Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugang eines eingeschrieben versandten Vergleichswiderrufs bei Gericht
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist ein Prozeßvergleich schriftlich gegenüber dem Gericht zu widerrufen, so ist die Widerrufsschrift wirksam bei Gericht eingegangen, sobald sie in dessen Verfügungsgewalt gelangt ist (im Anschluß an BVerfG 3.10.1979 1 BvR 726/78 = BVerfGE 52, 203).
2a.Unterhält das Gericht ein Postfach, so ist die Widerrufsschrift noch nicht in dessen Verfügungsgewalt gelangt, wenn sie mit Einschreiben versandt, in das Postfach jedoch nur der Benachrichtigungszettel über ihren Eingang bei der Postanstalt (Auslieferungsschein, § 53 Abs 7 Satz 2 PostO) gelegt wird (Bestätigung von BAG 15.11.1962 2 AZR 301/62= BAGE 13, 313 = AP Nr 4 zu § 130 BGB).
b. Gelangt der Einschreibebrief deshalb nicht mehr am Tage seines Eingangs bei der Postanstalt an das Gericht, weil dieses seine Post abgeholt hat bevor der Auslieferungsschein in das Postfach gelegt wurde, so gilt er gleichwohl bei Gericht als eingegangen, wenn er bei Auslieferung im normalen Postzustelldienst noch an diesem Tag in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt wäre (im Anschluß an BVerfG 3.11.1982 2 BvR 1145/81 = BVerfGE 62, 216).
Normenkette
BGB § 242; PostO § 1; BGB § 130; ZPO §§ 233, 794; PostO § 53
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.08.1984; Aktenzeichen 3 Sa 41/84) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 29.03.1984; Aktenzeichen 5 Ca 330/83) |
Tatbestand
Der Kläger war bei der Beklagten seit 17. August 1983 als Schlosser beschäftigt. Am 1. September 1983 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist von einem Tag zum 3. September 1983. Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung. Er hat geltend gemacht, daß er bis Dezember 1983 befristet eingestellt worden sei, und zunächst beantragt festzustellen, daß die Kündigung der Beklagten unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis über den 3. September 1983 hinaus fortbestanden hat.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und bestritten, daß ein befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sei.
Im Kammertermin vom 26. Januar 1984 schlossen die Parteien einen Vergleich. Danach sollte das Arbeitsverhältnis am 8. September 1983 enden und die Beklagte dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 5.600,-- DM zahlen. Der Beklagten blieb vorbehalten, den Vergleich durch schriftliche Anzeige an das Gericht bis 15. Februar 1984 zu widerrufen.
Mit Schriftsatz ihrer in Bamberg ansässigen Prozeßbevollmächtigten vom 14. Februar 1984 widerrief die Beklagte den Vergleich. Der Schriftsatz wurde am selben Tag in Bamberg als Einschreiben zur Post gegeben. Er war an die Anschrift des Arbeitsgerichts adressiert und enthielt nicht die Abholangabe "Postfach". Der Auslieferungsschein wurde am 15. Februar 1984 gegen 11.00 Uhr in das vom Arbeitsgericht bei dem Postamt 1 Stuttgart unterhaltene Abholfach gelegt. Das Einschreiben wurde am folgenden Tag abgeholt und zum Arbeitsgericht gebracht. Es erhielt den Eingangsstempel 16. Februar 1984.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Widerruf sei dem Arbeitsgericht erst am 16. Februar 1984 und somit nach Ablauf der Widerrufsfrist zugegangen. Er hat demgemäß beantragt festzustellen, daß der Prozeßvergleich vom 26. Januar 1984 wirksam geworden ist und den Rechtsstreit erledigt hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, nach dem Ergebnis ihrer beim Postamt 1 Stuttgart angestellten Nachforschungen sei der Widerrufsschriftsatz dort am 15. Februar 1984 gegen 09.00 Uhr eingegangen. Unterhielte das Arbeitsgericht kein Postfach, so wäre der Einschreibebrief durch Postboten noch am selben Tage zum Arbeitsgericht gelangt. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, daß der Brief trotz fehlender Abholangabe zur Abholung bereitgehalten, das Postfach vom Arbeitsgericht jedoch nur einmal am frühen Vormittag geleert werde. Der Widerruf sei deshalb mit der Einlegung des Benachrichtigungsscheins in das Postfach dem Arbeitsgericht zugegangen und müsse als rechtzeitig angesehen werden.
