so wesentlich eingeschätzt hat, dass nach seinem Ablauf ein rechtlich zu schützendes Vertrauen der begünstigten Arbeitnehmer darauf entstanden ist, die auch im Hinblick auf die in Aussicht gestellten Versorgungsleistungen erbrachte Arbeitsleistung werde selbst bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht gänzlich ohne Gegenleistung in Form von Versorgungsentgelt bleiben.
Diese gesetzliche Festlegung kann durch eine privatautonom festgelegte Wartezeit nicht aufgehoben werden, wie sich insbesondere in § 1 Abs. 1 Satz 5 BetrAVG aF (= § 1b Abs. 1 Satz 5 BetrAVG nF) und dem gleichzeitig gebotenen Umkehrschluss aus dieser Vorschrift zeigt: Nach dieser Bestimmung wird der Ablauf der vorgesehenen Wartezeit durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Erfüllung der für die Unverfallbarkeit einer Versorgungsanwartschaft erforderlichen Beschäftigungszeit nicht berührt. Das heißt in unmittelbarer Anwendung, dass eine unverfallbare Anwartschaft und der sich daraus nach § 2 BetrAVG ergebende Teilanspruch auch dann besteht, wenn die vertraglich festgelegte Wartezeit beim Ausscheiden noch nicht abgelaufen ist; dabei kann der (Teil-)Anspruch entsprechend der Versorgungszusage frühestens dann fällig werden, wenn die Wartezeit verstrichen ist (BAG 7. Juli 1977 –3 AZR 422/76 – AP BetrAVG § 1 Wartezeit Nr. 1 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 2; 3. Mai 1983 – 3 AZR 1263/79 – BAGE 42, 312). Im Umkehrschluss ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass dann, wenn der Arbeitnehmer aus der Sicht bei Vertragsbeginn die Wartezeit als Voraussetzung für den Vollanspruch bis zu einem vertraglich festgeschriebenen Ende des Arbeitsverhältnisses nicht erreichen konnte, er selbst dann keine unverfallbare Anwartschaft erwirbt, wenn er die gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen im Betrieb zurückgelegt hat. So kann nach dem Wortlaut vieler Versorgungsordnungen, deren Rechtswirksamkeit hier unterstellt werden kann (Bedenken bei Birk BetrAV 2003, 197), beispielsweise ein Beschäftigter keine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erwerben, der 48-jährig in ein auf die Vollendung des 65. Lebensjahres wirksam befristetes Arbeitsverhältnis eintritt, in welchem für den Erwerb des Vollanspruchs verlangt wird, dass eine zwanzigjährige Wartezeit im Betrieb zurückgelegt wurde. Wer auf Grund der privatautonom festgelegten Anspruchsvoraussetzungen nie darauf vertrauen durfte, dass er einen vollen Versorgungsanspruch erwerben würde, kann auch keine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erwerben (BAG 7. Juli 1977 – 3 AZR 570/76 – BAGE 29, 227).
2. Aus diesen rechtlichen Erwägungen folgt, dass die zeitlichen Festlegungen, die Arbeitsvertrag und Sozialordnung für den Erwerb eines Versorgungsanspruchs vornehmen, grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung für die Beantwortung der Frage haben, ob der Kläger eine unverfallbare Anwartschaft erworben hat. Sie wären bedeutsam geworden, wenn ein Versorgungsfall vor ihrem Ablauf eingetreten wäre; sie hätten dann die Entstehung des entsprechenden Betriebsrentenanspruchs, etwa auf Hinterbliebenenversorgung, ausgeschlossen. Eine solche Fallgestaltung steht vorliegend nicht in Rede. Die Rechtsfrage lautet ausschließlich, ob der Kläger bis zu seinem Ausscheiden in dem von § 1 Abs. 1 BetrAVG aF für eine unverfallbare Anwartschaft geforderten Umfang schützenswertes Vertrauen darauf erworben hat, dass er mit Erreichen der festen Altersgrenze einen Versorgungsanspruch gegenüber der Beklagten haben wird.
Dies ist der Fall. Der Kläger konnte bei seinem Eintritt in das Arbeitsverhältnis – er war nur etwas über 33 Jahre alt – die Wartezeit bis zu seinem 65. Lebensjahr ohne weiteres erfüllen. Er war auch insgesamt mehr als zehn Jahre, nämlich zehn Jahre, ein Monat und 13 Tage Arbeitnehmer der Beklagten. Während dieser gesamten Zeit bestand für ihn eine Versorgungszusage iSd. § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BetrAVG aF.
