Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Ausbildungskosten; Umwandlung in Darlehensschuld
Leitsatz (amtlich)
1. Die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Zulässigkeit von Vereinbarungen über die Rückzahlung von Ausbildungskosten (BAG Urteil vom 16. März 1994 - 5 AZR 339/92 - DB 1994, 1726) gelten regelmäßig auch dann, wenn vereinbart wird, daß der Rückzahlungsbetrag als Darlehen geschuldet werden soll (§ 607 Abs 2 BGB).
2. Ein Schuldbestätigungsvertrag, der unabhängig von der arbeitsvertraglichen Rückzahlungsklausel gelten soll, kann nur ausnahmsweise angenommen werden. Er setzt voraus, daß die Parteien den Streit oder die beiderseitige Ungewißheit über die Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel beenden wollen (Anschluß an BGH Urteil vom 24.3.1976, IV ZR 222/74 = BGHZ 66, 250, 255; BGH Urteil vom 5.12.1979, IV ZR 107/78 = NJW 1980, 1158; BGH Urteil vom 10.1.1984, IV ZR 64/82 = NJW 1984, 799).
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 25.06.1992; Aktenzeichen 5 Sa 179/92) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 11.10.1991; Aktenzeichen 2 Ca 2255/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte aufgrund Arbeitsvertrages oder aufgrund eines nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossenen Darlehensvertrages die Kosten für den Erwerb einer Musterberechtigung tragen muß.
Der Beklagte war vom 1. März 1988 bis zum 31. Dezember 1988 bei der beklagten Fluggesellschaft beschäftigt. Er hatte zum Zeitpunkt der Anstellung lediglich die Erlaubnis für Berufsflugzeugführer; eine Berechtigung zum Führen von Turbinenflugzeugen besaß er nicht. Nach dem Anstellungsvertrag sollte der Kläger „auf dem Muster Cessna Citation 550”, einer turbinengetriebenen Maschine, als Co-Pilot eingesetzt werden. Das Gehalt des Klägers belief sich auf 3.000,00 DM brutto. Hinzukamen 50 DM „für jede geflogene Flugstunde (Block)” sowie Zuschläge für Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit. § 4 des Anstellungsvertrages lautet auszugsweise:
„E bietet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, ein type rating für das Turbinenjetflugzeug der Marke Citation, Baureihe C 550 auf Kosten von E zu erwerben. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die Ausbildung ernsthaft und seriös zu betreiben und alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Kosten des type ratings so niedrig wie möglich zu halten und das Rating so schnell wie möglich zu erwerben.
Der Erwerb dieses type ratings gibt dem Arbeitnehmer die Berechtigung, Turbinenflugzeuge zu fliegen. Der Erwerb dieser Berechtigung liegt im ausschließlichen Interesse des Arbeitnehmers, da sie für seine weitere berufliche Fortentwicklung von entscheidender Bedeutung ist. Demgemäß verpflichtet sich der Arbeitnehmer E gegenüber, die Kosten dieser Ausbildung zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis aus vom Arbeitnehmer zu vertretenden Gründen vor Ablauf von 2 Jahren nach Erwerb des type ratings beendet wird. Vom Arbeitnehmer zu vertretende Gründe sind auch solche gesundheitlicher Art und ähnliche Gründe, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen, selbst wenn er hieran kein Verschulden trägt.
Die Ausbildungskosten sind E mit sovielen 24teln zu erstatten, wie Monate zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Erreichen der Zweijahresfrist liegen. Die Ausbildungskosten betragen DM 25.000,–.”
Der Beklagte erwarb auf Kosten der Klägerin die Musterberechtigung für die Cessna-Citation 550 und wurde als Co-Pilot auf diesem Flugzeugmuster eingesetzt.
Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer fristgerechten Kündigung des Beklagten mit dem 31. Dezember 1988. Er wechselte zur H GmbH. Am 22. Dezember 1988 richtete die Klägerin ein Schreiben an den Beklagten, in dem es u.a. heißt:
„Wir hatten Ihnen seinerzeit aufgrund § 4 des Arbeitsvertrages die Möglichkeit zum Erwerb eines Type-ratings gegeben, welches in Ihrem Interesse lag.
Hierfür sind Kosten in Höhe von insgesamt DM 25.000,– angefallen.
