Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvertrag - Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
Orientierungssatz
1. Hinweise des Senat: "Bestätigung des Senatsurteils vom 1. August 1985 - 2 AZR 101/83 = BAGE 49, 214 = AP Nr 30 zu § 123 BGB."
2. Der Arbeitnehmer ist bei den Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages nur dann von sich aus verpflichtet, seine Schwerbehinderteneigenschaft oder seine Gleichstellung zu offenbaren, wenn er erkennen muß, daß er wegen der Behinderung, die der Feststellung zugrundeliegt, die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder eine deswegen beschränkte Leistungsfähigkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist.
3. Demgegenüber hat der Arbeitgeber aber uneingeschränkt das Recht, einen Bewerber nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einer Gleichstellung zu fragen (im Anschluß das Urteil des Senats vom 7. Juni 1984, 2 AZR 270/83 = AP Nr 26 zu § 123 BGB).
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.08.1990; Aktenzeichen 13 Sa 384/90) |
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 20.01.1990; Aktenzeichen 5 Ca 1304/90) |
Tatbestand
Der Kläger verhandelte im Frühjahr 1988 mit der Beklagten wegen einer Einstellung als kaufmännischer Angestellter (Verkaufsleiter Nord). Aufgrund eines Nierenleidens, das eine Transplantation zur Folge hatte, war der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt Schwerbehinderter im Sinne des Schwerbehindertengesetzes. Er war im Besitz eines Schwerbehindertenausweises, gültig ab 23. Mai 1984, in dem der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 100 % festgestellt war.
Am 17. Februar, 3. März und 9. März 1988 fanden die Einstellungsgespräche statt. Im März 1988 füllte der Kläger einen Fragebogen - Einstellungsvereinbarung mit Personalangaben - aus. In der Rubrik: "Schwerbehindert: ja/nein, Erwerbsminderung: ...%, festgestellt von: ... am: ...", strich er das Wort "ja" durch, die anderen Fragen ließ er unbeantwortet. Bei Nummer 7: "Als Sonderrechte (z. B. Schwerbehindertenschutz, Mutterschutzgesetz) werden in Anspruch genommen und anerkannt:" machte der Kläger einen Schrägstrich. Im Personalfragebogen, der nach Angaben des Klägers von ihm am 6. April 1988 unterzeichnet wurde, mit ihm jedoch vor der Einstellung im einzelnen erörtert worden war, kreuzte der Kläger bei Nummer 1.5 "Gesundheitszustand: Leiden Sie an Krankheiten oder Krankheitsfolgen, die sich auf die beabsichtigte Tätigkeit auswirken können", das Kästchen "Nein" an. Die Frage: "Sind Sie sonst körperbehindert ... %, Art der Behinderung, letzter Bescheid über die Erwerbsminderung: ..., Aktenzeichen ...," ließ er unbeantwortet.
Die Beklagte stellte ihn zum 1. April 1988 ein, sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 6.250,-- DM.
Als die Beklagte mit Schreiben vom 26. September 1989 das Anstellungsverhältnis zum 31. Dezember 1989 kündigte, berief der Kläger sich in der Klage u. a. darauf, er sei Schwerbehinderter. Er habe daher Kündigungsschutz nach § 15 SchwbG, und die Beklagte habe offensichtlich die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle vor Ausspruch der Kündigung nicht eingeholt. Die Beklagte nahm daraufhin die Kündigung zurück und hat über ihre Anwälte durch Schreiben vom 31. Oktober 1989 die Anfechtung des Arbeitsvertrages erklärt.
Der Kläger hält die Anfechtung für unwirksam. Er verlangt von der Beklagten Zahlung seines Gehalts (13. Gehalt eingerechnet) für die Monate November und Dezember 1989 von je 6.250,-- DM.
Er hat vorgetragen, er sei der Auffassung gewesen, er brauche seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht zu offenbaren, da seine Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die zu besetzende Stelle in keiner Weise gemindert gewesen sei. Vorrangige Interessen der Beklagten seien nicht zu berücksichtigen gewesen. Außerdem hätte die Beklagte aus dem Umstand, daß in seiner Lohnsteuerkarte - Außerdem hätte die Beklagte aus dem Umstand, daß in seiner Lohnsteuerkarte - unstreitig - ein Freibetrag eingetragen gewesen sei, erkennen können, daß er schwerbehindert sei. Die Fragestellung sei zudem ungenau gewesen. Im Fragebogen sei Auskunft nach Sonderrechten begehrt worden, die in Anspruch genommen würden. Es sei damals nicht seine Absicht gewesen, irgendwelche Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Ihm sei die Rechtslage im einzelnen gar nicht bekannt gewesen, er habe die Anerkennung als Schwerbehinderter betrieben, um Steuervorteile zu erlangen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.500,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit 1. Dezember 1989 aus einem Betrag von 6.250,-- DM und nebst 4 % Zinsen seit dem 2. Januar 1990 aus einem Betrag von 6.250,-- DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Im Wege der Widerklage hat sie Feststellung begehrt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Anfechtungserklärung zum 31. Oktober 1989 beendet worden sei, und demgemäß zwischen den Parteien über den Zeitpunkt des Zuganges dieses Anfechtungsschreibens hinaus ein arbeitsvertragliches Verhältnis nicht mehr bestehe.
