Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahresabschlußzahlung und Erziehungsurlaub
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein tarifvertraglicher Anspruch auf eine Jahressonderzuwendung wird durch Erziehungsurlaub im Bezugszeitraum nicht gemindert, wenn der Tarifvertrag zum Erziehungsurlaub keine derartige Regelung enthält.
2. Eine tarifvertragliche Minderung der Jahressonderzuwendung bei Teilzeitbeschäftigung ist mit dem Erziehungsurlaub nicht gleichzusetzen.
Orientierungssatz
Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahresabschlußzahlung für die Arbeitnehmer in den Betrieben des Bundesverbandes Union Deutscher Fotofinisher (TV-JAZ) vom 3. Mai 1977 in der Fassung der Änderungsvereinbarung vom 20. April 1985 Nr 1 und 3.
Normenkette
TVG § 1; BGB § 611; BErzGG § 15
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.03.1989; Aktenzeichen 12 Sa 1349/88) |
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 10.06.1988; Aktenzeichen 4 Ca 80/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine tarifliche Jahresabschlußzahlung.
Die 1954 geborene Klägerin ist seit dem 1. August 1974 bei der Beklagten als Laborhelferin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahresabschlußzahlung für die Arbeitnehmer in den Betrieben des Bundesverbandes Union Deutscher Fotofinisher ( TV-JAZ ) vom 3. Mai 1977 i.d.F. der Änderungsvereinbarung vom 20. April 1985 kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
In diesem Tarifvertrag ist u.a. bestimmt:
1. Der Anspruch auf eine Jahresabschlußzahlung
setzt voraus, daß das Beschäftigungsver-
hältnis länger als 3 Monate dauert.
...
3.Die Jahresabschlußzahlung beträgt für voll-
zeitbeschäftigte Arbeitnehmer einen Brutto-
Monatsverdienst, berechnet auf der Basis des
Monats Oktober.
...
Teilzeitbeschäftigte erhalten die Jahresab-
schlußzahlung in der ihrer anteiligen Arbeits-
zeit entsprechenden Höhe.
...
Arbeitnehmer, die im Laufe des Kalenderjahres in
den Betrieb eintreten oder aus dem Betrieb aus-
scheiden, erhalten, sofern der Arbeitnehmer das
Arbeitsverhältnis nicht selbst gekündigt hat,
die Jahresabschlußzahlung anteilig, das heißt
für jeden Beschäftigungsmonat 1/12 der zuste-
henden Jahresabschlußzahlung.
Scheidet ein Arbeitnehmer nach Erreichung der
Altersgrenze (flexible Altersgrenze) wegen
Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit aus, so erhält
er die Jahresabschlußzahlung in der seiner
anteiligen Beschäftigungszeit im Kalenderjahr
entsprechenden Höhe. Gleiches gilt für Arbeit-
nehmer, deren Arbeitsverhältnis infolge Einberu-
fung zum Grundwehr- oder Ersatzdienst ruht.
Die Klägerin nahm in der Zeit vom 15. Mai 1987 bis zum 19. Januar 1988 Erziehungsurlaub nach dem BErzGG. Die Beklagte zahlte ihr für 1987 lediglich eine anteilige Jahresabschlußzahlung in Höhe von 1.048,-- DM brutto anstelle von 2.515,20 DM brutto.
Die Klägerin hat gemeint, sie habe für das Jahr 1987 Anspruch auf die ungekürzte Jahresabschlußzahlung, weil der Tarifvertrag eine anteilsmäßige Minderung ihres Anspruchs für Zeiten des Erziehungsurlaubs nicht vorsehe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
1.467,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit dem 1. Dezember 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, das Arbeitsverhältnis habe während des Erziehungsurlaubs geruht und deshalb bestehe keine Verpflichtung, für diesen Zeitraum eine anteilige Jahresabschlußzahlung zu leisten. Die Tarifvertragsparteien hätten keineswegs die anteilige Kürzung der Jahresabschlußzahlung auf den Ruhenstatbestand des Grundwehr- oder Ersatzdienstes beschränken wollen. Es müsse vielmehr von dem die Tarifverhandlungen beherrschenden Grundsatz ausgegangen werden, für Ruhenstatbestände sollten schlechthin keine Leistungen erbracht werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Klägerin habe die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Jahresabschlußzahlung erfüllt. Der Tarifvertrag enthalte keine generelle Ausnahmebestimmung für einen nur anteiligen Bezug beim Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Auch wenn es beim erstmaligen Abschluß des Tarifvertrages im Mai 1977 weder Mutterschaftsurlaub noch Erziehungsurlaub gegeben habe, so sei dem Tarifvertrag in dessen Ziff. 3 letzter Absatz nicht zu entnehmen, die Tarifvertragsparteien hätten damals dort jede