Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung, Rechtsmißbrauch, Schadenersatz
Leitsatz (redaktionell)
Die Urlaubsansprüche, die nach § 10 Nr 3 und Nr 4 Abs 1 Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 im Jahr des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis entstehen, setzen nicht voraus, daß der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 287, 286; BUrlG §§ 4, 7; BGB §§ 249, 284; BUrlG § 13
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.03.1985; Aktenzeichen 10 Sa 1527/84) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 06.09.1984; Aktenzeichen 4 Ca 1947/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 12. Oktober 1976 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein- Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. Darin ist geregelt:
"§ 9
Grundsätze der Urlaubsgewährung
.....
3. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist
nur zulässig, wenn bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses/Ausbildungsverhältnis-
ses noch Urlaubsansprüche bestehen.
.....
.....
§ 10
Allgemeine Urlaubsbestimmungen
.....
3. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer/Auszubildende
gegen den alten und
neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf
so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs
Anspruch, als er Monate bei ihnen gearbeitet
hat (Beschäftigungsmonate)/ausgebildet
wurde (Ausbildungsmonate). Ein angefangener
Monat wird voll gerechnet, wenn
die Beschäftigung/Ausbildung mindestens
zehn Kalendertage bestanden hat.
.....
4. In den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren
ist der volle Jahresurlaub zu
gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch
ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach
dem 1. April beendet wird.
Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung
aus dem Betrieb ausscheiden, haben unabhängig
vom Termin ihres Ausscheidens Anspruch
auf den vollen Jahresurlaub, wenn sie im
Austrittsjahr bis zum 31. Januar tatsächlich
gearbeitet haben.
.....
8. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate
nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei
denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde
oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen
oder wegen Krankheit nicht genommen
werden konnte."
Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung der Beklagten am 30. April 1984. Vom 1. Dezember 1983 bis zum 1. Mai 1984 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Mit der am 19. Juli 1984 erhobenen Klage begehrt die Klägerin Abgeltung ihres 30-tägigen Erholungsurlaubs für 1984 in unstreitiger Höhe von 2.908,80 DM. Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
2.908,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision bittet die Beklagte um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Der Klägerin stand der Anspruch auf Abgeltung ihres Jahresurlaubs für 1984 in unstreitiger Höhe von 2.908,80 DM zu. An seine Stelle ist ein Schadenersatzanspruch der Klägerin in gleicher Höhe getreten.
I. Die Klägerin hatte für das Urlaubsjahr 1984 Anspruch auf den vollen Jahresurlaub in Höhe von unstreitig 30 Tagen erworben. Nach § 10 Nr. 4 MTV ist in den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren der volle Jahresurlaub zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde durch ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30. April 1984 beendet.
Dem Urlaubsanspruch für 1984 steht nicht entgegen, daß die Klägerin in diesem Urlaubsjahr keine Arbeitsleistungen erbracht hat.
1. Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu I 2 der Gründe) der Rechtsprechung des Sechsten Senats angeschlossen, nach der der gesetzliche Urlaubsanspruch nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraussetzt. Daran ist festzuhalten.
2. Aus § 10 Nr. 3 Abs. 1 MTV läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten.
Die Revision meint, dieser Bestimmung sei zu entnehmen, daß jedenfalls der Teil des Tarifurlaubs, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, tatsächliche Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraussetze. Der nach dem 1. April aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung ausscheidende Arbeitnehmer werde durch § 10 Nr. 4 Abs. 1 MTV nur hinsichtlich der Urlaubsdauer privilegiert. Bezüglich der Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs gelte hingegen das gleiche wie für den in § 10 Nr. 3 MTV geregelten Teilurlaub. Dem ist nicht zu folgen.
Dem für die Tarifauslegung in erster Linie maßgeblichen Tarifwortlaut (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) ist nicht zu entnehmen, daß die in § 10 Nr. 4 Abs. 1 MTV geregelte Besserstellung des Arbeitnehmers nur auf die Urlaubsdauer beschränkt ist. Im übrigen verweist die Beklagte für ihre Auslegung des § 10 Nr. 3 MTV zu Unrecht auf die Entscheidung des Sechsten Senats vom 8. März 1984 - 6 AZR 442/83 - (BAGE 45, 199 = AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG). Dort wurde angenommen, diese Bestimmung sei jedenfalls insoweit nichtig, als sie den dem Arbeitnehmer zustehenden gesetzlichen Urlaubsanspruch ausschließe oder mindere (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Aus der Einschränkung "jedenfalls" folgt, daß das Bundesarbeitsgericht bisher zu der Frage, ob § 10 Nr. 3 Abs. 1 MTV überhaupt tatsächliche Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers voraussetzt, wie die Beklagte meint, noch nicht abschließend entschieden hat. Nach Auffassung des Senats ist diese Frage zu verneinen.
