Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerentsendung. Betriebsabteilung. Darlegungs- und Erklärungslast
Leitsatz (amtlich)
Nimmt die Urlaubskasse des Baugewerbes einen Arbeitgeber auf Zahlung von Beiträgen mit der Behauptung in Anspruch, dieser unterhalte eine selbstständige (Bau-) Betriebsabteilung, so trägt sie die Darlegungsund Beweislast für die hierfür erforderlichen Tatsachen. Erbringt der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland ausschließlich in Deutschland mit entsandten Arbeitnehmern bauliche Leistungen und ist streitig, ob der Arbeitgeber hierfür einen eigenen Leitungsapparat eingerichtet hat, genügt er seiner prozessualen Erklärungslast nicht mit der pauschalen Behauptung, die Geschäftsleitung nähme “alle Leitungsaufgaben” vom Ausland aus wahr.
Orientierungssatz
- Die Bestimmungen der allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Baugewerbes werden auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland ua. dann erstreckt, wenn sie in Deutschland eine Betriebsabteilung iSv. § 211 Abs. 1 Satz 4 SGB III unterhalten, die überwiegend bauliche Leistungen erbringt. Vom VTV werden “selbstständige” Betriebsabteilungen erfasst.
- Unter einer Betriebsabteilung versteht man nach dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch einen räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann. Das Merkmal der Selbstständigkeit verlangt eine auch nach außen hin erkennbare deutliche räumliche und organisatorische Abgrenzung sowie einen besonders ausgeprägten arbeitstechnischen Zweck.
- Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitgeber einen gegliederten Betrieb mit eigenem Leitungsapparat unterhält, treffen die Urlaubskasse.
- Die Urlaubskasse genügt ihrer Darlegungslast, wenn sie die äußeren Umstände darlegt, unter denen der Arbeitgeber in Deutschland bauliche Leistungen erbringt und hierzu behauptet, der Arbeitgeber habe für die Durchführung der Werkverträge eine eigene Leitungsebene eingerichtet. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber hat sich dann hierzu konkret zu äußern. Die pauschale Behauptung “alle Leitungsaufgaben” nähme der Geschäftsführer vom Ausland aus wahr, genügt nicht.
- Es bleibt unentschieden, ob und unter welchen Voraussetzungen in Fällen der Arbeitnehmerentsendung eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen eines eigenen Leitungsapparats eingreift.
- Der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, der den Urlaub eines nach Deutschland entsandten Arbeitnehmers nach dem zwingenden Recht des Entsendestaates abgilt, erwirbt in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 1 der Urlaubskasse und Satz 2 VTV einen Erstattungsanspruch gegen die Urlaubskasse, soweit er die nach Satz 2 tariflich geschuldeten Meldungen abgegeben hat.
Normenkette
AEntG § 1 Abs. 1, 3; ZPO § 138
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Dezember 2003 – 16 Sa 785/03 – wird zurückgewiesen.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 9. April 2003 – 3 Ca 3616/00 – abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 45.342,68 Euro zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau) in Verbindung mit den Tarifvorschriften über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich geregelten Urlaubsvergütung zu sichern. Hierfür erhebt er Beiträge der Bauarbeitgeber. Der durch Änderungstarifvertrag vom 20. Dezember 1999 mit Wirkung zum 1. Januar 2000 neu gefasste VTV sowie der durch Änderungstarifvertrag vom selben Tag geänderte BRTV-Bau sind allgemeinverbindlich (AVE vom 14. März 2000, BAnz. Nr. 61 vom 28. März 2000 S. 5337).
