Entscheidungsstichwort (Thema)
Bereitschaftsdienst der Ärzte
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber ist durch § 17 BAT und Nr 8 SR 2c BAT nicht gehindert, den ärztlichen Dienst im Krankenhaus zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der Arbeitszeit des folgenden Tages teils als Überstunden und teils als Bereitschaftsdienst anzuordnen.
Normenkette
BAT SR 2; BAT SR 2c; BAT §§ 15, 17, 35
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 03.11.1992; Aktenzeichen 1 (3) Sa 607/91) |
ArbG München (Entscheidung vom 18.07.1991; Aktenzeichen 22 Ca 5450/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, wie die von dem Beklagten im Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit angeordneten weiteren Dienste des Klägers zu vergüten sind.
Der Kläger ist angestellter Arzt in einer Universitätsklinik des beklagten Landes. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 sowie die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge Anwendung.
Der Kläger hat nach dem Ende der täglichen dienstplanmäßigen Arbeitszeit (16.30 Uhr) und vor dem Arbeitsbeginn des nächsten Tages (8.00 Uhr) Dienste im Krankenhaus zu leisten. Bis zum 31. März 1984 vergütete das beklagte Land diese Dienste als Überstunden. Seit dem 1. April 1984 teilt es die Dienste vergütungsmäßig auf. Bis 1.00 Uhr behandelt es sie als Überstunden, von 1.00 Uhr bis 7.00 Uhr als Bereitschaftsdienst und von 7.00 Uhr bis 8.00 Uhr wieder als Überstunden. In den Zeiten, die es als Bereitschaftsdienst vergütet, fallen durchschnittlich nicht mehr als 40 % Arbeitsleistung an. In dem gesamten Zeitraum zwischen 16.30 Uhr und 8.00 Uhr fallen durchschnittlich mehr als 49 % Arbeitsleistung an. Eine schriftliche Nebenabrede über die Zuordnung der Bereitschaftsdienste zu einer der Stufen nach Nr. 8 Abs. 2 Buchst. a SR 2 c BAT haben die Parteien nicht getroffen.
In einem Rechtsstreit, in dem der Kläger beantragt hatte festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet sei, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit einheitlich als Überstunden zu behandeln, schlossen die Parteien einen Teilvergleich, in dem das beklagte Land sich verpflichtete, die streitigen Zeiten als Mehrarbeit abzurechnen und entsprechend zu vergüten, falls es in dem Rechtsstreit rechtskräftig unterliege. Der erkennende Senat wies die Klage durch Urteil vom 22. März 1990 - 6 AZR 270/87 - (n.v.) mangels Feststellungsinteresses als unzulässig ab.
Der Kläger hat für die Zeit seit dem 1. April 1984 die Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen der Vergütung für Bereitschaftsdienst der Stufe C und der tariflichen Überstundenvergütung verlangt. Er hat die Ansicht vertreten, eine Aufteilung der zeitlich zusammenhängenden Dienste außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in Überstunden einerseits und Bereitschaftsdienst andererseits sei tarifwidrig.
