Entscheidungsstichwort (Thema)
Gastvertrag mit Bühnen- und Kostümbildner
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Gastspielvertrag iS des § 20 Abs 2 Normalvertrag Solo liegt nur vor, wenn die konkrete Aufgabe, die der Gast übernehmen soll, bereits im Vertrag selbst festgelegt ist oder doch jedenfalls aufgrund des Vertrages einvernehmlich festgelegt werden soll. Dagegen ist es mit dem Wesen des Gastspielvertrages unvereinbar, wenn es der Theaterleitung überlassen bleiben soll, dem Bühnenkünstler im Rahmen seines Kunstfaches die von ihm zu übernehmenden Aufgaben jeweils zuzuweisen.
2. Bei einem Bühnen- und Kostümbildner gehört zur vertraglichen Leistungsbestimmung die Bezeichnung der von ihm auszustattenden Stücke.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 16.11.1984; Aktenzeichen 9 Sa 621/84) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 19.04.1984; Aktenzeichen 8 Ca 10123/83) |
Tatbestand
Der im Jahre 1927 geborene Beklagte ist seit 1959 am Theater der klagenden Stadt als "Bühnen- und Kostümbildner/Ausstattungsleiter" beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lagen mehrere befristete Arbeitsverträge zugrunde. Kraft beiderseitiger Tarifbindung gelten für das Arbeitsverhältnis der "Normalvertrag Solo" (NVS) vom 1. Mai 1924, der aufgrund des Tarifvertrages vom 8. Dezember 1970 mit Wirkung ab 1. Januar 1971 in vollem Umfang tarifvertraglich vereinbart ist, und der "Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht" vom 23. November 1977 (TVM), der nach seinem § 1 Abs. 1 a u.a. "für die auf Normalvertrag Solo angestellten Bühnenmitglieder" gilt.
§ 2 Abs. 1 bis 3 TVM lautet:
(1) Das Arbeitsverhältnis endet mit dem im Arbeits-
vertrag vereinbarten Zeitpunkt. Ein mindestens für
ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossener Arbeitsvertrag
verlängert sich zu den gleichen Bedingungen um ein Jahr
(Spielzeit), es sei denn, eine Vertragspartei teilt
der anderen bis zum 31. Oktober der Spielzeit, mit
deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit,
daß sie nicht beabsichtigt, den Arbeitsvertrag zu ver-
längern (Nichtverlängerungsmitteilung).
(2) Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spiel-
zeit ununterbrochen mehr als acht Jahre (Spielzeiten),
muß die Nichtverlängerungsmitteilung der anderen Ver-
tragspartei bis zum 31. Juli der jeweils vorange-
gangenen Spielzeit schriftlich zugegangen sein.
(3) Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spiel-
zeit ununterbrochen mehr als fünfzehn Jahre (Spielzeiten),
kann der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung
nach Absatz 2 nur aussprechen, um das Arbeitsverhältnis
unter anderen Vertragsbedingungen - auch außerhalb des
im Arbeitsvertrag angegebenen Theaters (ein Arbeitge-
ber in selbständiger Rechtsform auch bei seinem oder
einem seiner rechtlichen oder wirtschaftlichen Träger) -
fortzusetzen. ...
Im Jahre 1980 beruhte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auf dem Dienstvertrag vom 30. Juli 1977, der für den Zeitraum vom 10. August 1978 bis zum 9. August 1981 (Ende der Spielzeit 1980/81) befristet war. Nach § 4 dieses Vertrages hatte der Beklagte in jedem Vertragsjahr fünf musikalische Werke und zwei Schauspiele zu übernehmen. Nach § 6 war beiden Vertragspartnern das Recht eingeräumt, "den Vertrag zum Vertragsende zu kündigen"; die Nichtverlängerungsmitteilung war "spätestens am 31. Juli 1980 schriftlich zu erklären". In § 8 hieß es: "Im übrigen richtet sich das Vertragsverhältnis nach dem Normalvertrag ...". Die monatliche Gage des Beklagten betrug für 1980 6.114,-- DM.
