Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erwerbsunfähigkeit
Orientierungssatz
Nach der mit § 7 Abs 4 BUrlG übereinstimmenden Regelung des § 9 Nr 3 Abs 1 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 tritt mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung der Abgeltungsanspruch. Die Entstehung dieses Anspruchs setzt nicht voraus, daß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist.
Normenkette
TVG § 1; BGB § 286 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4; BGB § 287 S. 2, § 249 S. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.11.1984; Aktenzeichen 14 (2) Sa 1302/84) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 20.08.1984; Aktenzeichen 5 Ca 525/84) |
Tatbestand
Die Klägerin war seit 1973 bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein- Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. Darin ist u.a. geregelt:
"§ 9
Grundsätze der Urlaubsgewährung
.....
3. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist
nur zulässig, wenn bei Beendigung des Ar-
beitsverhältnisses/Ausbildungsverhältnis-
ses noch Urlaubsansprüche bestehen.
.....
§ 10
Allgemeine Urlaubsbestimmungen
.....
3. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeit-
nehmer/Auszubildende gegen den alten und
neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf
so viele Zwölftel des ihm zustehenden Ur-
laubs Anspruch, als er Monate bei ihm ge-
arbeitet hat (Beschäftigungsmonate)/aus-
gebildet wurde (Ausbildungsmonate). Ein
angefangener Monat wird voll gerechnet,
wenn die Beschäftigung/Ausbildung minde-
stens zehn Kalendertage bestanden hat. Für
eine Beschäftigung/Ausbildung bis zu zwei
Wochen besteht kein Urlaubsanspruch.
Dieser Anspruch kann bei Eintritt bis zum
31. Mai nach sechsmonatiger Betriebszuge-
hörigkeit, bei Eintritt nach dem 31. Mai
ab 1. Dezember geltend gemacht werden.
4. In den auf das Eintrittsjahr folgenden
Kalenderjahren ist der volle Jahresurlaub
zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis
durch ordentliche Kündigung des Arbeitge-
bers nach dem 1. April beendet wird.
Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Ren-
te aus der gesetzlichen Rentenversicherung
aus dem Betrieb ausscheiden, haben unab-
hängig vom Termin ihres Ausscheidens An-
spruch auf den vollen Jahresurlaub, wenn
sie im Austrittsjahr bis zum 31. Januar
tatsächlich gearbeitet haben.
.....
8. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate
nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei
denn, daß er erfolglos geltend gemacht
wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen
Gründen oder wegen Krankheit nicht genom-
men werden konnte."
Am 13. Mai 1983 erkrankte die Klägerin arbeitsunfähig. Mit Bescheid vom 12. August 1983 wurde sie als Schwerbehinderte anerkannt. Die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz bewilligte ihr durch Bescheid vom 25. Januar 1984 mit Wirkung vom 1. Dezember 1983 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Daraufhin beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Ablauf des 30. November 1983.
Die Klägerin hat Abgeltung des vollen Jahresurlaubs für 1983 verlangt. Dieser betrug einschließlich des der Klägerin zustehenden Schwerbehindertenurlaubs 32 Tage. Auf der Grundlage einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden, eines Stundenlohns von 13,38 DM und eines Urlaubsgeldanspruchs in Höhe von 50 % des Urlaubsentgelts ergibt sich somit ein Abgeltungsbetrag in Höhe von 5.137,92 DM. Davon hat die Klägerin mit der am 23. Februar 1984 zugestellten Klage 800,-- DM und den Rest in dem am 2. März 1984 der Beklagten zugestellten Schriftsatz vom 28. Februar 1984 geltend gemacht. Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
5.137,92 DM nebst 4 % Zinsen ab Kla-
gezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet, soweit die Klägerin mit der Klage mehr als 4.011,20 DM fordert. Im übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Die Klage ist in Höhe von 1.126,72 DM unbegründet. Die Klägerin hat diesen Teil der Klageforderung nicht wirksam geltend gemacht.