Der Kläger hat beantragt,
1. das beklagte Land zu verurteilen, an den Klä-
ger folgende Zahlungen, die mit 4 % ab dem je-
weiligen Fälligkeitsdatum zu verzinsen sind,
zu leisten:
16.04.84 DM 580,84 16.05.84 DM 55,74
16.06.84 DM 756,72 16.07.84 DM 526,14
16.08.84 DM 526,14 16.09.84 DM 431,16
16.10.84 DM 492,75 16.11.84 DM 326,92
16.12.84 DM 629,30 16.01.85 DM 511,90
16.02.85 DM 329,37 16.03.85 DM 649,05
16.04.85 DM 508,54 16.05.85 DM 629,00
16.06.85 DM 510,94 16.07.85 DM 553,95
16.09.85 DM 326,34 16.10.85 DM 693,40
16.11.85 DM 553,95 16.12.85 DM 373,85
16.01.86 DM 573,35 16.02.86 DM 530,67
16.03.86 DM 573,35 16.04.86 DM 573,35
16.05.86 DM 529,25 16.06.86 DM 529,25
16.07.86 DM 592,14 16.09.86 DM 529,05
16.10.86 DM 714,33 16.11.86 DM 594,84
16.12.86 DM 726,37 16.01.87 DM 338,57
16.02.87 DM 615,10 16.03.87 DM 615,10
16.04.87 DM 543,99 16.05.87 DM 543,99
16.06.87 DM 615,10 16.07.87 DM 668,44
16.08.87 DM 668,44 16.09.87 DM 459,49
16.10.87 DM 521,00 16.11.87 DM 591,36
16.12.87 DM 443,52 16.01.88 DM 591,36
16.02.88 DM 447,46 16.03.88 DM 822,51
16.04.88 DM 454,11 16.05.88 DM 684,85
16.06.88 DM 684,85 16.07.88 DM 835,90
16.08.88 DM 306,25 16.09.88 DM 542,40
16.10.88 DM 684,68 16.11.88 DM 614,05
16.12.88 DM 614,05 16.01.89 DM 694,60
16.02.89 DM 632,40 16.03.89 DM 632,40
16.04.89 DM 553,35 16.05.89 DM 632,40
16.06.89 DM 711,45 16.07.89 DM 632,40
16.08.89 DM 475,95 16.09.89 DM 238,95
16.10.89 DM 708,75 16.11.89 DM 403,30
16.12.89 DM 723,74 16.01.90 DM 484,65
16.02.90 DM 405,72 16.03.90 DM 229,90
16.04.90 DM 405,72 16.05.90 DM 568,01
16.06.90 DM 568,01 16.07.90 DM 649,16
16.08.90 DM 649,16 16.09.90 DM 730,30
16.10.90 DM 571,90 16.11.90 DM 374,43
16.12.90 DM 490,07 16.01.91 DM 838,49
16.02.91 DM 568,00 16.03.91 DM 773,96
16.04.91 DM 515,97 16.06.91 DM 691,32
16.07.91 DM 690,84 16.08.91 DM 602,00
16.09.91 DM 788,29 16.10.91 DM 687,96
16.11.91 DM 602,00 16.12.91 DM 687,96
16.01.92 DM 433,58 16.02.92 DM 515,97
16.03.92 DM 605,33 16.04.92 DM 543,95
16.05.92 DM 457,31
2. das beklagte Land zu verurteilen, unter Be-
rücksichtigung der genannten Nachzahlungsbe-
träge die Aufschläge zur Urlaubsvergütung, der
Krankenbezüge, der jährlichen Sonderzuwendun-
gen und der Nachtzuschläge neu zu berechnen
und den sich hieraus zugunsten des Klägers er-
gebenden Differenzbetrag zu bezahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat die Ansicht vertreten, die Klage sei unzulässig, da der Rechtsstreit durch den Teilvergleich erledigt sei. Im übrigen sei der Arbeitgeber berechtigt, die Nachtdienste in Überstunden und Bereitschaftsdienst aufzuteilen.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er hat diesen mit Schriftsatz vom 16. August 1993 um die seit 16. Juni 1992 (DM 534,18) bzw. 16. Juli 1992 (DM 637,54) fälligen Differenzbeträge erweitert. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Die Klage ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Kläger nicht für den gesamten im Anschluß an seine regelmäßige Arbeitszeit von dem beklagten Land angeordneten weiteren Dienst Überstundenvergütung verlangen kann. Für die Zeit zwischen 1.00 Uhr und 7.00 Uhr steht dem Kläger nur die Bereitschaftsdienstvergütung zu.
1. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes war das Landesarbeitsgericht an dieser Sachentscheidung weder durch das rechtskräftige Urteil des erkennenden Senats vom 22. März 1990 noch durch den im vorgenannten Rechtsstreit geschlossenen Teilvergleich gehindert.
a) Das genannte Urteil hat die damalige Klage mangels Feststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen. Damit ist es nur insoweit in Rechtskraft erwachsen, als es über diese Prozeßvoraussetzung entschieden hat. Diese Rechtskraftwirkung steht der vorliegenden Leistungsklage nicht entgegen.
b) Der Teilvergleich, der vom Revisionsgericht als Prozeßhandlung unbeschränkt und selbständig ausgelegt werden kann (BAGE 42, 244, 249 f. = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II, zu I der Gründe), regelt Zahlungsverpflichtungen, die das beklagte Land treffen, falls es im Rechtsstreit auf Feststellung des Anspruchs auf Überstundenvergütung unterliegt. Daraus kann nicht der Wille der Parteien hergeleitet werden, daß dem Kläger bei Unzulässigkeit seine Feststellungsklage verwehrt sei, einen weiteren Rechtsstreit auf Zahlung von Überstundenvergütung zu führen. Die Parteien haben in dem Teilvergleich nur eine Regelung für den Fall getroffen, daß das beklagte Land in der Sache verurteilt wird. Die bei Klageabweisung durch Prozeßurteil verbleibende Zulässigkeit einer Leistungsklage haben die Parteien nach dem Vergleichsinhalt weder bedacht noch einschränkend geregelt.
2. Der Kläger hat für die Zeit zwischen 1.00 Uhr und 7.00 Uhr keinen Anspruch auf Überstundenvergütung gemäß § 17 Abs. 1 und 5 Satz 4 i. V. mit § 35 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT, weil es für diese Zeit an der Anordnung von Überstunden fehlt.
a) Das Landesarbeitsgericht hat bindend festgestellt, daß das beklagte Land an den fraglichen und im einzelnen unstreitigen Tagen im Klagezeitraum für die Zeiten von 1.00 bis 7.00 Uhr Bereitschaftsdienst angeordnet hat. Diese Anordnung war wirksam, weil der tatsächliche Arbeitsanfall während dieser Zeiten bei nur 40 % lag, so daß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwog (vgl. Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 SR 2 c BAT - in der bis 31. März 1991 geltenden Fassung - und § 15 Abs. 6 a Satz 2 BAT). Daran ändert die fehlende Nebenabrede über die Zuordnung zu einer Bereitschaftsdienststufe gemäß Nr. 8 Abs. 5 Satz 1 SR 2 c BAT nichts. Zwar hat der Abschluß einer derartigen Nebenabrede grundsätzlich konstitutive Bedeutung für den Vergütungsanspruch. Fehlt es jedoch an der Nebenabrede, so werden die geleisteten Bereitschaftsdienste nach der tatsächlichen Belastung abgerechnet (BAG Urteil vom 15. Februar 1990 - 6 AZR 386/88 - AP Nr. 17 zu § 17 BAT; BAG Urteil vom 24. Oktober 1990 - 6 AZR 37/89 - BAGE 66, 154 = AP Nr. 7 zu § 3 BAT). Es ist unstreitig, daß die Arbeitsbelastung des Klägers in der Zeit zwischen 1.00 Uhr und 7.00 Uhr der von ihm beanspruchten Gruppe C (vgl. Nr. 8 Abs. 2 Buchst. a SR 2 c BAT) entspricht und entsprechend abgerechnet wurde.
b) Zu Unrecht leitet die Revision daraus, daß bei einheitlicher Betrachtung des gesamten Nachtdienstes die Zeit des tatsächlichen Arbeitsanfalls mehr als 49 % der Arbeitszeit beträgt und somit nicht der gesamte Nachtdienst Bereitschaftsdienst sein könnte, einen tariflichen Anspruch auf Überstundenvergütung her. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich weder aus Nr. 8 SR 2 c BAT noch aus § 17 BAT, daß die an die regelmäßige Arbeitszeit anschließenden Dienste nur einheitlich als Bereitschaftsdienste oder als Überstunden angeordnet werden dürfen.