Mit Schreiben vom 30. April 1980 bat der ab der Spielzeit 1981/82 neu verpflichtete Generalintendant R den Beklagten zu einem Gespräch am 17. Mai 1980. Bei diesem Gespräch wurde dem Beklagten ein neuer Vertrag für die beiden Spielzeiten 1981/82 und 1982/83 angeboten. Der dem Beklagten anschließend übersandte Vertragsentwurf vom 17. Mai 1980 lautet in seinen hier wesentlichen Teilen wie folgt:
"GASTVERTRAG
für Bühnen- und Kostümbildner.
...
1.
Das Theater der Stadt B überträgt Herrn Ottowerner
M in den Spielzeiten 1981/82 und 1982/83 jeweils
zwei Produktionen.
2.
Für jede Produktion erhält das Mitglied ein Gesamt-
honorar in Höhe von xx20.000,00 DM. Der Jahresbetrag
in Höhe von xx40.000,00 DM kann auf Wunsch von Herrn
OW.M in zwölf gleiche Monatsraten aufgeteilt und
gezahlt werden.
3.
Herr M verpflichtet sich, die aufführungsreifen
Entwürfe mit den für die Werkstätten notwendigen
Details (Zeichnungen und sonstige Entwürfe im Maß-
stab 1:25) zu den von der Technischen Leitung anzuge-
benden Zeiten abzuliefern. Vor der Fertigstellung der
Entwürfe ist rechtzeitig mit der Technischen Leitung
des Theaters zu klären, wie weit sich die geplante
Konzeption technisch durchführen lässt.
Herr M hat sich bei der Übernahme des Auftrages
über die zur Verfügung stehenden Mittel, die Werk-
statt-Kapazität, sowie der Bühnenproben-/Auffüh-
rungsverhältnisse zu vergewissern und bei der Her-
stellung der Entwürfe in diesem Rahmen zu halten.
Zu den Entwürfen gehören die für ihre Ausführung
erforderlichen Werkzeichnungen. Die Entwürfe bedür-
fen der Abnahme durch den Regisseur und die Leitung
des Theaters. Auf Wunsch sind Änderungen und Ergän-
zungen der Entwürfe vorzunehmen, wenn sie aus künst-
lerischen oder anderen wichtigen Gründen für unum-
gänglich gehalten werden. Herr M verpflichtet sich,
die Ausführung der Entwürfe zu überwachen und insbe-
sondere bei den Schlussproben anwesend zu sein.
..."
Über Gastspielverträge ist in § 20 Normalvertrag Solo (NVS) folgendes geregelt:
"1. Auf Gastspielverträge finden die Bestimmungen der
§§ 1 bis 19 dieses Vertrages keine Anwendung.
2. Gastspielverträge sind Verträge, die der Unter-
nehmer zur Ergänzung seines ständigen Personals
und zur Ausgestaltung seines Spielplans mit Büh-
nenkünstlern in der Weise abschließt, daß sie
nicht als ständige Mitglieder angestellt, sondern
nur zur Mitwirkung für eine bestimmte Anzahl von
Aufführungen, aber für nicht mehr als 72 während
der Spielzeit, verpflichtet werden.
3. Bei Serientheatern liegt ein Gastspielvertrag nur
vor, wenn das dem Gast bewilligte Entgelt die
festen Bezüge der meisten an demselben Unterneh-
men fest angestellten Mitglieder weit übersteigt;
in diesem Falle fällt die vorstehend festgesetzte
ziffernmäßige Beschränkung der Aufführung fort.
4. Weiterer Voraussetzungen als der in Abs. 2 und 3
bezeichneten bedarf es zur Annahme des Vorliegens
eines Gastspielvertrages nicht. Verträge, die nur
zur Umgehung der Anstellung von ständigen Mit-
gliedern geschlossen werden, gelten nicht als
Gastspielverträge."