Zwar macht § 10 Nr. 3 Satz 1 MTV die Höhe des Teilurlaubs davon abhängig, wie viele Monate der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber gearbeitet hat. Der Klammerzusatz "Beschäftigungsmonate" und die Verwendung des Begriffs "Beschäftigung" in den nächsten beiden Sätzen stützen aber nicht die Auslegung, in Satz 1 sei tatsächliche Arbeit gefordert. Aufschluß gibt stattdessen die Bestimmung des § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV. Sie schreibt vor, daß der Arbeitnehmer, der wegen Eintritts des Versorgungsfalls ausscheidet, bis zum 31. Januar "tatsächlich gearbeitet" haben muß, um den Anspruch auf den vollen Jahresurlaub zu erwerben. Aus dieser in ihrem Wortlaut eindeutigen Tarifnorm ist zu schließen, daß den Tarifvertragsparteien das Regelungsproblem bewußt war und sie in § 10 Nr. 3 MTV nur die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses meinten, während sie in § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV auf tatsächliche Arbeitsleistungen abstellten. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß abweichend vom Gesetz für den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Tarifurlaub außer im Falle des § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV tatsächliche Arbeitsleistungen gefordert werden, bestehen somit nicht.
II. Der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs für 1984 war entstanden, obwohl die Klägerin im Zeitpunkt des Ausscheidens, am 30. April 1984, noch arbeitsunfähig erkrankt war.
Nach § 7 Abs. 4 BUrlG, auf den § 9 Nr. 3 Abs. 1 MTV Bezug nimmt, tritt mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung der Abgeltungsanspruch. Die Entstehung dieses Anspruchs setzt nicht voraus, daß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist. Dies entspricht seit dem Urteil vom 28. Juni 1984 - 6 AZR 521/81 - (BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung) der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
III. Allerdings ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung mit Ablauf des 31. März 1985 erloschen.
Nach § 10 Nr. 8 MTV erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Diese für den Urlaubsanspruch geltende Regelung gilt auch für sein Surrogat, den Urlaubsabgeltungsanspruch. Der Senat folgt insoweit seit seinem Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (aaO) der Rechtsprechung des früher für das Urlaubsrecht zuständigen Sechsten Senats (BAG Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 202/83 - AP Nr. 24 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu 3 der Gründe).
Zwar hat die Klägerin den Urlaubsabgeltungsanspruch durch Erhebung der Klage am 19. Juli 1984 erfolglos geltend gemacht. Dies führte jedoch nicht dazu, daß der Klägerin der Abgeltungsanspruch über den 31. März 1985 hinaus erhalten blieb. § 10 Nr. 8 MTV verhindert bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis das Erlöschen des Urlaubsanspruchs, wenn der Urlaub rechtzeitig erfolglos geltend gemacht wurde. Bei Geltendmachung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann diese Übertragungswirkung jedoch nicht eintreten. Der Abgeltungsanspruch erlischt nach § 10 Nr. 8 MTV mit Ablauf des auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden 31. März (so auch BAG Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 202/83 - aaO, zu 3 der Gründe).
IV. Da die Klägerin die Urlaubsabgeltung aber mit der am 19. Juli 1984 erhobenen Klage gefordert hat, steht ihr der geltend gemachte Anspruch als Schadenersatzanspruch zu. Durch die Klage wurde die Beklagte in Verzug gesetzt (§ 284 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin, wie die Beklagte auch vor dem Bundesarbeitsgericht behauptet hat, im Zeitpunkt der Klageerhebung noch erkrankt und somit nicht urlaubsfähig war. Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Klägerin sei ab dem 2. Mai 1984 nicht mehr arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Dies hat die Beklagte nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffen. Der Senat ist somit nach § 561 ZPO an den vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt gebunden.
Für den durch den Untergang des Anspruchs am 31. März 1985 entstandenen Schaden muß die Beklagte der Klägerin einstehen (§ 286 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). Nach § 249 Satz 1 BGB schuldet die Beklagte der Klägerin somit den der Urlaubsabgeltung entsprechenden Geldbetrag.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Dr. Liebers Brückmann
Fundstellen
Haufe-Index 441587 |
DB 1988, 762-763 (LT) |
NZA 1988, 51-52 (LT) |
RdA 1987, 384 |
AP § 7 BUrlG Abgeltung (LT1), Nr 37 |
AR-Blattei, ES 1640 Nr 296 (LT) |
AR-Blattei, Urlaub Entsch 296 (LT) |
EzA § 4 TVG Metallindustrie, Nr 33 (LT1) |