Die Beklagte ist eine 1991 gegründete juristische Person polnischen Rechts mit Sitz in S… (Polen), die sich in Polen im Schneiderhandwerk betätigt. Im Kalenderjahr 2000 führte sie mit Hilfe aus Polen entsandter polnischer Arbeitnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen als Subunternehmerin in der Bundesrepublik Deutschland Rohbauarbeiten durch. Während der Zeit der Tätigkeit in Deutschland unterhielt die Beklagte in Berlin ein von ihr als “Außenstelle Berlin” bezeichnetes Büro. Von diesem Büro aus und mit dem dem Namen der Beklagten beigefügten Zusatz “Außenstelle Berlin” wurden ua. die gegenüber den Landesarbeitsämtern nach den Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) abzugebenden Meldungen über die in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer erteilt.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte sei auf Grund ihrer baugewerblichen Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen für die entsandten und hier beschäftigten Arbeitnehmer verpflichtet. Arbeitszeitlich überwiegend seien im Jahr 2000 von der Beklagten, auch unter Berücksichtigung ihrer Tätigkeit in Polen, Rohbauarbeiten und damit bauliche Leistungen ausgeführt worden. Die überwiegende Arbeitszeit der beschäftigten Arbeitnehmer sei auf die Tätigkeiten in Deutschland entfallen. Während die Beklagte, ausweislich der Auskunft einer Wirtschaftsauskunftstei in Polen durchschnittlich 21 Arbeitnehmer beschäftige, habe sie im Jahr 2000 im Januar und März 53, im Februar 59, im April 28, im Mai 17, im Juni 20, im Juli 19 und im August vier Arbeitnehmer in Deutschland eingesetzt. In jedem Fall habe die Beklagte in Deutschland eine selbstständige Betriebsabteilung unterhalten. Das ergebe sich ua. aus der räumlichen und organisatorischen Trennung der Tätigkeitsbereiche sowie der unterschiedlichen arbeitstechnischen Zwecksetzung in Polen und Deutschland. Sinnfällig werde die eigenständige Leitung durch das als “Außenstelle Berlin” geführte Büro unterstrichen. Dementsprechend schulde die Beklagte Beiträge zur Urlaubskasse für die Monate Januar bis August 2000. Unter Berücksichtigung der Anrechnungen stehe für die Monate Januar und Februar 2000 noch ein Betrag von 35.822,86 DM offen. Für die Monate März bis August 2000 hat der Kläger die Beitragsforderung auf der Grundlage der tariflichen Mindestlöhne, der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 7,8 Stunden pro Arbeitstag und dem tariflichen Beitragssatz errechnet. Daraus hat er für die Monate März bis August einen Beitrag von 52.859,72 DM errechnet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 45.342,68 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe im Jahr 2000 nicht überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten ausgeführt. In Polen habe sie im Durchschnitt des Kalenderjahres im Schneiderhandwerk 37 Arbeitnehmer, in Deutschland durchschnittlich 11 Arbeitnehmer mit Bauleistungen beschäftigt. Eine selbstständige Bau-Betriebsabteilung habe sie in Deutschland nicht unterhalten. Alle für die Durchführung der Werkverträge erforderlichen Leitungsentscheidungen habe ihr Geschäftsführer von Polen aus getroffen. Der erhobene Anspruch bestehe jedenfalls nicht in Höhe der Klageforderung. Sie habe Erstattungsansprüche gegen den Kläger, weil sie entsprechend den zwingenden Vorschriften des polnischen Rechts den entsandten Arbeitnehmern den auf die Zeit ihres Einsatzes in Deutschland entfallenden Urlaub abgegolten habe. Mit dem insgesamt gezahlten Betrag von 54.699,22 DM rechne sie auf.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert. Es hat angenommen, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, Urlaubskassenbeiträge in Höhe der Klageforderung an den Kläger zu zahlen. Es hat die Klageforderung wegen eines Erstattungsanspruchs der Beklagten um 27.967,28 Euro gemindert. Insoweit hat es die von der Beklagten erklärte Aufrechnung greifen lassen. Beide Parteien haben die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger die verlangten Beiträge zu zahlen. Dagegen ist die Revision des Klägers begründet. Soweit die Beklagte Urlaub der von ihr entsandten Arbeitnehmer abgegolten hat, kommt zwar ein Erstattungsanspruch in Betracht. Dieser setzt aber voraus, dass die Beklagte dem Kläger die tarifvertraglich geschuldeten Meldungen gemacht hat. Daran fehlt es.