Art von Fehlzeiten und ihre Auswirkungen auf den Anspruch auf die Jahresabschlußzahlung umfassend regeln wollen. Der Tarifvertrag besage z.B. nichts über Zeiten eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs oder über die Abwesenheit der Arbeitnehmerin während der Mutterschutzfristen nach §§ 3, 6 MuSchG. Ferner sei nicht geregelt, wie sich länger andauernde Wehrübungen, welche das Arbeitsverhältnis des eingezogenen Arbeitnehmers ebenfalls zum Ruhen brächten, auf die Jahresabschlußzahlung auswirken sollten. Es sei deshalb nicht ersichtlich, daß die Tarifvertragsparteien die Zeiten des Mutterschaftsurlaubes oder auch des Erziehungsurlaubes, falls diese bei Abschluß des Tarifvertrags im Jahre 1977 bereits gesetzlich vorgesehen gewesen wären, in die Fehlzeitenregelung des Tarifvertrags aufgenommen hätten. Dennoch könne die Klägerin die Zahlung des geltend gemachten Differenzbetrages nicht beanspruchen. Die Ziff. 3 des Tarifvertrages sehe u.a. vor, daß Teilzeitbeschäftigte die Jahresabschlußzahlung in der ihrer anteiligen Arbeitszeit entsprechenden Höhe erhielten. Das BErzGG sehe für Erziehungsurlauber die Möglichkeit vor, von ihrem Arbeitgeber während des Erziehungsurlaubs im Rahmen eines Teilzeitarbeitsverhältnisses beschäftigt zu werden. Wenn eine Erziehungsurlauberin von dieser Möglichkeit Gebrauch mache, so stehe ihr als Teilzeitbeschäftigte nach Ziff. 3 TV-JAZ lediglich der Höhe nach eine anteilige Jahresabschlußzahlung zu. Daraus sei zu folgern, daß sich der Sonderzahlungsanspruch auf Null reduziere, wenn die Erziehungsurlauberin überhaupt nicht arbeite. Denn es könne nicht Sinn und Zweck einer Zuwendungsregelung sein, daß bei Nichtarbeit die volle Jahresabschlußzahlung, bei Teilzeitarbeit jedoch nur eine Jahresabschlußzahlung anteilmäßig gezahlt werden müsse.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand.
II. Die Klägerin hat Anspruch auf die volle Jahresabschlußzahlung für das Jahr 1987. Denn sie erfüllt die anspruchsbegründenden Voraussetzungen der Nr. 1 und 3 Satz 1 TV-JAZ . Die in der Nr. 3 TV-JAZ enthaltene Teilzeitregelung ist nicht geeignet, den Anspruch der Klägerin auszuschließen.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte könne sich nicht auf die Nr. 3 letzter Absatz Satz 2 TV-JAZ berufen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht gegeben.
2. Der von der Klägerin nach dem BErzGG genommene Erziehungsurlaub kann auch nicht dem Grundwehr- oder Ersatzdienst gleichgestellt werden. Das folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Tarifnorm. Auch eine teleologische Auslegung führt nicht zur Gleichsetzung von Erziehungsurlaub mit dem Grundwehr- und Ersatzdienst. Zwar ruht das Arbeitsverhältnis der Parteien in beiden Fällen (Senatsurteile vom 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - NZA 1989, 759 = BB 1989, 2479; vom 7. Dezember 1989 - 6 AZR 322/88 - BB 1990, 1200 und vom 1. Februar 1990 - 6 AZR 67/88 - nicht veröffentlicht). Auch kann der Erziehungsurlaub anders als der Mutterschaftsurlaub inzwischen für Zeiträume in Anspruch genommen werden, die denen nicht nachstehen, in denen Grundwehr- und Ersatzdienst geleistet werden müssen. Darin erschöpfen sich jedoch die Gemeinsamkeiten. Sie reichen nicht aus, um den Anwendungsbereich des Tarifvertrages über seinen Wortlaut hinaus auszudehnen (Senatsurteil vom 23. August 1990 - 6 AZR 528/88 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
3. Der Tarifvertrag enthält auch keine Tariflücke. Ein Wille der Tarifvertragsparteien, alle Fälle des Ruhens regeln zu wollen, ist angesichts einer Reihe ungeregelter Tatbestände nicht erkennbar, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat. Wäre eine Tariflücke festzustellen, so könnte sie von den Gerichten für Arbeitssachen nicht geschlossen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 36, 218, 225, 226 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAGE 47, 61, 67 = AP Nr. 95 zu §§ 22, 23 BAT 1975; Senatsurteil vom 23. August 1990 - 6 AZR 528/88 -) sind unbewußte Regelungslücken zwar unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und unter Berücksichtigung dessen zu schließen, wie die Tarifvertragsparteien die betreffende Frage bei objektiver Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses voraussichtlich geregelt hätten, falls sie an den nicht geregel-ten Fall