Der Kläger hat erwidert, der verspätete Eingang des Widerrufs beim Arbeitsgericht beruhe nicht darauf, daß das Arbeitsgericht ein Postfach unterhalte. Da nach dem Vortrag der Beklagten das Einschreiben am 15. Februar 1984 erst gegen 09.00 Uhr beim Postamt eingegangen sei, wäre es auch durch Postboten an diesem Tag nicht mehr dem Arbeitsgericht zugestellt worden.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß der Prozeßvergleich vom 26. Januar 1984 wirksam geworden ist und den Rechtsstreit erledigt hat.
Im Berufungsverfahren hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, sie bestreite, daß im Zeitpunkt des Eingangs des Einschreibens beim Postamt 1 Stuttgart am 15. Februar 1984 die Postzusteller bereits unterwegs gewesen seien und das Einschreiben deshalb auch dann nicht mehr an diesem Tag dem Arbeitsgericht zugestellt worden wäre, wenn das Arbeitsgericht kein Postfach unterhielte. Nach der Auskunft des Postamts Bamberg würden Einschreibesendungen grundsätzlich noch am selben Tag zugestellt. Sie habe nicht damit rechnen müssen, daß das Postfach durch das Arbeitsgericht nur einmal täglich vor 11.00 Uhr geleert werde.
Das Landesarbeitsgericht hat Auskünfte beim Arbeitsgericht Stuttgart und beim Postamt 1 Stuttgart eingeholt. Es hat sodann das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Dem Berufungsgericht kann in der Begründung nur teilweise und im Ergebnis nicht gefolgt werden. Für die Entscheidung darüber, ob der Prozeßvergleich rechtzeitig widerrufen worden ist, bedarf es noch weiterer Sachaufklärung.
I. Die Parteien hatten in dem Prozeßvergleich vereinbart, der Widerruf sei für die Beklagte bis 15. Februar 1984 "durch schriftliche Anzeige an das Gericht" zu erklären. Das Berufungsgericht hat dies richtig dahin ausgelegt, daß der schriftliche Widerruf innerhalb der vereinbarten Frist beim Arbeitsgericht eingehen müsse.
II. Das Berufungsgericht hat weiter zutreffend angenommen, daß der Widerrufsschriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 14. Februar 1984 nicht am 15. Februar 1984, sondern erst am folgenden Tag und damit nach Ablauf der Widerrufsfrist beim Arbeitsgericht eingegangen ist.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein für das Gericht bestimmter fristwahrender Schriftsatz sei dann eingegangen, wenn er in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt sei. Es sei nicht erforderlich, daß er auch einem dafür zuständigen Bediensteten des Gerichts vorliege.
2. Diese Ansicht entspricht der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Bundesgerichte zur Frage des Eingangs fristwahrender Schriftstücke bei Gericht.
Nach dem grundlegenden Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Oktober 1979 (BVerfGE 52, 203) ist es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, wenn ein Gericht den Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes deshalb als verspätet ansieht, weil der rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangte Schriftsatz nicht innerhalb der Frist von dem zu seiner Entgegennahme zuständigen Bediensteten der Geschäftsstelle amtlich in Empfang genommen worden ist. Dies gilt auch für den Zugang fristwahrender Schriftstücke innerhalb einer Instanz, wenn ihnen die gleiche Wirkung wie einem Rechtsmittelschriftsatz zukommt. Das ist bei dem einen Vergleich widerrufenden Schriftstück deshalb der Fall, weil davon die Entscheidung abhängt, ob das Verfahren abgeschlossen ist oder fortgesetzt werden muß. Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht in zwei weiteren Entscheidungen bestätigt (BVerfGE 57, 117; 60, 243).
a) Der Bundesgerichtshof ist dem Bundesverfassungsgericht gefolgt. Nach seiner neueren Rechtsprechung genügt es zur Fristwahrung, wenn das Schriftstück am letzten Tag der Frist in den Tagesbriefkasten des Gerichts geworfen wird (BGHZ 80, 62). Dies gilt auch dann, wenn mit einer Leerung des Briefkastens am selben Tag nicht mehr zu rechnen ist, weil das Schriftstück erst nach Dienstschluß eingeworfen wurde, und an dem Gerichtsgebäude auch ein Nachtbriefkasten angebracht ist (NJW 1984, 1237).