I. Die Ansprüche des Klägers beruhen auf den Tarifbestimmungen des § 8 Nr. 15 BRTV-Bau iVm. § 18 VTV/2000. Diese sind auf das Rechtsverhältnis der Parteien nach § 1 Abs. 3 iVm. Abs. 1 AEntG anzuwenden.
1. § 1 Abs. 1 AEntG erstreckt die Rechtsnormen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags des Bauhauptgewerbes oder Baunebengewerbes iSd. §§ 1 und 2 Bau-betriebeVO auch auf ein Arbeitsverhältnis, das zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern besteht. Die Erstreckung setzt voraus, dass der ausländische Arbeitgeber in seinem Betrieb überwiegend Bauleistungen iSd. § 211 Abs. 1 SGB III erbringt. Dann hat der ausländische Arbeitgeber ebenso wie ein inländischer Arbeitgeber den im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern mindestens die am Arbeitsort geltenden tariflichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, soweit die Dauer des Erholungsurlaubs, das Urlaubsentgelt oder ein zusätzliches Urlaubsgeld betroffen sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AEntG). Gegenüber der Urlaubskasse ist er nach § 1 Abs. 3 AEntG verpflichtet, die tariflich bestimmten Meldungen abzugeben und die tariflichen Beiträge zu entrichten.
2. § 1 AEntG ist rechtswirksam. Das hat der Senat bereits mehrfach entschieden (25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – BAGE 101, 357 und – 9 AZR 439/01 – BAGE 102, 1; – 9 AZR 406/00 – DB 2003, 2287; 20. Juli 2004 – 9 AZR 343/03 – AP AEntG § 1 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen und – 9 AZR 345/03 –). Inländische und ausländische Bauarbeitgeber werden gleich behandelt. Auch inländische Bauarbeitgeber können die Anwendung der nach § 1 AEntG zwingenden tariflichen Bestimmungen nicht durch Bindung an einen für den Betrieb an sich tarifrechtlich geltenden, spezielleren Tarifvertrag vermeiden. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf Anfrage des erkennenden Senats vom 9. September 2003 (– 9 AZR 478/02(A) –) mit Beschluss vom 13. Mai 2004 (– 10 AS 6/04 –) seine gegenteilige Auffassung (BAG 4. Dezember 2002 – 10 AZR 113/02 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 28 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 17) aufgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte nicht.
3. Die Voraussetzungen der Erstreckung sind erfüllt. Die Beklagte hat im streitbefangenen Zeitraum überwiegend bauliche Leistungen im Sinne der sozial- und tarifrechtlichen Bestimmungen erbracht. Auch die sonstigen Voraussetzungen der Erstreckung liegen vor.
a) Bauliche Leistungen sind nach der Legaldefinition in § 211 Abs. 1 Satz 2 SGB III (bis 1997 § 75 AFG) alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Sie werden überwiegend erbracht, wenn die baulichen Tätigkeiten die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer beansprucht. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz oder Verdienst, auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (BSG 15. Februar 2000 – B 11 AL 41/99 R – SozR 3 – 4100 § 75 Nr. 3). In gleicher Weise erfolgt die Abgrenzung, wenn streitig ist, ob der Betrieb dem betrieblichen Geltungsbereich der Bautarifverträge unterliegt (ständige Rechtsprechung vgl. BAG 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 244 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 110; 22. April 1987 – 4 AZR 496/86 – BAGE 55, 223 mwN).
b) Zwischen den Parteien ist nicht im Streit, dass die von der Beklagten mit den entsandten Arbeitnehmern verrichteten Rohbauarbeiten fachlich den Tarifverträgen des Baugewerbes unterfallen (§ 1 Abschnitt V Nr. 12 und 37 VTV und BRTV-Bau: Fassadenbauarbeiten und Trocken- und Montagebauarbeiten). Die Tarifverträge sind allgemeinverbindlich. Das Schneiderhandwerk wird von den auf Antrag erfolgten Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung vom 17. Januar 2000, auf die die hier maßgebliche Allgemeinverbindlicherklärung vom 14. März 2000 Bezug nimmt, nicht erfasst.