gedacht hätten. Das setzt aber voraus, daß hinreichende und vor allem auch sichere Anhaltspunkte für eine solche vermutete Leistungsbestimmung durch die Tarifvertragsparteien gegeben sind. Die Ausfüllung einer Tariflücke kommt auch dann in Betracht, wenn nur eine ganz bestimmte Regelung billigem Ermessen entspricht. Sie muß nach Treu und Glauben und objektiver Betrachtung der maßgebenden Zusammenhänge geboten sein, so daß davon auszugehen ist, daß sich die Tarifvertragsparteien einer solchen zwingend gebotenen Regelung nicht entzogen hätten. Stehen dagegen keine sicheren Anhaltspunkte dafür fest, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten und sind verschiedene Regelungen denkbar, die billigem Ermessen entsprechen, kann ein mutmaßlicher Wille der Tarifvertragsparteien nicht festgestellt werden. Folglich ist keine Ausfüllung der Tariflücke durch die Gerichte möglich. Im Streitfall bestehen verschiedene Möglichkeiten für die Tarifvertragsparteien, wie der Tarifvertrag zum Erziehungsurlaub ergänzt werden könnte. Sie könnten den Erziehungsurlaub ausdrücklich so behandeln wie den Grundwehr- und Ersatzdienst. Sie könnten aber auch eine Regelung schaffen, wonach die Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs nicht anspruchsmindernd würden. Außerdem sind Regelungen denkbar, daß nur bestimmte Zeiten des Erziehungsurlaubs erfaßt werden.
4. Der Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages führt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zu einem Anspruchsausschluß.
a) Die Bestimmungen über Teilzeitbeschäftigung der Nr. 3 TV-JAZ können mit der Zwölftelungs- bzw. Anteiligkeitsregelung der letzten beiden Absätze im TV-JAZ nicht verglichen werden. Denn bei der ersten Regelung handelt es sich um eine Vorschrift zur Berechnung der Höhe der Jahresabschlußzahlung, bei letzteren Bestimmungen um Kürzungsmöglichkeiten der zuvor auch nach der Teilzeitbestimmung errechneten Jahresabschlußzahlung pro rata temporis. So liegen systematisch zwei Bestimmungen unterschiedlicher Funktion vor.
b) Auch wenn wegen der räumlichen Nähe der Bestimmungen eine Abstimmung der Vorschriften notwendig wäre, überzeugt die Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht. Die Erziehungsgeldberechtigte, die sich entscheidet, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen und neben dem Erziehungsgeld Arbeitsentgelt zu verdienen, mag eine geringere Jahresabschlußzahlung erhalten als diejenige, die nur Erziehungsgeld bezieht. Die sich daran anschließende Bewertung des Landesarbeitsgerichts, der Sonderzahlungsanspruch der Erziehungsurlauberin, die überhaupt nicht arbeite, müsse sich auf Null reduzieren, beruht allerdings auf einem Vergleich zweier ungleicher Sachverhalte. Die Erziehungsgeldberechtigte, die einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, ist nicht mit den Erziehungsgeldberechtigten zu vergleichen, die ihr Arbeitsverhältnis zum Ruhen bringen. Sie ist vielmehr mit denen zu vergleichen, die wie andere Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums im Einverständnis mit dem Arbeitgeber von Vollzeitbeschäftigung in Teilzeitbeschäftigung überwechseln. Beide erhalten wegen der freiwilligen einverständlichen Vertragsänderung eine geringere Jahresabschlußzahlung (vgl. ähnlich BAG Urteil vom 6. September 1990 - 6 AZR 149/89 - nicht veröffentlicht). Dem kann nicht entgegengehalten werden, das BErzGG regele die Rechtsverhältnisse aller Erziehungsgeldberechtigten und daraus folge die Vergleichbarkeit. Das gilt allenfalls für die sozialrechtlichen Ansprüche der Erziehungsgeldberechtigten. Arbeitsrechtlich liegen jedoch zwei unterschiedliche Sachverhalte vor, die unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen können.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Jobs Schliemann Dörner
Marx H. Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 440775 |
BB 1991, 553 |
BB 1991, 553-554 (LT1-2) |
DB 1991, 1024-1025 (LT1-2) |
EBE/BAG 1991, 20-21 (LT1-2) |
AiB 1991, 162-163 (LT1-2) |
Stbg 1991, 338-338 (K) |
EEK, III/104 (ST1) |
NZA 1991, 275-276 (LT1-2) |
RdA 1991, 64 |
SAE 1992, 35-37 (LT1-2) |
ZAP Fach 17 R, 17-18 (LT) |
AP § 15 BErzGG (LT1-2), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 1460 Nr 24 (LT1-2) |
AR-Blattei, Sonderleistungen Entsch 24 (LT1-2) |
EzA § 16 BErzGG, Nr 4 (LT1-2) |
ZfPR 1991, 116 (L) |