Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Streitwertfestsetzung. unzulässige Berufung
Orientierungssatz
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt, daß eine Streitwertfestsetzung nur dann offensichtlich unrichtig ist, wenn sie in jeder Beziehung unverständlich und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und außerdem der zutreffende Streitwert auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze übersteigt oder unterschreitet (BAG Urteil vom 11.06.1986, 5 AZR 512/83 = AP Nr 3 zu § 61 ArbGG 1979, ferner die nicht veröffentlichen Urteile vom 22.04.1987, 5 AZR 91/86 und vom 28.10.1987, 5 AZR 505/85).
Normenkette
ArbGG § 61 Abs. 1, § 64 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.10.1987; Aktenzeichen 7 Sa 1135/87) |
ArbG Stade (Entscheidung vom 24.09.1986; Aktenzeichen 2 Ca 295/86) |
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er gehörte dem Betriebsrat an, der 15 Mitglieder hat. Auf seiner Sitzung vom 8. April 1986 beschloß der Betriebsrat, daß zwei seiner Mitglieder, u. a. der Kläger, nach Hannover zum Hauptvorstand der IG Chemie-Papier-Keramik fahren sollten, um eine Rechtsfrage zu klären. Die Beklagte vertrat gegenüber dem Betriebsrat und erklärtermaßen auch gegenüber dem Kläger die Auffassung, eine solche Fahrt stelle für den Kläger keine erforderliche Betriebsratstätigkeit dar.
Der Kläger fuhr am 30. April gleichwohl nach Hannover. Die Beklagte erteilte daraufhin dem Kläger mit Schreiben vom 20. Mai 1986 eine zu den Personalakten genommene Abmahnung, mit der sie ihm einen Verstoß gegen die Arbeitspflicht vorwarf. Außerdem behielt die Beklagte den Lohn für den 30. April in Höhe von 169,92 DM ein.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, Abmahnung und Lohneinbehaltung seien ungerechtfertigt. Er hat Klage erhoben mit dem Antrag,
1. die dem Kläger mit Schreiben vom 20. Mai 1986
erteilte Abmahnung aus der Personalakte des
Klägers zu entfernen,
2. an den Kläger 169,92 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit Rechtshängigkeit auf den Netto-
betrag zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, ihre Maßnahmen seien gerechtfertigt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat im Tenor seines Urteils den Streitwert auf 769,92 DM festgesetzt. Zur Streitwertfestsetzung heißt es in den Entscheidungsgründen, der Streitwert für den Abmahnungsantrag bemesse sich auf 500,-- DM, für den Zahlungsantrag auf 169,92 DM. Die Rechtsmittelbelehrung geht dahin, daß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei, da keine der Parteien mit mehr als 800,-- DM beschwert sei.
Das erstinstanzliche Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 26. September 1986 zugestellt worden. Mit dem am 28. Juli 1987 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 21. Juli 1987 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat geltend gemacht, die Frist zur Einlegung der Berufung sei nicht versäumt. Die Rechtsmittelfrist sei nicht in Gang gesetzt worden, weil die in dem Urteil des Arbeitsgerichts enthaltene Rechtsmittelbelehrung unrichtig sei. Die Berufung sei nämlich statthaft, weil der Streitwert auf einen Betrag über 800,-- DM hätte festgesetzt werden müssen. Die Festsetzung des Streitwerts auf einen Betrag von 500,-- DM für den Antrag auf Entfernung der Abmahnung sei auf den ersten Blick falsch und nach keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Die Abmahnung habe Warnfunktion und gefährde Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses, weil sie darauf abziele, Kündigungen bei erneuten Pflichtwidrigkeiten zu rechtfertigen. Deshalb müsse der Streitwert bei Abmahnungsklagen sich an dem Bruttoeinkommen eines Monats ausrichten. Für den Kläger sei von einem Bruttomonatslohn in Höhe von 3.674,52 DM auszugehen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel nicht statthaft gewesen sei. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger weiterhin den Erfolg seiner Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Berufung als nicht statthaft angesehen.
1. Bei einer vermögensrechtlichen Streitigkeit ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG die Berufung nur statthaft, wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM übersteigt. Vorliegend verfolgt der Kläger Ansprüche vermögensrechtlicher Natur. Das gilt nicht nur für den Zahlungsanspruch, sondern auch für die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten. Insoweit handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls um eine vermögensrechtliche Streitigkeit.