c) Nach § 211 Abs. 1 Satz 1 SGB III kommt es für die Feststellung des zeitlichen Umfangs auf den “Betrieb” an, der die baulichen Leistungen erbringt. Betrieb iSd. Satzes 1 ist nach Satz 4 auch eine Betriebsabteilung. Unterhält der Arbeitgeber eine “Bau-Betriebsabteilung”, so ist allein die dort aufgewendete Arbeitszeit maßgeblich. Auf das Ausmaß der in anderen Bereichen beschäftigten Arbeitnehmer kommt es dann nicht an. Dem entspricht im Wesentlichen die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschnitt VI VTV/2000. Betriebe unterfallen grundsätzlich als Ganzes dem Tarifvertrag, wenn sie überwiegend bauliche Leistungen erbringen. Betriebe iSd. Tarifvertrags sind auch selbstständige Betriebsabteilungen. Sie unterfallen den baugewerblichen Tarifverträgen, wenn überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden.
d) Das Landesarbeitsgericht hat offen gelassen, ob die Beklagte in ihrem Gesamtbetrieb, also unter Einschluss der in Polen verrichteten Arbeiten, überwiegend bauliche Leistungen erbracht hat. Es hat zu Gunsten der Beklagten deren Sachvortrag zur Anzahl der von ihr vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im Baugewerbe und im Textilhandwerk als wahr unterstellt und auf dieser Grundlage angenommen, die Beklagte habe nicht mehr als 50 % bauliche Leistungen erbracht. Das überzeugt nicht. Die Beklagte hat das Vorbringen des Klägers nicht ausreichend bestritten.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bemisst sich der Umfang der aufgewendeten Arbeitszeit grundsätzlich nach dem Kalenderjahr, für das Beiträge verlangt werden (BAG 22. April 1987 – 4 AZR 496/86 – BAGE 55, 223). Das gilt auch dann, wenn die Urlaubskasse den Arbeitgeber nur für einige Monate des Jahres zu Beiträgen heranzieht. Andernfalls besteht insbesondere bei sog. Mischbetrieben die Gefahr, dass wegen der saisonalen Schwankungen von Beschäftigungsmöglichkeiten im oft witterungsabhängigen Baugewerbe ein falsches Bild vom Zuschnitt des Gesamtbetriebs gezeichnet wird. Dagegen kommt es auf die Verhältnisse im streitbefangenen Zeitraum an, wenn der Arbeitgeber im Verlauf des Kalenderjahres die Erbringung baulicher Leistungen einstellt (BAG 22. April 1987 – 4 AZR 496/86 – aaO). So liegt es hier.
bb) Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im August 2000 den Betriebszweck “Bau” aufgegeben. Ausreichend bestritten iSv. § 138 Abs. 2 ZPO hätte sie die vom Kläger für die Monate Januar bis August 2000 behaupteten Zahlen daher nur, wenn sie nicht die auf das Kalenderjahr bezogenen Durchschnittswerte der Beschäftigten, sondern entsprechend dem Vorbringen des Klägers die Daten für die Monate Januar bis August 2000 angegeben hätte.
e) Der Beklagten braucht keine Gelegenheit zum ergänzenden Sachvortrag in der Tatsacheninstanz eröffnet zu werden. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis richtig. Die Beklagte unterliegt den allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, weil sie im streitbefangenen Zeitraum jedenfalls eine Betriebsabteilung iSd. § 211 Abs. 1 Satz 4 SGB III und eine selbstständige Betriebsabteilung iSd. § 1 Abs. 2 Abschnitt VI VTV/2000 unterhalten hat.
aa) Unter einer Betriebsabteilung versteht man nach dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch einen räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (BAG 11. September 1991 – 4 AZR 40/91 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 145; 13. Mai 2004 – 10 AZR 120/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 265; BSG 20. Januar 1982 – 10/8b RAr 9/80 – SozR 2 – 4100 § 75 Nr. 9). Das zusätzliche tarifliche Merkmal der Selbstständigkeit verlangt eine nach außen hin erkennbare deutliche räumliche und organisatorische Abgrenzung sowie einen besonders ausgeprägten arbeitstechnischen Zweck (BAG 8. Oktober 1975 – 4 AZR 432/74 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 25).
bb) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass diese Merkmale erfüllt sind.