Die Fristwahrung bei Einlegen des Vergleichswiderrufsschriftsatzes in ein vom Gericht unterhaltenes Postfach hatte der Bundesgerichtshof in einer älteren Entscheidung (Beschluß vom 19. Januar 1955, LM Nr. 2 zu § 130 BGB) allerdings von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, daß nach der Verkehrsauffassung mit der Abholung noch am Tag der Einsortierung zu rechnen sei. Er hat ausgeführt, für den Begriff des Zugangs im Sinne des § 130 BGB sei von Bedeutung, daß der Empfänger von einer in dieser Weise für ihn eingelegten Post alsbald, d. h. noch am selben Tag, Kenntnis nehmen könne.
b) In mehreren vor der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergangenen Entscheidungen haben das Bundesverwaltungsgericht (DVBl. 1961, 827; NJW 1964, 788) und das Bundessozialgericht (MdR 1978, 83) die Ansicht vertreten, daß mit dem Einlegen eines fristgebundenen Schriftstücks in das Postfach des Gerichts bzw. der Behörde am letzten Tag der Frist diese selbst dann gewahrt ist, wenn das Postfach erst an einem folgenden Tag geleert wird. Nach anderen Entscheidungen dieser Gerichte (BVerwGE 10, 293 = NJW 1960, 1587; BSGE 42, 140) soll dies dagegen nur unter der weiteren Voraussetzung gelten, daß im Zeitpunkt der Einlegung noch mit einer Leerung des Fachs am selben Tag zu rechnen ist.
Auch der Bundesfinanzhof ist in dem nicht veröffentlichten Urteil vom 26. Oktober 1982 - VII B 3/82 - von dem Grundsatz ausgegangen, für die Einlegung eines Rechtsmittels komme es darauf an, daß die Rechtsmittelschrift in den Verfügungsbereich des Rechtsmittelgerichts gelange. Er hat jedoch offengelassen, ob ein Rechtsmittel auch dann rechtzeitig eingelegt ist, wenn die Rechtsmittelschrift zwar am letzten Tag der Frist in das Postfach gelegt wird, dieses aber erst am folgenden Tag geleert wird.
c) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluß vom 20. April 1983, BayVBl. 1983, 439) läßt für den fristwahrenden Eingang bei Gericht das Einlegen in das Postfach bis 24.00 Uhr genügen.
Er stellt im Anschluß an die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entscheidend darauf ab, ob bei der Einlegung eines Schriftstücks in ein Postfach sein Inhalt in der Verfügungsgewalt des Gerichts steht. Verfügungsgewalt als Tatbestandsmerkmal des Eingangs bei Gericht bedeute, daß das Schriftstück bei Gericht eingelangt sei unter Ausschluß eines fortbestehenden Zugriffs des Absenders oder des Beförderers. Diese Ausschließlichkeit des Machtbereichs sei beim Postfach gegeben. Mit dem Einsortieren in das Postfach verlören der Absender und die Post die Zugriffsmöglichkeit auf die Sendung. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs sollen selbst nach den amtlichen Öffnungszeiten der Postfächer bis 24.00 Uhr eingelangte Sendungen noch als am Einlegetag eingegangen gelten, weil die Verfügbarkeit für das Gericht hier lediglich der Fristwahrung ohne Anlaß für eine Tätigkeit nach Beendigung oder vor Wiederaufnahme des normalen Geschäftsgangs dient.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie den im Ergebnis übereinstimmenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und Bundessozialgerichts zum Eingang fristwahrender Schriftstücke bei Gericht durch Postfacheinlage zu folgen ist. Denn auch diese Rechtsprechung führt im vorliegenden Fall nicht zu dem Ergebnis, daß der Vergleichswiderruf noch am 15. Februar 1984, dem letzten Tag der Widerrufsfrist, in die Verfügungsgewalt des Arbeitsgerichts gelangt ist.
a) Nach den auch von der Revision nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Berufungsgerichts im unstreitigen Teil des Tatbestandes seines Urteils ist am 15. Februar 1984 lediglich der Benachrichtigungszettel über den Eingang des Einschreibens (Auslieferungsschein, § 53 Abs. 7 Satz 2 PostO) in das Postfach gelegt, die Sendung selbst aber erst am folgenden Tag abgeholt und zum Arbeitsgericht gebracht worden. Danach steht fest, daß der Widerrufsschriftsatz am letzten Tag der Widerrufsfrist nicht im Postfach gelegen hat.
b) Damit ist der Widerruf jedoch nicht mehr fristgerecht in die Verfügungsgewalt des Arbeitsgerichts gelangt.
