Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsgeld ohne Urlaubsanspruch. Urlaubsrecht
Orientierungssatz
- § 12 Abschn. V MTV gewährt ein Urlaubsgeld von 40,00 DM für jeden tariflichen Urlaubstag. Die Gewährung hängt davon ab, daß der Urlaubsanspruch entstanden und nicht ersatzlos untergegangen ist. Das ergibt sich aus dem tariflichen Regelungszusammenhang, der eine Verbindung zwischen dem Urlaubsgeldanspruch und dem Urlaubsanspruch bzw. der Erfüllung des Urlaubsanspruchs herstellt.
- Der Urlaubsanspruch, der bis zum 31. März des folgenden Jahres aus Rechtsgründen nicht genommen werden kann (§ 12 Abschn. I Ziff. 8 und 11 MTV), geht ersatzlos unter.
- Mit dem Urlaubsanspruch entfällt auch der Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld.
Normenkette
MTV der chemischen Industrie und verwandter Industrien für die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Berlin (West) i.d.F. vom 24.6.1992 § 12
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. Juli 2001 – 11 Sa 1968/00 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaubsgeld für das Jahr 1998.
Der Kläger ist seit dem 1. Februar 1986 bei der Beklagten als Dekontaminationsarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft beiderseitiger Tarifbindung der “Manteltarifvertrag der chemischen Industrie und verwandter Industrien für die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Berlin (West) in der Fassung vom 24. Juni 1992” anzuwenden (MTV).
Dieser Tarifvertrag lautet auszugsweise wie folgt:
Ҥ 12
Urlaub
I.
Urlaubsanspruch
Der Urlaub dient der Erholung und der Erhaltung der Arbeitskraft. Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine Erwerbsarbeit leisten.
1. Der Arbeitnehmer hat für jedes Kalenderjahr Anspruch auf einen bezahlten Urlaub.
2. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
3. Im Eintrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs …
5. Im Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs …
6. Bei einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von weniger als sechs Monaten besteht … für jeden vollen Beschäftigungsmonat Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs.
…
8. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen wird, unterbricht den Urlaub. Der Arbeitnehmer muß mit dem Arbeitgeber vereinbaren, wann er den Resturlaub nehmen kann.
…
11. Der Urlaub ist spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren.
Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.
II.
Urlaubsdauer
1. Der Urlaub beträgt 30 Urlaubstage.
…
III.
Urlaubsentgelt
…
IV.
Urlaubsabgeltung
1. Der Urlaub kann grundsätzlich nicht abgegolten werden.
2. Soweit jedoch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt ist, ist er abzugelten. Nicht erfüllbare Urlaubsansprüche sind nicht abzugelten.
…
4. Die Urlaubsabgeltung ist in Höhe des Urlaubsentgelts zuzüglich des Urlaubsgelds zu gewähren; …
V.
Zusätzliches Urlaubsgeld
1. Vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern wird … Urlaubsgeld … für jeden tariflichen Urlaubstag gemäß Abschnitt II Ziffern 1 und 2 neben dem Urlaubsentgelt gewährt …, ab dem Urlaubsjahr 1996 beträgt es 40,-- DM.
…
2. Die Auszahlung des Urlaubsgeldes ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu regeln. Dabei sind der Urlaubszweck und die Zweckbestimmung des Urlaubsgeldes zu berücksichtigen. Die Auszahlung des Urlaubsgeldes muß in zeitlichem Zusammenhang mit tatsächlich gewährtem Urlaub stehen.
…
4. Hat der Arbeitnehmer im Austrittsjahr entsprechend der Zwölftelung gemäß Abschnitt I Ziffer 5 mehr Urlaubsgeld erhalten als ihm zustehen würde, so gilt der Mehrbetrag als Vorschuß, der beim Ausscheiden mit Restansprüchen verrechnet wird oder zurückzuzahlen ist. Das gilt nicht, wenn zwischen Gewährung des Urlaubsgeldes und dem Ausscheiden mindestens ein Vierteljahr liegt.
5. Wenn der Arbeitnehmer durch eigenes schwerwiegendes Verschulden aus einem Grund entlassen wird, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, oder der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis unberechtigt ohne Einhaltung der Kündigungsfrist löst, entfällt der Anspruch auf Urlaubsgeld.”
Im Jahre 1998 erhielt der Kläger am 21. April Urlaub. Vom 27. April 1998 bis einschließlich 8. März 1999 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte gewährte ihm danach vom 9. März 1999 bis zum 31. März 1999 noch 17 Tage Urlaub für das Jahr 1998. Sie zahlte ihm für das Urlaubsjahr 1998 ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von insgesamt 720,00 DM (18 × 40,00 DM). Mit seiner Klage verlangt der Kläger Urlaubsgeld von 480,00 DM brutto für zwölf weitere Urlaubstage (12 × 40,00 DM). Er ist der Ansicht, das Urlaubsgeld sei unabhängig vom Urlaubsanspruch.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 480,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31. März 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach den auf das Arbeitsverhältnis der tarifgebundenen Parteien nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG anzuwendenden Rechtsnormen des MTV hängt der Anspruch auf Urlaubsgeld vom Bestand des Anspruchs auf Urlaub ab. Der Kläger hat keinen Urlaubsgeldanspruch für weitere zwölf Tage aus 1998. Der Urlaubsanspruch ist ersatzlos untergegangen.