Unter Abzug von 10 Monaten DM 1.000,– verbleibt demgemäß ein offener Betrag in Höhe von DM 15.000,–, den Sie an uns vertragskonform erstatten wollen. Insofern erklären Sie und wir übereinstimmend die Berechtigung dieser Forderung dem Grunde und der Höhe nach.
Um Ihnen die Rückzahlung dieses Betrages zu erleichtern, bieten wir Ihnen folgenden Darlehensvertrag an:
DARLEHENSVERTRAG
1. E stundet Herrn B dessen Verbindlichkeiten in Höhe von 15.000,–, beginnend mit dem 01.01.1989.
2. Herr B verpflichtet sich, den Darlehensbetrag in monatlichen Raten von DM ………, beginnend mit dem 03. ………. 1989 zurückzuzahlen.
3. Sofern eine Rückzahlungsrate nicht bis zum 06. eines Monats bei E eingegangen ist, wird der gesamte dann noch offenstehende Betrag zzgl. Zinsen unverzüglich fällig.
4. Das Darlehen wird mit dem jeweils nach Tilgung errechneten Betrag mit 6 % pro anno verzinst.
5. Die Rückzahlungsraten werden aufgeteilt auf Tilgung und Zinsverbindlichkeit und entsprechend angerechnet.
Bitte unterzeichnen Sie zum Zeichen Ihres Einverständnisses, … die beigefügte Fotokopie. Sollte diese nicht unverzüglich, jedoch spätestens bis zum 28.12.1988 bei uns eingehen, fühlen wir uns an dieses Angebot nicht mehr gebunden.”
Der Beklagte unterzeichnete den Vertrag nicht, er entrichtete aber fünf Raten zu je 500,00 DM. Dann stellte er seine Zahlungen ein. Am 24. November 1989 schrieb er der Klägerin:
„…
in Unkenntnis der Rechtslage habe ich mich aufgrund Ihres Schreibens vom 22.12.1988 bereit erklärt, einen Teil der zum Erwerb der Musterberechtigung entstandenen Kosten zurückzuzahlen.
Strittig war damals nur die Höhe der Kosten, wobei man sich schließlich auf einen Rückzahlungsbetrag von DM 14.500,00 und monatliche Raten von DM 500,00 geeinigt hatte.
Die Forderung an sich konnte ich damals nicht bestreiten, weil sie der Bestimmung des § 4 des Anstellungsvertrages entsprach und mir Gründe, aus denen die Rechtswirksamkeit dieser Bestimmung in Zweifel zu ziehen ist, mir damals nicht bekannt waren.
…”
Weiter heißt es in dem Schreiben, aufgrund der ihm jetzt bekannt gewordenen Rechtslage werde er keine weiteren Rückzahlungen leisten.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 12.000,00 DM. Sie hat vorgetragen, ihre noch offene Forderung sei aufgrund ihres Schreibens vom 22. Dezember 1988 in ein Darlehen umgewandelt worden, welches unabhängig von der zugrundeliegenden Forderung sei. Eine Anfechtung dieses Darlehensvertrags komme nicht in Betracht, da der Beklagte über den Inhalt des Vertrages nicht geirrt habe; außerdem sei die Anfechtungsfrist verstrichen. Der Anspruch ergebe sich aber auch aus dem Arbeitsvertrag. Der Beklagte habe im Anstellungsvertrag ausdrücklich bestätigt, daß die Ausbildung zu seinem eigenen Vorteil erfolge. Tatsächlich wäre eine Bewerbung des Beklagten um eine neue Anstellung ohne die auf Kosten der Klägerin erworbene Berechtigung, Turbinenflugzeuge zu fliegen, von einem neuen Arbeitgeber, insbesondere der H GmbH, nicht einmal in Erwägung gezogen worden. Es müsse auch als gerichtsbekannt angesehen werden, daß ein Linienflugzeugführer gegenüber einem Piloten, der nur Kleinflugzeuge steuern dürfe, wesentlich bessere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt habe und deshalb auch ein erheblich höheres Gehalt beziehen könne.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 12.000,00 DM nebst 9,5 % Zinsen seit dem 24. November 1989 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen: Die Darlehensabrede sei keine Schuldumschaffung (Novation), sondern eine Stundungsvereinbarung. Er habe diese Vereinbarung durch sein Schreiben vom 24. November 1989 wirksam angefochten. Die in § 4 des Arbeitsvertrages enthaltene Rückzahlungsklausel sei nicht wirksam. Es habe sich um Einweisungskosten gehandelt, deren Höhe er im übrigen bestreite. Auch seien die Ausbildungskosten von angeblich 25.000,00 DM im Hinblick auf seine Bruttovergütung von 3.000,00 DM unverhältnismäßig hoch. Überdies habe er keine beruflichen Vorteile durch den Erwerb der Musterberechtigung erlangt. Er habe die für die Cessna-Citation erworbene Musterberechtigung nicht anderweitig genutzt. Bei der H sei er auf der Boeing 727 und in einem weiteren Anschlußarbeitsverhältnis bei der L auf der L-1011-Tristar eingesetzt worden. Für diese Typen habe er neue Musterberechtigungen erwerben müssen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Aufgrund der bisherigen Feststellungen läßt sich noch nicht beurteilen, ob und in welcher Höhe die Klägerin Zahlung verlangen kann.