Für den Zugang von Willenserklärungen nach § 130 Abs. 1 BGB ist in der Rechtsprechung und überwiegend auch im Schrifttum anerkannt, daß ein Einschreibebrief nicht schon dann zugegangen ist, wenn der Postbote bei der Zustellung niemand antrifft und einen Benachrichtigungszettel über die Niederlegung des Briefs bei der Postanstalt hinterläßt, sondern erst dann, wenn der Brief dem Empfänger oder seinem Bevollmächtigten ausgehändigt wird (BAG 13, 313 = AP Nr. 4 zu § 130 BGB; BGH VersR 1971, 262; BGHZ 67, 271 - für den Fall der Zustellung durch die Post; BGB-RGRK, Krüger/Nieland, 12. Aufl., § 130 Rz 16; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 130 Rz 37; jeweils m. w. N.). Dies wird im wesentlichen damit begründet, daß in diesen Fällen lediglich der Benachrichtigungszettel, nicht aber das zuzustellende Schriftstück selbst in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Dieser Zettel enthält auch keinen Hinweis auf den Absender, so daß der Empfänger im Ungewissen darüber bleibt, welche Angelegenheit das Einschreiben zum Gegenstand hat. Deshalb kann der Benachrichtigungszettel nicht den Einschreibebrief und der Zugang des Benachrichtigungszettels nicht den Zugang des Einschreibebriefs ersetzen oder vermitteln.
Ebenso ist das Einlegen des Benachrichtigungszettels in ein von dem Empfänger unterhaltenes Postfach zu beurteilen, wie der Senat bereits in dem Urteil BAG 13, 313 ausgesprochen hat. Nach § 53 Abs. 7 Sätze 2 und 3 PostO wird bei nachzuweisenden Sendungen, zu denen das Einschreiben gehört (§ 1 Abs. 4 PostO), dem Abholer zunächst nur der Auslieferungsschein ausgehändigt, die Sendung selbst erst gegen Vorlage des mit dem Namen des Empfangsberechtigten vollzogenen Auslieferungsscheins ausgeliefert. Mit der Einlegung des Benachrichtigungszettels in das Abholfach erlangt der Empfänger somit noch nicht die ausschließliche Verfügungsgewalt über die Sendung. Im Gegensatz zur Abholung der eingelegten Sendung selbst bedarf es hier noch einer Übergabe der Sendung durch die Post Zug um Zug gegen Vorlage des unterschriebenen Auslieferungsscheins durch den Abholer. Für das Eingehen eines fristwahrenden Schriftstücks bei Gericht kann nichts anderes gelten, da auch hierfür - im Gegensatz zum Zugang nach § 130 BGB allerdings ausschließlich - Voraussetzung ist, daß das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist (vgl. BVerfGE 60, 243; ebenso das bereits erwähnte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1982 - VII B 3/82 -).
Diese Grundsätze widersprechen auch nicht der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eingang fristwahrender Schriftstücke bei Gericht. Sie besagt für den konkreten Fall nichts darüber, wie und wann ein Schriftsatz in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt. Das richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, deren Bewertung als eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts den dafür allgemein zuständigen Gerichten obliegt (BVerfGE 60, 243).
III.Das Berufungsgericht hat zu Recht geprüft, ob der Vergleichswiderruf im Hinblick auf die Abholpraxis des Arbeitsgerichts als rechtzeitig angesehen werden muß. Im Gegensatz zu der von ihm vertretenen Ansicht läßt sich diese Frage jedoch nach den bisher getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beantworten.
1. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Vergleichswiderrufsfrist ist rechtlich nicht möglich, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung (BAG 29, 358; BAG Urteil vom 29. Juni 1978 - 2 AZR 88/78 - AP Nr. 24 und 26 zu § 794 ZPO; BGHZ 61, 394) zutreffend angenommen hat.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch die Ansicht vertreten, der Vergleich müsse aus folgenden Gründen als rechtzeitig widerrufen gelten:
Unterhalte ein Gericht ein Postfach, so müsse es dafür Sorge tragen, daß fristwahrende Sendungen, einschließlich nachzuweisender, die jedenfalls bis 12.00 Uhr dort eingelegt würden, noch am selben Tag abgeholt würden. Die vom Arbeitsgericht geübte Abholpraxis bürde dem Bürger ohne hinreichenden Sachgrund ein unzumutbares Zugangshindernis auf, da insoweit die Gerichtsverwaltung über den Zeitpunkt des Eingangs von Prozeßerklärungen vor Gericht entscheide. Es bestehe die hohe Gefahr, daß rechtzeitig beim Postamt in Stuttgart einkommende Sendungen das Arbeitsgericht verspätet erreichten. Gehe am frühen Morgen bei dem zuständigen Postamt ein an das Arbeitsgericht adressierter Brief ein, so würde er unter regelmäßigen Umständen noch am selben Tag ausgetragen und das Arbeitsgericht erreichen. Enthalte der Brief nicht die Abholangabe, sei die Post zwar nicht verpflichtet, ihn zur Abholung bereitzuhalten. In der Praxis werde jedoch anders verfahren. Die Sendung werde von der Briefeingangsstelle dem zuständigen Zusteller übermittelt. Dieser notiere die entsprechende Nummer des Postfachs aus dem ihm zur Verfügung stehenden Verzeichnis auf dem Brief und leite ihn wieder an die Posteingangsstelle zurück. Von dort gelange die Sendung in das Postfach. Dies könne zu Verzögerungen führen.
Da sich der Absender dieser Auslieferungsart nicht entziehen könne, dürften ihm die damit verbundenen Risiken nicht zum Nachteil gereichen. Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung bestehe nicht. Es könne auch nicht eingewandt werden, die Widerrufsfrist wäre ohne Unterhaltung eines Abholfachs ebenfalls versäumt worden. Für diese Auslieferungsart komme es nur darauf an, ob die Sendung so rechtzeitig in das Postfach gelangt sei, daß sie bei einer der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechenden Abholpraxis noch am selben Tag bei Gericht eingegangen wäre. Dies sei hier der Fall. Es seien deshalb keine Feststellungen darüber getroffen worden, ob das Einschreiben im Falle der Auslieferung durch Postzusteller noch am 15. Februar 1984 beim Arbeitsgericht eingegangen wäre.
3. Dieser Ansicht kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Der Vergleichswiderruf ist nur dann als rechtzeitig zu behandeln, wenn der Widerrufsschriftsatz bei der Aufgabe zur Post am 14. Februar 1984 und normalem Beförderungsablauf so rechtzeitig bei dem Postamt 1 Stuttgart eingetroffen wäre, daß er ohne Bereithalten zur Abholung im normalen Zustellungsdienst noch am 15. Februar 1984 beim Arbeitsgericht Stuttgart eingegangen wäre. Hierzu bedarf es jedoch noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
a) Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 52, 203) dürfen die Gerichte nach dem Gebot einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung im Hinblick auf die verfahrensbeendende Wirkung eines Prozeßvergleichs auch den Zugang eines schriftlichen Vergleichswiderrufs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Etwaige Fristversäumungen, die auf Verzögerung der Entgegennahme der Sendung durch das Gericht beruhen, dürfen dem Bürger nicht angelastet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Verzögerung angenommen, wenn das Schriftstück tatsächlich bereits in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist, die Fristwahrung jedoch dann noch zusätzlich von einer Mitwirkung von Gerichtsbediensteten innerhalb des Gerichts abhängig gemacht wird.