1. Vereinbaren die Tarifvertragsparteien die Gewährung von Urlaubsgeld, können sie den Anspruch vom Bestand des Urlaubsanspruchs abhängig machen. Diese Abhängigkeit muß im Tarifvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen sein. Sie kann sich auch aus dem tariflichen Regelungszusammenhang ergeben. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, von welchen Voraussetzungen die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf Urlaubsgeld abhängig gemacht haben, sowie darauf, wann sie eine Kürzung des Anspruchs oder eine Rückzahlung des Urlaubsgeldes vorgesehen haben. Aus der bloßen Bezeichnung des Anspruchs als “Urlaubsgeld” folgt noch keine Abhängigkeit des Anspruchs vom Bestand des Urlaubsanspruchs (vgl. Senat 11. April 2000 – 9 AZR 225/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 13 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 4 mwN und 19. Januar 1999 – 9 AZR 158/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 67 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 38).
2. In Anwendung dieser Auslegungsmerkmale hängt das in § 12 MTV geregelte zusätzliche Urlaubsgeld vom Bestand des Urlaubsanspruchs ab.
a) Das ergibt sich nicht schon daraus, daß die Tarifvertragsparteien nach der Überschrift in § 12 Abschn. V MTV ein “zusätzliches Urlaubsgeld” vereinbart haben. Ebensowenig folgt dies für sich genommen daraus, daß dieses Urlaubsgeld nach Ziff. 1 dieses Abschnitts “neben dem Urlaubsentgelt” gewährt werden soll. Derartige Formulierungen sind nicht eindeutig. Sie können auch gewählt werden, um klarzustellen, daß der Urlaubsgeldanspruch nicht Bestandteil des Urlaubsentgeltanspruchs ist.
b) Die Abhängigkeit des Urlaubsgeldanspruchs vom Bestand des Urlaubsanspruchs ergibt sich jedoch aus dem sonstigen tariflichen Regelungszusammenhang.
aa) Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut des § 12 Abschn. V Ziff. 1 Abs. 1 MTV. Danach wird dem Arbeitnehmer ein Urlaubsgeld von 40,00 DM für “jeden tariflichen Urlaubstag … neben dem Urlaubsentgelt” gewährt. Damit haben die Tarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Urlaubsgeld und dem einzelnen Urlaubstag sowie dem für diesen Urlaubstag zu zahlenden Urlaubsentgelt hergestellt. Sie haben den Urlaubsgeldanspruch der Höhe nach an den einzelnen Urlaubstag geknüpft und im gleichen Zusammenhang geregelt, daß das Urlaubsgeld neben dem Urlaubsentgelt, das dem Arbeitnehmer für diesen Urlaubstag zusteht, zu zahlen ist. Sie haben es damit nicht dabei belassen, allgemein zu bestimmen, daß der Anspruch auf Urlaubsgeld neben dem Anspruch auf Urlaubsentgelt bestehen soll. Das Urlaubsentgelt seinerseits ist nach Abschn. III Ziff. 1 MTV für die Dauer eines tatsächlich in Anspruch genommenen Urlaubs zu zahlen. Für das Urlaubsgeld gilt dann nichts anderes.
bb) Auch die Regelungen für die Auszahlung des Urlaubsgelds stellen eine Verbindung zwischen Urlaubsgeld und Urlaubsanspruch her.
Nach § 12 Abschn. V Ziff. 2 Satz 3 MTV muß die Auszahlung des Urlaubsgelds “in zeitlichem Zusammenhang mit tatsächlich gewährtem Urlaub” stehen. Außerdem haben die Tarifvertragsparteien in § 12 Abschn. V Ziff. 2 MTV ausdrücklich angeordnet, bei der im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu regelnden Auszahlung des Urlaubsgelds seien “der Urlaubszweck und die Zweckbestimmung des Urlaubsgeldes” zu berücksichtigen. Dient der Urlaub der Erholung des Arbeitnehmers, bezweckt ein zusätzlich zum Urlaubsentgelt gezahltes Urlaubsgeld typischerweise, die mit einem Urlaub verbundenen erhöhten Urlaubsaufwendungen zumindest teilweise auszugleichen (Senat 23. April 1996 – 9 AZR 696/94 – AP BErzGG § 17 Nr. 7 = EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 46; BAG 15. November 1990 – 8 AZR 283/89 – BAGE 66, 220). Ohne Urlaub fehlt es an einer solchen auszugleichenden finanziellen Mehrbelastung.