Dem steht nicht entgegen, dass er bei Vertragsschluss „nur” eine Zusage hatte, dass die Beklagte ihm „nach Ablauf der Probezeit … eine freiwillige Pensionszusage” „erteilt”. Hiermit hat die Beklagte in die vertraglichen Regelungen lediglich eine sogenannte Vorschaltzeit aufgenommen. Sie schiebt den Beginn des Laufs der Unverfallbarkeitsfrist nicht hinaus.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Zusage einer Versorgungszusage für einen bestimmten Zeitpunkt während des laufenden Arbeitsverhältnisses als Versorgungszusage iSv. § 1 Abs. 1 BetrAVG aF anzusehen, wenn und soweit das Erstarken einer Anwartschaft zum Vollrecht nur noch vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und vom Eintritt des Versorgungsfalls abhängt, dem Arbeitgeber also nach Ablauf der vereinbarten Vorschaltzeit kein Entscheidungsspielraum mehr über den Inhalt und den Umfang der zu erteilenden Zusage bleibt (seit 7. Juli 1977 – 3 AZR 572/76 – BAGE 29, 234, 237; zustimmend Kemper/Kisters-Kölkes/ Berenz/Bode/Pühler BetrAVG § 1b Rn. 54 f.; Höfer BetrAVG Band I ART. Rn. 824 ff.; ErfK/Steinmeyer § 1b BetrAVG Rn. 15; Schoden BetrAVG § 1 Rn. 30 ff.; Langohr-Plato Betriebliche Altersversorgung Rn. 280 mwN auch zur einschlägigen Senatsrechtsprechung; im Ergebnis auch –allerdings im Sinne einer analogen Anwendung des § 1 Abs. 1 BetrAVG aF –Andresen/Förster/Rößler/Rühmann Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung Teil 10 A Rn. 275 ff. mit zahlreichen Nachw. zu älterer entgegenstehender Literatur; kritisch aus neuerer Zeit im Wesentlichen Blomeyer/Otto BetrAVG § 1b Rn. 58 ff. im Anschluss an ältere Veröffentlichungen ua. Anm. zu EzA BetrAVG § 1 Nr. 4). Dabei unterscheidet der Senat nicht zwischen Individualzusagen und Zusagen im Rahmen eines kollektiven Versorgungswerks (13. Juli 1978 – 3 AZR 278/77 –AP BetrAVG § 1 Wartezeit Nr. 4 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 4; aA Lieb Gem. Anm. zu EzA BetrAVG § 1 Nrn. 1 – 3; Blomeyer Anm. zu EzA BetrAVG § 1 Nr. 4).
Der zentrale Kritikpunkt, die Rechtsprechung zu den Vorschaltzeiten greife ohne gesetzliche Rechtfertigung in die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers ein, ist unberechtigt. Es geht in dieser Rechtsprechung nicht um einen Bereich, in welchem ein Arbeitgeber Gestaltungsfreiheit hat. Der Begriff der Versorgungszusage muss vielmehr innerhalb der zugunsten der Arbeitnehmer zwingenden Bestimmung des § 1 Abs. 1 BetrAVG aF von den gesetzgeberischen Zielen ausgehend wertend ausgefüllt werden. In diesem Sinne liegt eine Versorgungszusage vor, sobald der Arbeitnehmer auf Grund von rechtsgeschäftlichen Erklärungen seines Arbeitgebers darauf vertrauen darf, dass er ohne eine weitere inhaltliche Entscheidung des Arbeitgebers allein auf Grund seiner weiteren Beschäftigung im Betrieb mit Zeitablauf einen Versorgungsanspruch erwerben wird.
Es spielt keine die Annahme einer Versorgungszusage iSd. § 1 Abs. 1 BetrAVG aF ausschließende Rolle, dass im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses eines derart von einer Zusage begünstigten Arbeitnehmers die Grundlage für den Versorgungsanspruch entfallen oder das Arbeitsverhältnis vor Erreichen der Unverfallbarkeitsfrist enden kann. Diese Risiken bestehen auch bei einer üblichen „unbedingten” und „unbefristeten” Versorgungszusage. Auch sie wird stets unter dem Vorbehalt erteilt, dass sich die bei Erteilung bestehenden Grundlagen nicht ändern.
Damit kann sich eine Vorschaltzeit im Ergebnis regelmäßig nur wie eine Wartezeit oder deren Verlängerung auswirken, Letzteres dann, wenn die Versorgungsordnung festlegt, dass die Wartezeit im eigentlichen Sinne erst mit Ablauf der bis zur förmlichen Erteilung der Versorgungszusage festgelegten Vorschaltzeit zu laufen beginnt (Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Bode/Pühler BetrAVG § 1b Rn. 55).