(1) Nach seinen Feststellungen waren die Tätigkeiten der Beklagten in Deutschland von denjenigen in Polen räumlich deutlich abgegrenzt. Die entsandten Arbeiter waren – zumindest für die Dauer ihres Einsatzes – ausschließlich mit Bauarbeiten beschäftigt und damit einer gesonderten Betriebseinheit zugeordnet. Sie arbeiteten mit eigenen Betriebsmitteln. Arbeitstechnisch fehlte es an jeglichen Berührungspunkten zwischen den einerseits in Polen und andererseits in Deutschland verfolgten arbeitstechnischen Zwecken.
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist davon auszugehen, dass sie im streitbefangenen Zeitraum eine von der Geschäftsleitung in Polen abgegrenzte, auf den Baubereich bezogene eigene Leitungsebene eingerichtet hat. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, hierfür spreche bereits eine tatsächliche Vermutung. Denn die arbeitstechnische Abwicklung und Koordinierung von Werkverträgen in Deutschland sei mit einer Vielzahl zu beachtender rechtlicher Vorgaben verbunden. Die Auftragserledigung bedürfe der baustellenübergreifenden Koordinierung, wobei der Personaleinsatz an den jeweiligen Verhältnissen der Baustellen auszurichten sei. Ohne eine speziell hiermit betraute, übergeordnete, also alle in Deutschland befindlichen Bauvorhaben erfassende Planung und Steuerung, könnten die Werkverträge praktisch nicht sach- und fachgerecht ausgeführt werden. Für den Streitfall gelte das umso mehr angesichts der von der Beklagten verfolgten völlig unterschiedlichen arbeitstechnischen Zwecke. Sie könnten regelmäßig sachgerecht nur verfolgt werden, wenn eine dezentrale relativ verselbstständigte Leistungseinheit vorhanden sei. Die fehlende zentrale Steuerung von Polen aus werde greifbar durch die Unterhaltung der “Außenstelle Berlin”. Diese sei Ansprechpartner für Dritte gewesen und von dort aus sei das Personal verwaltungsmäßig betreut worden. Dann spreche alles dafür, dass auch die arbeitstechnischen Leitungsaufgaben auf Personal “vor Ort” delegiert worden seien.
Ob mit dem Landesarbeitsgericht angenommen werden kann, für das Bestehen einer eigenen Leitungsebene spreche in Fällen der Arbeitnehmerentsendung eine tatsächliche Vermutung, kann dahin stehen. Dieser Vermutung bedarf es hier nicht.
Nach § 138 Abs. 2 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO), Verhandlungsgrundsatz (§ 128 ZPO) und Prozessförderungspflicht (§ 282 ZPO) führen zu einer dem gegnerischen Vorbringen entsprechenden Erklärungslast (Greger in Zöller ZPO 25. Aufl. § 138 Rn. 8, 8a). Zwar obliegt dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen (BAG 28. April 2004 – 10 AZR 370/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264). Dem hat der Kläger aber genügt. Er hat das Bestehen eines eigenständigen Leitungsapparates behauptet und hierzu ua. die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen angeführt. Dagegen fehlt es am substantiierten Bestreiten der Beklagten. Die Existenz eines Büros in Deutschland mag, wie sie geltend macht, für sich genommen nicht bedeuten, “Leitung, Überwachung und Weisungserteilung” für die Durchführung der Werkverträge seien von diesem Büro aus erfolgt. Unter Berücksichtigung der vom Kläger dargelegten und vom Landesarbeitsgericht festgestellten Indizkette hätte sie sich aber nicht auf die pauschale Behauptung beschränken dürfen, “alle” Leitungsaufgaben seien von ihrem Geschäftsführer von Polen aus wahrgenommen worden.