cc) Entgegen der Revision spricht auch die Regelung in § 12 Abschn. V Ziff. 4 MTV dafür, daß der Urlaubsgeldanspruch vom Bestand des Urlaubsanspruchs abhängig ist. Dort ist der Fall geregelt, daß der Arbeitnehmer “entsprechend der Zwölftelung gemäß Abschnitt I Ziffer 5 mehr Urlaubsgeld erhalten” hat, als ihm zustehen würde. Damit haben die Tarifvertragsparteien auf die tariflichen Voraussetzungen der Zwölftelung des Jahresurlaubs verwiesen. Sie haben dabei als selbstverständlich unterstellt, daß ein Arbeitnehmer, der zuviel Urlaub erhalten hat, auch zuviel Urlaubsgeld erhalten hat. Sie haben damit die Auszahlung des Urlaubsgelds in Verbindung mit der Erfüllung des Urlaubsanspruchs gebracht.
Die Tarifvertragsparteien haben gleichzeitig geregelt, wann in diesen Fällen das Urlaubsgeld zurückzuzahlen ist. Das sagt aber nichts darüber aus, inwieweit der Fortfall von Urlaubsansprüchen bei anderen Fallgestaltungen den Anspruch auf Urlaubsgeld berührt.
dd) Die Abhängigkeit des Urlaubsgelds vom Bestehen des Urlaubsanspruchs erschließt sich auch aus § 12 Abschn. IV Ziff. 4 MTV. Danach ist die Urlaubsabgeltung zuzüglich des Urlaubsgeldes zu gewähren. Nach § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV hängt die Urlaubsabgeltung ihrerseits davon ab, daß die Urlaubsansprüche auch erfüllbar sind. Die Urlaubsabgeltung ersetzt also den ursprünglichen Urlaubsanspruch. Das entspricht allgemeinen Grundsätzen (Senat 5. Dezember 1995 – 9 AZR 871/94 – BAGE 81, 339 und ständig).
c) § 12 Abschn. V Ziff. 5 MTV spricht nicht gegen die Abhängigkeit des Urlaubsgeldes vom Anspruch auf Urlaub.
Nach dieser Regelung entfällt ein Anspruch auf Urlaubsgeld, wenn der Arbeitnehmer durch eigenes schwerwiegendes Verschulden aus einem Grund entlassen wird, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, oder er das Arbeitsverhältnis unberechtigt und ohne Einhaltung der Kündigungsfrist löst. Für diese Fallgestaltungen soll nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Urlaubsgeldanspruch wegfallen, obwohl noch erfüllbare Urlaubsansprüche vorliegen. Dabei handelt es sich um eine Sonderregelung, aus der nichts für die Charakterisierung des Urlaubsgeldes hergeleitet werden kann. Vielmehr bestätigt sie als Ausnahme die Regel.
3. Der Anspruch des Klägers auf weitere zwölf Urlaubstage (tariflicher Urlaub von 30 Tagen, abzüglich insgesamt gewährter 18 Urlaubstage) ist verfallen.
Nach § 12 Abschn. I Ziff. 1 und 2 MTV entsteht der Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr. Er ist nach § 12 Abschn. I Ziff. 11 MTV spätestens bis zum 31. März des folgenden Jahres zu gewähren und erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist. Ebenso erlischt der Urlaubsanspruch, wenn er zwar geltend gemacht worden ist, jedoch nicht mehr gewährt werden konnte, weil der Arbeitnehmer während des Urlaubsjahres und des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig war:
Sowohl nach der gesetzlichen (§ 9 BUrlG) als auch nach der tariflichen (§ 12 Abschn. I Ziff. 8 MTV) Systematik schließt die Arbeitsunfähigkeit die Erfüllung des Urlaubsanspruchs aus. Der Urlaubsanspruch geht folglich ersatzlos unter, sofern die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des im Einzelfall maßgebenden gesetzlichen (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) oder tarifvertraglichen (hier: § 12 Abschn. I Ziff. 11 MTV) Übertragungszeitraums andauert (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat 27. Februar 2002 – 9 AZR 545/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 180 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 125 mwN). Gleiches gilt, wenn der Urlaubsanspruch deshalb nur noch teilweise innerhalb des Übertragungszeitraums gewährt werden kann. Das war beim Kläger der Fall. Er war während des Urlaubsjahres 1998 sowie bis weit in den Übertragungszeitraum – 1. Januar bis 31. März des Jahres 1999 – arbeitsunfähig krank. Ihm konnte nach seiner Genesung nur ein Teil seines jährlichen Urlaubsanspruchs, nämlich noch 17 Urlaubstage, gewährt werden. Der restliche Anspruch in Höhe von zwölf Urlaubstagen ist damit untergegangen.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Reinecke, Zwanziger, H. Kranzusch, Heilmann
Fundstellen
Haufe-Index 985793 |
BB 2005, 2014 |
NZA 2004, 232 |
AuA 2003, 44 |
EzA |
NJOZ 2004, 550 |