1. Als die Klägerin mit Ablauf des 30. November 1983 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, hatte sie den vollen Urlaubsanspruch für das Jahr 1983 erworben. Dies hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen.
Nach § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV haben Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Betrieb ausscheiden, unabhängig vom Termin des Ausscheidens Anspruch auf den vollen Jahresurlaub, wenn sie im Austrittsjahr bis 31. Januar gearbeitet haben. Die Klägerin hatte bis 12. Mai 1983 gearbeitet. Sie schied aus, weil ihr eine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt worden war. Die Voraussetzungen für den vollen Jahresurlaub der Klägerin für 1983 waren somit erfüllt. Dies zieht auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel.
2. Mit dem Ausscheiden der Klägerin ist auch der Anspruch auf Abgeltung dieses Urlaubs entstanden.
Nach der mit § 7 Abs. 4 BUrlG übereinstimmenden Regelung des § 9 Nr. 3 Abs. 1 MTV tritt mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung der Abgeltungsanspruch. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Entstehung dieses Anspruchs nicht voraus, daß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist. Dies entspricht seit dem Urteil vom 28. Juni 1984 - 6 AZR 521/81 - (BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung) der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteil vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
3. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist jedoch in Höhe von 1.126,72 DM erloschen, weil die Klägerin ihn insoweit nicht bis zum 31. März 1984 geltend gemacht hat.
a) Nach § 10 Nr. 8 MTV erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde, oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Diese Bestimmung gilt auch für den Urlaubsabgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 202/83 - AP Nr. 24 zu § 7 BUrlG Abgeltung).
b) Zwar hat die Klägerin mit der am 23. Februar 1984 erhobenen Klage und mit dem am 2. März 1984 zugestellten klageerweiternden Schriftsatz die Urlaubsabgeltung vor dem 31. März 1984 gefordert. Damit hat sie den Anspruch jedoch allenfalls in Höhe von 4.011,20 DM, nicht jedoch in Höhe der restlichen 1.126,72 DM, geltend gemacht.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 13. November 1986 - 8 AZR 212/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt; und vom 15. Januar 1987 - 8 AZR 174/85 -) besagt eine Tarifregelung, die für den Erhalt des Urlaubsanspruchs auf die Geltendmachung bis zum 31. März abstellt, nicht zwingend, daß es ausreicht, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub vor diesem Zeitpunkt fordert. Den Verlust seines Urlaubsanspruchs kann der Arbeitnehmer vielmehr nur dadurch vermeiden, daß er den Urlaub so rechtzeitig verlangt, daß der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, den Urlaubsanspruch vor dem 31. März zu erfüllen (BAG Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 62/84 - AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung; ebenso schon BAGE 22, 85 = AP Nr. 1 zu § 7 BUrlG Urlaubsjahr). Entsprechendes gilt für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung.
bb) Der Urlaubsabgeltungsanspruch war in Höhe von 1.126,72 DM vor dem 31. März 1984 nicht mehr erfüllbar. Die mit der Klage geforderten 800,-- DM entsprachen einem Abgeltungsanspruch für etwa fünf Urlaubstage. In dieser Höhe hätte die Freistellung der Klägerin von der fiktiven Arbeitspflicht in der Zeit zwischen dem 24. Februar und 2. März 1984 erfolgen können. Der weitere Anspruch, den die Klägerin mit dem klageerweiternden Schriftsatz geltend gemacht hat (5.137,92 DM - 800,-- DM = 4.337,92 DM), war nur noch teilweise erfüllbar. Von Montag, dem 5. März 1984 an bis zum Ende der Befristung war der Anspruch nur noch in Höhe von 20 Urlaubstagen erfüllbar, was dem Betrag von 3.211,20 DM entspricht. Der bis 31. März 1984 erfüllbare Teil des Gesamtanspruchs beläuft sich somit auf 4.011,20 DM (3.211,20 DM + 800,-- DM). In Höhe der weiteren 1.126,72 DM ist die Klage somit unbegründet.