Nach einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 62, 216) ist dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung nicht als Verschulden anzulasten, wenn eine Behörde den fristgerechten Eingang eines Schriftstücks dadurch vereitelt, daß sie zwar einen eigenen Abholdienst bei der Post unterhält, diesen jedoch - durch eine frühzeitige Abholung der Post vor Abschluß der morgendlichen Einsortierung - so organisiert, daß der Absender hierdurch schlechtergestellt wird, als dies bei einer Anlieferung durch Postzustellung an die Behörde der Fall wäre, durch die das Schriftstück noch am selben Tag bei Gericht eingegangen wäre.
b) Nach diesen Grundsätzen liegt eine dem Bürger nicht anzulastende Verzögerung des Eingangs eines Schriftstücks durch das Gericht auch dann vor, wenn das Schriftstück bei einer Auslieferung durch Postzusteller noch rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt wäre und das Gericht dies durch die Organisation der Leerung seines Postfachs verhindert hat (so - allgemein für den Zugang von Willenserklärungen nach § 130 BGB - auch OLG Celle, WM 1975, 550).
Diese Ansicht steht der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, nach der es keine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Vergleichswiderrufsfrist gibt, nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Nichtannahmebeschluß vom 6. März 1979 (AP Nr. 27 zu § 794 ZPO) ausgesprochen, es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, einer Partei auch gegen die nachteiligen Folgen der Versäumung einer von ihr selbst vertraglich vereinbarten Frist Schutz zu gewähren und auf die durch Postverzögerung verursachte Versäumung einer Vergleichswiderrufsfrist § 233 ZPO entsprechend anzuwenden. Sowohl dieser Entscheidung als auch dem Senatsurteil BAG 29, 358 (vgl. dort die Ausführungen zu II 3 f der Gründe) lag eine allein auf einer Verzögerung der Postbeförderung beruhende Fristversäumung zugrunde. Vorliegend geht es jedoch um Zugangsverzögerungen in der Sphäre des Gerichts, das beide Parteien zum Adressaten der fristgebundenen Widerrufserklärung bestimmt hatten. Dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 62, 216 kann nicht entnommen werden, daß der dort aufgestellte Grundsatz nur im Rahmen einer an sich statthaften Wiedereinsetzung gelten soll. Da im dortigen Fall die Wiedereinsetzung statthaft war, hatte das Bundesverfassungsgericht keinen Anlaß, die Rechtsfolgen einer behördlichen Zugangsvereitelung für Fristversäumungen außerhalb des Bereichs der Wiedereinsetzung zu erörtern.
Es besteht ferner auch kein Widerspruch zu dem erwähnten Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1982. Denn in dem dortigen Fall stand fest, daß die eingeschrieben aufgegebene Rechtsmittelschrift am letzten Tag der Frist bei normaler Beförderung nicht mehr an das Rechtsmittelgericht hätte ausgeliefert werden können. Der Bundesfinanzhof brauchte sich deshalb mit der vorliegend zu beantwortenden Rechtsfrage nicht zu befassen.
c) Ein von dem rechtzeitigen Eingang des Schriftstücks bei Gericht durch normale Postzustellung unabhängiger fristwahrender Eingang bei Gericht kann dagegen nicht angenommen werden. Hierdurch würde die Partei im Falle der Unterhaltung eines Postfachs durch das Gericht bessergestellt als bei einer Auslieferung im normalen Zustelldienst. Sie trägt aber grundsätzlich das Risiko der Einhaltung einer vereinbarten Erklärungsfrist. Da es gegen die Versäumung einer solchen Frist keine Wiedereinsetzung gibt, ist sie auch nicht gegen Fristversäumungen geschützt, die allein auf Beförderungsmängeln der Post beruhen, da diese nur einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Gericht aber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, die Leerung seines Postfachs so zu organisieren, daß auch noch Sendungen bei ihm eingehen, die am Tag des Eingangs bei dem zuständigen Postamt im normalen Zustelldienst nicht mehr angeliefert worden wären. Die Verfassung gebietet den Gerichten nur, den fristwahrenden Zugang von Schriftstücken, die in ihre Verfügungsgewalt gelangt sind, nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen, und nicht durch organisatorische Maßnahmen den bei normaler Postbeförderung gewährleisteten rechtzeitigen Eingang des Schriftstücks zu vereiteln.