Der Beklagte bat in der Folgezeit darum, die angebotenen Vertragsbedingungen nicht in Gestalt eines Gastvertrages, sondern auf der Grundlage des Normalvertrages Solo einzuräumen. Dies lehnte der designierte Generalintendant R mit Schreiben vom 18. Juni 1980 ab. Zur Begründung führte er u.a. aus:
"Ich erkenne bei bestem Willen in dem bisherigen Ver-
tragsverhältnis von Ihnen mit dem Theater B über
vier Ausstattungen je Spielzeit nur ein Gastver-
tragsverhältnis, dessen Gage auf jeweils eine Spiel-
zeit aufgeteilt ist. Ansonsten war Ihre Freistellung
vom Hause nicht an die Zustimmung des Generalinten-
danten gebunden."
Mit Schreiben vom 12. August 1980 mahnte er die Angelegenheit an und setzte eine Frist bis zum 1. September 1980 für die Unterzeichnung des Vertragsangebots; anderenfalls fühle er sich nicht mehr an das Angebot gebunden. Daraufhin unterschrieb der Beklagte den "Gastvertrag" am 30. August 1980.
Mit einem am 15. Mai 1981 beim Bühnenschiedsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte Schiedsklage erhoben. Mit ihr hat er geltend gemacht, der Dienstvertrag vom 30. Juli 1977 bestehe über die Spielzeit 1980/81 hinaus unverändert fort, da eine Nichtverlängerungsmitteilung nicht erfolgt sei. Der Gastvertrag vom 17. Mai/30. August 1980 ändere hieran nichts. Die Stadt habe entgegen § 2 Abs. 3 TVM keine Fortsetzung des bisherigen Dienstvertrages angeboten. Die angebotenen Arbeitsbedingungen unterlägen jedenfalls der Billigkeitskontrolle, die eine Reduzierung des Leistungsumfanges um mehr als ein Drittel nicht zulasse. Der Beklagte hat weiter vorgetragen, die Stadt habe ihn durch das Schreiben des Intendanten vom 18. Juni 1980 getäuscht, indem sie das bisherige Vertragsverhältnis fälschlicherweise ebenfalls als bloßes Gastvertragsverhältnis bezeichnet habe; dadurch habe er irrtümlich geglaubt, durch den Gastvertrag keine Rechtsposition aufzugeben. Die Stadt habe ihm auch widerrechtlich gedroht, indem sie ihn im Schreiben vom 12. August 1980 vor die Alternative gestellt habe, zu unterschreiben oder gänzlich vertragslos dazustehen. Zwar habe er sich an seine Gewerkschaft, die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, gewandt, die ihn mit Schreiben vom 26. August 1980 in dem bereits erregten Irrtum bestärkt habe; diese Auskunft sei jedoch für den Vertragsabschluß nicht ursächlich gewesen, weil er sie ohne das Schreiben des Generalintendanten R vom 18. Juni 1980 gar nicht erst eingeholt hätte. Jedenfalls sei das Schreiben des Intendanten auch neben der späteren Auskunft eine erhebliche Ursache. Spätestens in der Erhebung der Schiedsklage sei die Anfechtung des Gastspielvertrages wegen Erklärungsirrtums zu sehen; der Beklagte habe nicht erklären wollen, auf die Rechte aus dem vorherigen Vertrag zu verzichten. Aus der Täuschung durch den Zeugen R folge eine die Schiedsklage begründende Schadenersatzpflicht der Stadt. Zudem müsse der Abschluß eines Gastvertrages nach den gesamten Umständen als sittenwidrig angesehen werden.
Der Beklagte hat mit seiner Schiedsklage beantragt
1. festzustellen, daß der zwischen den Parteien am
30. Juli 1977 geschlossene Dienstvertrag bis zum
Ablauf der Spielzeit 1981/82 unverändert fortbe-
steht,
2. hilfsweise,
festzustellen, daß
a) der zwischen den Parteien geschlossene Gast-
spielvertrag vom 17. Mai/30. August 1980 als
ununterbrochene Fortsetzung des zwischen den
Parteien bis zum 9. August 1981 bestehenden
Dienstvertrages gilt,
b) auf diesen Gastspielvertrag der Tarifver-
trag über die Mitteilungspflicht vom 23. No-
vember 1977 Anwendung findet,
c) die Parteien sich aufgrund des Gastspielver-
trages vom 17. Mai/30. August 1980 pro Spiel-
zeit 2/3 derjenigen Leistungen schulden, die
sie nach dem Dienstvertrag vom 30. Juli 1977
einander in der Spielzeit 1980/81 zu erbringen
hatten.