Da das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall die Berufung nicht zugelassen hat, war die Berufung nur statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM überschritt. Dabei mußte das Landesarbeitsgericht von dem Wert des Streitgegenstandes ausgehen, den das Arbeitsgericht in seinem Urteil festgesetzt hatte (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 13. Januar 1988 - 5 AZR 410/87 - AP Nr. 11 zu § 64 ArbGG 1979).
Das Arbeitsgericht hat den Streitwert auf 769,62 DM festgesetzt. Da der Kläger Zahlung von 169,92 DM verlangt hatte, muß nach dem Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung davon ausgegangen werden, daß die Klage auf Entfernung der Abmahnung mit 600,-- DM bewertet worden ist. Wenn es in den Entscheidungsgründen des Urteils des Arbeitsgerichts heißt, der Streitwert für den Abmahnungsantrag bemesse sich auf 500,-- DM, so liegt insoweit eine offensichtliche Unrichtigkeit vor.
2. Bei dem auf 769,62 DM festgesetzten Streitwert, der zugleich den Wert des Beschwerdegegenstandes begrenzte, war die Berufung nicht statthaft. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend auch davon ausgegangen, daß es an die Streitwertfestsetzung gebunden war, weil diese nicht offensichtlich unrichtig war. Hierzu gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß eine Streitwertfestsetzung nur dann offensichtlich unrichtig ist, wenn sie in jeder Beziehung unverständlich und unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und außerdem der zutreffende Streitwert auf den ersten Blick die für den Beschwerdewert maßgebliche Grenze übersteigt oder unterschreitet (BAG Urteil vom 11. Juni 1986 - 5 AZR 512/83 - AP Nr. 3 zu § 61 ArbGG 1979; ferner die nicht veröffentlichten Urteile vom 22. April 1987 - 5 AZR 91/86 - und vom 28. Oktober 1987 - 5 AZR 505/86 -).
Die Ansicht des Klägers, die Festsetzung des Streitwerts für die Klage auf Entfernung der Abmahnung auf einen Betrag von 600,-- DM sei im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung offensichtlich unrichtig, findet im Gesetz keine Stütze. Die Festsetzung des Streitwerts bestimmt sich nach § 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift wird der Wert von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Soweit es sich, wie hier, um die Entfernung einer Abmahnung aus den Personalakten handelt, bietet sich zwar als sachgerecht an, für die Festsetzung des Streitwerts von dem Einkommen des Arbeitnehmers auszugehen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Spruchpraxis der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte nicht einheitlich in der Frage, wie im Einzelfall der Streitwert festzusetzen ist. Es läßt sich deshalb nicht begründen, daß die Festsetzung des Streitwertes wie hier auf einen Betrag von 600,-- DM offensichtlich unrichtig sei. So haben etwa in dem Fall, der der Entscheidung des Senats vom 11. Juni 1986 zugrunde lag, die Vorinstanzen angenommen, der Streitwert sei zutreffend auf 1/4 (Arbeitsgericht) bzw. 1/6 (Landesarbeitsgericht) des Monatslohns festzulegen. In dem Fall, der dem Urteil des Senats vom 22. April 1987 zugrunde lag, hatte das Arbeitsgericht den Streitwert auf 600,-- DM festgesetzt, und in dem Verfahren 5 AZR 505/86 hatte das Arbeitsgericht den Streitwert mit 500,-- DM beziffert.
Nach alledem kann keine Rede davon sein, daß die Festlegung des Streitwertes auf einen Betrag von 600,-- DM durch das Arbeitsgericht offensichtlich unrichtig gewesen sei. Hierzu gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Beklagte dem Kläger als Mitglied des Betriebsrats nur aus wichtigem Grunde kündigen könnte. Auch in anderen Fällen, in denen wegen einer Vertragsverletzung eine Abmahnung erfolgt, kann diese eine Kündigung aus wichtigem Grunde vorbereiten für den Fall, daß weitere entsprechende Vertragsverletzungen hinzutreten. Im übrigen ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses bei einem Betriebsratsmitglied sogar deshalb weniger gefährdet, weil nach § 103 BetrVG eine Kündigung die Zustimmung des Betriebsrats voraussetzt.
3. Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider
Halberstadt Dr. Frey
Fundstellen