I.
Das Landesarbeitsgericht ist mit im wesentlichen zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, daß der Darlehensvertrag keine selbständige, von der sich aus § 4 des Arbeitsvertrages ergebenden Rückzahlungsverpflichtung unabhängige Forderung begründet hat.
1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, es sei eine Rückzahlungsvereinbarung entsprechend den Bedingungen des im Schreiben der Klägerin vom 22. Dezember 1988 angebotenen Darlehensvertrages zustande gekommen. Dagegen wendet sich der Beklagte nicht.
2. Weiter hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt: Diese Vereinbarung habe keine abstrakte Darlehensschuld begründet, die vom Schuldgrund unabhängig sei; allenfalls handele es sich um eine deklaratorisches Schuldanerkenntnis. Der eigentliche Zweck der Abrede habe darin bestanden, dem Beklagten die Tilgung der alten Schuld zu erleichtern. Daher handele es sich nicht um eine selbständige Darlehens-, sondern um eine Stundungsabrede.
3. Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
a) Die Auslegung individueller Willenserklärungen kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie mit den Denkgesetzen vereinbar ist, ob anerkannte Auslegungsgrundsätze verletzt sind oder ob wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist (BAGE 22, 424 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB).
Solche Fehler läßt das Berufungsurteil nicht erkennen. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht nur als möglich, sondern als naheliegend. Es hat die Abrede der Parteien allerdings ungenau, nämlich als Stundungsabrede, bezeichnet.
b) Nach § 607 Abs. 2 BGB können die Parteien vereinbaren, daß aus anderem Grund geschuldete Gegenstände nunmehr als Darlehen geschuldet werden sollen. Das ist hier geschehen.
aa) Eine solche Vereinbarung kann verschiedene Bedeutung haben (BGHZ 28, 164, 166; Staudinger/Hopt/Mülbert, BGB, 12. Aufl., § 607 Rz 408 ff.):
Es kann sich um eine nur inhaltliche Änderung der bestehenbleibenden alten Schuld handeln, mit der diese in bestimmter Beziehung, z. B. im Hinblick auf Fälligkeit, Verzinsung, Tilgung und Verjährung, dem Darlehensrecht unterstellt wird.
Die Schuldabänderung kann auch mit einem (deklaratorischen) Schuldanerkenntnis verbunden sein (Schuldbestätigungsvertrag). Ein derartiges Anerkenntnis schafft keine neue Verbindlichkeit, sondern bestätigt lediglich die schon vorhandene Schuld. Sein Zweck ist es in aller Regel, das Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewißheit zu entziehen und es insoweit endgültig festzulegen.