Die klagende Stadt hat Abweisung der Schiedsklage beantragt und geltend gemacht, der Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980 sei ein echter Gastvertrag, der sich typischerweise von einem Normalvertrag durch geringe Leistungspflichten bei verhältnismäßig hoher Vergütung unterscheide. Das Interesse des Generalintendanten R, den Beklagten durch diese Vorteile zum Ausscheiden zu bewegen, sei legitim. Die Umgehung einer ständigen Anstellung, wie sie von § 20 Abs. 4 Normalvertrag Solo mißbilligt werde, liege nicht vor; denn Gastverträge für Bühnen- und Kostümbildner seien üblich, und die für den Gast höchstzulässige Anzahl von 72 Aufführungen pro Spielzeit werde erst durch vier bis sechs Produktionen erreicht. Eine Umgehung liege nur vor, wenn der Vertrag lediglich die Überschrift "Gastvertrag" trage, in Wahrheit aber Normalvertrag sei; sie erfordere zudem den auf Umgehung gerichteten Willen beider Parteien. Auf Gastverträge sei der TVM nicht anwendbar. Auch sei ursächlich für den Entschluß des Beklagten, den Gastvertrag zu unterschreiben, nicht die in dem Schreiben des Generalintendanten R vom 18. Juni 1980 zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, sondern die Rechtsauskunft der Gewerkschaft gewesen. Die Anfechtbarkeit des Vertrages könne dahinstehen, da der Beklagte ihn nicht angefochten habe. Er habe den Gastvertrag in freier Entscheidung und in Kenntnis von dessen Bedeutung geschlossen, möglicherweise um gerade die damit verbundenen Vorteile wie relativ hohe Gage, anderweitige Verdienstmöglichkeiten und stärkere Distanz zur neuen Theaterleitung wahrzunehmen.
Das Bühnenschiedsgericht hat die Schiedsklage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, das ursprüngliche Normalvertragsverhältnis der Parteien sei durch den Gastvertrag einvernehmlich abgelöst worden.
Die Berufung des Beklagten beim Bühnenoberschiedsgericht war hinsichtlich des Hauptantrags erfolglos. Den drei Hilfsanträgen des Beklagten hat das Bühnenoberschiedsgericht stattgegeben.
Gegen diesen Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts hat (nur) die Stadt beim Arbeitsgericht Aufhebungsklage erhoben. Das Arbeitsgericht hat antragsgemäß die Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts aufgehoben und den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts wiederhergestellt.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Aufhebungsklage der Stadt hinsichtlich der beiden ersten Hilfsanträge (2 a und b) abgewiesen. Die weitergehende Berufung (hinsichtlich des Hilfsantrags 2 c) hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Aufhebungsklage. Die Revision der klagenden Stadt verfolgt das Ziel vollständiger Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Beide Parteien beantragen zudem, die gegnerische Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen beider Parteien sind unbegründet; denn das angefochtene Urteil erweist sich im Ergebnis als zutreffend.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Aufhebungsklage der Stadt gegen den Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts zu Recht abgewiesen, soweit das Bühnenoberschiedsgericht den Hilfsanträgen 2 a und b des Beklagten stattgegeben hatte. Die Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts über diese beiden Hilfsanträge ist im Ergebnis richtig und beruht daher nicht auf der Verletzung einer Rechtsnorm (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 563 ZPO analog).