Die Beklagte hat geltend gemacht, mit der Widerklage solle verhindert werden, daß der Kläger sukzessive weitere Zahlungsansprüche geltend mache. Insoweit bestehe ein Rechtsschutzinteresse. Sie hat vorgetragen, der Kläger habe sie arglistig über wesentliche Umstände, auch solche in seiner Person liegende, getäuscht. Dem Kläger sei aus den Gesprächen vor der Einstellung klar gewesen, daß es ihr auf die richtige Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft ankomme. Es sei auch unrichtig, daß der Kläger keine Sonderrechte habe geltend machen wollen, wie sich gerade aus seinem Verhalten im Kündigungsschutz-prozeß 4 Ca 1045/89 Arbeitsgericht Mönchengladbach ergebe.
Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Es hat ausgeführt, der Kläger habe die Beklagte arglistig getäuscht, indem er die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft verneint habe. Die Frage sei eindeutig gestellt und zulässig gewesen. Das überwiegende Interesse des Arbeitgebers folge aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und den betrieblichen Auswirkungen, die sich für den Arbeitgeber aus der Einstellung und Beschäftigung eines Schwerbehinderten ergeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht angenommen, die Beklagte habe ihre Erklärungen, die
zum Vertragsschluß geführt hätten, wirksam angefochten. Der Kläger habe allerdings nicht arglistig gehandelt, die Anfechtung sei aber aus dem Gesichtspunkt des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Klägers nach § 119 BGB begründet.
II. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Beklagte war zur Anfechtung berechtigt, denn sie ist vom Kläger arglistig getäuscht worden (§ 123 BGB).
1.a) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen unrichtiger Angaben bei der Einstellung im Hinblick auf eine Behinderung anfechten kann, hat der Senat zuletzt am 1. August 1985 (- 2 AZR 101/83 - BAGE 49, 214, 219 f. = AP Nr. 30 zu § 123 BGB, zu II 1 der Gründe) unter eingehender Stellungnahme zu Literatur und Rechtsprechung entschieden. Danach ist der Arbeitnehmer bei den Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages nur dann von sich aus verpflichtet, seine Schwerbehinderteneigenschaft oder seine Gleichstellung zu offenbaren, wenn er erkennen muß, daß er wegen der Behinderung, die der Feststellung zugrundeliegt, die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder eine deswegen beschränkte Leistungsfähigkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist.
b) Demgegenüber hat der Arbeitgeber aber uneingeschränkt das Recht, einen Bewerber nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einer Gleichstellung zu fragen (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP Nr. 26 zu § 123 BGB, zu II 4 der Gründe).
Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann den Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB berechtigen. Der Senat hat im Anschluß an die im einzelnen aufgeführte und ganz herrschende Meinung in der Literatur ausgeführt, das Fragerecht des Arbeitgebers und die entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Beantwortung folgten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der auch das vorvertragliche Anbahnungsverhältnis der Parteien beherrscht. Bei Abwägung der gegensätzlichen Interessen des Arbeitsplatzbewerbers und des Arbeitgebers überwiege das des zukünftigen Arbeitgebers daran, zu erfahren, ob der Bewerber Schwerbehinderter (§ 1 SchwbG) sei, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Auswirkungen die Schwerbehinderteneigenschaft sowie die zugrundeliegende Behinderung konkret für die in Aussicht genommene Tätigkeit habe. Bei der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft, die für die Durchführung und die Abwicklung des beabsichtigten Arbeitsverhältnisses von erheblicher Bedeutung sei, müsse gegenüber dem objektiv schutzwürdigeren Interesse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktreten. Der Senat hat dies im einzelnen damit begründet, das vorrangige Interesse des Arbeitgebers folge aus den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für ihn durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen, d. h. aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und den betrieblichen Auswirkungen, die sich für den Arbeitgeber aus der Einstellung und Beschäftigung eines Schwerbehinderten (§ 1 SchwbG) ergeben.
c) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Dem Urteil hat in diesem Punkt zugestimmt Peterek (Anm. zu EzA § 123 BGB Nr. 25). Zu einer neueren Entscheidung des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 30. August 1988 - 4 Ca 581/87 - (EzA § 123 BGB Nr. 34) hat Teske (Anm. zu EzA § 123 BGB Nr. 34, zu I) zutreffend ausgeführt, die nur vereinzelte Gegenmeinung übersehe, daß nach der Arbeitsplatz unmittelbar geschützt werde, nicht aber die Eingehung des Vertrages. Insoweit trage das Gesetz dem Interesse des Schwerbehinderten nur indirekt Rechnung.