Darüber hinaus kann das Anerkenntnis auch die Bedeutung haben, Zweifeln oder Meinungsverschiedenheiten der Parteien über den Anspruchsgrund und seine Rechtsgrundlage ein Ende zu bereiten. Insofern kann auch ein nur „möglicherweise” bestehendes Schuldverhältnis als tatsächlich bestehend bestätigt werden. Ein solcher Schuldbestätigungsvertrag kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn die Parteien einen besonderen Anlaß zu seinem Abschluß hatten. Da der typische Zweck eines solchen Vertrags darin liegt, das Schuldverhältnis – ganz oder teilweise – dem Streit oder der Ungewißheit der Parteien zu entziehen, setzt der Schuldbestätigungsvertrag notwendig einen vorherigen Streit oder zumindest eine (subjektive) Ungewißheit der Parteien über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte voraus (BGHZ 66, 250, 255; BGH Urteile vom 5. Dezember 1979 - IV ZR 107/78 - und vom 10. Januar 1984 - VI ZR 64/82 - NJW 1980, 1158 und 1984, 799). Der Schuldbestätigungsvertrag ähnelt daher einem Vergleich (§ 779 BGB).
Schließlich kann auch eine Umschaffung (Novation) gewollt sein, d. h. die neue Schuld soll an die Stelle der alten treten. Dann erlischt die alte Schuld; Sicherheiten und Einwendungen gegen die alte Schuld gehen unter.
Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen einer kausalen und einer abstrakten Schuldumschaffung (Novation) (BGHZ 28, 164, 166; BGH Urteil vom 18. September 1970 - IV ZR 1199/68 - WM 1970, 1457, 1459). Erstere setzt das Bestehen der alten Schuld voraus. Soweit die alte Schuld nicht besteht, entsteht auch keine neue. Ist das Grundgeschäft unwirksam oder nichtig, ist es auch die neu begründete Schuld (OLG Hamburg, NJW-RR 1986, 403; Staudinger/Hopt/Mülbert, aaO, Rz 412). Der Schuldner ist dann nicht auf einen bloßen Bereicherungsanspruch hinsichtlich der neu eingegangen Schuld angewiesen.
Die formbedürftige abstrakte Schuldumschaffung (§§ 780, 781 BGB) setzt dagegen den rechtlichen Bestand der alten Verbindlichkeit nicht voraus. Allerdings kann die neue Verbindlichkeit bei Nichtbestehen der alten Schuld kondiziert werden (§ 812 Abs. 2 BGB). Ein solcher Bereicherungsanspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn das Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis gerade ohne Rücksicht auf das Bestehen der alten Schuld abgegeben wurde.
bb) Welche Wirkung eine Vereinbarung nach § 607 Abs. 2 BGB hat, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Eine Vermutung dafür, daß die Parteien eine Schuldumschaffung (Novation), also das Erlöschen der alten Verbindlichkeit, oder ein bestätigendes Schuldanerkenntnis gewollt haben, besteht – entgegen der Auffassung der Revision – nicht. Vielmehr muß ein dahingehender Vertragswille deutlich erkennbar sein. Die Rechtsfolgen einer Schuldumschaffung oder eines bestätigenden Schuldanerkenntnisses müssen der Interessenlage der Beteiligten, dem mit der Erklärung erkennbar verfolgten Zweck und ggf. auch der Verkehrsauffassung über die Bedeutung derartiger Erklärungen entsprechen. Für die Annahme einer Schuldumschaffung oder eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses reicht danach der Abschluß einer Vereinbarung nach § 607 Abs. 2 BGB allein nicht aus. (BGH Urteil vom 13. Oktober 1983 - III ZR 163/82 - LM § 138 (Cf) BGB Nr. 11, zu III 2 der Gründe; BGHZ 66, 250, 255; Urteil vom 10. Januar 1984 - IV ZR 64/82 - NJW 1984, 799).