1. Mit seinem ersten Hilfsantrag (2 a) begehrt der Beklagte nicht nur die Feststellung, daß sich der "Gastvertrag" vom 17. Mai/30. August 1980 an den vorherigen Dienstvertrag unmittelbar anschließt und in diesem Sinne seine ununterbrochene Fortsetzung darstellt. Dies ist offenkundig und von der Stadt nie bezweifelt worden. Eine derartige Feststellung würde dem Beklagten nichts nützen, weil sie im Formalen stehenbleibt und keinerlei Rechtsfolgen nach sich zieht. Mit diesem Inhalt müßte der Antrag mangels eines Feststellungsinteresses als unzulässig angesehen werden. Der Beklagte will aber in Wirklichkeit etwas anderes, wie die - zur Auslegung heranzuziehende - Begründung seiner Schiedsklage und die Berufungsbegründung vor dem Bühnenoberschiedsgericht zeigen. Er begehrt die Feststellung, daß der als "Gastvertrag" abgeschlossene Vertrag nicht als Gastspielvertrag, sondern als Vertrag eines ständigen Bühnenmitglieds gilt. Die damit angestrebte durchgehende Anwendbarkeit des NVS führt hin zur erstrebten Anwendbarkeit des TVM, die Gegenstand des zweiten Hilfsantrags (2 b) und auch sonst für den Inhalt des Vertrages rechtserheblich ist; insbesondere kommt es dem Beklagten ersichtlich auf den ununterbrochenen Bestand des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 3 TVM an. Mit diesem Inhalt, den der Senat selbst durch Auslegung feststellen kann (vgl. z.B. BAG Urteil vom 4. Oktober 1972 - 4 AZR 475/71 - BAG 24, 452 = AP Nr. 2 zu § 24 BAT), sind die Hilfsanträge 2 a und b gemäß § 256 ZPO zulässig.
2. Die Hilfsanträge 2 a und b sind schon deshalb begründet, weil der "Gastvertrag" vom 17. Mai/30. August 1980 entgegen seiner Bezeichnung inhaltlich kein Gastspielvertrag im Sinne des § 20 Abs. 2 NVS, sondern der Vertrag eines ständigen Bühnenmitglieds ist, auf den der Normalvertrag Solo uneingeschränkt Anwendung findet.
a) Für die Rechtsnatur eines Vertrages ist seine von den Parteien gewählte Bezeichnung nicht maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr die wahre Natur der von den Parteien getroffenen Vereinbarungen; nur soweit der Inhalt dieser Vereinbarungen erst durch Auslegung ermittelt werden muß, kann die Bezeichnung des Vertrages einen Hinweis auf das von den Parteien Gewollte geben.
b) Nach § 20 Abs. 2 NVS sind Gastspielverträge solche Verträge, die der Unternehmer zur Ergänzung seines ständigen Personals und zur Ausgestaltung seines Spielplans mit Bühnenkünstlern in der Weise abschließt, daß sie nicht als ständige Mitglieder angestellt sind, sondern nur zur Mitwirkung für eine bestimmte Anzahl von Aufführungen, aber nicht für mehr als 72 Aufführungen während der Spielzeit verpflichtet werden.
Soweit diese Tarifnorm auf eine bestimmte Anzahl von Aufführungen mit einer Höchstgrenze abstellt, ist sie auf die den Regelfall bildenden Bühnenkünstler zugeschnitten, die bei den einzelnen Aufführungen mitwirken und deren zeitliche Inanspruchnahme deshalb durch die Zahl der Aufführungen bestimmt wird, für die sie engagiert sind. Für einen Bühnen- und Kostümbildner und Ausstattungsleiter wie den Beklagten, dessen Tätigkeit bis zur Premiere des jeweiligen Stückes abgeschlossen sein muß und dessen zeitliche Inanspruchnahme sich daher nicht nach der Zahl der Aufführungen des von ihm ausgestatteten Stückes richtet, paßt dieses quantitative Merkmal nicht. Hierauf kann es deshalb bei solchen Bühnenmitgliedern für die Abgrenzung des Gastspielvertrages vom Normalvertrag nicht ankommen. Maßgebend kann in derartigen Fällen nur sein, ob der Engagementvertrag die übrigen in § 20 Abs. 2 NVS normierten Merkmale eines Gastspielvertrages aufweist, ob also der Unternehmer das Bühnenmitglied "zur Ergänzung seines ständigen Personals" und "zur Ausgestaltung seines Spielplans", nicht aber als ständiges Bühnenmitglied eingestellt hat. Diese tariflichen Begriffsmerkmale sind die wesentlichen Kennzeichen des Gastspielvertrages.