b) Von diesen Grundsätzen ausgehend sind nach dem Inhalt des vor Beginn des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger abgeschlossenen Arbeitsvertrags und den bei der Beklagten bestehenden Übungen die Voraussetzungen einer Zusage iSd. § 1 Abs. 1 BetrAVG aF bereits mit Beginn des Arbeitsverhältnisses erfüllt.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der Umstand, dass der Kläger nach Vertrag eine „freiwillige” Pensionszusage nach Ablauf der Probezeit „erhält”, deute nicht darauf hin, die Beklagte habe sich mit dieser Vertragsformulierung einen Freiraum für eine Entscheidung über Ob und Wie einer dem Kläger bei Ablauf der Probezeit zu erteilenden Zusage vorbehalten wollen. Die Beklagte hat mit dieser Vertragsformulierung nur zum Ausdruck gebracht, dass es für sie keine externe –gesetzliche oder kollektivvertragliche – Pflicht gibt, Versorgungszusagen zu erteilen. Dass ihr Entscheidungsfreiheit bleiben sollte, ob sie nach Zeitablauf eine Versorgungszusage erteilen wollte oder nicht, ergibt sich daraus nicht. Die Beklagte hat in den Vertrag keinerlei Anhaltspunkte für eine abwägende Entscheidung vor „endgültiger” Erteilung der Zusage aufgenommen. Sie hat im Gegenteil eine betriebliche Praxis dahin eingeräumt, dass sie trotz entsprechender Vertragsbestimmungen ebenso wie beim Kläger auch bei sonstigen Mitarbeitern keine ausdrücklichen Zusagen nach Ablauf der Probezeit erteilt und gleichwohl bei Erfüllung der Voraussetzung der Versorgungsordnung die versprochenen Versorgungsleistungen erbracht hat. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte selbst sich bereits auf Grund der ursprünglichen Vertragsklausel als verpflichtet sah, Versorgungsleistungen zu erbringen. Besonders –aber nicht nur –in derartigen Fällen darf ein Arbeitnehmer wie der Kläger vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an darauf vertrauen, dass er durch bloße Betriebstreue einen Versorgungsanspruch erwerben würde; die Voraussetzungen für einen sofortigen Beginn des Laufs der Unverfallbarkeitsfrist lagen damit vor.
bb) Daran ändert auch die Festlegung nichts, dass die Zusage erst nach Ablauf der Probezeit erteilt werden würde. Von der Übung abgesehen, gerade keine, den Erfolg der Probezeit demonstrierende ausdrückliche Versorgungszusage nach deren Ende zu erteilen, ist mit dem Erfordernis, erst noch eine Probezeit im Unternehmen zurücklegen zu müssen, nicht die Freiheit verbunden, bei Ablauf der Probezeit darüber entscheiden zu können, ob eine Versorgungszusage erteilt wird oder nicht.
Es kann dahinstehen, ob die Rechtslage anders wäre, wenn die Parteien dem Arbeitsverhältnis eine befristete Probezeit vorgeschaltet hätten, an deren Ende hätte entschieden werden müssen, ob der Arbeitnehmer in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen wird oder nicht. Unter solchen Umständen mag man bei ansonsten gleicher Vertragsklausel für die Zeit zuvor noch von einer derart unsicheren Versorgungsposition des begünstigten Arbeitnehmers ausgehen, dass sie einer unbedingten Versorgungszusage nicht gleichgestellt werden kann. Die Parteien des Rechtsstreits haben eine befristete Probezeit nicht vereinbart. Der Kläger musste lediglich die erste Zeit wie auch die Folgezeit im Arbeitsverhältnis zurücklegen. Die Rechtslage unterscheidet sich –von der Länge der Kündigungsfrist abgesehen – durch nichts von der eines Arbeitnehmers, der am ersten Tag des Arbeitsverhältnisses eine Versorgungszusage erhält, und in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses ebenfalls in stärkerem Umfang als später der Gefahr einer wirksamen Kündigung ausgesetzt ist. Ein Grund für ein Vertrauen minderer Qualität ergibt sich hieraus nicht.
Das Landesarbeitsgericht hat es demgegenüber für verständlich gehalten, dass die Beklagte mit ihrer freiwillig übernommenen Verpflichtung an den Zeitpunkt anknüpfen will, zu dem die rechtliche Bindung an den Arbeitnehmer eine gesteigerte Qualität erfährt. Es übersieht dabei, dass die Beklagte gerade nicht erst mit Ablauf der Probezeit eine Zusage erteilt, sondern von Anfang an einen Versorgungsanspruch in Aussicht gestellt hat, der allein vom weiteren Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig war und so schützenswertes Vertrauen begründet und Anreize für eine engagierte Arbeit des Klägers gegeben hat.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Kaiser, Schepers
Fundstellen
Haufe-Index 1125172 |
BAGE 2005, 354 |
DB 2004, 1158 |
NWB 2004, 741 |
BuW 2004, 352 |
EBE/BAG 2004, 1 |
EBE/BAG 2004, 62 |
FA 2004, 144 |
FA 2004, 150 |
FA 2004, 184 |
NZA 2004, 789 |
SAE 2004, 314 |
ZTR 2004, 548 |
AP, 0 |
AuA 2004, 42 |
EzA-SD 2004, 13 |
EzA-SD 2004, 3 |
EzA |
NJ 2004, 528 |
VersR 2005, 528 |
BAGReport 2004, 210 |
GuS 2004, 61 |
SJ 2004, 41 |