II. Ob die Klage in Höhe der 4.011,20 DM begründet ist, kann aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden.
1. Zwar hat die Klägerin die Urlaubsabgeltung insoweit rechtzeitig vor dem 31. März 1984 gefordert. Die Wirksamkeit der Geltendmachung setzt jedoch weiter voraus, daß der Anspruch bis zu diesem Zeitpunkt erfüllbar war. Daran fehlt es, wenn die Klägerin auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis über den 31. März 1984 hinaus arbeitsunfähig erkrankt war (vgl. Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
Es kommt somit darauf an, ob die Klägerin in der Zeit zwischen dem 30. November 1983 (Beendigung des Arbeitsverhältnisses) und dem 31. März 1984 solange arbeitsfähig war, daß sie den Urlaub für 1983 ganz oder teilweise hätte nehmen können. Dazu hat das Berufungsgericht im Hinblick auf seinen gegenteiligen Rechtsstandpunkt keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.
2. Diese Feststellungen erübrigen sich nicht dadurch, daß die Klägerin ab 1. Dezember 1983 eine Erwerbsunfähigkeitsrente erhielt. Die Erwerbsunfähigkeit schließt nicht aus, daß der Arbeitnehmer, hätte das Arbeitsverhältnis fortbestanden, in der Lage gewesen wäre, eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Erwerbsunfähig ist, wer infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von der Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl. § 1247 Abs. 2 RVO). Die Erwerbsunfähigkeit setzt somit nicht voraus, daß der Arbeitnehmer eine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Bei Prüfung der Erwerbsunfähigkeit findet keine Beschränkung auf den bisherigen Beruf oder, wie dies bei der Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 2 RVO die Regel ist, auf die Berufsgruppe statt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 392 und Bd. III, S. 682 g). Es ist somit nicht ausgeschlossen, daß ein Arbeitnehmer erwerbsunfähig, aber zugleich dennoch arbeitsfähig ist (arg. § 183 Abs. 4 RVO, vgl. Brackmann, aaO, Bd. II; ebenso LAG Niedersachsen vom 30. August 1985 - 3 Sa 28/85 - S. 7-10).
Es wird somit darauf ankommen, ob es im Betrieb der Beklagten Arbeitsplätze gab, die die Klägerin trotz ihrer Erwerbsunfähigkeit hätte ausfüllen können, und ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin einen solchen Arbeitsplatz anzubieten (vgl. Urteil des Senats vom 14. Mai 1986, aaO).
3. Sollte das Berufungsgericht aufgrund der ergänzenden Feststellungen zu dem Ergebnis kommen, daß die Klägerin den Urlaub für 1983, soweit sie diesen rechtzeitig geltend gemacht hat (vgl. I), bei unterstelltem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. März 1984 ganz oder teilweise hätte nehmen können, so ändert dies nichts daran, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch dennoch am 31. März 1984 erloschen ist. Die vom Landesarbeitsgericht (Seite 8, 9 des Berufungsurteils) erwogene Aufrechterhaltung des Anspruchs über diesen Zeitpunkt hinaus scheitert daran, daß das Arbeitsverhältnis beendet war.
Allerdings stünde der Klägerin in diesem Fall der Klageanspruch als Schadenersatzanspruch zu. Durch die klageweise Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs hätte die Klägerin die Beklagte am 23. Februar und am 2. März 1983 in Verzug gesetzt (§ 284 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für den durch den Anspruchsuntergang am 31. März 1984 entstandenen Schaden müßte die Beklagte der Klägerin einstehen (§ 286 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). Nach § 249 Satz 1 BGB würde die Beklagte der Klägerin somit den der Urlaubsabgeltung entsprechenden Geldbetrag schulden. Dieser entspräche in seiner Höhe dem rechtzeitig geltend gemachten Teil des Urlaubsabgeltungsanspruchs.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Dr. Liebers K. Fox
Fundstellen