f) Auch die weiteren Vorraussetzungen einer Erstreckung der allgemeinverbindlichen Tarifverträge liegen vor. Die Beklagte ist Arbeitgeberin iSv. § 1 Abs. 1 AEntG. Sie hat ihren Sitz im Ausland und beschäftigt im Geltungsbereich der Bautarifverträge aus Polen entsandte Arbeitnehmer. Arbeitgeber mit Sitz im Inland werden nicht anders behandelt als Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. Die erstreckten Tarifbestimmungen sind wirksam. Sie verstoßen weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen den Unabdingbarkeitsgrundsatz in § 13 Abs. 2 BUrlG oder die Regelungen des Datenschutzes (Senat 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – BAGE 101, 357 und – 9 AZR 439/01 – BAGE 102, 1; – 9 AZR 406/00 – DB 2003, 2287).
4. Gegen die Höhe der geforderten Beiträge hat sich die Beklagte nicht rechtserheblich gewandt. Hinsichtlich der Monate Januar und Februar 2000 hat der Kläger die Beiträge an Hand der Meldungen der Beklagten berechnet und anzurechnende Beiträge abgesetzt. Die Berechnung der Beiträge für die Monate März bis August 2000 auf der Grundlage der tariflichen Mindestlöhne und Arbeitszeiten ist nicht zu beanstanden (BAG 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – aaO). Hieran ist festzuhalten. Die Beklagte trägt keine Gesichtspunkte vor, die eine andere Entscheidung rechtfertigten. Die Beitragsansprüche betragen danach insgesamt 45.342,68 Euro.
II. Entgegen dem Landesarbeitsgericht ist die Klageforderung nicht in Höhe von 27.967,27 Euro erloschen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage teilweise abgewiesen, weil die Beklagte gegen den Kläger einen Anspruch auf Erstattung der an ihre Bauarbeitnehmer gezahlten Urlaubsvergütungen habe, mit denen sie wirksam aufgerechnet habe. Nach polnischem Recht sei die Beklagte verpflichtet gewesen, bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Urlaubsvergütung – ohne gleichzeitige Gewährung von Urlaub – zu zahlen. Unstreitig habe die Beklagte als Urlaubsvergütung (Urlaubsabgeltung) insgesamt 27.967,27 Euro an die von ihr namentlich bezeichneten Arbeitnehmer erbracht. Sie habe deshalb in analoger Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 1 VTV/2000 Anspruch auf Erstattung. Die Aufrechnung sei nicht nach § 18 Abs. 5 VTV/2000 ausgeschlossen.
2. Dem stimmt der Senat nur zu, soweit das Landesarbeitsgericht das Entstehen eines Erstattungsanspruchs der Beklagten als möglich angesehen hat.
a) Der Erstattungsanspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus § 13 Abs. 1 Satz 1 VTV/2000. Der Arbeitgeber hat nach dieser Vorschrift Anspruch auf Erstattungsleistungen des Klägers ua. nur dann, wenn der Urlaub des Arbeitnehmers nach Maßgabe des § 8 Nr. 6.2 Satz 3 BRTV-Bau abgegolten wird; die Leistung an den Arbeitnehmer muss zur Erfüllung des tariflichen Anspruchs bestimmt sein. Das ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat den Urlaub nicht auf der Grundlage der tariflichen Bestimmungen abgegolten, sondern zur Erfüllung der nach polnischem Recht begründeten Ansprüche der Bauarbeiter.
b) Wie der Senat bereits entschieden hat, ist der Kläger als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Anwendungsbereich des § 1 AEntG verpflichtet, zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland gegenüber Arbeitgebern mit Sitz im Inland die Tarifvorschriften “flexibel” anzuwenden (Senat 25. Juni 2002 – 9 AZR 405/00 – BAGE 101, 357). Das bedingt eine entsprechende Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 1 VTV/2000.