Geht man davon aus, daß das die fristgebundene Erklärung enthaltende Schriftstück bereits mit dem Einlegen in das Postfach ohne Rücksicht auf Abhol- und Dienstzeiten bei Gericht eingegangen ist (so BayVGH, aaO), kann eine Frist bei Eingang des Schriftstücks beim Postamt am letzten Tag nur in den Fällen versäumt werden, in denen die Partei die Versendungsform des Einschreibens wählt. Das damit verbundene Risiko muß die Partei tragen, sofern die Sendung auch durch Zusteller an diesem Tag nicht mehr an das Gericht ausgeliefert worden wäre. Sie hat zwar keinen Einfluß darauf, daß die Sendung zur Abholung bereitgehalten wird. Hiermit muß die Partei jedoch rechnen, weil die Post gemäß § 53 Abs. 5 PostO lediglich - dem Abholer gegenüber -, nicht verpflichtet ist, die Sendung zur Abholung bereitzuhalten. Eine von Verfassungs wegen zu beanstandende Benachteiligung der die Versendungsform des Einschreibens wählenden Partei liegt nicht vor, weil weder die Unterhaltung eines Postfachs durch das Gericht noch das Bereithalten der Sendung durch die Post rechts- oder sachwidrig ist.
d) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Beklagte die Vergleichswiderrufsfrist gewahrt hat. Dies hängt davon ab, ob der Widerrufsschriftsatz bei Anlieferung durch Postzusteller noch am 15. Februar 1984 beim Arbeitsgericht eingegangen wäre.
Das Berufungsgericht hat insoweit keine abschließenden Feststellungen getroffen. Eine endgültige Feststellung ist aufgrund der von ihm eingeholten Auskunft des Postamtes auch noch nicht möglich. Zwar heißt es dort, es könne in der Regel davon ausgegangen werden, daß ein eingeschriebener Brief aus Bamberg am Tag nach der Einlieferung in Stuttgart zugestellt werde. Jedoch ist nicht festgestellt, zu welcher Tageszeit die Sendung am 14. Februar 1984 bei dem Postamt in Bamberg eingegangen ist, welche Postlaufzeiten damals für Sendungen nach Stuttgart galten und wann das Einschreiben am 15. Februar 1984 beim Postamt 1 Stuttgart eingegangen ist. Diese Angaben sind aber erforderlich. Nur dann kann festgestellt werden, ob die Sendung bei dem Postamt 1 in Stuttgart am 15. Februar 1984 rechtzeitig zur Auslieferung durch Postzusteller an diesem Tag eingetroffen ist oder dort bei normalem Beförderungsablauf (Postlaufzeiten) hätte eintreffen müssen. Die vom Berufungsgericht im Tatbestand seines Urteils getroffene Feststellung, der Brief sei an diesem Tag "gegen 9.00 Uhr" beim Postamt eingegangen, reicht nicht aus. Zum einen kommt es nicht in jedem Falle auf den tatsächlichen Eingang der Sendung beim Postamt an. Maßgebend kann bei verspätetem Eingang vielmehr auch sein, wann sie nach der Einlieferung beim Aufgabepostamt bei normalem Beförderungsablauf hätte eingehen müssen, wenn dieser Zeitpunkt vor dem des tatsächlichen Eingangs liegt. Zum anderen steht auch nicht fest, wann beim Postamt Stuttgart eingegangene Sendungen noch zur Auslieferung durch die Postzusteller an diesem Tag aussortiert wurden oder ob der Postzusteller den Einschreibebrief am 15. Februar 1984 bereits in Händen hatte und die Zustellung durch ihn nur deshalb unterblieb, weil er den Brief unter Angabe der Postfachnummer an die Eingangsstelle zurückgeleitet hat. Nur wenn diese Daten feststehen, kann beurteilt werden, ob der Vergleichswiderrufsschriftsatz bei Beförderung im allgemeinen Zustelldienst der Post noch am 15. Februar 1984 beim Arbeitsgericht eingegangen wäre. Eine Auslieferung von Einschreibesendungen außerhalb der normalen Postzustellung ist in der Postordnung nicht vorgeschrieben (vgl. Florian/Weigert, PostO, S. 623).
Hillebrecht Dr. Röhsler Triebfürst
Brenne Ramdohr
Fundstellen
Haufe-Index 438016 |
BB 1986, 1092 |
DB 1986, 652 |
NJW 1986, 1373 |
NJW 1986, 1373-1376 (LT1-2) |
ARST 1982, 47 |
RdA 1986, 68 |
AP § 794 ZPO, Nr 38 |
AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit IX Entsch 30 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 160.9 Nr 30 |
EzA § 794 ZPO, Nr 7 (LT1-2) |