d) Soweit Großmann (NZA 1989, 702, 705) meint, das Bundessozialgericht (BSGE 60, 11) vertrete eine abweichende Auffassung, ist dies unzutreffend. Das Bundessozialgericht hatte in der angegebenen Entscheidung eine völlig andere Interessenlage zu beurteilen. Es hatte darüber zu befinden, ob ein Behinderter verlangen könne, eine bestimmte Behinderung von der Feststellung im Bescheid auszunehmen. Es hat dies bejaht und im Anschluß an die Entscheidung des Senats (BAG Urteil vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB) erläuternd ausgeführt, eine allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers, die Schwerbehinderteneigenschaft dem Arbeitgeber gegenüber zu offenbaren, bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ersichtlich nicht. Das Bundesarbeitsgericht habe die Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft und die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Antwort bejaht. Die unrichtige Beantwortung der Frage nach einzelnen Behinderungen könne zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung führen, sofern es bei dem zu besetzenden Arbeitsplatz auf ein bestimmtes Leistungsvermögen, das der Arbeitnehmer nicht besitze, ankomme. Davon abgesehen dürfte ein Verschweigen keine nachteiligen arbeitsvertraglichen Konsequenzen nach sich ziehen. Eine Offenbarungspflicht erwachse dem Schwerbehinderten auch nicht daraus, daß der Arbeitgeber seiner öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Beschäftigung von Schwerbehinderten zu genügen hat (§§ 4 und 7 SchwbG), um damit eine Ausgleichsabgabe zu vermeiden (§ 8 SchwbG). Falls der Schwerbehinderte nicht als solcher oder mit einem geringeren Grad der Minderung der Erwerbstätigkeit als tatsächlich bestehend anerkannt sei, belaste dies den Arbeitgeber nicht unzumutbar. Diese Ausführungen widersprechen nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach jedenfalls die Frage nach der Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft als solcher wahrheitsgemäß zu beantworten ist. Aus dem Umstand, daß es einem Arbeitgeber freigestellt ist, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen anstatt einen Schwerbehinderten einzustellen folgt, daß der Gesetzgeber dem Arbeitgeber auch konkludent ein solches Wahlrecht einräumt.
2. a) Unter Zugrundelegung dieser Rechtslage hat der Kläger die Beklagte arglistig getäuscht. Durch die Erklärung einer bewußten Unwahrheit auf eine entsprechende Frage wird nicht nur bei dem anderen Vertragsteil durch Vorspiegelung einer falschen Tatsache ein Irrtum über den wahren Sachverhalt hervorgerufen, sondern die bewußt unwahre Aussage läßt auch den Vorsatz erkennen, auf den Erklärungswillen der Gegenseite, hier auf den Willen der Beklagten zur Einstellung des Klägers, einzuwirken. Soweit das Landesarbeitsgericht ausführt, es fehle vorliegend an einer Schädigungsabsicht, ist diese Erwägung rechtsfehlerhaft. Die arglistige Täuschung setzt weder eine Bereicherungsabsicht des Täuschenden noch eine Schädigung des Vermögens des Geschädigten voraus (ganz herrschende Meinung vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 50. Aufl., § 123 Rz 2). Der Senat (vgl. BAG Urteil vom 1. August 1985, aa0) hat auch solche rechtlichen Anforderungen nicht verlangt.
b) Soweit das Berufungsgericht ohne nähere Ausführungen in tatsächlicher Hinsicht ausgeführt hat, der Kläger habe überzeugend dargelegt, er sei der Meinung gewesen, aufgrund seiner uneingeschränkten Tauglichkeit für die übernommene Tätigkeit und der Absicht, irgendwelche Sonderrechte nicht in Anspruch zu nehmen, keine Offenbarungspflicht zu haben, widersprechen dieser Ausführungen dem Inhalt der vorgelegten Urkunden und sind somit revisionsrechtlich nachprüfbar. Sowohl im Fragebogen - Einstellungsvereinbarung mit Personalangabe - als auch in dem späteren Personalfragebogen ist der Kläger ausdrücklich nicht nur danach gefragt worden, ob er schwerbehindert sei, sondern auch danach, ob diese Schwerbehinderteneigenschaft anerkannt worden sei und wenn ja, mit welchem Grad der Behinderung. Der Kläger hat im Fragebogen - Einstellungsvereinbarung mit Personalangaben - die Frage der Schwerbehinderteneigenschaft mit "nein" beantwortet und ebenso im Personalfragebogen, der von ihm am 6. April 1988 unterzeichnet worden ist. Hieraus folgt urkundlich, daß er bewußt unwahre Angaben gemacht hat, um die Beklagte über die wahre Sachlage zu täuschen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Kläger zunächst tatsächlich die Absicht gehabt hat, sich auf die Anerkennung als Schwerbehinderter nicht zu berufen. Die Beklagte weist insoweit jedenfalls zu Recht darauf hin, daß der Kläger im Kündigungsschutzprozeß - 4 Ca 1045/89 - Arbeitsgericht Mönchengladbach sofort auf diesen Umstand hingewiesen hat.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Ascheid
Brocksiepe Roeder
Fundstellen
Haufe-Index 438006 |
EEK, II/203 (ST1-4) |