aa) Hierfür ist zunächst maßgeblich, dass der entsandte Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 AEntG gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf die im BRTV-Bau bestimmten Urlaubsleistungen erwirbt. Zugleich erwirbt er die Urlaubsansprüche entsprechend den Regelungen seines Heimatstaates. Deren Erfüllung kann sich der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland nicht entziehen. Da der Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung nur einmal verlangen kann, erlischt in Höhe der Zahlung sein Anspruch. Das betrifft auch den tariflichen Anspruch unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der Urlaubsabgeltung (§ 8 Nr. 6.1 BRTV-Bau) vorgelegen haben. Ein Abgeltungsanspruch gegen den Kläger (§ 8 Nr. 6.2 BRTV-Bau) besteht insoweit nicht mehr.
bb) Der Ausschluss des Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers mit Sitz im Ausland ist mit dem AEntG nicht zu vereinbaren. Mit dem AEntG werden mehrere Ziele verfolgt. Sicherung der Tarifautonomie, Wiederherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwischen Bauarbeitgebern mit Sitz im Inland und mit Sitz im Ausland; Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – Verhinderung gespaltener Arbeitsmärkte; Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes; Sicherung angemessener Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmer (vgl. Koberski, Asshoff, Hold AEntG 2. Aufl. Einl. Rn. 15, 16). Hier geht es um die Gleichbehandlung der Arbeitgeber vor dem Gesetz. Nach § 1 Abs. 1 AEntG müssen beide Arbeitgebergruppen denselben (sie belastenden) Bedingungen ausgesetzt sein. Damit ist nicht vereinbar, wenn der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland trotz tatsächlicher Zahlung von Urlaubsabgeltung an ausgeschiedene Bauarbeiter keinen Erstattungsanspruch gegen die Urlaubskasse erwerben würde.
c) Die gebotene entsprechende Anwendung der Tarifvorschriften ist jedoch nicht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 VTV/2000 beschränkt. Dessen alleinige Anwendung führt zu einer – ebenfalls nicht gerechtfertigten – Privilegierung der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. Erstattung kann deshalb nur verlangt werden, wenn die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, die ein Arbeitgeber mit Sitz im Inland erfüllen muss, um eine Erstattung zu erlangen. Dazu gehört nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VTV/2000, dass der Arbeitgeber seine Meldepflichten nach § 5 und § 6 VTV/2000 vollständig und ordnungsgemäß erfüllt hat (vgl. BAG 13. Mai 2004 – 10 AZR 120/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 265).
Dagegen kann nicht erfolgreich eingewandt werden, der Kläger laufe keine Gefahr, von Arbeitnehmern der Beklagten auf Zahlung von Urlaubsabgeltung in Anspruch genommen zu werden. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 VTV/2000 hat der Kläger den Urlaub dem Arbeitnehmer gegenüber nur abzugelten, wenn die Zahlung durch einen Beitrag des Arbeitgebers, bei dem der Urlaubsanspruch entstanden ist, finanziert ist. Dabei mag sein, dass mit diesem Finanzierungsmodell das Prinzip der “kollektiven Absicherung” des “Urlaubslohnes” teilweise verlassen worden ist, wie das Landesarbeitsgericht formuliert hat. Nach der Zielsetzung des § 1 AEntG hat die Urlaubskasse auch die Aufgabe, durch gleichmäßige Beitragserhebung die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, um den Arbeitnehmern die tariflichen Urlaubsansprüche zu sichern. Die Höhe der Beiträge bemisst sich indessen nach der tatsächlich geleisteten und dem Kläger zu meldenden Bruttolohnsumme und nicht nach den hier von dem Kläger verlangten Mindestsätzen. Ob die Aufrechnung der Beklagten auch an dem in § 18 Abs. 5 VTV/2000 geregelten Aufrechnungsverbot scheitert, ist hier nicht entscheidungserheblich.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte nach § 91 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Zwanziger, Reinecke, Furche, Gosch
Fundstellen
Haufe-Index 1379056 |
BAGE 2006, 238 |
BB 2005, 2024 |
DB 2005, 1635 |
FA 2005, 279 |
NZA 2006, 171 |
SAE 2005, 295 |
AP, 0 |
AnwBl 2005, 138 |
EzA-SD 2005, 4 |
EzA |
AUR 2005, 341 |