Nr. 8 Abs. 7 Unterabs. 1 und 2 SR 2 c BAT regelt, wieviele Bereitschaftsdienste in einem Kalendermonat angeordnet werden dürfen, und daß bei einem zusammenhängenden Wochenendbereitschaftsdienst eine Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden dienstplanmäßig vorzusehen ist. Unterabsätze 3 und 5 regeln, daß dem Arzt unter den dort genannten Voraussetzungen eine Ruhezeit von mindestens acht Stunden oder in dem erforderlichen Umfang Arbeitsbefreiung zu gewähren ist. Tarifvertraglicher Schutzzweck dieser Regelungen ist somit, durch Begrenzung der Zahl der Bereitschaftsdienste und die Verpflichtung der Gewährung von Ruhezeiten eine Überbeanspruchung des Arztes zu vermeiden. Ein Verbot, Bereitschaftsdienst im unmittelbaren Anschluß an Überstunden anzuordnen, läßt sich diesen Bestimmungen nicht entnehmen.
Auch aus Nr. 8 Abs. 8 SR 2 c BAT läßt sich die Unzulässigkeit der Aufteilung der Nachtdienste in Überstunden und Bereitschaftsdienste nicht herleiten. Die Tarifnorm geht für die Berechnung der tariflich erheblichen Zahl der Bereitschaftsdienste davon aus, daß Bereitschaftsdienste vor, zwischen oder nach der dienstplanmäßigen Arbeitszeit geleistet werden. Diese Regelung schließt nicht aus, daß Bereitschaftsdienst sowohl von regelmäßiger Arbeitszeit i. S. des § 15 BAT als auch von Überstunden i. S. des § 17 BAT umschlossen sein kann. Die Tarifvertragsparteien haben mangels anderer Anhaltspunkte im Abs. 8 nur geregelt, wie die tariflich erhebliche Zahl von Bereitschaftsdiensten festgestellt wird. Zu der Frage, ob Bereitschaftsdienst nur auf regelmäßige Arbeitszeit folgen oder nur dieser vorangehen darf, haben sie keine Regelungen getroffen.
Das beklagte Land ist auch nicht gemäß des § 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 BAT verpflichtet, die Zeit zwischen 16.30 Uhr und 8.00 Uhr als Überstunden zu vergüten. Nach dieser Bestimmung sind Überstunden auf dringende Fälle zu beschränken. Eine dienstplanmäßige Aufteilung des im Anschluß an die regelmäßige Arbeitszeit notwendigen weiteren Dienstes in Überstunden und Bereitschaftsdienst wird durch diese Regelung nicht untersagt.
3. Der Kläger hat auch keinen vertraglichen Anspruch auf Weitergewährung der Überstundenvergütung in der Zeit nach dem 31. März 1984. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen für die von ihm behauptete betriebliche Übung keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß in aller Regel davon ausgehen, daß ihm sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen er rechtlich verpflichtet ist. Ohne besonderen Anlaß darf er deshalb auch bei langjähriger Gewährung einer zusätzlichen Vergütung nicht darauf vertrauen, sie sei Vertragsinhalt geworden (BAGE 49, 31 = AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Der Kläger konnte deshalb ohne zusätzliche Anhaltspunkte, die er hätte vortragen müssen, nicht davon ausgehen, das beklagte Land werde auf Dauer die Nachtzeit auch insoweit als Überstunden vergüten, als erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt und daher die Anordnung von Bereitschaftsdienst zulässig ist.
II. Nach dem Vorstehenden ist die Klage auch insoweit unbegründet, als der Kläger sie in der Revisionsinstanz unter Bezugnahme auf den bereits vor dem Berufungsgericht unstreitig gewesenen Sachverhalt erweitert hat.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Armbrüster
Ehrenamtlicher Richter
Ziegenhagen ist wegen
Beendigung seiner Amts-
zeit gehindert zu unter-
schreiben.
Dr. Peifer Buschmann
Fundstellen
Haufe-Index 440792 |
BB 1994, 283 |
DB 1994, 1987 (LT1) |
NJW 1995, 805 |
NJW 1995, 805-806 (LT) |
NZA 1994, 1003 |
NZA 1994, 1003-1004 (LT1) |
ZTR 1994, 421 (LT1) |
AP § 17 BAT (LT1), Nr 23 |
ArztR 1994, 261-262 (T) |
EzBAT, Bereitschaftsdienst Nr 8 (LT1) |
FuL 1994, 353 (K) |
MedR 1995, 18 (L) |
MedR 1996, 20 (L) |
PersV 1994, 566 (L) |