cc) Für den Streitfall ergibt sich daraus folgendes:
Die Klägerin hat in ihrem Schreiben vom 22. Dezember 1988 den Verpflichtungsgrund genau bezeichnet. Sie hat auf § 4 des Arbeitsvertrages verwiesen und den „verbleibenden” Betrag genannt. Unter Nr. 1 des Darlehensvertrags ist von einer Stundung dieser Verbindlichkeit die Rede. Dies spricht gegen die Annahme, daß die Parteien die alte Schuld zum Erlöschen bringen und eine neue Schuld begründen wollten. Es hätte daher für die Annahme einer Schuldumschaffung besonderer, von der Klägerin darzulegender Umstände bedurft (Palandt/Thomas, BGB, 53. Aufl., § 780 Rn 3; vgl. RGZ 119, 21, 24; 142, 303, 306). Solche Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Aber auch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis liegt nicht vor. Die Formulierung in dem Schreiben der Klägerin vom 22. Dezember 1988 „insofern erklären Sie und wir übereinstimmend die Berechtigung dieser Forderung dem Grunde und der Höhe nach” könnte zwar auf einen vorangegangenen Streit oder eine (subjektive) Ungewißheit der Parteien über die Wirksamkeit der sich aus § 4 AV ergebenden Rückzahlungsklausel hindeuten. Einen solchen Streit hat es aber bei Abschluß des Darlehensvertrages nicht gegeben. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt (§ 561 Abs. 2 ZPO), daß im Dezember 1988 zwischen den Parteien noch kein Streit über die Wirksamkeit der Rückzahlungsvereinbarung bestand. Auch eine beiderseitige Ungewißheit darüber hat nicht vorgelegen. Zwar mag die – rechtlich beratene – Klägerin Zweifel an der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel gehabt haben. Sie hat dies aber – verständlicherweise – nicht geäußert. Entscheidend ist, daß der Beklagte derartige Zweifel nicht hegte; er ging von der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel aus.
Die Parteien haben also mit dem Darlehensvertrag die Rückzahlungsverpflichtung aus § 4 des Arbeitsvertrages in Bezug auf Fälligkeit, Verzinsung und Tilgung dem Darlehensrecht unterstellt, den Grund für die Rückzahlungsverpflichtung jedoch unberührt gelassen.
II.
§ 4 des Arbeitsvertrages ist aber mindestens insoweit unwirksam, als eine Bindungsdauer von mehr als einem Jahr vereinbart wurde.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind einzelvertragliche Vereinbarungen, wonach Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber aufgewendet hat, vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet, grundsätzlich zulässig. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen. Die Rückzahlungspflicht muß vom Standpunkt eines verständigen Betrachters einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Der Arbeitnehmer muß mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer zuzumuten sein. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG Urteil vom 23. Februar 1983, BAGE 42, 48 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; BAG Urteil vom 24. Juli 1991, BAGE 68, 178 = AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe). Die gegen diese Rechtsprechung vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken sind nicht begründet. Die richterliche Inhaltskontrolle einzelvertraglicher Klauseln, durch die sich der Arbeitnehmer zur Rückzahlung von Ausbildungskosten verpflichtet, ist von Verfassungs wegen geboten. § 242 BGB begründet die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 16. März 1994 (- 5 AZR 339/92 - DB 1994, 1726, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) näher begründet. Darauf wird verwiesen.
Die bei der gerichtlichen Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln gebotene Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- oder Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt (ständige Rechtsprechung, grundlegend Urteil vom 18. August 1976, BAGE 28, 159 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe).
2. In Anwendung dieser Grundsätze ist der Senat für Musterberechtigungen zu dem Ergebnis gelangt, daß wegen deren Besonderheiten unabhängig von der Art der Musterberechtigung und der vom Arbeitgeber aufgewandten Kosten regelmäßig nur eine Bindungsdauer von einem Jahr vereinbart werden darf. Auch insoweit wird auf das Urteil vom 16. März 1994 (aaO) verwiesen. Die Frist beginnt mit dem Erwerb der Musterberechtigung, dessen Zeitpunkt im Streitfall noch nicht festgestellt worden ist.
Die Anwendung der dargestellten Grundsätze scheitert nicht daran, daß laut § 4 des Arbeitsvertrages der Erwerb der Musterberechtigung „im ausschließlichen Interesse des Arbeitnehmers” liegt. Derartige Klauseln, die im Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes nach dessen § 11 Nr. 15 b unwirksam sind, sind auch im Arbeitsrecht unzulässig. Zudem liegt die inhaltliche Unrichtigkeit der Bestimmung auf der Hand. Der Erwerb der Musterberechtigung lag auch im Interesse der Klägerin. Sonst hätte sie den Beklagten nicht einsetzen können.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Bindungsdauer auf das zulässige Maß zurückzuführen. Dabei ist die monatliche Abstufung der Rückzahlungsleistung beizubehalten (Urteil vom 16. März 1994 - 5 AZR 339/92 -, aaO, zu A VI 1 der Gründe). Für den Streitfall bedeutet dies, daß sich der Rückzahlungsbetrag nach jedem vollen Monat, den das Arbeitsverhältnis nach dem Erwerb der Musterberechtigung besteht, um 1/12 verringert.