Der Senat teilt nicht die im Schrifttum vertretene Auffassung, die genannten tariflichen Merkmale seien zur Begriffsbestimmung des Gastspielvertrages untauglich, weil auch jedes fest engagierte Bühnenmitglied zum Zwecke der Personalergänzung und der Spielplangestaltung unter Vertrag genommen werde (vgl. Greiffenhagen, Gastverträge im Bühnenrecht, UFITA Band 88, 1980, S. 10). Die tariflichen Merkmale sind vom Sinn und Zweck der tariflichen Regelung her auszulegen. Mit ihnen soll die Besonderheit des Gastes gegenüber dem ständigen Personal und damit die besondere Qualität des Gastspielvertrages hervorgehoben werden. Sie können daher nicht mit der allgemeinen Bedeutung aufgestellt worden sein, daß der Bühnenkünstler im Rahmen des Spielplans eingesetzt werden soll. Dies trifft für alle Bühnenmitglieder zu und wäre als Unterscheidungskriterium des Gastes ohne jeden Sinngehalt. Der Wortlaut der Tarifvorschrift zwingt aber auch gar nicht zu einem solchen Verständnis; er legt es nicht einmal nahe.
Nach dem Wortlaut der tariflichen Regelung kann Gast nur derjenige Bühnenkünstler sein, der lediglich zur Ergänzung des ständigen Bühnenpersonals angestellt ist, ohne selbst ständiges Mitglied des Theaters zu sein. Für das ständige, mit Normalvertrag angestellte Bühnenmitglied ist kennzeichnend, daß es dem Theaterunternehmer grundsätzlich für sämtliche Aufgaben seines Kunstfaches zur Verfügung steht und der Unternehmer ihm daher kraft seines Direktionsrechts die konkrete Aufgabe jeweils zuweisen kann. Das zeigt sich in den tariflichen Vorschriften über den Normalvertrag. Gemäß § 2 Abs. 1 Buchstabe a) NVS müssen in dem Dienstvertrag eines ständigen Bühnenmitglieds bei darstellenden Künstlern die Kunstgattung und das Kunstfach angegeben sein, wobei die Bezeichnung des Kunstfaches durch die Vereinbarung eines Rollengebiets näher gekennzeichnet oder ersetzt werden kann. Nach § 5 Abs. 1 NVS bestimmen sich Art und Umfang der Dienste im Rahmen der vertragsmäßigen Begrenzung nach den Anordnungen der Theaterleitung. In dem Dienstvertrag eines ständigen Bühnenmitglieds braucht also der Gegenstand der künstlerischen Dienstleistung nur allgemein dem Kunstfach nach festgelegt zu sein; die nähere Konkretisierung ist dann Sache des Arbeitgebers, der von Fall zu Fall einseitig bestimmt, welche Aufgabe in welchem Bühnenstück das Bühnenmitglied im Rahmen seines Kunstfaches übernehmen soll.
Den Gegensatz hierzu bildet eine Vertragsgestaltung, bei der die konkrete Dienstleistung des Künstlers von den Vertragsparteien einvernehmlich festgelegt wird. Damit wird zugleich der wesentliche Unterschied zwischen dem Dienstvertrag eines ständigen Bühnenmitglieds und dem Gastspielvertrag im Sinne von § 20 Abs. 2 NVS deutlich. Ein Gastspielvertrag liegt nur vor, wenn die konkrete Aufgabe, die der Gast übernehmen soll, bereits im Vertrag selbst festgelegt ist oder doch jedenfalls aufgrund des Vertrages einvernehmlich festgelegt werden soll. Hierauf weist auch die Zweckbestimmung des Gastspielvertrages hin, wie sie in § 20 Abs. 2 NVS formuliert ist. Danach ist der Gastspielvertrag ein Vertrag, den der Theaterunternehmer "zur Ausgestaltung seines Spielplans" mit einem Bühnenkünstler abschließt. Der Unternehmer muß den Gast also im Hinblick auf "seinen", d.h. von ihm bereits konzipierten konkreten Spielplan engagiert haben. Geht es aber bei dem Engagement des Gastes um die Ausgestaltung eines bestimmten Spielplans, so kann Gegenstand des Engagements auch nur eine bestimmte Aufgabe innerhalb dieses Spielplans sein.
