Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil ohne Tatbestand. Bestellung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – ruhendes Arbeitsverhältnis. Kündigung. Arbeitnehmerstatus. Prozeßrecht
Orientierungssatz
- Ein Berufungsurteil ist aufzuheben, wenn es entgegen § 543 Abs. 2 ZPO iVm. § 313 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Satz 1 ZPO keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält. Sieht das Landesarbeitsgericht ausdrücklich nach § 543 Abs. 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes ab, weil es angenommen hat, sein Urteil unterliege nicht der Revision, so kann darin auch keine Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils iSv. § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesehen werden.
- Wird ein Arbeitnehmer in leitender Position zum Geschäftsführer einer Gesellschaft bestellt, so ist bei nicht klaren und eindeutigen vertraglichen Vereinbarungen – jedenfalls bis zum Inkrafttreten des § 623 BGB – von der Vermutung auszugehen, daß mit Abschluß eines Geschäftsführer-Dienstvertrages das ursprüngliche Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers konkludent aufgehoben wird und grundsätzlich sein Ende findet (hier: Bestellung eines Niederlassungsleiters zum Geschäftsführer der Komplementärin).
Normenkette
ZPO § 543 Abs. 1-2, § 313 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 S. 1, § 313a Abs. 1; ArbGG §§ 5, 69 Abs. 2; BGB §§ 611, 623
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. September 2000 – 6 Sa 34/00 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten ua. über den Fortbestand eines zwischen ihnen begründeten Arbeitsverhältnisses, nachdem der Kläger zwischenzeitlich zum Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten bestellt worden war.
Der Kläger war seit dem 1. Oktober 1991 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt auf der Basis des Fortsetzungsanstellungsvertrages vom 17. Oktober 1994 als Leiter der Niederlassung Stuttgart gegen ein monatliches Bruttogehalt von 16.000,00 DM und eine Gewinnbeteiligung in Höhe von 3 % des Bilanzgewinns der von ihm geleiteten Niederlassung, die für die Jahre 1996 bis 1998 in Höhe von mindestens 30.000,00 DM garantiert worden war.
Im Dezember 1996 schloß der Kläger mit der Komplementärin der Beklagten einen vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1999 befristeten Anstellungsvertrag als stellvertretender Geschäftsführer. Der Anstellungsvertrag enthält in § 1 ua. die Regelung, daß der Kläger ab dem 1. Januar 1997 stellvertretender Geschäftsführer der Firma ist und im Innenverhältnis dem technischen Bereich vorsteht und darüber hinaus die Funktion des Niederlassungsleiters Stuttgart wahrnimmt.
Nachdem die Komplementärin eine Verlängerung des Anstellungsvertrages über den 31. Dezember 1999 hinaus ablehnte, hat der Kläger mit seiner Klage ua. den Fortbestand seines ursprünglichen Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten als Leiter der Niederlassung Stuttgart geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, durch den Abschluß des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages mit der Komplementärin seien seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis weder ausdrücklich noch konkludent aufgehoben, sondern lediglich suspendiert worden und ab 1. Januar 2000 wieder aufgelebt. Er habe eine Doppelfunktion ausgeübt.
Der Kläger hat – soweit für die Revision noch von Interesse – zuletzt beantragt
festzustellen, daß das am 22. April 1991 begründete und mit Fortsetzungsanstellungsvertrag vom 17. Oktober 1994 geänderte Arbeitsverhältnis nicht durch den bis zum 31. Dezember 1999 befristeten Anstellungsvertrag mit der B. Verwaltung GmbH aufgehoben worden sei, sondern über den 31. Dezember 1999 hinaus unbefristet fortbesteht.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Ansicht vertreten, durch den Abschluß des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages mit ihrer Komplementärin und den Einsatz des Klägers als Geschäftsführer sei das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis beendet worden.
Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil festgestellt, das Arbeitsverhältnis des Klägers als Niederlassungsleiter Stuttgart bestehe über den 31. Dezember 1999 hinaus fort. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihren Antrag auf Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Das Berufungsurteil ist schon deshalb aufzuheben, weil es entgegen § 543 Abs. 2 iVm. § 313 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Satz 1 ZPO keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält und dieser auch nicht nach § 543 Abs. 1 ZPO entbehrlich war. Dieser von Amts wegen zu berücksichtigende Mangel (st. Rspr. BAG 22. November 1984 – 6 AZR 103/82 – AP ZPO 1977 § 543 Nr. 5 = EzA ZPO § 543 Nr. 5; 16. August 1990 – 2 AZR 182/90 – RzK I 5h Nr. 18; 9. Juli 1998 – 2 AZR 762/97 – nv.) macht eine revisionsrechtliche Überprüfung unmöglich.
- Gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der vorbehaltlich der Sonderregelung des § 543 ZPO bzw. § 69 Abs. 2 ArbGG auch für das Berufungsurteil gilt, muß das Urteil einen den Anforderungen des § 313 Abs. 2 ZPO entsprechenden Tatbestand enthalten. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet bzw. ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht eingelegt werden kann (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO), kann von der Darstellung des Tatbestands abgesehen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO). Ist hingegen die Revision statthaft, muß das Berufungsurteil einen Tatbestand enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs. 2 ZPO gelten. Ein Berufungsurteil ist im Revisionsverfahren aufzuheben, wenn es entgegen der gesetzlichen Bestimmung keinen Tatbestand enthält. Dies gilt auch, wenn die Revision erst auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde durch das Revisionsgericht zugelassen worden ist (BAG 16. August 1990 aaO; 19. Februar 1998 – 8 AZR 500/96 – nv.; 9. Juli 1998 aaO; 15. März 2001 – 2 AZR 147/00 – EzA BGB § 626 nF Nr. 185; BGH 30. Januar 1979 – VI ZR 154/78 – BGHZ 73, 248, 249; 26. September 1991 – I ZR 149/89 – BGHZ 115, 210, 211 f.; 1. Juli 1997 – VI ZR 313/96 – NJW-RR 1997, 1486). Einem Berufungsurteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, so daß dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung nicht möglich ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils und insbesondere dessen Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt zu eröffnen, im Einzelfall deshalb erreicht werden kann, weil sich der Sach- und Streitstand aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfragen ausreichenden Umfang ergibt (BAG 30. Oktober 1987 – 7 AZR 92/87 – EzA ZPO § 543 Nr. 6; 21. April 1993 – 5 AZR 413/92 – EzA ZPO § 543 Nr. 8; BGH 26. September 1991 – I ZR 149/89 – aaO).
- Einen Tatbestand, der dem Senat die Nachprüfung des Berufungsurteils auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstandes ermöglichen würde, enthält das Berufungsurteil nicht. Das Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich von einer Darstellung des Sachverhalts unter Zitierung des § 543 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, weil es offenbar davon ausgegangen ist, sein Urteil unterliege nicht der Revision. Darin kann auch keine Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils iSv. § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO gesehen werden (BAG 15. März 2001 – 2 AZR 147/00 – aaO).
Auch die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Tatbestandselemente bilden keine hinreichende tatsächliche Grundlage für die rechtliche Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Ihnen läßt sich nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen, ob das Landesarbeitsgericht den unstreitigen Tatbestand und das streitige Vorbringen der Parteien vollständig erfaßt und insbesondere bei der Vertragsauslegung hinreichend berücksichtigt hat.
Insbesondere kann aus den Entscheidungsgründen nicht mit hinreichender Klarheit entnommen werden, welche unstreitigen und streitigen Tatsachen das Berufungsgericht zum Ablauf und Inhalt der Vertragsverhandlungen anläßlich des Vertragsabschlusses des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages im Jahr 1996 einerseits und der Gespräche über dessen vorzeitige Beendigung im Jahr 1997 festgestellt und seiner rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt hat. Auch fehlen entsprechende nähere Angaben zur ausgeübten Geschäftsführertätigkeit des Klägers.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht vor allem zu beachten haben, daß im Falle der Bestellung eines Arbeitnehmers zum Geschäftsführer einer Gesellschaft bei nicht klaren und eindeutigen vertraglichen Vereinbarungen von der Vermutung auszugehen sein wird, daß mit Abschluß eines Geschäftsführer-Dienstvertrages grundsätzlich das ursprüngliche Arbeitsverhältnis sein Ende findet.
- Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß – jedenfalls bis zum Inkrafttreten des § 623 BGB – ein Arbeitsverhältnis durch ein schlüssiges Verhalten aufgehoben werden kann. Ein entsprechender Beendigungswille muß nur unzweifelhaft und eindeutig zum Ausdruck kommen (Senat 16. März 2000 – 2 AZR 196/99 – RzK I 9i Nr. 72; 8. Juni 2000 – 2 AZR 207/99 – BAGE 95, 62). Das Landesarbeitsgericht hat jedoch verkannt, daß im Abschluß eines Geschäftsführer-Dienstvertrages durch einen leitenden Mitarbeiter im Zweifel die konkludente Aufhebung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses liegt. Dies gilt vor allem dann, wenn ein völlig neuer (Geschäftsführerdienst-) Vertrag mit einem anderen Vertragspartner als dem bisherigen Arbeitgeber geschlossen wird (BAG 28. Dezember 1995 – 5 AZB 4/95 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 24 = EzA ArbGG § 5 Nr. 12; Senat 8. Juni 2000 – 2 AZR 207/99 – aaO) und sich die vertraglichen Konditionen – vor allem in finanzieller Hinsicht – für den bisherigen Arbeitnehmer als Geschäftsführer verbessern. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 8. Juni 2000 (aaO) darauf hingewiesen, daß – mangels weiterer Anhaltspunkte – grundsätzlich eine Vermutung dafür spricht, daß nach dem Willen der Parteien neben dem Geschäftsführer-Dienstvertrag (dort) mit der neuen GmbH nicht noch ein Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber ruhend fortbestehen soll. Damit hat der Senat die mit der Entscheidung vom 7. Oktober 1993 (– 2 AZR 260/93 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 16 = EzA ArbGG § 5 Nr. 9) eingeleitete Änderung seiner Rechtsprechung fortgeführt (s. dazu auch KR-Rost 6. Aufl. § 14 KSchG Rn. 6 mwN). Einem Arbeitnehmer in einer leitenden Position muß regelmäßig klar sein, daß er – wenn anderes nicht ausdrücklich vereinbart worden ist – mit dem Abschluß eines Geschäftsführer-Dienstvertrages mit einer anderen Gesellschaft seinen sozialen Besitzstand aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis aufgibt. Die Vergütungshöhe in dem neuen Geschäftsführerverhältnis gibt dabei nicht den entscheidenden, sondern nur einen von mehreren Aspekten für die Beantwortung der Frage, ob das bisherige Arbeitsverhältnis beendet worden ist, da oft auch Hoffnungen auf zukünftige günstige wirtschaftliche Entwicklungen einerseits oder ein erhöhtes Sozialprestige andererseits den Entschluß des Betroffenen zum Wechsel in eine Geschäftsführerposition tragen können (vgl. Senat 8. Juni 2000 – 2 AZR 207/99 – aaO).
- Hinzu kommt, daß bei der Bewertung der vertraglichen Vereinbarungen den erhöhten Bezügen des Klägers eine stärkere Bedeutung, als vom Landesarbeitsgericht geschehen, beizumessen sein wird. Die Vergütung des Klägers ist nicht nur marginal, sondern erheblich angehoben worden. Er erhielt eine um 25 % bzw. 37 % erhöhte Vergütung. Daß damit auch seine erhöhten Arbeitsleistungen und -anforderungen als Geschäftsführer mitvergütet und ausgeglichen worden sind, kann unterstellt werden. Festzuhalten bleibt aber, daß eine erhebliche Erhöhung der Vergütung gegeben und bei der Bewertung des Sachverhalts zu berücksichtigen ist. Der weitere Hinweis des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe demgegenüber eine Einbuße bei den Tantiemen hinnehmen müssen, überzeugt nicht. Nach dem Geschäftsführer-Anstellungs-vertrag war ihm eine Tantieme von 2 % des Gewinns der Kommanditgesellschaft zugesagt worden, wohingegen er vorher eine Gewinnbeteiligung in Höhe von 3 % des Bilanzgewinns der von ihm geleiteten Niederlassung erhalten sollte. Daß die Vereinbarung einer 2 %igen Prämie vom Gewinn der gesamten Gesellschaft zwingend weniger als 3 % des Bilanzgewinns einer einzelnen Niederlassung ist, ist nicht ohne weiteres erkennbar.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Kuemmel-Pleißner, Dr. Roeckl
Fundstellen
Haufe-Index 853397 |
DB 2003, 296 |
DStR 2003, 385 |
NJW 2003, 918 |
NWB 2002, 4311 |
NZA 2003, 272 |
NZG 2003, 223 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 18 |
EzA |
SPA 2002, 3 |