4. Der Höhe nach ist die Rückzahlungsverpflichtung in doppelter Hinsicht begrenzt. Der Arbeitgeber kann höchstens den Betrag zurückverlangen, den er tatsächlich aufgewandt hat. Andernfalls handelte es sich nicht nur um die Rückzahlung von Ausbildungskosten, sondern auch um eine Vertragsstrafe. Dessen ungeachtet hat der Arbeitnehmer höchstens den vereinbarten Betrag zurückzuzahlen, auch wenn die Kosten der Aus- oder Weiterbildung höher liegen. Die vorherige einverständliche schriftliche Festlegung eines bestimmten Rückzahlungsbetrages entbindet die Fluggesellschaft nicht von der sie treffenden Darlegungslast, wenn der Pilot die Richtigkeit der Festsetzung bestreitet. Die Fluggesellschaft hat dann substantiiert vorzutragen, wie sich die Rückforderungssumme im einzelnen zusammensetzt (Urteil vom 16. März 1994 - 5 AZR 339/92 -, aaO, zu A III 3, VI 3 der Gründe).
III.
Im Streitfall kommt es zunächst darauf an, welche Ansprüche der Klägerin nach § 4 des Arbeitsvertrages bei Zugrundelegung von Kosten in Höhe von 25.000,00 DM zustünden. Dazu ist festzustellen, wann der Beklagte die Musterberechtigung erworben hat. Denn die einjährige Bindungsfrist beginnt mit diesem Zeitpunkt.
Der Rückzahlungsbetrag hängt weiter davon ab, von welchen Kosten für den Erwerb der Musterberechtigung auszugehen ist. Möglicherweise haben sich die Parteien darüber – zeitgleich mit dem Abschluß des Darlehensvertrages oder später – verständigt, diesen Punkt also außer Streit gestellt. Darauf deutet das Schreiben des Beklagten vom 24. November 1989 hin, nach dem sich die Parteien auf einen Rückzahlungsbetrag von 14.500,00 DM geeinigt hatten. Möglicherweise haben die Parteien damit aber auch nur den Rückzahlungsbetrag von 14.583,33 DM, der sich bei Zugrundelegung von 25.000,00 DM Weiterbildungskosten und einer zweijährigen Bindungsdauer ab Beginn der Beschäftigung ergäbe (14/24 von 25.000,00 DM), abgerundet. Die Rückverweisung gibt der auch insoweit beweispflichtigen Klägerin Gelegenheit, dazu substantiiert vorzutragen. Andernfalls muß sie, da der Beklagte die Höhe bestritten hat, darlegen, wie sich die Kosten für den Erwerb der Musterberechtigung zusammensetzen.
Ist danach ein Anspruch in bestimmter Höhe zu bejahen, hat das Landesarbeitsgericht weiter zu prüfen, in welcher Weise diese Verpflichtung durch den Darlehensvertrag abgeändert worden ist. Soweit die Parteien einen höheren Rückzahlbetrag festgelegt haben, ist der Vertrag unwirksam. Soweit der Darlehensvertrag die Modalitäten der Rückzahlung (Raten, Fälligkeit, Zinsen) regelt, bestehen gegen seine Wirksamkeit keine Bedenken. Die Verpflichtung des Beklagten mindert sich um die bereits geleisteten Zahlungen.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Köhne, Lindemann
Fundstellen
Haufe-Index 60006 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 164 |
BB 1995, 568 |
BB 1995, 568-570 (LT1-2) |
DB 1995, 632-633 (LT1-2) |
DStR 1995, 1036 (KT) |
BuW 1995, 216 (K) |
AiB 1995, 535-536 (LT1-2) |
WiB 1995, 474-475 (LT) |
JR 1995, 528 |
JR 1995, 528 (L) |
NZA 1995, 305 |
NZA 1995, 305-307 (LT1-2) |
ZAP, EN-Nr 217/95 (S) |
AP, Ausbildungsbeihilfe (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 570 Nr 6 (LT1-2) |
EzA, Ausbildungsbeihilfe Nr 11 (LT1-2) |
EzBAT, Rückzahlungsklausel Nr 13 (LT1-2) |
MDR 1995, 829-830 (LT) |