Zum Wesen des Gastspielvertrags gehört mithin bei einem darstellenden Künstler eine Vereinbarung darüber, welche Rolle er in welchem Bühnenstück spielen soll, und bei einem Bühnenbildner und Ausstattungsleiter wie dem Beklagten zumindest die einvernehmliche Festlegung des Bühnenstückes, das er ausstatten soll. Dagegen ist es mit dem Wesen des Gastspielvertrages unvereinbar, wenn es der Theaterleitung überlassen bleiben soll, dem Bühnenkünstler im Rahmen seines Kunstfaches die von ihm zu übernehmenden Aufgaben jeweils zuzuweisen (so schon Tovote, Der Gastspielvertrag im Bühnenrecht, UFITA Band 2, 1929, S. 437, 440; ebenso Greiffenhagen, Gastverträge im Bühnenrecht, UFITA Band 88, 1980, S. 20 ff. und die dort zitierte Rechtsprechung des Bühnenoberschiedsgerichts).
c) Nach diesen Grundsätzen ist der Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980 nicht als Gastspielvertrag anzusehen. In ihm heißt es lediglich, die Klägerin übertrage dem Beklagten "in den Spielzeiten 1981/82 und 1982/83 jeweils zwei Produktionen". Aus den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Bühnenoberschiedsgerichts ergibt sich überdies, daß zwischen den Parteien bei den Vertragsverhandlungen auch nicht darüber gesprochen worden ist, um welche Stücke es sich handeln sollte; es wurde nicht einmal darüber gesprochen, ob der Beklagte Werkstattproduktionen oder Produktionen im Großen Haus übernehmen sollte. Es blieb also völlig offen und der späteren Bestimmung der Theaterleitung vorbehalten, mit welchen konkreten Aufgaben der Beklagte betraut werden würde.
Damit erweist sich auch der Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980 als Normalvertrag im tariflichen Sinne. Er stellt sich daher als lediglich im Arbeitsumfang eingeschränkte Fortsetzung des vorausgegangenen Dienstvertrages der Parteien dar mit der Folge, daß auf ihn die Vorschriften des NVS und auch der Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht uneingeschränkt Anwendung finden. Den dahingehenden Anträgen des Beklagten ist deshalb zu Recht stattgegeben worden.
II. Auch die Revision des Beklagten ist unbegründet. Denn das Landesarbeitsgericht hat zu Recht den Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts aufgehoben, soweit dieses dem Hilfsantrag 2 c des Beklagten stattgegeben hatte.
Für die vom Bühnenoberschiedsgericht getroffene Feststellung, die Parteien schuldeten sich pro Spielzeit 2/3 der aufgrund des Dienstvertrages vom 30. Juli 1977 geschuldeten Leistungen, gibt es keine Rechtsgrundlage.
1. Auf die Vereinbarungen des Dienstvertrages vom 30. Juli 1977 kann der Beklagte nicht zurückgreifen. Sie sind rechtswirksam durch die im Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980 getroffenen Vereinbarungen ersetzt worden.
a) Infolge der rechtskräftig gewordenen Abweisung des Hauptantrags des Beklagten steht zwischen den Parteien mit materieller Rechtskraftwirkung fest, daß die Vereinbarungen des Dienstvertrags vom 30. Juli 1977 wirksam aufgehoben worden sind. Der Beklagte hatte seinen Hauptantrag vor dem Schiedsgericht damit begründet, der Dienstvertrag vom 30. Juli 1977 bestehe fort, weil die Klägerin eine Nichtverlängerungsmitteilung nicht ausgesprochen habe; auf den Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980 könne sich die Klägerin nicht berufen, da der Beklagte ihn unter dem Einfluß der (unrichtigen) Rechtsauffassung der Klägerin und der Drohung, sonst überhaupt keinen Vertrag zu erhalten, unterschrieben habe. Demgegenüber hat das Schiedsgericht zur Begründung der Abweisung des Hauptantrags ausgeführt, die Parteien hätten durch den Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980 eine einvernehmliche Neuregelung getroffen, durch die der Vertrag vom 30. Juli 1977 abgelöst worden sei. Unter diesen Umständen steht zwischen den Parteien rechtskräftig fest, daß der Beklagte das Vertragsangebot vom 17. Mai 1980 in nicht rechtserheblich beeinflußter freier Willensentscheidung angenommen hat.
b) Rechtsgrundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist daher nur noch der Vertrag vom 17. Mai/30. August 1980. Der Wirksamkeit der darin getroffenen Vereinbarungen stehen, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, auch tarifliche Vorschriften nicht entgegen.
Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 TVM sichert die vereinbarten Arbeitsbedingungen nicht gegen spätere abweichende Vereinbarungen. Unmittelbar dient die Vorschrift nur dem Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses; allenfalls zur Sicherung dieses Bestandsschutzes gegen seine Aushöhlung durch eine schwerwiegende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kann der Vorschrift mittelbar auch ein gewisser Inhaltsschutz entnommen werden. Der Bestandsschutz des § 2 Abs. 3 TVM richtet sich jedoch nur gegen die einseitige Nichtverlängerungsmitteilung des Arbeitgebers, nicht aber gegen eine einvernehmliche Beendigung; dementsprechend kann sich auch der ihn lediglich sichernde Inhaltsschutz nur gegen eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers, nicht aber gegen einen neuen Vertrag richten, durch den das bisherige Arbeitsverhältnis einvernehmlich abgelöst wird.
Angesichts der Möglichkeit, auch ein aufgrund Tarifvertrages unkündbares Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden, liegt entgegen der Auffassung der Revision in der Ablösung eines solchen Arbeitsverhältnisses durch ein Rechtsverhältnis, das einen vergleichbaren Bestandsschutz nicht gewährt, keine Abweichung von zwingenden Tarifnormen im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG und erst recht kein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte im Sinne des § 4 Abs. 4 TVG, so daß man auch auf diesem Wege nicht zu dem von der Revision erstrebten Inhaltsschutz gelangen kann. Der Inhalt der neuen Vereinbarungen ist vielmehr lediglich an den Vorschriften der §§ 1 bis 19 NVS zu messen; eine für den Beklagten ungünstige (vgl. § 4 Abs. 3 TVG) Abweichung von diesen Bestimmungen liegt jedoch ersichtlich nicht vor.
2. Das Landesarbeitsgericht ist schließlich auch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß sich der mit dem Hilfsantrag 2 c geltend gemachte Anspruch des Beklagten nicht auf den Gesichtspunkt des Schadenersatzes wegen Vertragspflichtverletzung stützen läßt. Der Beklagte hat schon kein vertrags- oder sonst rechtswidriges Verhalten der Klägerin dargetan. Die Klägerin hat dem Beklagten keine Rechtsauskunft erteilt, für deren Richtigkeit sie haften müßte. Ihr Generalintendant R hat in den Verhandlungen mit dem Beklagten lediglich seinen - wenn auch irrigen - Rechtsstandpunkt vertreten; hierin allein liegt noch keine Pflichtwidrigkeit gegenüber dem Beklagten. Darauf, daß der Beklagte auch die Kausalität des Verhaltens der Klägerin für den Vertragsabschluß nicht schlüssig dargetan hat, kommt es daher nicht mehr an.
Dr. Seidensticker Dr. Becker Dr. Steckhan
Dr. Johannsen Kordus
Fundstellen
Haufe-Index 441426 |
BAGE 53, 108-119 (LT1-2) |
BAGE, 108 |
RdA 1987, 125 |
AP § 611 BGB, Nr 28 |
AR-Blattei, ES 1030 Nr 44 (LT1-2) |
AR-Blattei, Künstlerische Tätigkeit Entsch 44 (LT1-2) |
ZUM 1987, 466-470 (LT1-2) |